LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10412 07.12.2015 Datum des Originals: 07.12.2015/Ausgegeben: 10.12.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4029 vom 4. November 2015 der Abgeordneten Angela Freimuth und Susanne Schneider FDP Drucksache 16/10154 Wie wird die Behandlung mit psychodynamischen Verfahren in Nordrhein-Westfalen sichergestellt? Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 10154 mit Schreiben vom 7. Dezember 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Justizminister und der Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Psychoanalyse und die von ihr abgeleiteten psychodynamischen Psychotherapieverfahren sind seit 1967 als Pflichtleistung fester Bestandteil des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenkassen und somit seit Jahrzehnten ein wesentlicher Bestandteil der Versorgung psychisch Kranker. Die Psychodynamischen Psychotherapieverfahren sind vom wissenschaftlichen Beirat zum Psychotherapeutengesetz nach §11 PsychThG als „wissenschaftlich anerkannt“ qualifiziert und als Richtlinienverfahren zur Behandlung psychischer Erkrankungen zugelassen. Zu den Psychotherapieverfahren liegt umfangreiches Forschungsmaterial vor, welches die Wirksamkeit dieser Verfahren auch empirisch belegt (Fonagy 2015; Fonagy & Target 2006; Leichsenring et al. 2015; LeuzingerBohleber et al. 2015; Shedler 2012; Westen 1998). Dennoch gibt es an keiner Hochschule in Nordrhein-Westfalen einen Lehrstuhl in klinischer Psychologie, der psychodynamisch besetzt ist. Dies wirft die Frage auf, wie in Nordrhein- Westfalen langfristig die Behandlung mit psychodynamischen Verfahren sichergestellt werden soll. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10412 2 1. Für wie viele psychodynamische Verfahren in Nordrhein-Westfalen wurden in den letzten fünf Jahren Beihilfen erstattet? Beihilfezahlungen zu Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlungen werden beim Finanzministerium allgemein den ärztlichen Behandlungen zugerechnet und nicht gesondert erfasst. Daher kann keine Aussage zur Anzahl der von der Beihilfe erstatteten psychodynamischen Behandlungen getroffen werden. 2. Wie viele psychologische Gutachten in juristischen Verfahren in Nordrhein- Westfalen basierten in den letzten fünf Jahren auf psychodynamischen Verfahren ? Seitens des Justizministeriums wird weder die Anzahl angeforderter psychologischer Gutachten in juristischen Verfahren statistisch erfasst, noch deren inhaltliche Ausrichtung. Insofern ist eine Beantwortung innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. 3. Welche Projekte, die einen Bezug zu psychodynamischen Verfahren hatten, wurden seitens der Landesregierung in den letzten fünf Jahren durchgeführt bzw. unterstützt? Das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung hat in den letzten fünf Jahren keine entsprechenden Forschungsprojekte durchgeführt oder unterstützt. Das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter fördert im Rahmen der Landesinitiative „Starke Seelen“ verschiedene Projekte mit dem Ziel, psychische Gesundheit insbesondere von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erhalten und zu verbessern . Es ist davon auszugehen, dass im Rahmen dieser Projekte psychiatrischpsychotherapeutisch arbeitende Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten psychodynamische Verfahren anwenden. Weder die genaue Anzahl der angewendeten Verfahren noch deren inhaltliche Ausrichtung werden dabei erfasst . 4. Sieht die Landesregierung die Existenz der psychodynamischen Psychotherapie in Nordrhein-Westfalen gefährdet? Verfahrensspezifische Daten zur Anzahl von durchgeführten Psychotherapien über die Gesamtbevölkerung betrachtet stehen auf Landesebene routinemäßig nicht zur Verfügung. Eine Erhebung war im Beantwortungszeitraum nicht möglich. Aus Daten von gesetzlichen Krankenversicherungen kann gleichwohl eine Abschätzung erfolgen. Von 3,6 Millionen bei der Barmer GEK gesetzlich versicherten Erwerbstätigen in Deutschland erhalten 2,9% eine Psychotherapie (Männer: 1,8%; Frauen: 4,3%). Etwa die Hälfte der Psychotherapien war verhaltenstherapeutisch, 45,9% tiefenpsychologisch fundiert und 5,9% analytisch (Barmer GEK Gesundheitsreport 2014). Daten der Techniker Krankenkasse zeigen für Nordrhein- Westfalen ein ähnliches Verhältnis: 4,1% der TK-Versicherten nahmen psychotherapeutische Leistungen in Anspruch; etwa die Hälfte der Psychotherapien waren Verhaltenstherapien , 12% Psychoanalysen und 42% tiefenpsychologisch fundierte Therapien (Daten der Techniker Krankenkasse 2013). Somit kann davon ausgegangen werden, dass etwa die Hälfte aller Psychotherapien eine psychodynamische Ausrichtung hat. Statistische Daten dazu, wie viele der in Nordrhein-Westfalen tätigen Ärztinnen und Ärzte bzw. Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit welchen Therapie- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10412 3 verfahren arbeiten, liegen im Bundesarztregister bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nicht routinemäßig vor. Eine entsprechende Datenbankabfrage war im Bearbeitungszeitraum dieser Kleinen Anfrage nicht durchführbar. Nach Daten des Landesprüfungsamtes für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie gibt es in Nordrhein-Westfalen 30 staatlich anerkannte Ausbildungsstätten für Psychologische Psychotherapie (Stand Januar 2015), von denen 13 eine Ausbildung in einem psychodynamischen Verfahren anbieten. Bundesweit gibt es 173 staatlich anerkannte Ausbildungsstätten, von denen 52% psychodynamisch orientiert sind, weitere 5% bieten sowohl psychodynamische als auch verhaltens-therapeutische Verfahren an (Forschungsgutachten zur Ausbildung von Psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut- Innen, 2009). Sowohl die aktuelle Versorgungssituation mit niedergelassenen psychodynamisch orientierten Psychotherapeutinnen und Psycho-therapeuten als auch die Sicherstellung von Ausbildungsplätzen für zukünftige Therapeutinnen und Therapeuten bieten keinen Anlass, von einer Gefährdung der psychodynamischen Therapien auszugehen. 5. Wie sichert die Landesregierung langfristig die Möglichkeit einer Behandlung mit psychodynamischen Psychotherapien in Nordrhein-Westfalen? Die Bedarfsplanung obliegt nicht der Landesregierung. Der Bedarfsplan zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung basiert auf der Bedarfsplanungs-Richtlinie (BP-RL), die vom Gemeinsamen Bundesausschuss am 20. Dezember 2012 verabschiedet wurde (zuletzt geändert am 22. Oktober 2015). Es erfolgt in der BP-RL bei der Bedarfsplanung der psychotherapeutischen Versorgung keine Differenzierung nach angewandtem therapeutischem Verfahren ; entsprechende Zulassungen regeln die Kassenärztlichen Vereinigungen. In Nordrhein -Westfalen sind das die KV Nordrhein und die KV Westfalen-Lippe. In Bezug auf die Ausbildungssituation bestehen aus Sicht des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter für Nordrhein-Westfalen keine Bedenken, da ausreichend Ausbildungsinstitute vorhanden sind (siehe Antwort zu Frage 4). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10412