LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 25.01.2016 Datum des Originals: 25.01.2016/Ausgegeben: 28.01.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4188 vom 22. Dezember 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/10586 Ergebnisse der Einigung von allen Bundesländern auf einen neuen Finanzausgleich – Ein guter Tag für den Föderalismus in Deutschland oder Zementierung des weiteren Stillstands für ein Jahrzehnt? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 4188 mit Schreiben vom 25. Januar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 3. Dezember 2015 einigten sich die 16 Bundesländer auf einen neuen gemeinsamen Standpunkt zur Reform des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Diesen Reformvorschlag vertreten die Länder nun gemeinsam gegenüber dem Bund. Künftig soll es statt des sekundären horizontalen Finanzausgleichs und des vorgelagerten Umsatzsteuervorwegausgleichs einen direkten Ausgleich der Finanzkraft über die Umsatzsteuer geben. Grundsätzlich wird an der Verteilung der Umsatzsteuer nach Einwohnerzahl festgehalten, finanzschwache Bundesländer bekommen jedoch einen größeren Anteil und finanzstarke einen geringeren. Ob ein Bundesland als finanzschwach oder -stark angesehen wird, hängt neben den originären Steuereinnahmen des Landes von unterschiedlichen Faktoren ab, die dem Grund nach auch derzeit in die Berechnungen des Finanzausgleichs einfließen . Die daran anschließenden allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen bleiben ebenfalls weiter erhalten, ihr Volumen wird jedoch erhöht. Im Anschluss soll es weitere Zahlungsströme an Länder geben, insbesondere bleiben die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen erhalten und werden weiter ausgedehnt. Außerdem werden auch die Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland wieder eingeführt. Kernelement der Einigung der 16 Bundesländer ist es darüber hinaus, dass der Bund 9,65 Milliarden Euro zusätzlich in den bundesstaatlichen Finanzausgleich abgibt. Sowohl durch eine höhere Beteiligung der Länder an der Umsatzsteuer, als auch durch höhere Beiträge in den nachgeordneten Mechanismen. Die Verteilung der zusätzlichen Mittel wäre dabei sehr LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 2 heterogen (vgl. Tabelle). Nordrhein-Westfalen würde als größtes Bundesland auch die höchsten Haushaltsverbesserungen erhalten, je Einwohner betrachtet, haben jedoch 14 Bundesländer teils erheblich besser verhandelt. Der Bund würde finanzielle Einbußen hinnehmen und der Steuerzahler diese voraussichtlich mit der Fortführung des Solidaritätszuschlags zahlen müssen. Haushaltsverbesserungen im Jahr 2019 durch den Lösungsvorschlag der Länder Rang Bundesland absolut (in Mio. €) je Einwohner (in €) 1 Bremen 475 722 2 Saarland 484 489 3 Mecklenburg-Vorpommern 358 224 4 Thüringen 442 205 5 Sachsen 807 200 6 Sachsen-Anhalt 449 200 7 Berlin 484 141 8 Brandenburg 298 122 9 Bayern 1.326 105 10 Hamburg 172 98 11 Hessen 577 95 12 Rheinland-Pfalz 377 94 13 Schleswig-Holstein 256 91 14 Baden-Württemberg 944 88 15 Nordrhein-Westfalen 1.534 87 16 Niedersachsen 672 86 Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), Policy Paper 38 vom 11. Dezember 2015. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in einer hierzu extra anberaumten Unterrichtung am 4. Dezember 2015 im Landtag den Tag der Einigung als „einen guten Tag für den deutschen Föderalismus“ beschrieben. Zudem sei es ein „guter Tag für Nordrhein-Westfalen“ gewesen. Auch die Ministerpräsidenten anderer Bundesländer lobten diese Einigung, an der sie selbst beteiligt waren. Mit dieser Interpretation stehen die politischen Vertreter recht allein da. Die Fachöffentlichkeit bezeichnet den Reformvorschlag für Bürger und Steuerzahler oftmals als „enttäuschend“ (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Standpunkt des ZEW-Präsidenten vom 17. Dezember 2015) und deshalb ausdrücklich als „keine gute Nachricht“ für den deutschen Föderalismus (IW Köln, Policy Paper 38 vom 11. Dezember 2015). Trotz der politischen Jubelstimmung bei CDU, SPD und Grünen über diese Einigung liegen die Schwächen auf der Hand: Keines der drängenden Probleme des Föderalismus wurde strukturell gelöst. Die seit Jahrzehnten kritisierten negativen Anreizeffekt für die Pflege der eigenen Wirtschaftskraft der Länder sind nicht angegangen worden, weiterhin würde den Bundesländern ein erheblicher Teil der Mittel entzogen, die sie aufgrund eigener Anstrengungen an Steuermehraufkommen erzielen. Oder vice versa: Hemmt eine Landesregierung das Wirtschaftswachstum in einem Bundesland, werden die daraus resultierenden Mindereinnahmen zu einem erheblichen Umfang von anderen Bundesländern erstattet. Besonders stark ist die Grenzbelastung bei den künftigen Empfängerländern: Bis zu 85 Prozent der zusätzlichen Steuereinnahmen eines Empfängerlandes könnten durch Kürzungen bei den Zuweisungen wieder abgeschöpft werden. Der Anreiz für ein Land, mit großen Anstrengungen die eigene Wirtschaftskraft zu fördern, ist also relativ gering, da von 100 Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen im LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 3 Extremfall nur 15 Euro beim Land und dessen Kommunen verbleiben. Die Wissenschaft befürchtet deshalb bereits ein stärkeres Auseinanderdriften von finanzstarken und finanzschwachen Bundesländern. Zudem ist das komplizierte System des bundesstaatlichen Finanzausgleichs zwar verändert worden, eine transparente Lösung, die an leicht verständlichen Grundsätzen orientiert ist, wurde aber keineswegs gefunden. Es bleiben auch die Gründe für einige angedachte oder fortgeführte Zahlungen unklar: So soll Brandenburg zusätzlich in die Gruppe der Länder aufgenommen werden, die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen erhalten, um deren überproportional hohen Kosten der politischen Führung auszugleichen. Ab dem Jahr 2020 würden somit 11 von 16 Bundesländern diese Zuweisungen erhalten, u. a. Rheinland-Pfalz, Hamburg jedoch nicht. Ferner ist weder ein ökonomischer Sachgrund zu erkennen, warum die Finanzkraft der Kommunen bisher mit 64 Prozent berücksichtigt wird, noch warum sie künftig mit 75 Prozent einfließen soll. Auch die oft kritisierten Einwohnerwertungen für die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen sowie die von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt bleiben unverändert. Der Lösungsvorschlag der Bundesländer in Sachen Finanzausgleich blendet auch völlig aus, dass im Rahmen einer Neuverhandlung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen auch das Thema der Steuerautonomie der Länder auf den Tisch gehört hätte. Die Länder können zwar die Höhe ihrer Ausgaben selbst bestimmen, bei den Steuern haben sie jedoch nur bei der Grunderwerbsteuer die Möglichkeit, Steuersätze zu senken oder zu erhöhen. Eine erweiterte Steuerautonomie stärkt die effiziente Bereitstellung staatlicher Leistungen und finanzielle Eigenverantwortung (vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Sept. 2014). Hier wären weitere Zu- und Abschlagsrechte bei ertragsreicheren Steuern gut denkbar und für einen zukunftsfähigen Föderalismus wünschenswert. 