LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1051 05.10.2012 Datum des Originals: 04.10.2012/Ausgegeben: 10.10.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 402 vom 31. August 2012 der Abgeordneten Volker Jung und André Kuper CDU Drucksache 16/798 Geplanter Nationalpark in Ostwestfalen-Lippe: Besteht überhaupt die Notwendigkeit zur Ausweisung eines großflächigen Prozessschutzgebietes? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 402 mit Schreiben vom 4. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach dem LANUV-Gutachten zur Eignung des Teutoburger Waldes als Nationalpark (2011) wird die Schutzwürdigkeit der Gebietskulisse durch die Vorkommen von Arten und Lebensräumen der FFH- und der Europäischen Vogelschutz-Richtlinie bestimmt. Im Naturschutzinformationssystem NRW werden die Maßnahmen genannt, die erforderlich sind, um die schutzwürdigen Arten und Lebensräume der FFH- und der EU-Vogelschutz-Richtlinie zu erhalten. Eine Notwendigkeit für einen Prozessschutz wird hier nicht festgestellt. Als Schutzziele und Maßnahmen für die gebietsprägenden Buchenwälder in den FFH-Gebieten „Östlicher Teutoburger Wald“ (5.312 ha) und „Egge“ (3.128 ha) werden genannt: „Erhaltung und Entwicklung großflächig-zusammenhängender, naturnaher (…) Buchenwälder mit ihrer typischen Fauna und Flora in ihren verschiedenen Entwicklungsstufen/Altersphasen und in ihrer standörtlichen typischen Variationsbreite, inklusive ihrer Vorwälder, Gebüsch- und Staudenfluren sowie ihrer Waldränder durch - naturnahe Waldbewirtschaftung unter Ausrichtung auf die natürliche Waldgesellschaft einschließlich ihrer Nebenbaumarten sowie auf alters- und strukturdiverse Bestände und Förderung der Naturverjüngung aus Arten der natürlichen Waldgesellschaft - Erhaltung und Förderung eines dauerhaften und ausreichenden Anteils von Alt- und Totholz, insbesondere von Großhöhlen- und Uraltbäumen (…) - Vermehrung des (…) Buchenwaldes (…) durch den Umbau von mit nicht bodenständigen Gehölzen bestandenen Flächen auf geeigneten Standorten - Erhaltung und Förderung von Höhlenbaumzentren.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1051 2 Demnach können also die Arten und Lebensräume, die die Schutzwürdigkeit der verschiedenen Nationalparkkulissen begründen, auch ohne die Ausweisung eines großflächigen Prozessschutzgebietes gesichert werden. Mit der Ausweisung eines Schutzgebietes wird in der Regel in Freiheits- und Eigentumsrechte eingegriffen, z.B. in die Rechte zum freien Betreten der Landschaft und des Waldes, zum Sammeln von Beeren, Pilzen und Kräutern oder zur freien Berufsausübung. Die Eingriffe in Rechte sind auf das erforderliche Maß zu beschränken (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit). Es gibt ganz offensichtlich mildere Mittel, also Mittel, die mit weniger Einschränkungen von Freiheits- und ggf. auch Eigentumsrechten die Erhaltung der die Schutzwürdigkeit bestimmenden Objekte erreichen lassen. Auch wenn für bestimmte Arten und Lebensräume Prozessschutzgebiete förderlich sein sollten, so scheint doch über deren notwendiges Ausmaß kein Einvernehmen zu bestehen. So zitiert Norbert Panek in der für Greenpeace gefertigten Studie „Deutschlands internationale Verantwortung: Buchenwälder im Verbund schützen“ (2011) verschiedene Quellen, nach denen Prozessschutzzonen von weniger als 100 ha naturschutzfachlichen Anforderungen entsprechen. Andere Quellen sprechen von 500 oder 1.000 ha. Fachlich unumstritten sei nach Panek, dass Mindestflächen aufgrund der Bedürfnisse von Arten definiert werden müssen. Vorbemerkung der Landesregierung Die Kleine Anfrage bezieht sich im Kern auf die Frage nach dem Beitrag bzw. der Notwendigkeit von Prozessschutzflächen bzw. eines Nationalparks im Bereich Teutoburger Wald-Eggegebirge zum Erhalt der in diesem Gebiet heute vorkommenden Arten und Lebensräume. