LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10406 07.12.2015 Datum des Originals: 07.12.2015/Ausgegeben: 10.12.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4047 vom 4. November 2015 des Abgeordneten Marc Lürbke FDP Drucksache 16/10195 Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung über die „Identitäre Bewegung“ in Nordrhein-Westfalen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4047 mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Spektrum der rechtsextremistischen Szene setzt sich aus unterschiedlichen Gruppierungen zusammen. Anfang November 2015 berichtete DIE WELT online über eine Gruppe mit dem Namen „Identitäre Bewegung“, die dem Bericht zu Folge dem rechten Spektrum zuzuordnen sei und „[…] ein Verblassen nationaler und kultureller Identitäten der Europäer bis zur Unkenntlichkeit, begleitet von und bedingt durch den Bedeutungszuwachs des Islam“ (vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article148369724/Welche-Rechten-steckenhinter -dem-schwarzen-Haken.html) erwarte. Das große Anliegen dieser Gruppe sei dem Bericht zu Folge, „[…] den großen Austausch der Bevölkerung Europas zu stoppen“ (vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article148369724/Welche-Rechten-stecken-hinterdem -schwarzen-Haken.html). Ursprünglich stamme diese Bewegung aus Frankreich. 2012 hat die französische Gruppe mit ca. 80 Anhängern das Dach einer Moschee besetzt und eine „Kriegserklärung“ gegen den Multikulturalismus veröffentlicht. Der Österreichische Ableger der Gruppe errichtet einen zwei Meter hohen Zaun an der Grenze zu Ungarn und versuchte „[…] mit der Kampagne „Werde Grenzhelfer“, Jugendliche zu ermuntern, es ihnen gleichzutun.“ (vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article148369724/Welche-Rechten-stecken-hinterdem -schwarzen-Haken.html). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10406 2 2012 war das YouTube-Video zur Kriegserklärung gegen den Multikulturalismus erstmals mit deutschem Untertitel im Netz aufgetaucht und erste Gruppierungen bildeten sich dem Bericht zu Folge auch hier. Seither gingen erste Facebook-Auftritte online, die nach aktuellem Stand rund 21.000 Nutzern „gefällt“. Auffällig geworden seien die Anhänger bereits bei der Eröffnung der interkulturellen Woche in Frankfurt und mit einem Auftritt vor dem Brandenburger Tor. Nach Aussage der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage „[…] dient vor allem die rechtsextremistische französische „Génération Identitaire“ der IBD hinsichtlich der Gestaltung von Aktionen und der politischen Zielsetzung als maßgebliches Vorbild.“ (vgl. Antwort der Bundesregierung Drs. 17/14811). In einer Kleinen Anfrage im Bundestag (17/14811) aus dem Jahr 2013 erklärt die Bundesregierung , dass ihr die Identitäre Bewegung Deutschland bekannt sei und das zum damaligen Zeitpunkt bereits mehr als 50 lokale bzw. regionale Untergruppen existieren. Zudem erklärt die Bundesregierung, dass die Aktivisten lediglich im Internet und mit verschiedenen Pseudonymen aufträten. Nach damaligen Stand habe es zwei „Deutschlandtreffen“ gegeben, an denen mehrere Dutzend Personen teilgenommen haben. In der Antwort auf die Anfrage verweist die Bundesregierung auf verschiedene öffentliche Aktionen, auch in Nordrhein-Westfalen. Am 1. Juni 2013 postierten sich der Antwort zu Folge , sieben Aktivisten der „Identitären Bewegung“ auf der Düsseldorfer Königsallee in weißen Schutzanzügen, Kapuzen und Mundschutz. „Mit der Aktion sollte das Schreckensszenario einer identitätslosen Gesellschaft aufgezeigt werden, auf die Deutschland aus Sicht der IBD zusteuere, wenn nichts gegen die vermeintliche „Überfremdung“ und den Multikulturalismus unternommen werde.“ (vgl. Antwort der Bundesregierung 17/14811). In der jüngsten Vergangenheit häuften sich die Berichte, dass die Fahnen der „Identitären Bewegung“ bei Pegida und einigen AfD-Demos gesehen worden sind. 1. Welche genauen verfassungsschutzrelevanten Kenntnisse besitzt die Landesregierung über die „Identitäre Bewegung“ in Nordrhein-Westfalen? Im Zusammenhang mit der Beobachtung rechtsextremistischer Organisationen der sog. „Neuen Rechten“ berücksichtigt der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen auch die in deren Umfeld auftretenden Gruppen und Organisationen. Zu diesen zählt die Identitäre Bewegung . Die Identitäre Bewegung hat ihren Ursprung in Frankreich und tritt seit 2012 auch in Deutschland in Erscheinung. Bei der ursprünglich virtuellen Aktionsform aus dem jugendlichsubkulturellen Spektrum handelt es sich um eine fremdenfeindliche Gruppierung mit dem Schwerpunkt der islamfeindlichen Agitation. Insofern übernimmt sie rechtsextremistische Argumentationsmuster und hat eine ideologische Nähe zum Rechtsextremismus. Die Identitäre Bewegung Deutschland e.V. (IBD) ist seit Mai 2014 beim Amtsgericht Paderborn unter der Registernummer 3135 als Verein registriert. Nach § 2 der Vereinssatzung verfolgt die IBD unter anderem „das Ziel, die Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern.