LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10830 21.01.2016 Datum des Originals: 21.01.2016/Ausgegeben: 26.01.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4161 vom 18. Dezember 2015 des Abgeordneten Nicolaus Kern PIRATEN Drucksache 16/10548 Türkischer Rechtsextremismus unbekannt – weist die politische Bildung der Polizei in NRW eklatante Lücken auf? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4161 mit Schreiben vom 21. Januar 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Rahmen der eskalierenden Konfliktsituation zwischen dem türkischen Staat und verschiedenen kurdischen Organisationen in der Türkei kam es im September 2015 zu einer Welle türkisch-nationalistischer Proteste, nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland. Der Verfassungsschutzbericht NRW geht in einem eigenen Kapitel auf die nationalistisch-rassistisch motivierte „Ülkücü“-Bewegung ein, gleichzeitig stellt sich aus konkreten Fällen heraus jedoch die Frage, ob die politische Bildung der Polizei, insbesondere der Beamten im Streifendienst , ausreichend ist, um eine Demonstration von Ülkücü-Sympathisanten als das zu erkennen , was sie ist: eine rechtsextremistische Kundgebung. Ein konkretes Beispiel hierfür ereignete sich am 13.09.2015 in der Stadt Herten. Hier bildete sich in den Nachmittagsstunden ein Autokorso, der in verkehrsgefährdender Weise die Stadt durchquerte. Zeugen berichten, dass die Fahrzeuge in diesem Korso Symbole wie den heulenden, grauen Wolf oder die rote Fahne mit drei weißen Halbmonden mit sich führten. Teilnehmer reckten die Hände mit dem „Wolfsgruß“ der Grauen Wölfe aus den heruntergelassenen Fenstern ihrer Fahrzeuge. Darauf direkt angesprochen, unternahmen die zum Ort des Geschehens beorderten Beamten jedoch nichts. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10830 2 Das Polizeipräsidium Recklinghausen gab am 13.09.2015 zu diesem Ereignis die folgende Meldung heraus: „Am Sonntag, dem 13.9.2015 sammelten sich gegen 16:15 Uhr im Bereich eines Parkplatzes eines Supermarktes auf der Paschenbergstraße eine größere Personengruppe. Diese Gruppe führte nach den Feststellungen der Polizei dann mit ihren Fahrzeugen im Stadtgebiet Herten mehrere Autokorso durch, bei deren Gelegenheit türkische Fahnen gezeigt wurden. Die polizeilichen Ermittlungen zu den Hintergründen dauern an.“ Es ist hieraus ersichtlich, dass der rechtsextremistische Bezug dieser unangemeldeten Demonstration den Beamten entweder nicht bewusst war, oder von diesen nicht aktenkundig gemacht wurde. Vorbemerkung der Landesregierung Der Abgeordnete Nicolaus Kern nahm in der Anfrage Bezug zu einem Ereignis am 13.09.2015 in Herten. Als der eingesetzte Bereitschafts¬dienst der Kriminalinspektion Staatsschutz am 13.09.2015 am End¬kundgebungsort eintraf, konnten dort weder Äußerungen oder Gesten, noch mitgeführte Fahnen oder Symbole festgestellt werden, die einer bestimmten politischen Gruppierung zuzuordnen gewesen wären. Zu diesem Zeitpunkt wurden lediglich türkische Nationalflaggen gezeigt. In Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft wurden dieser eine Strafanzeige sowie gesicherte Videoaufnahmen wegen Verstoßes ge¬gen das Versammlungsgesetz (Nichtanmeldung einer Versammlung) zur Entscheidung übersandt. Dort wurde der strafrechtliche Ermittlungs¬vorgang geführt und zwischenzeitlich nach § 170 Abs. 2 StGB einge-stellt. Weitere Straftaten wurden im Zusammenhang mit dem geschilder¬ten Vorgang nicht festgestellt. 1. Welche Ausbildung erhalten die Angehörigen der Polizei und Justiz in NRW in Bezug auf rechtsextremistische Organisationen ausländischer Herkunft und deren Symbolik? Polizei Das Themenfeld Extremismus wird im B.A.-Studiengang Polizeivoll-zugsdienst der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW inter-disziplinär während des gesamten Studiums aufgegriffen . Insbesondere in den Modulen „Politikwissenschaft“, „Konfliktlagen“ und „Todesermitt ¬lungen, Vermisste, Politisch Motivierte Kriminalität“ werden extremisti¬sche Erscheinungsformen jeglicher Art thematisiert. Als Eingriffsverwaltung mit weitgehenden Befugnissen, die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern einzuschränken, ist das Studium durch¬gängig geprägt von der Bindung allen staatlichen Handelns an Recht und Gesetz (Rechtsstaatsprinzip). Dementsprechend werden bereits im Grundstudium