LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10630 04.01.2016 Datum des Originals: 30.12.2015/Ausgegeben: 07.01.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4095 vom 25. November 2015 der Abgeordneten Henning Höne und Dietmar Brockes FDP Drucksache 16/10335 Energiewirtschaftliche Risikogeschäfte kommunaler Stadtwerke: Was sagt die Landesregierung ? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4095 mit Schreiben vom 30. Dezember 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin , dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch die vermeintliche Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts im Jahr 2010 wollte die rot-grüne Landesregierung den örtlichen Stadtwerken mehr Handlungsmöglichkeiten auf dem liberalisierten Energiemarkt geben. Tatsächlich haben SPD und Grüne damit die Büchse der Pandora geöffnet und NRW-Kommunen zu brisanten Risikogeschäften animiert. Einschlägigstes Beispiel für diesen fundamentalen rot-grünen Irrtum war der Kauf des internationalen Energie- und Atomkonzerns STEAG durch sechs hochverschuldete Revierstädte (Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, Dinslaken und Oberhausen). Sehenden Auges wurde zugelassen, dass unter dem Deckmantel der örtlichen Daseinsvorsorge der fünftgrößte Stromerzeuger Deutschlands in kommunalen Besitz wechselte. Nach mehrjähriger Prüfung kam die zuständige Kommunalaufsichtsbehörde der Bezirksregierung Düsseldorf Ende 2014 zu dem naheliegenden Ergebnis, dass dieses Geschäft selbst unter den geänderten gemeindewirtschaftlichen Regelungen rechtswidrig war. Dennoch ließ die rot-grüne Landesregierung in der Folge jeden Versuch missen, diesen Zustand zu heilen. Stattdessen hieß es in einer Vorlage an den Landtag (Drs. 16/2559) vom 22.12.2014 lapidar, die Bezirksregierung Düsseldorf habe nach einem Abwägungsprozess im Ergebnis davon abgesehen , hinsichtlich der Gesellschaftsverträge kommunalaufsichtliche Bedenken zu erheben. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10630 2 Seither wird das contra legem abgeschlossene Hochrisikogeschäft für die Bürgerinnen und Bürger von Nordrhein-Westfalen von der rot-grünen Landesregierung offiziell geduldet. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder darüber berichtet, dass die Ausschüttungen, die der STEAG von ihren neuen Eigentümern abverlangt werden, nicht mit der Leistungsfähigkeit des Unternehmens in Einklang stehen und dauerhaft zu Substanzverzehr führen könnten . Dies gilt umso mehr, als die Energiewendepolitik der Großen Koalition mittlerweile die gesamte Energiebranche auf eine Talfahrt nie dagewesenen Ausmaßes gebracht hat. Alles in allem ist bei den aktuellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen nicht sicher, ob die STEAG ihre angedachte Rolle als Cash-Cow der Stadtwerke dauerhaft erfüllen können wird. In einem Artikel der Rheinischen Post vom 14.11.2015 wurde hierzu Folgendes skizziert: „Klar ist, dass die Steag wie die ganze Branche weiter unter Druck gerät. So hat das Essener Unternehmen seine Eigentümer auf einen Einbruch von Gewinn und Dividende vorbereitet: Der Gewinn dürfte […] ab 2016 durchschnittlich 40 Prozent niedriger ausfallen. Die Ausschüttung der Steag an das Stadtwerke-Konsortium (KSBG) für 2015 wird zwar noch bei 80 Millionen Euro liegen. „Für 2016 wird die Ausschüttung der Steag vermutlich deutlich niedriger ausfallen “ erklärte der Sprecher der Stadtwerke Dortmund. Und von der Ausschüttung muss auch noch der Schuldendienst geleistet werden, nur der Rest geht als Dividende an die Stadtwerke. Der Schuldendienst liegt laut KSBG im „mittleren zweistelligen Millionen-Bereich“. Die Stadtwerke haben die Steag einst für 1,2 Milliarden Euro gekauft und das zum Teil auf Pump“ (RP, 14.11.2015). Weiteren Zeitungsberichten (vgl. z.B. WAZ 20.11.2015, RP, 14.11.2015, WAZ 11.11.2015) zufolge, gibt es im Kreise der STEAG-Eigner ernsthafte Überlegungen, nun auch noch das ostdeutsche Braunkohlegeschäft des Mitbewerbers Vattenfall zu übernehmen, der sich dieser Tätigkeit aus politischen Erwägungen entledigen will. Die Braunkohleverstromung ist ein Bereich der Energiewirtschaft, dessen Zukunft infolge der chaotischen Energiewende- und Klimapolitik auf allen Ebenen besonderen Unwägbarkeiten ausgesetzt ist. Obwohl es sich bei der Braunkohleverstromung um die einzige heimische subventionsfreie Energieerzeugungsart handelt, die Versorgungssicherheit gewährleistet, sind Investitionen in diesem Feld aufgrund politisch verursachter Unsicherheiten gegenwärtig risikobehaftet. Die Bürgerinnen und Bürger aus den STEAG-Kommunen würden einem weiteren Glücksspiel ausgesetzt. Dies gilt umso mehr, als es auf dem deutschen Strommarkt infolge des Preisverfalls für konventionell erzeugte Energie ohnehin einen starken Trend zur Konsolidierung gibt. Darüber hinaus widerspricht ein Engagement der öffentlichen Hand im Bereich der fossilen Energieerzeugung den Zielsetzungen der Klimapolitik