LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10607 29.12.2015 Datum des Originals: 23.12.2015/Ausgegeben: 05.01.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4094 vom 24. November 2015 des Abgeordneten Gregor Golland CDU Drucksache 16/10332 Warum werden erfolgreiche Präventionsprojekte gegen Salafismus nicht vom Land NRW gefördert? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4094 mit Schreiben vom 23. Dezember 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Präventions- und Hilfsinitiative „180°-Wende“ aus Köln wurde 2012 ins Leben gerufen und möchte das Potenzial an Radikalisierung und Perspektivlosigkeit unter jungen Menschen nachhaltig beseitigen, indem bei den Ursachen angesetzt wird. Wenn möglich, gehen Sozialarbeiter lange vor der Radikalisierung auf junge Leute zu, hören ihnen zu und bewahren sie vor Fanatismus, bevor er überhaupt entsteht. Wer sich bereits radikalisiert hat, zu dem halten die Mitarbeiter des Projektes Kontakt und versuchen, ihm Perspektiven aufzuzeigen . Die Maßnahme verzeichnet bereits großen Erfolg: In Köln konnten rund 800 Jugendliche aus der salafistischen Szene geholt werden, wie in einem TV-Beitrag berichtet wird (WDR Westpol , 22.11.2015, „Salafisten in NRW: Wie gelingt Prävention?“). Das Prinzip: Auffällige junge Leute in Schulen, Cafés oder in der Bahn ansprechen, dort wirken, wo staatliche Einrichtungen nicht hingelangen, Mitläufer der salafistischen Szene früh genug erkennen, erreichen und Vertrauen aufbauen. Schulabgängern helfen die Mitarbeiter zudem, Bewerbungen zu schreiben. Es hat sich gezeigt: Wem geholfen wird, der hilft wieder. So hat „180°-Wende“ ein wertvolles Netzwerk geknüpft. Wichtiger Bestandteil sind Imame der hiesigen Moscheen, die helfen, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10607 2 Jugendliche in die islamischen Gemeinden zu integrieren und ihnen ein friedliches Bild des Islam zu vermitteln. Wie der Beitrag im WDR hervorhebt, sehen die Mitarbeiter der Kölner Initiative viel Nachholbedarf bei der Prävention in Nordrhein-Westfalen, zu viele „blinde Flecke“ gebe es noch, wo mehr Engagement nötig sei. Gerne wäre das Projekt „180°-Wende“ in ganz NRW tätig, aber dazu fehlt das Geld. Gleichzeitig wird das eigene Präventionsprogramm „Wegweiser“ des Landes NRW, das erst in wenigen Städten läuft, von Experten kritisch bewertet: Die Hürde, sich einer staatlichen Stelle anzuvertrauen, könnte für gefährdete junge Menschen zu hoch sein. 1. Wie unterstützt die Landesregierung nicht-staatliche Präventionsprojekte wie „180°-Wende“ aus Köln? (Bitte alle Projekte sowie Förderung auflisten.)? Die Landesregierung fördert gegenwärtig die in der als Anlage beigefügten Tabelle aufgeführten Präventionsprojekte gegen extremistischen Salafismus. Darüber hinaus hat sich die Landesregierung ausdrücklich gegenüber dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dafür eingesetzt, Mittel des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ für Projekte in NRW zur Verfügung zu stellen. Zu diesen Projekten gehört auch das Engagement von „180°-Wende“ in Köln, das seit Februar 2015 im Rahmen des Bundesprogramms als Modellprojekt zur Radikalisierungsprävention gefördert wird. Weiterhin besteht für die Kommunen als lokale „Partnerschaften für Demokratie“ im Rahmen des Programms auch die Möglichkeit, Mittel für Präventionsmaßnahmen im Bereich des gewaltbereiten Salafismus zu beantragen. In NRW werden gegenwärtig insgesamt 26 Kommunen als Partnerschaften gefördert. Davon haben 18 Kommunen ergänzend zu anderen Extremismusfeldern Bedarf für Präventionsmaßnahmen im Themenfeld „Islamistische Orientierungen und Handlungen“ angemeldet. Bei den Partnerschaften handelt es sich um einen Zusammenschluss von Verantwortlichen aus der kommunalen Politik und Verwaltung sowie Aktive aus der Zivilgesellschaft. Basierend auf Strukturen und Problemlagen vor Ort entwickeln sie gemeinsam eine