LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10870 26.01.2016 Datum des Originals: 25.01.2016/Ausgegeben: 29.01.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4103 vom 30. November 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/10356 Sinnvolle Maßnahmen gegen eine Kostenexplosion bei landeseigenen Bauvorhaben – Welche Erfahrung macht der Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes (BLB) bislang mit garantierten Maximalpreisen (GMP-Verträge) bei Neubauerstellungen? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 4103 mit Schreiben vom 25. Januar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In den zurückliegenden Jahren hat der landeseigene Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB) zu oft mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht. Dubiose Immobiliengeschäfte in dreistelliger Millionenhöhe mit sagenhaften Kostensteigerungen, der Verdacht unerlaubter Zahlungen sowie abenteuerliche Vertragsgestaltungen führten sogar in diesem Sommer zur Anklage des früheren Geschäftsführers sowie zweier weiterer Beschuldigter. Bereits im Jahr 2011 hat der nordrhein-westfälische Landtag vor diesem ernsten Hintergrund einen BLB- Untersuchungsausschuss eingesetzt, der nach einer durch die Parlamentsneuwahl 2012 bedingten Unterbrechung seine Arbeit danach wieder aufgenommen hat und derzeit etliche Immobilienprojekte des Landes untersucht. Die Liste immenser Kostensteigerungen und von Fehlkalkulationen bei Landesbauten in Nordrhein-Westfalen ist erschreckend lang. Besonders präsent auch in der öffentlichen Wahrnehmung sind sicherlich die Kostenexplosionen beim Landesarchiv in Duisburg oder verschiedene Hochschulgebäude. Aber auch zahlreiche kleinere Bauprojekte wie Neubauten oder Sanierungen an anderen Universitäten oder diversen Landeseinrichtungen haben die ursprünglich geplanten Baukosten um teils enorm hohe Millionenbeträge gesprengt. Bei all den betroffenen Projekten geht es naturgemäß stets um eine voluminöse Verschwendung von Steuergeldern, die bei wichtigen Projekten an anderer Stelle im Landeshaushalt fehlen. Experten sind sich einig, dass sich Kostenexplosionen bei Bauprojekten aus verschiedenen Faktoren ergeben können. So kommen durch oft langwierige Planungsphasen allgemeine LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10870 2 Preissteigerungen zu den ursprünglich angestellten Preiskalkulationen hinzu. Außerdem werden teure Kostenfallen oft erst während der Bauphase entdeckt – vor allem bei Altbauten eine häufige Problematik. Zeitdruck bei der Planung und Vergabe an unrealistisch günstige Baufirmen können darüber hinaus ebenso problematisch sein wie eine zuvor aus politischen Gründen künstlich niedrige Kalkulation vieler Projektkosten durch die Verwaltung, um ein Bauvorhaben gegen öffentliche Widerstände zunächst leichter durchsetzen zu können. Zahlreiche Baudesaster in Nordrhein-Westfalen hätten sich aber auch durch eine andere Vertragsgestaltung, beispielsweise durch den Abschluss eines sogenannten Garantierten Maximalpreisvertrages (GMP-Vertrag), von Beginn an verhindern lassen können. Unter dem Begriff GMP-Vertrag ist eine moderne, besondere Art einer Baupreisvereinbarung zwischen Auftraggeber (Bauherr) und Auftragnehmer (Generalunternehmer) zu verstehen, bei welcher vorab das zu erbringende Leistungssoll sowie der maximale Höchstpreis vereinbart werden. Es soll so verhindert werden, dass Bauunternehmer nach Abschluss eines Bauvertrages für im Vertrag ursprünglich nicht vorgesehene oder vergessene, aber notwendige Leistungen zusätzliche Nachforderungen stellen. Der GMP-Vertrag ähnelt einem Pauschalpreisvertrag, der mit einem Generalunternehmen abgeschlossen