LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10838 21.01.2016 Datum des Originals: 21.01.2016/Ausgegeben: 28.01.2016 (26.01.2016) Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4180 vom 20. Dezember 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/10567 Fachliche Qualität der aktuellen Unterrichtserteilung an Schulen der Stadt Essen – Wie sieht derzeit die Faktenlage zum Fachlehrermangel, zur Erteilung fachfremden Unterrichts , zu Mangelfächern und zum Unterrichtsausfall aus? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4180 mit Schreiben vom 21. Januar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die seit vielen Jahren in der Stadt Essen emotional geführte Diskussion über die Qualität des Unterrichtes an allgemein- wie berufsbildenden Schulen hat auch im ablaufenden Jahr 2015 für Zündstoff gesorgt. Unverändert ist diese Problematik jedoch ungelöst. Dieser Umstand führt immer wieder zu Klagen von Eltern und Schülern, aber insbesondere auch zu massiver Kritik aus der ausbildenden Wirtschaft über Bildungsversäumnisse, die die Ausbildungsreife Jugendlicher kritisiert. Der Mangelzustand einer in quantitativer und qualitativer Hinsicht nicht zufriedenstellenden Unterrichtsversorgung verbaut jungen Menschen regelmäßig auch in der Stadt Essen ihre Zukunftschancen , führt zu unnötigen Qualifikationsdefiziten und verstärkt die Einschätzung von Arbeitgebern, dass leider vielfach offene Ausbildungsstellen auch deshalb unbesetzt bleiben, da zu viele Schulabgänger selbst den grundlegenden Bildungsanforderungen des Berufsbildungssystems leider zunehmend nicht mehr gerecht werden. Vielfach fehlen auch den Essener Schulabsolventen die erforderlichen Grundkompetenzen für die erfolgreiche Absolvierung einer dualen Berufsausbildung. Es ist also nicht nur die Frage zu lösen, ob Unterricht tatsächlich in dem vorgesehenen und notwendigen Umfang erteilt wird, sondern ganz entscheidend auch, wie dieser erteilt wird. Über quantitativen Unterrichtsausfall hinaus kämpfen unsere Schulen vor Ort oftmals mit einer nicht ausreichenden Lehrerversorgung insbesondere bei Fachlehrern, einer zu hohen Schüler /Lehrer-Relation, zu großen Klassen und Kursen sowie der viel zu häufigen Erteilung von fachfremdem Unterricht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10838 2 Regelmäßig fachfremd unterrichten zu müssen, setzt auch die betreffenden Lehrer, die dabei in der Regel auf sich allein gestellt sind, unter zusätzlichen Druck, wenn sie den eigenen Ansprüchen oder denen der Schule gerecht werden wollen. Dies ist vielfach ein Spagat zwischen dem Wunsch, den Schülern spezielles Wissen und Freude an der Thematik zu vermitteln, und einer zugleich fachlichen Überforderung. Letztere ist darin begründet, dass seitens der Lehrkraft für das betreffende Fach nie eine qualifizierte Prüfung abgelegt worden ist. Die Sicherstellung des Unterrichts bildet aber eine zentrale Aufgabe der Schulpolitik. Zu Recht fordern Eltern und Ausbilder von der Landespolitik ein, dass ein stundenplangemäßer Unterricht auch tatsächlich erteilt wird. Daher muss das Land bestmöglich Vorkehrungen treffen, um den Unterrichtsausfall nach Möglichkeit zu minimieren sowie gleichermaßen die Qualität zu steigern. Aktuell bekannt geworden ist dem Fragesteller vor diesem Hintergrund beispielsweise ein Fall aus der Praxis, der die Dramatik der Bildungssituation allgemein, aber konkret für den beruflichen Bereich in der Stadt Essen, dokumentiert: So beklagt ein Ausbildungsbetrieb aus dem Garten- und Landschaftsbau, der seit