LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10328 25.11.2015 Datum des Originals: 25.11.2015/Ausgegeben: 30.11.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4000 vom 23. Oktober 2015 der Abgeordneten Dirk Wedel, Angela Freimuth und Christof Rasche FDP Drucksache 16/10044 Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof und der Hessische Verwaltungsgerichtshof halten den Glücksspielstaatsvertrag für teilweise unvereinbar mit höherrangigem Recht – Hessen gibt Höchstgrenzen für Konzessionen auf – welche Konsequenzen gedenkt die Landesregierung zu ziehen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4000 mit Schreiben vom 25. November 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und Chef der Staatskanzlei beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die seit dem 1. Juli 2012 geltende Fassung des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) hält stets aufs Neue gerichtlicher Überprüfung nicht stand. Hatte bereits im Frühjahr 2015 das Verwaltungsgericht Wiesbaden in mehreren Entscheidungen die mangelnde Konformität des Vertrages mit Recht der Europäischen Union beanstandet , findet diese Bewertung nunmehr ihre verfassungsrechtliche Fortsetzung in der jüngsten Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (BayVerfGH). In seiner Entscheidung vom 16. April 2015 (Aktenzeichen 5 L 1448/14.WI) hatte das Verwaltungsgericht Wiesbaden erstmalig das Konzessionsverfahren grundsätzlich in Frage gestellt. Es sei von seiner Konzeption, seinen Anforderungen und vom Verfahrensablauf her intransparent und fehlerhaft und erfülle zudem nicht die Anforderungen an eine zulässige Einschränkung der europäischen Dienstleistungsfreiheit. Beschlüsse des Glücksspielkollegiums könnten für das Land Hessen nicht bindend sein, wenn sie gegen dessen Stimme getroffen würden, da hessische Behörden (ausschließlich) Landesstaatsgewalt ausübten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10328 2 Zuletzt hatte dasselbe Gericht am 10. Juni 2015 (5 L 1438/14.WI) erneut festgehalten, der Ausgestaltung des Verfahrens zur Erlangung von Sportwettenkonzessionen fehle es jedenfalls auf dessen zweiter Stufe an einer hinreichend konturierten Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ; dies gelte auch und gerade für das zur Entscheidung über die Vergabe der Konzessionen berufenen Glücksspielkollegium. Das bislang zur Rechtfertigung des staatlichen Glücksspielmonopols und nunmehr zur Begründung der nur beschränkten Konzessionierung (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) herangezogene öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Spielsucht und der Lenkung des Spieltriebs in geordnete Bahnen sei das überragende Gemeinwohlziel im unionsrechtlichen Sinne, das auch § 1 GlüStV in seiner Neufassung in verschiedenen Ausformulierungen und neben der Kriminalitätsabwehr verfolge . Nur dieses Ziel und die Kriminalitätsabwehr seien daher als Rechtfertigung einer Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit anerkennungsfähig. Ein intransparentes Verwaltungsverfahren könne diese Ziele indes nicht rechtsfehlerfrei verfolgen. Nunmehr hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Beschlusswege am 16. Oktober 2015 für Recht erkannt (8 B 1028/15), die durch das Glücksspielkollegium getroffene Auswahlentscheidung sei verfassungswidrig. Sie verletze nicht berücksichtigte Bewerber in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit. Die Übertragung der verbindlichen Entscheidung über die Vergabe der Konzessionen auf das Glücksspielkollegium widerspreche dem Grundgesetz. Das hoheitliche Handeln des Glücksspielkollegiums könne weder dem Bund noch einem der Länder zugerechnet werden, sondern allenfalls der Gesamtheit der Länder oder gegebenenfalls einer Mehrheit der Länder. Dies verstoße gegen das Bundesstaatsprinzip, wonach es neben der Bundes- und der Landesebene keine dritte Ebene staatlicher Gewalt geben dürfe. Zudem verletze die Ausübung von Hoheitsgewalt durch das Glücksspielkollegium das