1. Wie hoch sind die Steuereinnahmen des Landes zum Stand 22.12.2015 (aufgeschlüsselt nach Steuerarten)? Für das Gesamtjahr 2015 wurde eine positive Veränderungsrate im Landesanteil von +7,4 v.H. realisiert. Hierbei wurden die angestrebten Sollwerte um 469 Millionen Euro unterschritten. Es ist jedoch festzustellen, dass für die Unterschreitung der Sollansätze nicht die Zahlung im Rahmen der Umsatzsteuerabrechnung im 4. Quartal 2015 i.H.v. knapp 535 Millionen Euro ursächlich ist. In der Gesamtschau blieb die Umsatzsteuer, einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer , lediglich um 26,5 Millionen Euro unterhalb der Sollansätze. Geprägt wurde der Fehlbetrag vielmehr durch ein stärker zurück gehendes Aufkommen bei der Lohnsteuer. Während die Lohnsteuer bis Ende September 2015 noch mit Raten von +7,3 v.H. wuchs, fielen die Steigerungsraten in den Folgemonaten aus bisher noch nicht nachvollziehbaren Gründen deutlich geringer aus und lagen im Dezember bei nur noch +2,0 v.H. In der Summe wurden hier die Sollansätze letztendlich um 363 Millionen Euro unterschritten. Des Weiteren gründet sich die Schätzabweichung auf die Entwicklung der nicht veranlagten Steuern vom Ertrag, hierzu gehören insbesondere die Kapitalertragsteuern auf ausgeschüttete Dividenden. Diese sind naturgemäß schwierig zu prognostizieren, da sie insbesondere vom individuellen Ausschüttungsverhalten der Unternehmen abhängig sind. Am Ende des Jahres stand hier eine negative Veränderungsrate von – 9,2 v.H. bzw. – 98 Millionen Euro zu Buche. Bei Gesamtsteuereinnahmen im Landesanteil von knapp 50.000 Millionen Euro ist die zuvor beschriebene Abweichung zu den Planzahlen in einer Größenordnung von knapp 1 Prozent im Rahmen einer üblichen Schätzungenauigkeit. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 4 Die Entwicklung der Steuereinnahmen, aufgeschlüsselt nach Steuerarten zum 22.12.2015 ist der Anlage 1 zu entnehmen. Die Aussagekraft der Steuereinnahmen zu diesem Zeitpunkt bezogen auf das Jahresergebnis ist begrenzt, weil es nur eine Momentaufnahme ist. 2. Welche Zahlungen hat das Land in diesem Jahr im Rahmen des Umsatzsteuerausgleichs (aufgeschlüsselt nach Zeitpunkten) bisher geleistet? 3. Welche Zahlungen im Rahmen des Umsatzsteuerausgleichs hat die Landesregierung dem Haushalt 2015 einschließlich der vom Landtag verabschiedeten Nachträge zugrunde gelegt? 4. Zu welchem Zeitpunkt war der Landesregierung jeweils die Höhe der im Rahmen des Umsatzsteuerausgleiches zu leistenden Zahlungen bekannt? Die Fragen 2 bis 4 werden zusammen beantwortet. Allgemeines Die Differenz zwischen dem einem Land gesetzlich zustehenden Umsatzsteueranteil (bestehend aus Ergänzungsanteilen und Restverteilung nach Einwohneranteilen) und einer fiktiven, vollständigen Verteilung des gesamten Länderanteils nach Einwohnern wird als Umsatzsteuerausgleich bezeichnet. Schätzung des Umsatzsteuerausgleichs Da es sich bei dem Umsatzsteuerausgleich um einen Beitrag im bundesstaatlichen Finanzausgleich handelt, der nicht zahlungswirksam wird, sondern sich unmittelbar als Mindereinnahmen bzw. entgangenen Einnahmen beim Länderanteil an der Umsatzsteuer widerspiegelt, werden die Beiträge zum Umsatzsteuerausgleich bei Aufstellung des Haushaltes nicht gesondert geschätzt. Grundlage für die Bestimmung des Haushaltsansatzes der Umsatzsteuer ist vielmehr der kassenwirksame Landesanteil an der Umsatzsteuer des Vorjahres zzgl. einer Veränderungsrate. Abrechnung der Umsatzsteuer a) Täglicher Vollzug der vertikalen und horizontalen Umsatzsteuerverteilung Das örtliche Umsatzsteueraufkommen der nordrhein-westfälischen Finanzämter übersteigt regelmäßig den Anteil an der Umsatzsteuer, der Nordrhein-Westfalen nach § 2 des Finanzausgleichsgesetzes zusteht. Hier gibt es bei allen Ländern Abweichungen. Daher