einem Vierteljahrhundert erfolgreich ausbildet, einen Lehrermangel für ein Essener Berufskolleg. Bedingt durch diesen haben sich auch in vergangenen Prüfungen in der Folge die sehr guten praktischen Ausbildungsergebnisse von Auszubildenden im theoretischen Abschluss nicht widergespiegelt – im Gegenteil, diese sind deutlich schlechter ausgefallen. Der Unternehmensverband Garten- und Landschaftsbau NRW regt daher an, auf eine vermehrte Einstellung von Fachlehrern sowie die Zulassung von Quereinsteigern für den Garten- und Landschaftsbau hinzuwirken. Andere Bereiche des Handwerks und der mittelständischen Wirtschaft schätzen die Lage ähnlich ein. Besonders kritisch wird auch an sämtlichen Schulformen der Stadt Essen regelmäßig der Fachlehrermangel insbesondere in MINT-Fächern herausgestellt, die für zahlreiche Berufe und Studiengänge eine ganz wichtige Grundlage bilden. Lehrbefähigungen für MINT-Fächer betreffen dabei Arbeitslehre, Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik, Physik und Technik. Deren Vorhandensein an jedem Schulstandort ist für die aktuelle Schullandschaft vor Ort von großer Bedeutung. Dringend notwendig ist ferner ein alle Schulformen umfassendes Handlungskonzept, das Qualitätsverbesserungen vorsieht und die zukünftige Unterrichtsversorgung an den Schulen der Stadt Essen sowie landesweit auf einem hohen Standard absichert, damit struktureller Unterrichtsausfall und fachfremde Unterrichtserteilung möglichst schnell der Vergangenheit angehören . Handlungsbedarf ist auch deshalb gegeben, da nur ein qualitativ hochwertiges und leistungsfähiges Bildungssystem unseren Jugendlichen die in der heutigen Gesellschaft für ihr persönliches wie berufliches Leben geforderten Qualifikationen zielsicher vermitteln kann. Auch der absolut ernstzunehmende und in den kommenden Jahren voraussichtlich noch an Bedeutung gewinnende Fachkräftemangel in bestimmten Fächern verstärkt den Druck auf die Politik, für ein leistungsfähiges Bildungssystem zu sorgen und die bereits genannten Mangelzustände an Essener Bildungseinrichtungen zu vermeiden bzw. schnellstmöglich zu beseitigen . Beste Bildung entscheidet über die Lebenschancen jedes einzelnen Kindes genauso wie über das Wohlergehen unserer Gesellschaft insgesamt. Sie ist ferner die Voraussetzung für den individuellen sozialen Aufstieg möglichst vieler Schüler auch in der Stadt Essen. Die Landesregierung sollte dem Parlament daher transparent eine vollumfängliche Information über den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10838 3 aktuellen Sachstand zum Fachlehrermangel, zur Erteilung fachfremden Unterrichts, zu Mangelfächern und zum Unterrichtsausfall für die Schulen in der Stadt Essen vorlegen. 1. Wie viele Stunden Unterricht werden im aktuellen Schuljahr differenziert nach den jeweiligen Schulformen der allgemein- und berufsbildenden Schulen in der Stadt Essen nur fachfremd bzw. gar nicht erteilt? Die Zahl der im Schuljahr 2015/16 an den allgemeinbildenden Schulen in NRW pro Woche erteilten Unterrichtsstunden von Lehrkräften, die nicht über eine entsprechende Lehrbefähigung im unterrichteten Fach verfügen (fachfremder Unterricht), kann - untergliedert nach Schulform - der nachstehenden Tabelle entnommen werden. Zur relativ hohen Zahl der an den Grund- und Förderschulen fachfremd erteilten Unterrichtsstunden trägt wesentlich das dort praktizierte Klassenlehrerprinzip bei. Zur Zahl der an den berufsbildenden Schulen fachfremd erteilten Unterrichtsstunden und der an den allgemein- und berufsbildenden Schulen in Essen im