LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10858 25.01.2016 Datum des Originals: 22.01.2016/Ausgegeben: 28.01.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4129 vom 10. Dezember 2015 der Abgeordneten Yvonne Gebauer und Ingo Schmitz FDP Drucksache 16/10451 Welche Herausforderungen stellen sich durch die hohe Zahl von Flüchtlingen bei Beschulung und Schulplicht? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4129 mit Schreiben vom 22. Januar 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Einen zentralen Schwerpunkt bei der Bewältigung der Flüchtlingssituation stellt zweifellos die große bildungspolitische Herausforderung dar. Für die Integration und damit für eine mittelfristig eigenverantwortliche und selbstbestimmte Lebensführung ist neben dem unerlässlichen Erlernen der deutschen Sprache auch eine Einbindung in das Bildungssystem wichtig. Diese Aufgabe stellt sich gegenwärtig in hohem Maße in der Primarstufe und der Sekundarstufe I. Darüber hinaus sind von der steigenden Schülerzahl und den oftmals schwierigen Begleitumständen u.a. auch die Berufskollegs betroffen. Diese Schulen, aber auch die Weiterbildungskollegs als weitere Schulform sowie z.B. Volkshochschulen als Institutionen der Weiterbildung dürften absehbar in deutlich steigendem Maße mit wachsenden Herausforderungen bei der Bildung dieser jungen Menschen konfrontiert sein. In öffentlichen Debatten wird neben den direkt bestehenden Anforderungen einer kontinuierlichen Sprachförderung, des Erwerbs von Abschlüssen oder der Integration in den Ausbildungsmarkt immer wieder auch die Frage der Schulpflicht bzw. der Berufsschulpflicht diskutiert. In Medien wurde über einzelne Bundesländer wie z.B. Bayern berichtet, dass diese im Vergleich zu anderen Bundesländern sinnvollere Wege beschreiten würden. Daher stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich zutrifft und inwieweit sich die dortigen Regelungen unterscheiden. Ein Blick in Art. 39 Abs. 2 des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtswesengesetzes zeigt, dass Auszubildende in Bayern bis zum Ende des Schuljahres LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10858 2 berufsschulpflichtig sind, in dem sie das 21. Lebensjahr vollenden. In Nordrhein-Westfalen hingegen gilt bisher: Wer vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist bis zu dessen Ende schulpflichtig (§ 38 Abs. 2 Schulgesetz). Hiernach verfügt Nordrhein-Westfalen bereits gegenwärtig über die hinsichtlich der Berufsschulpflicht strengere Regelung. Auch aus nordrhein-westfälischen Schulen wird im Übrigen Kritik geäußert. So wird es z.B. als problematisch kritisiert, dass Schülerinnen und Schüler, die mehr als ein Jahr eine allgemeine Schule besucht haben, im Anschluss an die Sekundarstufe I für eine weitere, notwendige Sprachförderung nicht Internationale Förderklassen besuchen könnten. Ebenfalls werden die Regelungen für Jugendliche über 18 Jahren mit ungesichertem Aufenthaltsstatus kritisiert, da sie von wichtigen bildungspolitischen Maßnahmen ausgeschlossen seien. 1. Wie unterscheidet sich zwischen Nordrhein-Westfalen und den anderen Bundesländern jeweils die Ausgestaltung der Schulpflicht (bitte tabellarisch für die Sekundarstufe I, Sekundarstufe II bzw. Berufsschulpflicht, nach Altersgrenzen sowie ggf. nach rechtlichem Status aufgelistet für die 16 Bundesländer darstellen)? Die Schulpflicht ist in den Schulgesetzen der Länder geregelt. Diese sind allgemein zugängliche Quellen. Aus den Vorschriften der anderen Länder erschließen sich auch die Unterschiede zu den Regelungen in Nordrhein-Westfalen (§§ 34 ff. Schulgesetz NRW). Auf die als Anlage 1 beigefügte Tabelle (Auszug) der Kultusministerkonferenz zum „Recht auf Bildung von Migranten ohne Aufenthaltsstatus (Stand: Mai 2014) wird verwiesen. 