wird im Rahmen einer Rechtsverordnung für jedes Land einmal jährlich ein Prozentsatz festgelegt, der täglich auf das örtliche Umsatzaufkommen angewendet und an den Bund abgeführt werden muss. Dieser Prozentsatz wird anhand von Aufkommenszahlen des Bundes und der Länder in der Vergangenheit geschätzt und betrug für das Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2015 64,9 Prozent. Der Abführungssatz deckt die Ablieferung des Bundesanteils am Aufkommen der Umsatzsteuer (53,2 Prozent) sowie den im Rahmen des horizontalen Ausgleichs anderen Ländern zustehenden (ebenfalls geschätzten) Anteil ab. Darin enthalten sind dann auch die Beiträge für den Umsatzsteuerausgleich. b) Quartalsweise Zwischenabrechnungen der gesamten Umsatzsteuer Nach Ablauf eines Quartals wird ermittelt, wie viel Umsatzsteuer dem Bund und den einzelnen Ländern unter Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung ihrer Steuerkraft und der Entwicklung der Einwohnerzahlen nach dem Finanzausgleichsgesetz zugestanden hat. Auf diese „Sollbeträge“ werden die von den Ländern im täglichen Vollzug geleisteten Vorauszahlungen angerechnet. Außerdem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 5 werden die vom Bund vereinnahmten und mit den Ländern monatlich abgerechneten Länderanteile am Aufkommen der Einfuhrumsatzsteuer berücksichtigt. Im Rahmen dieser Zwischenabrechnungen der vertikalen und horizontalen Umsatzsteuerverteilung kommt es häufig zu Erstattungen oder Nachzahlungsbeträgen in dreistelliger Millionenhöhe. Die Beträge sind jeweils quartalsweise nachträglich am 15.06. (1. Quartal des Ausgleichsjahres), 15.09. (1.-2. Quartal des Ausgleichsjahres), 15.12. (1.-3. Quartal des Ausgleichsjahres) und 15.03. des Folgejahres (1.-4. Quartal des Ausgleichsjahres) fällig. Die nachfolgende Tabelle stellt die Abrechnungen im Laufe des Jahres 2015 zusammen: Abrechnungszeitraum Fälligkeit Datum der Zwischenabrechnung des BMF Betrag 1.-4. Quartal 2014 16.03.2015 03.03.2015 2.288.811,54 € 1. Quartal 2015 15.06.2015 12.05.2015 -331.775.561,12 € 1.-2. Quartal 2015 15.09.2015 31.08.2015 39.433.585,43 € 1.-3. Quartal 2015 15.12.2015 07.12.2015 -534.822.861,28 € 5. Worauf stützt die Landesregierung die Erwartung, dass der im 4. Nachtragshaushalt 2015 auf Vorschlag des Finanzministers zugrunde gelegte Steuereinnahmeansatz tatsächlich erreicht wird? Der Steueransatz des am 27.10.2015 vom Kabinett und am 16.12.2015 vom Landtag beschlossenen 4. Nachtragshaushaltes 2015 basiert auf der Steuereinnahmeentwicklung bis Ende September 2015 sowie der darauf aufbauenden Projektion bis zum Jahresende. Ende September 2015 wies der Landeshaushalt im Bereich der Steuereinnahmen eine Gesamtveränderungsrate von +8,8 v.H. gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum aus. Unter Berücksichtigung der bis dato guten Umsatzsteuer- und Lohnsteuerentwicklung wurde dieses Niveau annähernd durchgeschrieben und für das Gesamtjahr 2015, im Vergleich zu den gesicherten Erkenntnissen bis September 2015, eine leicht verminderte Steigerungsrate von +8,4 v.H. veranschlagt. Die zu erwartende vorläufige Abrechnung der Umsatzsteuer im 4. Quartal 2015 stellt insoweit keine Abrechnung des Umsatzsteuerausgleichs, sondern eine Zwischenabrechnung der vertikalen und horizontalen Umsatzsteuerverteilung dar. Maßgebend für diese Berechnung ist daher die Steuerkraft und die Einwohnerzahlen im Ländervergleich und nicht die Entwicklung des Umsatzsteueraufkommens. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 6 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10865 7 Stand: 22.12.2015 A n la g e 1 Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10865