Schuljahr 2015/16 nicht erteilten Unterrichtsstunden liegen der Landesregierung keine statistischen Daten vor. Fachfremd erteilter Unterricht nach Schulform an Schulen in Krfr. Stadt Essen - Schuljahr 2015/16 - Schulform erteilte Stunden ohne Lehrbefähigung für das entsprechende Fach Grundschule 5.630 Hauptschule 1.325 Realschule 1.582 Sekundarschule 65 Gesamtschule 1.826 Gymnasium 1.172 Freie Waldorfschule - Förderschule 9.402 Weiterbildungskolleg 50 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10838 4 2. Insbesondere welche Fächer werden im aktuellen Schuljahr differenziert nach den jeweiligen Schulformen der allgemein- und berufsbildenden Schulen in der Stadt Essen durch fachfremde Lehrkräfte erteilt? Die vergleichsweise häufig durch fachfremde Lehrkräfte unterrichteten Fächer können, untergliedert nach Schulform, der Tabelle in Anlage 1 entnommen werden. Darin sind je Schulform in absteigender Reihenfolge die fünf Fächer ausgewiesen, in denen im Schuljahr 2015/16 die meisten Unterrichtsstunden fachfremd erteilt wurden. Zum Umfang der an berufsbildenden Schulen fachfremd erteilten Unterrichtsstunden liegen der Landesregierung aufgrund der Vielzahl der dort möglichen Qualifikationsarten keine statistischen Daten vor. 3. Wie hoch wäre der Bedarf an Neueinstellungen von Fachlehrern an Schulen in der Stadt Essen, wenn ab dem kommenden Schuljahr an keiner allgemein- und berufsbildenden Schule mehr fachfremder Unterricht erteilt werden dürfte? Der Bedarf an Neueinstellungen von Fachlehrkräften für den Fall, dass ab dem kommenden Schuljahr an keiner allgemein- und berufsbildenden Schule mehr fachfremder Unterricht erteilt werden dürfte, ist nicht quantifizierbar. Aus der statistisch ausgewiesenen Zahl an fachfremd erteiltem Unterricht kann nicht auf einen entsprechenden Einstellungsbedarf geschlossen werden . Im Primarbereich, aber auch in der Sekundarstufe I, kann z.B. das Klassenlehrerprinzip dazu führen, dass bewusst eine Lehrkraft ohne entsprechende formale Lehrbefähigung im Unterricht eingesetzt wird, obwohl durchaus an der betreffenden Schule in ausreichendem Maße Lehrkräfte mit dieser Lehrbefähigung vorhanden wären. Darüber hinaus werden Lehrkräfte bei entsprechendem Bedarf an der Schule auch überproportional in einem ihrer Fächer eingesetzt. Dies kann dazu führen, dass ggf. in einem anderen Fach fachfremd unterrichtet wird, obwohl Lehrkräfte mit entsprechender Lehrbefähigung an der Schule vorhanden wären. 4. Welche allgemein- und berufsbildenden Schulen in der Stadt Essen gehen Kooperationen in den betroffenen Mangelfächern ein, um eine möglichst hohe Qualität des Unterrichts zu erreichen? Nach § 4 SchulG sind Schulen grundsätzlich zur pädagogischen und organisatorischen Zusammenarbeit verpflichtet. Statistische Daten über Kooperationen der allgemein- und berufsbildenden Schulen in Essen liegen dem MSW nicht vor. Eine schulspezifische Abfrage solcher Daten ist im Rahmen der Bearbeitung Kleiner Anfragen nicht leistbar. 5. Wie viele Lehrbefähigungen, differenziert nach den einzelnen MINT-Fächern, liegen jeweils für die namentlich einzelnen Schulen der Stadt Essen vor? Die Zahl der an den einzelnen Schulen der Stadt Essen im MINT-Bereich vorliegenden Lehrbefähigungen kann, untergliedert nach Schulform und Fach, der Tabelle in Anlage 2 entnommen werden. Da Lehrkräfte regelmäßig über mehr als eine Lehrbefähigung verfügen, entspricht die Zahl der ausgewiesenen Lehrbefähigungen nicht der Zahl der Lehrkräfte (Fallzählung ). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10838