grundlegende staatsrechtliche Inhalte vermittelt, die im weiteren Verlauf des Studiums im Rahmen der Vermittlung spezieller Eingriffsbefugnisse weiter vertieft werden. Zu den grundlegenden staatsrechtlichen Inhalten zählen die obersten Verfassungsprinzipien und die Grundrechte. Bei den Verfassungsprinzipien bilden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und bei den Grundrechten die Menschenwürde gemäß Art. 1 GG, die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 und die Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 3 GG fortlaufend Schwerpunkte der Ausbildung. Die Studierenden werden in die Lage versetzt, Verfassungsprinzipien und Grundrechte in ihrer Bedeutung für die Berufspraxis und für polizeiliche Maßnahmen zu bewerten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10830 3 Justiz Die Ausbildung der Justizangehörigen aller Hierarchieebenen sensibilisiert - orientiert an der eigenen deutschen Geschichte - für extremistische Erscheinungsformen jeglicher Art. 2. Wie reagiert die Landesregierung in Bezug auf Fort- und Weiterbildung der Bediensteten der Polizei und Justiz anlässlich aktueller politischer/gesellschaftlicher Entwicklungen und dem Auftreten damit verbundener extremistischer Tätigkeiten in NRW? Polizei Auf dem in der polizeilichen Ausbildung vermittelten Wissen setzen so-wohl allgemeine Fortbildungsangebote als auch spezielle Fortbildungsmaßnahmen wie z.B. für den polizeilichen Staatsschutz auf. Extremistische Erscheinungsformen werden in dem Zentralen Fortbildungspro -gramm des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW umfassend behandelt und damit zusammenhängende Themen wie z.B. die Steigerung der interkulturelle Kompetenz in allen Bereichen der polizeilichen Fortbildung aufgegriffen . Darüber hinaus werden alle Polizeibeschäftigten über die aktuellen Entwicklungen der Politisch Motivierten Kriminalität durch die täglichen polizeilichen Lageberichte und in einem eigens dafür vorgesehenen Portal des polizeilichen Intranet schnellstens informiert. Das interne Fortbildungsangebot der Polizei NRW wird des Weiteren durch zusätzliche Nutzung bestehender Angebote anderer polizeilicher Bildungsträger, kirchlicher und privater Träger sowie internationale Fort-bildungsangebote ergänzt. Justiz Schon seit vielen Jahren sind Fortbildungen aus Anlass extremistischer Straftaten Bestandteil des Fortbildungsprogramms der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen und auch der Deutschen Richterakademie, einer von Bund und Ländern gemeinsam getragen Fortbildungseinrichtung . Exemplarisch wird auf folgende Tagungen hingewiesen: a) Zentralprogramm NRW • Die Arbeit in der Abteilung für politisch motivierte Kriminalität - Einführung • Vortrag „Justiz und Nationalsozialismus“ im Rahmen der Qualifizierungsstaffeln für junge Richterinnen und Richter sowie junge Staatsanwältinnen und Staatsanwälte • Justiz im Nationalsozialismus / Rechtsextremismus heute - ein Angebot für Rechtskunde -AG-Leiter • Fachtagung Justiz und Nationalsozialismus b) Deutsche Richterakademie • Zwischen Recht und Unrecht - Deutsche Justizgeschichte im 20. Jahrhundert • Politischer Extremismus - Herausforderung für Gesellschaft und Justiz • Die nationalsozialistische Justiz und ihre Aufarbeitung • Rechtsradikalismus und Neonazismus - Neuste Tendenzen • Aktuelle Herausforderung an die Rechtsprechung in Staatsschutzsachen Selbstverständlich nehmen die Fortbildungsangebote der Justiz als auch die der Polizei aktuelle Entwicklungen auf. Die Fortbildungsver-antwortlichen passen die Seminare dementsprechend zeitnah an. So können auch aktuelle gesellschaftliche Themen kurzfristig berücksichtigt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10830 4 3. Wie lange dauert es in Nordrhein-Westfalen, die Bediensteten von Polizei und Justiz darauf zu schulen, bestimmte extremistische Organisationen und deren Symbole zu erkennen und dementsprechend im konkreten Einsatz zu reagieren? Sowohl hinsichtlich der Polizei als auch der Justiz wird auf die Antwort zu Frage 2 Bezug genommen . 4. Ist der Landesregierung bekannt, wie viele Angehörige und Sympathisanten der Ülkücü -Bewegung/Graue Wölfe zur Zeit in NRW in JVAen einsitzen und wie diese untereinander vernetzt sind? Es liegen keine diesbezüglichen Erkenntnisse vor. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10830