LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10920 28.01.2016 Datum des Originals: 27.01.2016/Ausgegeben: 02.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4185 vom 22. Dezember 2015 der Abgeordneten Ina Scharrenbach CDU Drucksache 16/10581 Verabreichen von Opiaten durch Notfallsanitäter Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 4185 mit Schreiben vom 27. Januar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit dem Erlass vom 11. Juli 2014 wurden durch das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen die Ausführungsbestimmungen zur Notfallsanitäter-Ausbildung in Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Gegenstand der Erlasslage ist auch die Veröffentlichung des Medikamentenkataloges „Invasive Maßnahmen durch Notfallsanitäterinnen und –sanitäter“ (Anlage 3), der 1:1 der Empfehlung des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e.V. und des Bundesverbandes der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst vom 15. Februar 2014 entspricht. Der Medikamentenkatalog stellt in Nordrhein-Westfalen den Mindestumfang für die Medikamente dar, die während der Ausbildung zum Notfallsanitäter erlernt werden sollen. Die Anwendung in der rettungsdienstlichen Praxis ergibt sich aus den Arbeitsanweisungen (SOP) der zuständigen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass weitere Bestimmungen (zum Beispiel das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln) unberührt bleiben. In § 4 Absatz 2 Buchstabe c des Notfallsanitätergesetzes heißt es: „Die Ausbildung […] soll insbesondere dazu befähigen, die folgenden Aufgaben eigenverantwortlich auszuführen: […] Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, […].“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10920 2 Der oben angesprochene Medikamentenkatalog enthält im Rahmen der Aufzählung auch „Opiate“. Diese unterliegen dem § 13 BtMG und dürfen nur nach ärztlicher Weisung verabreicht werden. Diese „ärztliche Weisung“ schließt meines Erachtens das „eigenverantwortliche“ Handeln eines Notfallsanitäters nach geltender Rechtslage aus, mithin: Auf Basis des Medikamentenkataloges dürfte ein Notfallsanitäter Opiate im Notfalleinsatz verabreichen – macht er dies allerdings „eigenverantwortlich“ (und ohne Weisung eines Arztes) verstößt er gegen das BtMG. Daraus resultierende mögliche Rechtsfolgen für den Notfallsanitäter sind absehbar. 1. Dürfen häufig vor einem Notarzt an der Einsatzstelle eintreffende Notfallsanitäter ohne ärztliche Verordnung im Einzelfall ein Opiat zur Analgesie applizieren? Nach den Regelungen des BtMG sind Opiate als Betäubungsmittel einzustufen. Diese dürfen nach den Regelungen des § 13 BtMG nur von dem dort genannten Personenkreis verschrieben, verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter werden dort nicht genannt. Hiervon zu differenzieren ist die Aufzählung der Medikamente in der Anlage 2 zu den Ausführungsbestimmungen zur Notfallsanitäter-Ausbildung in NRW – Teil II (Medikamentenkatalog „invasive Maßnahmen durch Notfallsanitäterinnen und – sanitäter“). Diese stellt lediglich den Mindestumfang an Wissen dar, der den Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern in der Ausbildung zum Erreichen des in § 4 NotSanG beschriebenen Ausbildungszieles vermittelt werden soll und markiert gleichzeitig den staatlichen Ausbildungsauftrag für Schulen und Einrichtungen, die die Ausbildung zur Notfallsanitäterin oder zum Notfallsanitäter durchführen. Eine pauschale Aussage zur Verabreichung solcher Stoffe in der Praxis enthält diese Anlage nicht. Erst recht sind in der Anlage 2 zu den Ausführungsbestimmungen zur Notfallsanitäterausbildung in NRW Teil II keine Ausnahmetatbestände zum BtMG enthalten. Dies wäre bereits aus Kompetenzgründen rechtlich nicht möglich. Andere gesetzliche Vorschriften bleiben nach dem ausdrücklichen Wortlaut der genannten Anlage unberührt. Dies schließt nicht aus, dass Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter im konkreten Einzelfall berechtigt - unter Umständen wegen einer Garantenstellung auch verpflichtet - sein können, sog. „Notmaßnahmen“ (§ 4 Absatz 2 Nummer 1 c NotSanG) bei Abwesenheit einer Ärztin oder eines Arztes zu ergreifen, die unter Umständen auch die Gabe von Opiaten erfordern können. Im Rahmen der Ausbildung sollen sie hierfür mit entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet werden. Solche Situationen setzen regelmäßig eine sehr sorgfältige Prüfung und Abwägung aller Umstände im Einzelfall voraus, die nicht pauschal beschrieben werden können. Hier spielt die Gefahrensituation für die betroffenen Patientinnen und Patienten bei weiterem Zuwarten eine entscheidende Rolle. Jedenfalls müssen die Maßnahmen vom Personal beherrscht werden. Zum medizinischen Standard und den Sorgfaltspflichten bei Maßnahmen, die im Rahmen der Notkompetenz von Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten durchgeführt worden sind, existieren Richtlinien der Bundesärztekammer aus dem Jahr 1992, welche noch an das neue Berufsbild der Notfallsanitäterin/des Notfallsanitäters anzupassen sind. Hinsichtlich der Voraussetzungen und Reichweite der Notkompetenz besteht in Rechtsprechung und Literatur keine Einigkeit. Bereits die Frage, ob § 34 StGB Anwendung finden kann oder die Grundsätze der (mutmaßlichen) Einwilligung gelten, ist