abgestimmte Strategie. Ziel des Programms ist es, ziviles Engagement und demokratisches Verhalten zu fördern 2. Warum werden derartige Initiativen, die offensichtlich erfolgreich sind, nicht viel mehr gefördert, so dass sie die Möglichkeit zur NRW-weiten Expansion bekommen können? Die Landesregierung unterstützt mit dem Projekt „Aufbau eines landesweiten Kompetenzund Beratungsnetzwerks“ (AJS) einen systemischen Ansatz in der Präventionsarbeit. In allen nordrhein-westfälischen Kommunen / Jugendamtsbezirken sollen zentrale Ansprechpartner aus dem Bereich des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes etabliert werden, die in Fragen der Prävention des extremistischen Salafismus kompetent beraten bzw. weitervermitteln können. Adressaten der Beratung sind insbesondere die Akteure der Jugendarbeit und Schulen sowie Sportvereine, Quartiermanagement, Kommunale Integrationszentren, Moscheegemeinden etc. Die Vernetzung und Zusammenarbeit mit bestehenden Projekten und Strukturen, wie bspw. dem Projekt „180°-Wende“, steht ebenfalls im Fokus der Arbeit. Darüber hinaus dienen Fachtagungen und Veranstaltungen zu Fragestellungen und Herausforderungen im Themenfeld der Wissensvermittlung, der Vernetzung und Weiterentwicklung der präventiven Arbeit. Insoweit werden entsprechende Initiativen und Angebote gefördert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10607 3 3. Wie bewertet die Landesregierung grundsätzlich Projekte wie „180°-Wende“? Projekte wie „180°-Wende“ stellen neben anderen Ansätzen einen wichtigen Baustein in der Präventionsarbeit gegen Radikalisierung dar. Beim Projekt „180°-Wende“ liegt der Schwerpunkt auf einem „peer to peer“-Ansatz, der die Zielgruppe in die Umsetzung der Maßnahme miteinbezieht. Der Einsatz von Coaches und die Ausbildung von Multiplikatoren bei der Umsetzung ermöglichen einen verbesserten Zugang für schwer erreichbare junge Menschen und Orte. 4. In welchen Städten oder Regionen NRWs sieht die Landesregierung Nachholbedarf im Bereich der Prävention gegen Salafismus? Der Verfassungsschutz NRW hat bereits im Rahmen der Präventionsarbeit zum Thema extremistischer Salafismus in allen fünf Regierungsbezirken von Nordrhein-Westfalen Regionalkonferenzen durchgeführt. Damit wurden in NRW flächendeckend wesentliche Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die in ihrer Arbeit vielfältige Kontakte mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben, über den extremistischen Salafismus, seine Erscheinungsformen und damit einhergehende Gefahren sowie Beratungs- und Hilfsangebote informiert. Teilnehmer der Regionalkonferenzen kamen z.B. aus den Bereichen Schule, Kinder- und Jugendhilfe , Integrationsfachstellen, Polizei und Wissenschaft. Darüber hinaus beantwortet die Broschüre „Extremistischer Salafismus als Jugendkultur – Sprache, Symbole und Style“, die der Verfassungsschutz NRW erarbeitet hat, wesentliche Fragen der Praxis. Sie unterstützt dabei, einerseits salafistische Anwerbungs- und Rekrutierungsversuche zu erkennen, aber auch Veränderungen von Jugendlichen oder jungen Heranwachsenden einordnen zu können. Sie steht für jedermann im Internet zum Herunterladen unter http://www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/aktuelles bereit und kann auch kostenlos als Druckwerk angefordert werden. Das Präventionsprogramm Wegweiser wurde als Pilotprogramm 2014 in drei Regionen gestartet . Inzwischen ist neben den örtlichen Anlaufstellen in Bochum, Bonn und Düsseldorf auch für das Bergische Land eine Anlaufstelle in Wuppertal eingerichtet. Ende 2015/Anfang 2016 werden vier weitere Stellen in Dinslaken/Kreis Wesel, Dortmund, Duisburg und Köln hinzukommen. Bis Ende 2016 werden in einer weiteren Ausbauphase die Regionen um Aachen, Essen, Münster und Mönchengladbach sowie Ostwestfalen-Lippe eine Anlaufstelle erhalten, so dass dann alle derzeit relevanten Regionen in NRW abgedeckt sind. Das Ministerium für Inneres und Kommunales selbst stellt unter der Rufnummer 0211/871-2728 landesweit ein Unterstützungs -, Beratungs- und Hilfsangebot zur Verfügung. Darüber hinaus betreibt der Verfassungsschutz NRW seit Oktober 2014 ein zentrales Aussteigerprogramm für Islamisten. Es richtet sich an stark radikalisierte und in die islamistische Szene fest eingebundene Personen. 