Demokratieprinzip . Dem Glücksspielkollegium, das als Gesamtheit weder der Aufsicht des Bundes noch der eines Landes unterliege, fehle eine ausreichende demokratische Legitimation . Sein hoheitliches Handeln lasse sich weder auf das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland noch auf das Staatsvolk eines der Länder zurückführen. Ein Staatsvolk der Gesamt - oder Mehrheit der Länder kenne das Grundgesetz nicht. Schließlich sei das Auswahlverfahren der Anbieter entgegen § 4b des Glücksspielstaatsvertrages nicht hinreichend transparent. Der BayVerfGH hatte bereits am 25. September 2015 für Recht erkannt (Vf. 9-VII-13 u.a.), die Ermächtigung der Ministerpräsidentenkonferenz zur Festlegung des Kontingents für Wettkonzessionen verletze in gewissem Umfange die bayerische Landesverfassung in Gestalt des Rechtsstaatsprinzips. Die vertraglich bestimmte Zahl der Wettkonzessionen kann nämlich im Nachhinein durch einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz abgeändert werden (§ 4a Abs. 3 Satz 2 GlüStV). Die Ermächtigung der Ministerpräsidentenkonferenz zu einer derartigen verbindlichen (Neu-)Festlegung der Zahl der zu vergebenden Konzessionen für Sportwetten verstoße jedoch gegen das bundes- und landesverfassungsrechtliche Gebot, dass es auch bei föderalem Zusammenwirken der Bundesländer möglich bleiben muss, einen außenwirksamen Hoheitsakt dem jeweiligen Land zuzurechnen. Die Ermächtigung sei daher mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung) nicht vereinbar. Diese Argumentation entspricht sinngemäß derjenigen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs. Ferner verstoße die Ermächtigung des § 5 Abs. 4 GlüStV zum Erlass einer Werberichtlinie gegen das Rechtsstaatsprinzip. Auch insoweit müssten die von den Bundesländern im Bereich der unmittelbaren Staatsverwaltung erlassenen Hoheitsakte, soweit ihnen Außenwirkung zukomme , einem einzelnen Land und nicht bloß einer Ländergesamtheit zugerechnet werden können . Zusammenfassend bleibt festzuhalten: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10328 3 Die geltende Fassung des GlüStV verletzt mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl Unions- als auch Verfassungsrecht. Das Fehlen konkreter Verfahrensregeln auf der zweiten Stufe des Konzessionierungsverfahrens und für das Glücksspielkollegium lässt besorgen, dass die zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die europäische Dienstleistungsfreiheit notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Mehrheitsentscheidungen eines gemeinsamen, länderübergreifenden Gremiums greifen in die Ausübung der Landesstaatsgewalt der jeweiligen Minderheitenländer ein, obgleich es an einer hinreichenden demokratischen Legitimationskette gerade für die getroffene Entscheidung im jeweils betroffenen Land fehlt. Rechtsetzung – hier durch Änderung der Anzahl der vergabefähigen Konzessionen auf der Ebene des Glücksspielstaatsvertrages – durch eine Gemeinschaftseinrichtung der Länder ist unzulässig, da eine Zurechnung dieses außenwirksamen Hoheitsakts zu einem einzelnen Hoheitsträger (Bundesland) nicht möglich ist. Darin kann regelmäßig auch eine Grundrechtsverletzung Betroffener liegen. Der Glücksspielstaatsvertrag dürfte deshalb in der geltenden Fassung keinen Bestand haben . Vor diesem Hintergrund hat am 8. Oktober 2015 die hessische Landesregierung beschlossen , Sportwettenkonzessionen ohne zahlenmäßige Begrenzung jedem Anbieter zu erteilen, der die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Erteilung erfüllt. 