umstritten. Eine LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10920 3 pauschale Bewertung verbietet sich deshalb. Es kommt jeweils auf die Umstände des Einzelfalls an. Bereits im Gesetzgebungsverfahren zum NotSanG (Drucksache 608/12) wurde daher die aus Sicht der Länder unzureichende bzw. unscharfe Regelung des § 4 NotSanG kritisiert. Durch § 4 NotSanG sollte ausweislich der Gesetzesbegründung lediglich (siehe oben) das Ausbildungsziel umschrieben, nicht aber die Befugnis zur Ausübung in der Praxis geregelt werden. Gleichzeitig sollte § 4 Absatz 2 Nummer 1 c NotSanG als eine Auslegungshilfe für die Fälle des rechtfertigenden Notstands dienen können. Die Länder befürworteten im Rahmen der Empfehlung der beteiligten Ausschüsse (Drucksache 608/1/12) die Einfügung eines neuen § 4a NotSanG, der eine Ausnahme zu den Regelungen des Heilpraktikergesetzes enthalten und so die zukünftigen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter berechtigen sollte, die Tätigkeiten des § 4 Absatz 2 Nummer 1 c NotSanG auch tatsächlich (bis zum Eintreffen einer Ärztin oder eines Arztes) auszuüben. Hiermit hätte man für das Rettungspersonal vor Ort mehr Rechtssicherheit schaffen können. Dieser Forderung der Länder ist nicht gefolgt worden. Einer Regelung durch Landesgesetze ist durch das Bundesgesetz der Weg versperrt. 2. Sind der Landesregierung Arbeitsanweisungen (SOP) von Ärztlichen Leitern Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen bekannt, die eine allgemeine Freigabe in Bezug auf das Verabreichen von Opiaten durch Notfallsanitäter zum Gegenstand haben? 5. Beabsichtigt die Landesregierung klarstellende Hinweise an die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst in Nordrhein-Westfalen zum Verabreichen von Opiaten durch Notfallsanitäter zu veröffentlichen? Die Fragen 2 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Nein. Die Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst sind in den o.g. Ausführungsbestimmungen gebeten, für die Anwendung von Maßnahmen und Medikamenten in der rettungsdienstlichen Praxis landeseinheitliche Arbeitsanweisungen zu entwickeln und diese dem Ministerium (MGEPA) vorzulegen. Es ist erklärtes Ziel der Landesregierung, eine heterogene Auslegung des § 4 NotSanG durch die Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst zu vermeiden. Das MGEPA wird nach Vorlage der Standard Operation Procedures (SOPs) durch die Ärztlichen Leiter Rettungsdienst prüfen, ob eine Veröffentlichung von klarstellenden Hinweisen erforderlich ist. 3. Ist es aus Sicht der Landesregierung zulässig, dass ein Notfallsanitäter ein Opiat nach telefonischer ärztlicher Anordnung zur Analgesie appliziert? Die Befugnisse des § 13 Absatz 1 BtMG beschränken sich auf Ärztinnen, Ärzte, Zahnärztinnen, Zahnärzte, Tierärztinnen und Tierärzte. Das Verschreiben eines Opiats im Rahmen des § 13 Absatz 1 BtMG kann nur von der Ärztin oder dem Arzt selbst vorgenommen werden. Gleichzeitig ist die Diagnosestellung, die in der Regel der Verabreichung oder der Überlassung eines solchen Betäubungsmittels vorangeht, heilberufliche Tätigkeit und muss daher von ärztlichem Personal gestellt werden. Eine solche Diagnose setzt weiterhin regelmäßig voraus, dass sich die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Behandlung einen unmittelbaren Eindruck - LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10920 4 auch durch Sichtkontakt – von der betroffenen Patientin oder von dem Patienten verschaffen können. Dies dürfte bei einem telefonischen Kontakt zur Notfallsanitäterin oder zum Notfallsanitäter nicht möglich sein. Wenn allerdings (siehe unter Frage 1) eine Notfallsanitäterin oder ein Notfallsanitäter bereits im Rahmen einer im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände vorliegenden Notkompetenz ausnahmsweise berechtigt und möglicherweise auch zum Handeln verpflichtet sein kann, ohne die vorherige Weisung einer Ärztin oder eines Arztes tätig zu werden, muss dies erst recht nach telefonischer Weisung in einer solchen Ausnahmesituation gelten. Auch hier muss jedoch das Zuwarten auf das Erscheinen der Ärztin oder des Arztes unter Berücksichtigung des Zustandes der bzw. des Betroffenen ausgeschlossen sein, sind also die Umstände des Einzelfalls entscheidend. 4. Macht es dabei aus Sicht der Landesregierung – unter Berücksichtigung der vorstehenden Fragen – einen Unterschied, ob Notfallsanitäter oder entsprechend geschulte Rettungsassistenten bzw. geschulte Rettungssanitäter tätig werden? Gemäß § 13 BtMG ist das Verschreiben und die Verabreichung von Opiaten grundsätzlich nur durch ärztliches Personal zulässig; dem Wortlaut zufolge kommt es alleine auf diese Qualifikation an (siehe hierzu auch Antwort auf Frage 2). Die Verabreichung von anderen Personen als den in § 13 BtMG genannten kommt von vornherein nur dann in Frage, wenn diese die Verabreichung und die etwaigen Nebenwirkungen und Komplikationen, die auftreten können, beherrschen und eine entsprechende Weisung des ärztlichen Personals vorliegt. Hierzu bleibt festzuhalten, dass die Verabreichung von Opiaten noch nicht verpflichtend in der Ausbildung zur Rettungsassistentin oder zum Rettungsassistenten enthalten war. Von entsprechenden Kenntnissen kann daher nicht von vorneherein ausgegangen werden. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10920