5. Welchen konkreten Erfolg hat das Projekt „Wegweiser“ bisher? (Bitte für jede Kommune die Anzahl Betreuter, Aussteiger, etc. auflisten.) Präventive Arbeit der in den Wegweiser-Anlaufstellen tätigen Betreuerinnen und Betreuer ist sehr vielschichtig. Ihr Erfolg kann nicht allein an Zahlen gemessen werden. Zum einem wird von den örtlichen Anlaufstellen Aufklärung als Kernelement der Prävention bei verschiedenen Adressaten geleistet, so z.B. bei örtlichen Behörden und Institutionen, Schulen oder Jugendeinrichtungen. Mit dieser Tätigkeit geht auch die Beantwortung einer Vielzahl unterschiedlicher Anfragen zum allgemeinen Themenfeld Salafismus einher. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10607 4 Daneben finden Beratungen von direkt Betroffenen statt, also Personen, die stark gefährdet sind sich zu radikalisieren oder die sich bereits in einem beginnenden Radikalisierungsprozess befinden. Diesen Beratungen gehen in der Regel Gespräche und Beratungen mit Personen aus deren Umfeld, beispielsweise Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer etc. voraus. Die Arbeit der Anlaufstellen, die als Lern- und Überzeugungsvorgang darauf gerichtet ist, die Persönlichkeiten der Betroffenen gegen extremistische Angebote zu stärken, zielt vor allem auf Vorbeugung im Vorfeld. Sie besteht demzufolge aus längerfristigen Prozessen. Der „Erfolg “ von vorbeugenden Tätigkeiten kann nicht in erster Linie an exakten Quantitäten oder Fallzahlen festgemacht werden.. Bewertende Aussagen sind vielmehr einer dezidierten, wissenschaftlichen Evaluation vorbehalten, welche die Landesregierung 2016 zu der Arbeit der Wegweiser-Anlaufstellen vornehmen wird. Gleichwohl kann zu allen Wegweiser-Anlaufstellen festgehalten werden, dass ihre Arbeit bis an die Belastungsgrenze der Betreuerinnen und Betreuer nachgefragt wird und sie insgesamt bereits über 2.000 Anfragen über die ganze Bandbreite ihres Tätigkeitsfeldes bearbeitet haben. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Beratung von Aussteigern nicht zum Auftrag des Programms Wegweiser gehört, sondern durch das in der Antwort zur Frage Nr. 4 angesprochene Aussteigerprogramm Islamismus des Landes NRW erfolgt. Anlage Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen Der Minister zur Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4094 Ressort Projekt Projektträger Fördersumme MFKJKS Aufbau eines landesweiten Arbeitsgemeinschaft . 2015: Kompetenz- und Beratungs- Kinder- und Ju- 46.400 € (aus dem netzwerks (Zielgruppe: Profes- gendschutz (AJS) Bundesprogramm sionelle Kräfte im Bereich des Landesstelle Nord- Demokratie leben!) erzieherischen Kinder- und rhein-Westfalen e.V. und 11 .600 € (mit Jugendschutzes) Landesmitteln aus \ dem Kinder- und Jugendförderplan) MFKJKS I nformationsveranstaltungen/ Arbeitsgemeinschaft Die AJS wird vom Fachtagungen auf den The- Kinder- und Ju- MFKJKS institutiomengebieten Islamismus/ gendschutz (AJS) nell gefördert Salafismus Landesstelle Nordrhein -Westfalen eV. MFKJKS Projekt zur Erarbeitung eines Landeszentrale für 18.500 € (aus dem Gesamtkonzeptes "Prävention politische Bildung Bundesprogramm von gewaltbereitem Salafismus "Demokratie leund salafistischer Internetpro- ben!") paganda durch politische Bildung MFKJKS Fachtagung: "Prävention ge- Aktion Gemeinwe- 7.000,- € (aus dem gen gewaltbereiten Neosa- sen und Beratung Bundesprogramm lafismus. Strukturierte Clea- eV. "Demokratie leringverfahren und Case Ma- ben!") nagement in Sozialraum und Schule" Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10607