wird. Das neue Preissystem beruht auf der Grundlage der Einbeziehung der Bauunternehmen in die Planungsphase, die so schon zu einem frühen Zeitpunkt an einem Projekt mitarbeiten und sich einbringen können. Ergibt sich am Ende durch tatsächliche Einsparungen ein Preis, der unterhalb des vereinbarten Höchstpreises liegt, teilen sich der Auftraggeber und Bauunternehmer nach einem vorher festgelegten Schlüssel diese Differenz. Es gibt verschiedene Varianten des GMP-Vertrages, die alle ein hohes Maß an Vertrauen der Beteiligten untereinander sowie Transparenz bei der Abrechnung voraussetzen. Mit einem GMP-Vertrag lassen sich also sowohl die Ziele des Auftraggebers, nämlich die Minimierung der Baukosten, als auch die des Auftragnehmers, also die Maximierung des Gewinns, bei erfolgreichem Planungs- und Bauprozess erreichen. Da sich die Kostenexplosionen bei Bauprojekten des BLB in den letzten Jahren kaum haben eindämmen lassen, scheint es angeraten, sich intensiver mit Instrumenten zur Optimierung der Bauvorhaben des Landes zu befassen. Wie beschrieben setzt das GMP-Vertragsmodell eine so präzise Vorplanung voraus, dass seitens des BLB in der Planungsphase korrekter und detaillierter gearbeitet werden müsste, um beispielsweise alle Leistungsverzeichnisse aufzustellen oder gewünschte Standards zu definieren. Genau daran hat es bislang leider oftmals gefehlt. Es hat bei der Vergabe von Bauaufträgen keine konkreten Planungen bzw. keine detaillierten Leistungsverzeichnisse über die einzelnen Gewerke gegeben. Deshalb existierte häufig auch keine belastbare Kostenkalkulation. Das Hauptaugenmerk für eine kostenstabile Bauleistung sollte demnach beim Landesbetrieb auf einer genauen, möglichst detailreichen Planung liegen. Wer über eine solche verfügt, reduziert in erheblicher Weise das Risiko von Baunachträgen (also Kostensteigerungen), denn eine sachgerechte präzise Ausführung aller Gewerke ist dann quasi bereits Gegenstand der vertraglich vereinbarten Leistung gewesen. Vorbemerkung der Landesregierung Der Fragesteller problematisiert, dass es bei Projekten des BLB NRW in der Vergangenheit zu Kostensteigerungen gekommen ist. Dass diese Projekte in auffälliger Weise in die Zeit der schwarz-gelben Vorgängerregierung fallen, findet keine Erwähnung. Das gilt insbesondere für das von dem Fragesteller beispielhaft erwähnte Vorhaben der Kostenexplosion beim Landesarchiv in Duisburg. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10870 3 Die jetzige Landesregierung hat mit den Eckpunkten zur Neuausrichtung des BLB Maßnahmen zur Umstrukturierung ergriffen, um in Zukunft Fälle von Kostensteigerung zu reduzieren. Immer wird das nicht zu vermeiden sein, weil sich zum Beispiel nicht verhindern lässt, dass ein ausführendes Unternehmen in die Insolvenz geht. 1. Wie viele neue Bauvorhaben hat der BLB, bitte unter Angabe einer sinnvollen Klassifizierung der Bauleistungsvolumina, in den letzten fünf Jahren neu in Angriff genommen? Volumen und Anzahl der seit 2011 begonnenen PS-Projekte sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt: Größenordnung Anzahl der Projekte a) 0 bis 250 Tsd. € 7.337 b) 250 Tsd. bis 2,5 Mio.