LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10587 23.12.2015 Datum des Originals: 23.12.2015/Ausgegeben: 30.12.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4075 vom 19. November 2015 des Abgeordneten Robert Stein CDU Drucksache 16/10258 Attentäter und Kriminelle hinterlassen im Vorfeld ihrer Straftaten digitale Spuren. Ermitteln die NRW-Behörden adäquat im digitalen Raum? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 4075 mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der Drucksache 16/8768 bestätigte die Landesregierung im Mai dieses Jahres, dass es keine Pläne zur Schaffung einer zentralen Dienststelle zur Bekämpfung von Kriminalität im Internet gibt. Stattdessen verwies Justizminister Kutschaty auf die dezentralen Strukturen der Kreispolizeibehörden und des LKA. Am 13.11.2015 ereigneten sich abscheuliche und verheerende Anschläge in Paris, die einen verachtenswerten Angriff auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unser Selbstverständnis darstellen. In der Fahndung sowie Ermittlung der überlebenden Attentäter sowie der Hintermänner wurde umgehend international kooperiert. Als schwerpunktmäßiger Rückzugsort wurde der Stadtteil Moolenbeek in Brüssel im benachbarten Belgien identifiziert. Brüssel leidet bei den Ermittlungen besonders unter einem sicherheitsgefährdenden „Bürokratie-Wirrwarr“ (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/terror-in-paris-belgien-bietet-islamisten-rueckzugsrauma -1063132.html). Die dezentrale Struktur von 6 Polizeibehörden und 19 Bürgermeistern scheint Effizienz zu verhindern und schnellen Austausch wichtiger Informationen deutlich zu erschweren, was im Zusammenhang mit dem Terrorismus eine unnötige Gefahr für ganz Europa darstellt. Dass Belgien ein Rückzugsort islamischer Extremisten ist, hätte ferner schon durch eine einfache Twitteranalyse festgestellt werden können (vgl. http://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article148921595/Twitter-verraet-wo-sich-IS- Sympathisanten-verstecken.html). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10587 2 Zumindest ein Attentäter verfügte sogar über ein Facebook-Profil und gab dort Hinweise zu seiner extremistischen Überzeugung (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/parisattentaeter -in-belgien-vom-barbesitzer-zum-terrorist-a-1063139.html). Wären die notwendigen Informationen im Vorfeld richtig analysiert worden, hätte die Terrorzelle möglicherweise vor Ausführung der unmenschlichen und barbarischen Attentate entdeckt werden und an ihrem sinnleeren Akt gehindert werden können. Dabei wäre es ein leichtes für Facebook und Co., Fotos mit Waffen, vermummten Menschen, IS-Fahnen usw. automatisch erkennen zu lassen und ebenso automatisch an eine zentrale Dienststelle zur weiteren Ermittlung bzw. Überprüfung weiterzuleiten. Eine automatische Erkennung von zu viel nackter Haut funktioniert bei Facebook zumindest schon jetzt. Zur Kommunikation bedient sich der IS im Speziellen anscheinend auch Messenger- Diensten per App, u.a. dem Berliner Dienst „Telegram“ (vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article148951950/Dschihadisten-lieben-eine-Berliner- App.html). Dort soll in einer entsprechenden Gruppe mit bis zu 15000 Followern von Sympathisanten und Terroristen selbst Propaganda, aber auch konkrete Anschlagspläne digital kommuniziert worden sein. Des Weiteren sollen die Attentäter im konkreten Fall der jüngsten Anschläge von Paris in mindestens einem Fall über eine digital vernetzte Spielekonsole (PlayStation 4) kommuniziert haben (vgl. http://www.chip.de/news/PlayStation-4-als-Terror-Werkzeug- Kommunizieren-Terroristen-ueber-die-PS4_85687616.html). Zur eigenen Finanzierung bedient sich der IS anscheinend so genannter Bitcoins, die eine eigene digitale Währung darstellen (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bitcoin). Insgesamt sind derzeit Bitcoins im Wert von rund $5 Milliarden im Umlauf. Auch die Attentate von Paris sollen dadurch finanziert worden sein. Einige dieser digitalen Spuren lassen sich mit entsprechendem Know-how nachvollziehen und könnten so im Rahmen einer klassischen Zielfahndungsmethode Aufschluss über die Hintermänner und Finanziers des IS liefern. Die Hackergruppe Anonymous kann dabei einen wichtigen Beitrag im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus zur Identifizierung von IS-Profilen im Internet sowie von Bitcoin- Konten von Terroristen leisten (vgl. http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/anonymouswie -hacker-die-is-propaganda-ausschalten-wollen-a-1063067.html). Aktuell soll auch ein Konto der Terroristen mit Bitcoins im Wert von etwa $3 Millionen von Anonymous entdeckt worden sein. Die Digitalisierung macht weder vor Kreis-, Landes- noch vor Staatsgrenzen Halt. Umso wichtiger ist eine zentrale Dienststelle, welche international mit befreundeten Behörden bei der Ermittlung und Vereitlung von terroristischen Anschlägen kooperiert. Erst jüngst hatte Sigmar Gabriel eine solche in Form einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den zahlreichen Hasskommentaren im Netz ins Gespräch gebracht (vgl. http://www.deutschlandfunk.de/hass-kommentare-debatte-ueber-kampf-gegen-hetze-spitztsich .1818.de.html?dram:article_id=334953). Diese könnte sich zweifelsohne auch mit den digitalen Spuren des Terrorismus auseinandersetzen. 