2. Bestehen aus Sicht der Landesregierung bezüglich der Frage 1 Unterschiede zu anderen Bundesländern, die Änderungen in Nordrhein-Westfalen notwendig machen würden (wenn nein, bitte darlegen, warum nicht; wenn ja, bitte darlegen, welche Änderungen angedacht sind)? In Nordrhein-Westfalen sind keine Änderungen notwendig, zumal § 34 Absatz 6 Schulgesetz NRW die Schulpflicht von Flüchtlingen regelt. 3. Nach welchen Kriterien können jugendliche Flüchtlinge nach der Sekundarstufe I (nicht) in die Angebote der beruflichen Schulen eintreten (bitte aufgeschlüsselt darstellen z.B. nach dualer Ausbildung, Ausbildungsvorbereitung, Internationalen Förderklassen)? Die Beschulung von jugendlichen geflüchteten Migrantinnen und Migranten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erfolgt im Berufskolleg im Rahmen der Schulpflicht gemäß § 34 Abs. 6 SchulG in Verbindung mit § 38 SchulG (Schulpflicht in der Sekundarstufe II) in der Internationalen Förderklasse im Bildungsgang Ausbildungsvorbereitung (Vollzeitform) gemäß § 21 Abs. 3 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Berufskolleg (APO-BK) Anlage A, sofern keine Fachklassen des dualen Systems besucht werden. Der Bildungsgang Ausbildungsvorbereitung wird auch in Teilzeitform für junge Menschen angeboten, die an Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) teilnehmen. Mit Blick auf die Bereitstellung von Ressourcen seitens der BA können auch nicht mehr berufsschulpflichtige Jugendliche in die Teilzeitform der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10858 3 Ausbildungsvorbereitung gemäß VV zu § 22 APO-BK Anlage unter dem Vorbehalt personeller und räumlicher Voraussetzungen aufgenommen werden. Jugendliche, die erfolgreich Bildungsgänge der Ausbildungsvorbereitung besucht haben, können auch die Berufsfachschule besuchen. Der einjährige Bildungsgang der Berufsfachschule vermittelt berufliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten und führt entweder zu einem dem Hauptschulabschluss nach Klasse 10 gleichwertigen Abschluss oder zu einem mittleren Bildungsabschluss, der mit der Berechtigung zum Besuch der Gymnasialen Oberstufe verbunden sein kann. Auch der Besuch der zweijährigen vollzeitschulischen Bildungsgänge, die neben dem schulischen Abschluss (mittlerer Schulabschluss) auch einen Berufsabschluss nach Landesrecht ermöglichen, steht den Jugendlichen nach erfolgreichem Besuch der Internationalen Förderklasse offen. In die Fachklassen des dualen Systems werden Schülerinnen und Schüler aufgenommen, die sich in einem Berufsausbildungsverhältnis nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) oder der Handwerksordnung (HwO) befinden oder die ein berechtigtes Interesse am Unterricht in einer Fachklasse besitzen (§ 6 Absatz 1 Anlage A APO-BK). Wer vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist gemäß § 38 Absatz 2 SchulG bis zu dessen Ende schulpflichtig. Wer nach dem Ende der Schulpflicht ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist nach § 38 Absatz 5 SchulG berechtigt, die Berufsschule zu besuchen, solange das Berufsausbildungsverhältnis besteht. Für die einzelnen Ausbildungsberufe sind keine schulischen Eingangsvoraussetzungen festgelegt. Mit dem Berufsschulabschluss wird der Hauptschulabschluss nach Klasse 10, bei entsprechendem Notendurchschnitt und dem Nachweis der notwendigen Englischkenntnisse der mittlere Schulabschluss zuerkannt. Es kann auch die Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe erworben werden. Den Schülerinnen und Schülern wird die Fachhochschulreife zuerkannt, wenn sie das erweiterte Unterrichtsangebot nach Anlage A 1.4 der APO-BK wahrgenommen, den Berufsschulabschluss erworben und die Berufsabschlussprüfung sowie die Abschlussprüfung zur Erlangung der Fachhochschulreife bestanden haben. Schülerinnen und