1. Welche Schritte hat die Landesregierung seit der ersten Entscheidung des VG Wiesbaden unternommen, um auf eine Beseitigung der festgestellten Verfahrens - und Transparenzmängel des Konzessionsvergabeverfahrens hinzuwirken? Die Landesregierung hatte in der Antwort zur Kleinen Anfrage 3403 (LT-Drs. 16/8924) dargelegt , dass wegen anderslautender Entscheidungen die weitere rechtliche Klärung abgewartet werden soll, bevor auf belastbarer Grundlage über Handlungsoptionen entschieden werden kann. 2. Welche Konsequenzen gedenkt die Landesregierung aus der seitens des Hess- VGH und des BayVerfGH festgehaltenen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch Normsetzung einer Gemeinschaftseinrichtung der Länder zu ziehen? Zunächst ist festzustellen, dass die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs die zentralen Normen des Glücksspielstaatsvertrags als verfassungsgemäß bestätigt hat. Lediglich diejenigen Vorschriften, welche eine Änderung der im Staatsvertrag vorgesehenen Anzahl der Konzessionen für Sportwettanbieter bzw. die Anzahl der in Bayern zuzulassenden Wettvermittlungsstellen betreffen, sowie die Ermächtigung zum Erlass einer Werberichtlinie als untergesetzliche Rechtsnorm bzw. sogenannte normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift , die auch Gerichte binden soll, sieht das Gericht als unvereinbar mit der Bayerischen Verfassung an. Die Entscheidung bindet nur den Freistaat Bayern. Im Hinblick auf den Umgang mit der Werberichtlinie gibt der Bayerische Verfassungsgerichtshof zudem selbst Hinweise, wie auch der Vertreter Bayerns an Entscheidungen zu Werbeerlaubnissen mitwirken kann (Anwendungserlass – vgl. Seite 126, Rz. 249 der Entscheidung). Eine Notwendig- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10328 4 keit zum Handeln für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen folgt somit aus dieser Entscheidung nicht. Die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichthofs im Eilverfahren ist insoweit in ihren tragenden Erwägungen darauf gestützt, dass dem Glücksspielkollegium die verfassungsrechtliche Legitimation zur Entscheidung über die Vergabe von Sportwettlizenzen fehle . Eine qualifizierte Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist der Entscheidung allerdings nicht zu entnehmen. Die Landesregierung wird in den dafür vorgesehenen Gremien die Konsequenzen aus den Entscheidungen sorgfältig analysieren und im Länderkreis erörtern, welche Folgerungen hieraus zu ziehen sind. 3. Wie verhält sich die Landesregierung zu der hessischen Entscheidung, die Höchstgrenze für die Anzahl der Sportwettenkonzessionen aufzugeben, unter Berücksichtigung der Zuständigkeit hessischer Behörden für Anträge aus dem gesamten Bundesgebiet? Der Landesregierung ist keine hessische Entscheidung, die Höchstgrenze für die Anzahl der Sportwettenkonzessionen aufzugeben, bekannt. Am 8. Oktober 2015 wurde von Seiten des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport lediglich eine Presseinformation herausgegeben , mit der über die von der Hessischen Landesregierung beschlossenen „Leitlinien für eine zeitgemäße Glücksspielregulierung in Deutschland“ informiert wurde. Hierbei handelt es sich lediglich um politische Meinungsäußerungen, die von Hessen bisher nicht zum Gegenstand von Erörterungen in den zuständigen Gremien der Länderregierungen gemacht worden sind. 4. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich der gegenwärtigen Bewertung der Rechtmäßigkeit des GlüStV durch die EU-Kommission vor? Die Kommission hat am 29. Juni 2015 in dem EU-Pilotverfahren 7625/15/GROW eine Reihe von Fragen gestellt, die dem Austausch über die deutsche Glücksspielregelung und deren Bewertung dienen. Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Informationsersuchen durch Mitteilung vom 5. Oktober 2015 nachgekommen. Eine Reaktion der EU-Kommission auf die Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland ist der Landesregierung nicht bekannt. 5. Welche Gründe stehen aus Sicht der Landesregierung einer zügigen Aufnahme von Verhandlungen über eine Neufassung des GlüStV entgegen? Wie zu Frage 2 ausgeführt, wird die Landesregierung in den dafür vorgesehenen Gremien die Fragen im Länderkreis bewerten und erörtern. Sollte sich danach zeigen, dass Änderungen des Staatsvertrages erforderlich sind, um das deutsche Glücksspielrecht rechtssicher zu regulieren, so wird die Landesregierung nicht zögern, die notwendigen Schritte einzuleiten. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10328