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Einrichtung eines Nationalparks nicht die Erhaltung des Status quo eines Gebietes im Vordergrund steht. Gemäß § 24 Abs. 2 Bundesnaturschutzgesetz haben Nationalparke zum Ziel, „in einem überwiegenden Teil ihres Gebiets den möglichst ungestörten Ablauf der Naturvorgänge in ihrer natürlichen Dynamik zu gewährleisten“. Neben der Sicherung eines großräumigen Gebietes für den Naturschutz ist somit das übergeordnete Ziel der Waldnationalparke die ökologische Wertsteigerung der Lebensräume durch Zulassen der natürlichen Entwicklung. Entscheidend ist, dass in Nationalparken – ggf. nach einer Übergangszeit – auf dem überwiegenden Teil der Fläche ein ungelenkter Ablauf der Naturvorgänge (Prozessschutz) ermöglicht wird. Das „Gutachten zur Eignung des Teutoburger Waldes als Nationalpark“ des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV NRW, Mai 2011) zeigt, dass dieses Ziel in der Nationalparkkulisse kurzfristig erreichbar wäre und die betrachtete Kulisse die Voraussetzungen des Bundesnaturschutzgesetzes für die Ausweisung von Nationalparken erfüllt. Laut LANUV-Gutachten würde sich ein Nationalpark im Bereich Teutoburger Wald-Eggegebirge unter anderem durch das Nebeneinander fast sämtlicher in Mitteleuropa vorkommender Buchenwaldtypen auszeichnen. Im Wirtschaftswald fehlen die besonders artenreichen Alt- und Totholzphasen, die etwa 50 Prozent des Lebenszyklus der Buche einnehmen, weitgehend. Die Roten Listen für das Land Nordrhein-Westfalen zeigen, dass beispielsweise eine verstärkte Altholznutzung und die Beseitigung von alten, kranken oder auch bereits toten Stämmen zu den Risikofaktoren gehören, die sich auf das Vorkommen von verschiedenen Arten negativ auswirken. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1051 3 Ein Nationalpark Teutoburger Wald-Eggegebirge würde auch einen wertvollen Beitrag zum Erreichen der Ziele der Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt leisten. Diese beinhaltet unter anderem die Ziele, dass sich die Natur bis zum Jahr 2020 auf mindestens 2 % der Landesfläche Deutschlands wieder nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln kann und der Flächenanteil der Wälder mit natürlicher Waldentwicklung 5 % der Waldfläche beträgt. Auch in dem Gutachten „Deutschlands internationale Verantwortung - Rotbuchenwälder im Verbund schützen“, das im Auftrag des Greenpeace e.V. erarbeitet worden ist und auf das in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bezug genommen wird, wird darauf hingewiesen, dass in wichtigen Teilbereichen des deutschen Buchenwald-Areals großräumige Schutzgebiete für eine natürliche Waldentwicklung fehlen und das bestehende NationalparkSystem stark ergänzungswürdig ist. Laut Greenpeace-Gutachten spielen große nutzungsfreie Waldflächen als Schlüsselgebiete eine zentrale Rolle für das Grundgerüst eines nationalen Buchenwald-Verbundsystems und zur Bestandsgrundsicherung. In zehn Handlungsräumen wird die Ausweisung von großen nutzungsfreien Waldflächen (Mindestgrößen: 5.000 ha) bzw. Nationalparken empfohlen. Einer dieser empfohlenen Handlungsräume ist der Bereich Teutoburger Wald/Egge (Senne). 1. Welche Arten, Biotope und geologischen Strukturen, die in der Gebietskulisse vorkommen, sind durch die aktuell praktizierte Nutzung in ihrem Bestand bedroht oder entwickeln sich aufgrund des Einflusses der Nutzung negativ? 2. Sieht das Land konkrete oder abstrakte Gefahren für die Natur in der Gebietskulisse, die nur durch die Ausweisung eines Nationalparks abgewehrt werden können? 3. Welche in der Gebietskulisse vorkommenden Arten, Lebensräume und geologischen Strukturen können nur durch einen strikten Prozessschutz, d.h. durch den Ausschluss jeglicher Nutzung und Pflege, in ihren Beständen erhalten werden? 4. Wie groß sind die Bedarfe nach Prozessschutzflächen für die in der Antwort zu Frage 3 genannten Arten, Lebensräume und geologischen Strukturen? Die Fragen der Kleinen Anfrage werden gemeinsam beantwortet: Wie in der Vorbemerkung dargelegt, verfolgen Nationalparke nicht das Ziel eines rein konservierenden Naturschutzes, es steht vielmehr der Prozessschutz auf großer Fläche im Vordergrund. Der Nationalpark Teutoburger Wald-Eggegebirge würde auf großer Fläche natürliche Alterungs- und Verjüngungsprozesse sowie die Ausbildung naturnaher Waldstrukturen ermöglichen, womit auch die Wertigkeit der Lebensräume für natürlicherweise vorkommende Arten erhöht wird bzw. deren Ansiedlung überhaupt erst ermöglicht werden kann. Ziel ist die Ausschöpfung des ökologischen Potenzials der Lebensräume durch das Zulassen einer natürlichen Entwicklung. Entsprechend richten sich auch die anzustrebenden Größen von Prozessschutzzonen in Nationalparken nach dem Ziel, Ökosysteme bzw. deren natürliche Abläufe zu schützen.