Schüler mit einem Ausbildungsverhältnis gem. § 66 BBiG oder § 42m HwO erhalten bei erfolgreichem Besuch des Bildungsganges den Hauptschulabschluss. Stützunterricht oder erweiterter Stützunterricht zur Sicherung des Ausbildungsziels, z. B. Sprachunterricht, sind entsprechend dem Angebot des einzelnen Berufskollegs im Rahmen des Differenzierungsbereiches in den Stundentafeln der einzelnen Ausbildungsberufe vorgesehen. Für jugendliche Migrantinnen und Migranten besteht nach einer dreimonatigen Verweildauer die Option, an einer Einstiegsqualifizierung (EQ) der BA teilzunehmen. Die EQ ist ein Instrument, das lernschwächeren Jugendlichen die Chance eröffnet, in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten Teile eines Ausbildungsberufes oder eines Betriebes kennenzulernen. Der Betrieb kann eine sich eventuell anschließende berufliche Ausbildung aufgrund der vorangegangenen Einstiegsqualifizierung um bis zu 6 Monate verkürzen. Diese Zielgruppe nimmt auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres gemäß § 6 APO-BK Anlage A im Rahmen der Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung am Berufsschulunterricht der Fachklassen des dualen Systems teil, da ansonsten die Zielsetzung der Maßnahme (Einstieg möglichst mit Verkürzung der Ausbildungszeit) gefährdet würde. Die EQ erfolgt auf der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10858 4 Grundlage des § 54a SGB III. Für Asylbewerber/innen mit Aufenthaltsgestattung und Geduldete gilt derzeit eine Wartezeit von drei Monaten. Schülerinnen und Schülern kann bei fehlenden betrieblichen Ausbildungsplätzen vollzeitschulische Ausbildung mit abschließender Kammerprüfung gemäß Berufskollegsanrechnungs- und zulassungsverordnung (BKAZVO) angeboten werden. Ein regionaler Konsens ist für die Einrichtung eines solchen Angebotes unabdingbare Voraussetzung. 4. Wenn Jugendliche über 18 Jahre über einen ungesicherten Aufenthaltsstatus (wie z.B. Duldung oder Aufenthaltsgestattung) verfügen: Zu dem Besuch welcher staatlichen Bildungsmaßnahmen sind sie (nicht) berechtigt (bitte nach nordrheinwestfälischen schulformspezifischen Angeboten inklusive Trägern der Weiterbildung sowie z.B. nach Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit aufgeschlüsselt darstellen)? Jugendliche Flüchtlinge über 18 Jahre können sich unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus für Bildungsgänge der Berufskollegs anmelden, wenn die entsprechenden Zugangsvoraussetzungen vorliegen. Diese Schülerinnen und Schüler können in den teilzeitschulischen Bildungsgang der Ausbildungsvorbereitung aufgenommen werden, wenn sie an einer beruflichen Bildungsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit teilnehmen und die räumlichen und personellen Kapazitäten des Berufskollegs eine Aufnahme zulassen. Darüber hinaus können sie an Bildungsgängen der Berufsfachschule (Anlage B APO-BK) teilnehmen, wenn die schulischen und sprachlichen Voraussetzungen vorliegen. In die Fachklassen des dualen Systems werden Schülerinnen und Schüler aufgenommen, die sich in einem Berufsausbildungsverhältnis nach dem BBiG oder der HwO befinden oder die ein berechtigtes Interesse am Unterricht in einer Fachklasse besitzen (§ 6 Absatz 1 Anlage A APO-BK). Das bedeutet, dass hier auch junge Menschen, die älter sind als 18 Jahre, in die Fachklassen einmünden können. Wer vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist gemäß § 38 Absatz 2 SchulG bis zu dessen Ende schulpflichtig. Wer nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt, ist nach § 38 Absatz 5 SchulG berufsschulberechtigt, solange das Berufsausbildungsverhältnis besteht. Laut Aussage des Bundesministeriums des Innern in einer am 5.11.2015 mit dem Zentralverband des deutschen Handwerks veröffentlichten Publikation „Flüchtlinge in Berufsausbildung“ enthält jede Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsgestattung und Duldung einen Vermerk, der erkennen lassen muss, ob der/die jeweilige Ausländer/in eine Berufsausbildung aufnehmen darf. Demnach gilt nach derzeitigem Stand für asylsuchende Ausländer/innen eine dreimonatige, für Geduldete keine Wartefrist, wenn sie eine Berufsausbildung aufnehmen. Grundsätzlich stehen die Angebote der Bundesagentur für Arbeit allen Kundinnen und Kunden gleichermaßen offen. Für Personen mit einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung hängt der Zugang zum Arbeitsmarkt vor allem vom aufenthaltsrechtlichen Status und von der Dauer des bisherigen Aufenthalts in Deutschland ab. Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sind von der Bundesagentur für Arbeit finanzierte Maßnahmen, in denen Bildungsträger vorrangig auf eine Berufsausbildung, aber auch auf die berufliche Eingliederung vorbereiten (BvB/BvB-Pro nach § 51 SGB III). Anspruch auf Teilnahme an einer BvB/BvB-Pro haben Asylbewerber oder Geduldete, wenn sie sich selbst fünf Jahre in Deutschland aufgehalten haben und fünf Jahre rechtmäßig erwerbstätig waren oder wenn zumindest ein Elternteil sich während der letzten LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10858 5 sechs Jahre insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten hat und drei Jahre rechtmäßig erwerbstätig war. Jugendliche über 18 Jahre mit ungesichertem Aufenthaltsstatus sind von vorbereitenden Lehrgängen zum nachträglichen Erwerb von Schulabschlüssen nach § 6 Weiterbildungsgesetz nicht ausgeschlossen. An den zusätzlichen Kursen zum basalen Spracherwerb, die das Ministerium für Schule und Weiterbildung 2016 mit 2 Millionen Euro fördert, können sie ebenfalls teilhaben. Die Aufnahme an den Bildungsgängen des Weiterbildungskollegs erfolgt nach § 3 Ausbildungs- und Prüfungsordnung Weiterbildungskolleg (APO-WbK). Danach muss für die Aufnahme in den Bildungsgang der Abendrealschule das 18. Lebensjahr erreicht sein und der Nachweis über eine bestehende Berufstätigkeit bzw. ein Nachweis über eine zurückliegende mindestens 6-monatige Berufstätigkeit erbracht werden. Analog dazu muss eine Studierende oder ein Studierender für Abendgymnasium bzw. Kolleg mindestens 18 Jahre alt sein und über „eine abgeschlossenen Berufsausbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes, eine Berufsausbildung in einem schulischen Bildungsgang oder eine entsprechende Ausbildung in einem Beamtenverhältnis“ oder den Nachweis einer mindestens zweijährigen Berufstätigkeit verfügen. Die rechtliche Prüfung hat ergeben, dass - bei allem Verständnis für die Belange der zugewanderten jungen Erwachsenen - eine Aussetzung der Aufnahmevoraussetzungen für die bisher bestehenden Bildungsgänge an Weiterbildungskollegs nicht in Betracht gezogen werden kann, da die generelle Förderfähigkeit des Weiterbildungskollegs nach dem BAföG bei weitgehender Aufnahme ohne Erfüllung der Aufnahmevoraussetzungen infrage gestellt würde. Daher ist es an den Weiterbildungskollegs nicht möglich, nicht mehr schulpflichtige junge Erwachsene (über 18 Jahren) in Kursen zu beschulen, die lediglich dazu dienen, die deutsche Sprache zu vermitteln. Hier sind die Angebote anderer Träger der Weiterbildung (z.B. die VHS) geschaffen worden und werden ggfls. ausgeweitet. 5. Bestehen hier bundesweite oder aber nordrhein-westfälische Planungen, an der bisherigen Ausgestaltung Veränderungen vorzunehmen (wenn nein, warum nicht; wenn ja, welche)? Der Landesregierung liegen keine verlässlichen bundesweiten Planungen zur Veränderung der bisher bestehenden Ausgestaltungen vor. Änderungen im nordrhein-westfälischen Recht sind angesichts der oben dargelegten umfänglichen Möglichkeiten derzeit nicht beabsichtigt. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10858