€ 1.074 c) 2,5 Mio. bis 7,5 Mio. € 129 d) 7,5 Mio. bis 25 Mio. € 62 e) > 25 Mio. € 42 Gesamtergebnis 8.644 2. Für namentlich welche dieser neu in Angriff genommenen Bauprojekte aus den letzten fünf Jahren hat der BLB jeweils GMP-Verträge abgeschlossen? Der Abschluss von GMP-Verträgen ist weder immer sinnvoll noch möglich. Der BLB NRW ist als öffentlicher Auftraggeber dem Vergaberecht (u.a. mit Beachtung des Tariftreuegesetzes) verpflichtet. Das Vergaberecht regelt aus guten Gründen, dass öffentliche Bauaufträge regelmäßig im Wege von Fach- und Teillosen zu vergeben sind. Von einer Aufteilung und/oder Trennung der Lose kann nur bei Vorlage gewichtiger wirtschaftlicher oder technischer Gründe abgesehen werden. Insoweit genügen nicht lediglich vertretbare Gründe, sondern müssen überwiegende Gründe für eine Gesamtvergabe sprechen. Ein solcher Grund kann ein Abschluss eines GMP-Vertrages sein -nicht als Regel-, sondern als Ausnahmefall. Die Vergabe an einen Generalunternehmer mit GMP-Vertrag ist in jedem Einzelfall maßnahmenbezogen zu prüfen und zu begründen. Ein Beispiel dafür ist der Neubau eines Ersatzgebäudes in der Ruhr Universität Bochum (RUB). Dort wurden GMP-Verträge abgeschlossen. In diesen Fällen waren das Pauschalverträge mit Bonusregelungen für Optimierungsvorschläge und Schlüsselfertigbauverträge. 3. Welche konkreten Erfahrungen hat der BLB bislang mit seinen GMP-Verträgen jeweils bei den einzelnen Projekten gemacht? Die bisherigen Erfahrungen zu den mit – nach kritischer Prüfung vergebenen – GMP- Vertragsprojekten sind auf Seiten des BLB NRW positiv. Zwar sind in einem Projekt die Kosten LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10870 4 um 12 % gestiegen, Ursachen waren jedoch bautechnische und statische Mängel, die erst in der Bauphase erkannt wurden. Diese Kostensteigerung kann dem eigentlichen GMP Vertrag nicht zugeordnet werden, da die benannten Ursachen nicht voraussehbar waren. 4. Welche wesentlichen Ursachen für Kostensteigerungen sind aus Sicht des BLB jeweils in der Hauptsache kausal verantwortlich für die Baukostenüberschreitungen der in den letzten fünf Jahren neu in Angriff genommen Projekte? Die Landesregierung hat die wesentlichen Ursachen für vermeidbare Kostensteigerungen durch die Umstrukturierung des BLB beseitigt. Diese im Eckpunktepapier zur Neuausrichtung des BLB aufgeführten Punkte sind: Aufstellung eines neuen Verwaltungsrates mit baufachlicher Kompetenz. Investitionsentscheidungen werden nur mit vorheriger Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, einer Risikoanalyse und einer Alternativprüfung gefällt. Verbesserte Projektkontrolle durch die Änderung der Anweisungen über die Verwaltung und Organisation des Bau- und Liegenschaftsbetriebs. Bei Projekten, die vor 2010 begonnen wurden, waren die ursprünglich angesetzten Kosten der Baumaßnahmen oft durch die im Haushalt vorgegebenen Kostenansätze limitiert (sog. „politische Zahlen“). Dabei blieb außer Acht, dass die Kundenbedarfe (Bausoll) nicht reduziert bzw. nicht ausreichend veranschlagt worden waren. Bei derartigen Projekten waren Baukostenüberschreitungen vorprogrammiert. 5. Mit jeweils welchem Erfolg hat der BLB bei in den letzten fünf Jahren neu in Angriff genommen Projekten durch neue Vertragsgestaltungen oder reformierte Arbeitsweisen die bisherigen Fehlleistungen vermieden? (bitte unter Angabe einer kriteriengeleiteten Evaluation) Der BLB NRW hat einen Piloten für ein sogenanntes Partnerschaftsmodell aufgelegt. Mit dem Eckpunktepapier wurden im Verhältnis zwischen BLB NRW und seinen Mietern neue Verfahrensregelungen festgelegt: Keine „politischen Zahlen“ bei Kostenansätzen. Keine Planung ohne konkrete Mieteranforderungen. Keine Bauausführung ohne verbindlich festgelegtes Bausoll. Kein Mietangebot vor Erstellung der Ausführungsplanung. Führen eines Änderungsmanagements nach Festlegung des Bausolls. Pilotweise Einführung von neuen Vertragsmodellen (z.B. Pre-Construction/PreFair oder Partnerschaftsmodell). Einführen und Stärkung neuer Kompetenzen in den Projektteams, insbesondere Planungskoordination und Claim-Management. Diese Maßnahmen führen zu einer erkennbar höheren Kostensicherheit. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10870