des Landes Nordrhein-Westfalen, dessen aktuelle rot-grüne Regierung meint, sich über einen eigenen Klimaschutzplan ehrgeizige Ziele zur CO2-Reduktion geben zu müssen. Diese Ziele würden durch entsprechende Aktivitäten unterlaufen bzw. die von Rot-Grün unerwünschte Stromerzeugung würde nur in andere Bundesländer verlagert. Halten SPD und Grüne an ihrer isolierten landeseigenen Klimaschutzpolitik fest, müssten sie im Falle des Einstiegs der STEAG in die Braunkohleverstromung also klären, inwieweit die dadurch verursachten Treibhausgasemissionen im Rahmen kommunaler bzw. kommunalwirtschaftlicher Klimaschutzkonzepte und letztlich in der CO2-Bilanz des Landes zu berücksichtigen sind. Alles andere wäre nicht weniger als eine Externalisierung interner Kosten. Unabhängig von der STEAG befinden sich durch den in zweistelliger Milliardenhöhe subventionierten Ausbau der erneuerbaren Energien etliche nordrhein-westfälische Stadtwerke in der Krise. Defizitäre Gas- und Kohlekraftwerke, Aktienbeteiligungen am RWE-Konzern, Fehlplanungen bei Gemeinschaftskraftwerken etc. machen den kommunalen Versorgern zu schaffen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10630 3 (vgl. z.B. WAZ, 20.11.2015). Die einstigen Cash-Cows der Kommunen befinden sich im Krisenmodus . Ausschüttungen an die kommunalen Kernhaushalte oder die Subventionierung des ÖPNV werden immer schwieriger. Hier zeigt sich, dass unternehmerisches Handeln nicht nur Chancen, sondern offensichtlich auch Risiken birgt. In einzelnen Fällen haben sich die einstigen Geldströme, auf welche die Kommunen zur Erbringung ihrer Daseinsvorsorgeleistungen angewiesen sind, bereits umgekehrt. Erste NRW- Städte stützen ihre Stadtwerke mit Krediten oder gleichen Aktienverluste aus (vgl. z.B. WAZ 20.11.2015). Der politisch induzierte Strukturwandel auf den Energiemärkten könnte bei den Stadtwerken erhebliche Konsolidierungsmaßnahmen nach sich ziehen, deren Lasten die Bürgerinnen und Bürger zu tragen hätten. Guntram Pehlke, Chef der Dortmunder Stadtwerke, äußerte sich kürzlich folgendermaßen: „Sowohl Kooperationen als auch Fusionen sind zwingend erforderlich, weil vor allem kleinere Stadtwerke die Probleme allein nicht mehr stemmen können“ (Pehlke, WAZ, 20.11.2015). Landes-Wirtschaftsminister Garrelt Duin sieht infolge der Energiewende gar die Gefahr eines Domino-Effektes auf die Stadtwerke zukommen. Nach Aussagen der WAZ „Duin plant Erleichterungen für hoch verschuldete Revierstädte“ vom 20.11.2015 lässt der Wirtschaftsminister nun „prüfen, ob Kommunen temporär von neuen Auflagen verschont werden können, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen“ (WAZ, 20.11.2015). Was genau er damit meinte, blieb bislang unklar. 1. Wie bewertet die rot-grüne Landesregierung das Vorhaben nordrhein-westfälischer Kommunen, über ihre Tochtergesellschaft STEAG in den Bereich der Braunkohleverstromung einzusteigen, welche den selbstgesetzten klimapolitischen Zielsetzungen des Landes Nordrhein-Westfalen entgegensteht? Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, mögliche unternehmerische Entscheidungen der STEAG bzw. ihre Tochtergesellschaften zu bewerten. 2. Inwieweit wäre die Übernahme des ostdeutschen Braunkohlegeschäfts des Versorgers Vattenfall durch die STEAG aus kommunalaufsichtlicher Perspektive zulässig bzw. unzulässig? Diese Rechtsfrage wird von der zuständigen Kommunalaufsichtsbehörde im Rahmen eines eventuellen gemeindewirtschaftsrechtlichen Anzeigeverfahrens nach Vorlage aller erforderlichen Unterlagen zu entscheiden sein. 3. Inwieweit müsste sich ein etwaiges Engagement der STEAG im Bereich der Braunkohleverstromung vor dem Hintergrund der oben dargelegten Argumentation in der Klimabilanz des Landes Nordrhein-Westfalen niederschlagen? Ein etwaiges Engagement der Steag im Bereich der Braunkohleverstromung außerhalb von Nordrhein-Westfalen schlägt sich nicht in der Treibhausgasbilanz des Landes nieder. Die den Reduktionszielen des Klimaschutzgesetzes zu Grunde liegende Berechnungsmethodik erfasst ausschließlich Treibhausgasemissionen aus Anlagen innerhalb von NRW. Sie orientiert sich damit an den Vorgaben des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10630 4 4. Was konkret hat Wirtschaftsminister Duin mit seiner Aussage gemeint, er lasse „prüfen, ob Kommunen temporär von neuen Auflagen verschont werden können “? Im Ländervergleich ist darauf zu achten, dass die Wettbewerbsfähigkeit regionaler Standorte in NRW nicht beeinträchtigt wird. Die zuständigen Ministerien sind auf Fachebene im Austausch darüber, wie dieser Gefahr wirksam begegnet werden kann. 5. Inwiefern sieht die Landesregierung vor dem Hintergrund des STEAG-Deals und anderer grenzwertiger kommunalwirtschaftlicher Aktivitäten, die seit der sogenannten Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts getätigt wurden, gesetzgeberischen Handlungsbedarf? Die Landesregierung sieht derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10630