“ Ferner spricht sie sich laut Programmatik insbesondere gegen „die Globalisierung“ und eine vermeintliche „Verdrängung der deutschen Identität aus immer mehr Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens“ aus. Die IBD greift die von der „Neuen Rechten“ entwickelte Idee des Ethnopluralismus auf. Diese Idee besagt, dass der Einzelne nur in einer ethnisch homogenen Umgebung seine Identität finden und erhalten könne. Es werden dezidiert ethnisch homogene Einheiten gefordert. Nach eigener Darstellung der IBD entspreche dies nicht einer Bewertung mit Höher- oder Minderwertigkeit von Ethnien. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10406 3 In Abgrenzung zum Auftreten aktionsorientierter Formen des Rechtsextremismus – beispielsweise von Neonazis / Autonomen Nationalisten oder des rechtsextremistischen Parteienspektrums – bemüht sich die IBD um einen avantgardistischen Habitus, was in den der „Neuen Rechten“ zuzurechnenden Publikationen positiv aufgenommen und diskutiert wird. Der elitäre Grundansatz der IBD, der in dieser Form in der rechtsextremistischen Szene kaum nachvollzogen wird, hat bis heute engere Kooperationen mit der rechtsextremistischen Szene verhindert. Unbeschadet dessen sind die Äußerungen der IBD geprägt von einer fremdenfeindlichen und Minderheiten ausgrenzenden Diktion. Die IBD setzt in hohem Maße auf eine prägnante visuelle Symbolik, wobei unter anderem Vergleiche zwischen der aktuellen Diskussion um die Zuwanderung nach Europa und als solche explizit dargestellte historische sogenannte „Abwehrkämpfe des Abendlandes gegen außereuropäische Expansionsbestrebungen“ bemüht werden. Bei dem Logo der IBD handelt es sich um eine Darstellung des griechischen Buchstabens Lambda. Die IBD verfügt über einen zentralen Internetauftritt und einen Onlineshop. Darüber hinaus sind die einzelnen Gliederungen im Wesentlichen über ihre jeweiligen Seiten im sozialen Netzwerk Facebook vertreten. Trotz der in Nordrhein-Westfalen bestehenden Gliederungen „IBD Westfalen“ und „IBD Rheinland“ mit einem losen Verbund von etwa 30 bis 50 Personen, konnte sich die IBD hier kaum etablieren. 2. Wie setzt sich das Spektrum der rechtsextremistischen Szene in NRW genau zusammen? Das Spektrum der rechtsextremistischen Szene in Nordrhein-Westfalen wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2014 dargestellt. Dieser wurde am 8. Juni 2015 dem Landtag übergeben. 3. Welche konkreten Aktivitäten der „Identitären Bewegung“ sind der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bekannt? Die IBD ist insbesondere in den sozialen Netzwerken aktiv. Daneben führt sie regelmäßige Stammtische und Veranstaltungen sowie vorwiegend anlassbezogene Aktionen in Form von Flugblattverteilungen und Plakatierungen durch. Der Schwerpunkt der IBD liegt nicht in Nordrhein -Westfalen. Aktivitäten, wie beispielsweise das im September 2014 in Bonn bekannt gewordene Auftreten in Form eines „Flashmobs“ oder solche von allgemein überregionaler Bedeutung, sind derzeit in Nordrhein-Westfalen Einzelfälle. 4. Welche Gefahr geht aus Sicht der Landesregierung von der „Identitären Bewegung “ für Nordrhein-Westfalen aus? Es besteht die Gefahr, dass die IBD mit modernen Ausdrucksformen bei Bevölkerungsschichten Resonanz erzeugt, die die klassische rechtsextremistische Szene bislang nicht erreicht. Vor allem knüpft die IBD an die Lebenswelten von internetaffinen jungen Menschen an. Da die IBD sich nicht mit den üblichen rechtsextremistischen Slogans und Symbolen inszeniert, ist deren fremdenfeindliche und Minderheiten ausgrenzende und abwertende Diktion nicht auf den ersten Blick erkennbar. Aus diesem Grund greift der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dieses neue Phänomen in seiner Präventionsarbeit auf, um über rechtsextremistische Argumentationsmuster aufzuklären. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10406 4 5. Welche Verbindungen bestehen zwischen der „Identitären Bewegung“ und dem restlichen Spektrum der rechtsextremistischen Szene in NRW? Im Einzelfall bestehen personelle Überschneidungen mit rechtsextremistischen Parteien und Gruppen, wie beispielsweise der sogenannten „German Defence League“. Daher ist ein mitunter gemeinsames Auftreten bei Kundgebungen oder demonstrativen Ereignissen zu beobachten . Einer dauerhaften Kooperation mit rechtsextremistischen Gruppen und Parteien oder einer gegenseitigen Akzeptanz auf breiter Ebene steht jedoch der elitäravantgardistische Anspruch der IBD entgegen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10406