1. Wie viele Beamte in NRW verfügen über notwendiges Know-how, um im digitalen Raum vollumfänglich zu ermitteln? (Bitte Anzahl der Stellen und entsprechende Ausbildung/Qualifikation auflisten) Polizei und Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen verfügen über eine Vielzahl von Beamtinnen und Beamten, die für Ermittlungen im digitalen Raum ausgebildet sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10587 3 Im Jahr 2011 wurde auf polizeilicher Seite das Cybercrimekompetenzzentrum eingerichtet, in dem derzeit insgesamt rund 100 speziell fortgebildete Polizisten, Wissenschaftler und Techniker in Fällen von Cybercrime ermitteln. Zudem haben alle 47 Kreispolizeibehörden spezielle Ermittlungsdienststellen eingerichtet. Durch die Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen und die Deutsche Richterakademie werden kontinuierlich Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Grundlagen- sowie Vertiefungskursen zu den Themenbereichen Internetkriminalität und Rechtsextremismus /Terrorismus geschult. Die für Cyberkriminalität zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten sind u.a. in den Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften, teils aber auch in Sonderdezernaten tätig. Im Bezirk der Generalstaatsanwaltschaft in Köln führt die Zentralstelle und Ansprechpartner Cybercrime (ZAC Köln) Schwerpunkt- und Strukturverfahren zur Bekämpfung der Cyberkriminalität . Sie leistet erforderlichenfalls auch technische Ermittlungsunterstützung. Aufgrund der erfolgreichen Tätigkeit der ZAC Köln wird deren Zuständigkeit im Jahr 2016 auf alle Bezirke des Landes Nordrhein-Westfalen ausgeweitet werden. Im Geschäftsverteilungsplan der Staatsanwaltschaft Köln für das Jahr 2016 sind für die ZAC eine Oberstaatsanwältin bzw. ein Oberstaatsanwalt als Abteilungsleiterin bzw. Abteilungsleiter sowie vier Staatsanwältinnen bzw. Staatsanwälte als Dezernentinnen bzw. Dezernenten vorgesehen. Auf einer weiteren, bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln angesiedelten, Stelle nimmt eine Oberstaatsanwältin bzw. ein Oberstaatsanwalt Koordinierungsaufgaben wahr. Da angesichts des sich ständig verändernden technischen Umfelds für Ermittlungen im Internet nicht festgelegt werden kann, wann eine Beamtin oder ein Beamter „vollumfänglich“ zu Ermittlungen qualifiziert ist, ist eine detailliertere Aufschlüsselung - zumal in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit - nicht möglich. 2. Arbeiten die mit der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung beauftragten Landesbehörden insbesondere zur Abwehr terroristischer Gefahren mit Anonymous zusammen? Die Polizei nimmt auch anonyme Hinweise auf Straftaten oder Gefahrenquellen im Internet entgegen. Eine darüber hinausgehende Kooperation mit „Anonymous“ findet weder im Bereich der Gefahrenabwehr noch zu Zwecken der Strafverfolgung statt. Die Staatsanwaltschaften sind den rechtsstaatlichen Standards der Strafprozessordnung verpflichtet. Angesichts der amorphen Organisationsstruktur eines anonymen Hackerkollektivs wären strafprozessual verwertbare Erkenntnisse auf diesem Wege kaum zu erlangen. 3. Übt die Landesregierung Druck auf die Betreiber von Messenger-Diensten oder Anbieter sozialer Plattformen aus, damit diese die teils offensichtliche Nutzung durch Terroristen und deren Sympathisanten den Behörden zu ermittlungstaktischen Zwecken mitteilen? Die Landesregierung unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, die Betreiber von Messenger-Diensten und Anbieter sozialer Plattformen mit Sitz im Ausland für die Gefahren zu sensibilisieren, die vom Missbrauch ihrer Dienste und Plattformen ausgehen. Sie appelliert an die Betreiber und Anbieter, ihre diesbezügliche Verantwortung wahrzunehmen. Ob darüber hinaus auch gesetzgeberische Maßnahmen angezeigt sein könnten, hat die Landesregierung noch nicht abschließend entschieden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10587 4 4. Werden die digitalen Zahlungsströme der Terroristen mit Hilfe klassischer Zielfahndungsmethoden zurückverfolgt, um die Finanzierung des Terrorismus zu veroder behindern und entsprechende Drahtzieher zu identifizieren? Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen spüren in Verdachtsfällen von Geldwäsche oder in Fällen des Verdachts der Terrorismusfinanzierung erforderlichenfalls Vermögenswerte auf und werten fallabhängig umfänglich Kontodaten aus. Ziele dieser Maßnahmen sind die Aufklärung der Zahlungsströme zur Beweissicherung und das Erkennen von Strukturzusammenhängen zur Erhellung geldwäsche- und staatsschutzrelevanter Delikte. 5. Ist die Landesregierung weiterhin der Ansicht, dass es keiner zentralen Dienststelle bzw. alternativ Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft bedarf, welche sich auf die Bekämpfung der Kriminalität sowie des Terrorismus im digitalen Raum spezialisiert? Die Verfolgung von Straftaten aus dem Bereich des Terrorismus ist gemäß §§ 142a Absatz 1, 120 Absatz 1 Nr. 6 Gerichtsverfassungsgesetz dem Generalbundesanwalt vorbehalten. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 Bezug genommen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10587