LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/10938 01.02.2016 Datum des Originals: 21.01.2016/Ausgegeben: 04.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4182 vom 21. Dezember 2015 des Abgeordneten Dirk Wedel FDP Drucksache 16/10576 Wie erfolgt die Zeugenbetreuung an den nordrhein-westfälischen Gerichten? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 4182 mit Schreiben vom 21. Januar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 08.12.1997 nahm als erste ihrer Art in Nordrhein-Westfalen die Zeugenbetreuungsstelle beim Amts- und Landgericht Düsseldorf ihre Arbeit auf. 1999/2000 folgte die Zeugenbetreuungsstelle am Amts- und Landgericht Köln, deren Angebot im Jahr 2007 von 2283 Zeugen wahrgenommen wurde (http://www.zeugenbetreuung.de/pdf/Zeugenbetreuungduesseldorf -2008_tagung5_doku.pdf). Nach einer am 22.11.2012 präsentierten Umfrage soll daneben am Landgericht Wuppertal eine Zeugenbetreuungsstelle eingerichtet sein. Über Zeugenzimmer verfügten die Landgerichte Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Detmold, Dortmund, Essen, Hagen, Kleve, Krefeld und Paderborn. Bei den Landgerichten Detmold, Duisburg und Kleve kümmere sich bei Bedarf der Allgemeine Soziale Dienst um Zeugen, bei den Landgerichten Dortmund, Krefeld, Mönchengladbach und Münster bei Bedarf die Wachtmeisterei, bei den Landgerichten Bielefeld, Bochum und Essen bei Bedarf Bedienstete aus dem Bereich der Justizbeschäftigten bzw. dem mittleren Dienst. Die Landgerichte Aachen, Bonn, Hagen und Paderborn verfügten über Zeugenbetreuungszimmer ohne professionelle Betreuung (vgl. http://www.opferhilfen.de/Praesentation_Berlin2012.pdf). In der WAZ vom 25.04.2012 hat sich Justizminister Kutschaty für eine Verbesserung der Zeugenbetreuung ausgesprochen. Wer gegen seinen Peiniger vor Gericht aussagen müsse, dürfe nicht allein gelassen werden, so der Justizminister. Ihm schwebe vor, dass Zeugen am LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10938 2 Tag des Verfahrens zuhause abgeholt und durchgehend begleitet werden. Es gebe erfolgreiche Pilotprojekte an verschiedenen NRW-Gerichten. „Das ist etwas, das wir ausbauen müssen“, wird Minister Kutschaty in dem Artikel zitiert (http://www.derwesten.de/politik/nrwwill -opfer-von-verbrechen-besser-betreuen-id6590658.html#plx115442260). Zur 42. Sitzung des Rechtsausschusses am 11.03.2015 berichtete Justizminister Kutschaty, die Expertengruppe Opferschutz habe die Bedeutung der Zeugenbetreuung hervorgehoben und als sinnvoll erachtet, über die bereits bestehenden Einrichtungen hinaus Zeugenbetreuungsstellen landesweit bei allen 19 Landgerichten einzurichten (Vorlage 16/2747, Seite 4). Dieser Empfehlung werde durch den kontinuierlichen Ausbau der Zeugenbetreuungsstellen und Zeugenbetreuungszimmer bei den nordrhein-westfälischen Gerichten Rechnung getragen (Vorlage 16/2747, Seite 5). Auf Nachfrage erklärte der Justizminister dann in der Sitzung, man sei auf einem guten Weg, dass die Gerichte das vor Ort einrichteten und auch die Unterstützung bekämen. Die genaue Zahl könne er im Augenblick nicht nennen (APr 16/851, Seite 48). 1. An welchen nordrhein-westfälischen Gerichten ist eine Zeugenbetreuung eingerichtet (bitte mit Angabe des Zeitpunktes der Einrichtung)? 2. Von wie vielen Zeugen wurde das entsprechende Angebot an den jeweiligen Gerichten jeweils in den Jahren 2014 und 2015 wahrgenommen? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Bei den Amts- und Landgerichten in Nordrhein-Westfalen werden entsprechend den jeweils unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten unterschiedliche Ansätze zur Gewährleistung der Zeugenbetreuung gewählt. Die Justiz unterstützt die jeweils gewachsene Infrastruktur durch angemessene organisatorische Maßnahmen. So haben sich zahlreiche Akteurinnen und Akteure der Zivilgesellschaft auf die Betreuung von Zeuginnen und Zeugen spezialisiert und darin große Sachkunde und Erfahrung erworben. Einrichtungen wie der WEISSE RING, besondere Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt, Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel oder Hilfseinrichtungen für Kinder genießen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. An vielen Standorten sind Kooperationen zwischen privaten Beratungsstellen und den anwaltlichen Vertreterinnen und Vertretern der Nebenklage entstanden. Daneben tritt der polizeiliche Zeugenschutz, der besondere Sicherheitsanforderungen stellt. In einer Vielzahl von Gerichten in Nordrhein-Westfalen sind Zeugenzimmer - teilweise auch ausgestattet für die Kinderbetreuung - eingerichtet. Im Rahmen der baulichen Möglichkeiten werden bei den übrigen Gerichten im Bedarfsfall andere, geeignete Räumlichkeiten für den Aufenthalt von Zeugen genutzt. Dies sind zum Beispiel Aufenthaltsräume für Kinder, Multifunktionsräume, Mediationsräume oder Büroräume. Diese Räumlichkeiten bieten den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, in einer ruhigen und geschützten Atmosphäre mit der Betreuungsperson ihres Vertrauens oder mit ihren anwaltlichen Vertreterinnen und Vertretern auf ihren Termin zu warten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10938 3 Daneben gibt es nach den Berichten der Präsidentin und Präsidenten der Oberlandesgerichte gerichtliche Zeugenbetreuungsstellen beim Land- und Amtsgericht Düsseldorf seit 1997, beim Landgericht Bielefeld seit 2000, beim Landgericht Essen seit 2000, beim Landgericht Duisburg seit 2000, beim Land- und Amtsgericht Köln seit 2001, beim Landgericht Wuppertal seit 2003, beim Landgericht Kleve seit 2005, beim Landgericht Detmold seit 2008. Ergänzende Hilfestellung leisten den Zeuginnen und Zeugen an vielen Standorten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ambulanten Sozialen Dienstes oder andere Beschäftigte des Gerichts. Die Organisation der Zeugenbetreuung bei den jeweiligen Gerichten obliegt den jeweiligen Dienstvorgesetzten im Rahmen ihrer Organisationshoheit. Eine landesweit einheitliche Regelung ist nicht angezeigt, weil stets auf die jeweiligen Gegebenheiten und gewachsenen Arbeitsstrukturen vor Ort Bedacht zu nehmen ist. Statistiken dazu, von wie vielen Zeuginnen und Zeugen die unterschiedlichen Angebote an den jeweiligen Gerichten jeweils in den Jahren 2014 und 2015 wahrgenommen wurden, werden nicht geführt. 3. Welche personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen stehen an den betreffenden Gerichten jeweils für die Zeugenbetreuung zur Verfügung (bitte in Bezug auf das Personal mit Angabe der jeweiligen Qualifikation)? 4. Welche Maßnahmen hat Justizminister Kutschaty seit dem 25.04.2012 zum Ausbau der Zeugenbetreuung an nordrhein-westfälischen Gerichten ergriffen (bitte die einzelnen Maßnahmen gegebenenfalls nach den einzelnen Gerichten differenziert aufführen)? Die Fragen 3 und 4 werden gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung hat wiederholt deutlich gemacht, dass ihr der Opferschutz ein zentrales Anliegen ist. Im Vorwort des im Jahr 2012 vorgelegten Opferschutzberichts der Landesregierung hat Frau Ministerpräsidentin Kraft dementsprechend betont, dass diejenigen, die Opfer einer Straftat geworden sind, nicht nur Anspruch auf Wiederherstellung des Rechtsfriedens, ihrer Würde und Integrität, sondern auch auf den Schutz vor weiteren Schäden und auf die Unterstützung bei der Überwindung erlittener Traumata haben. Hierfür ist die Zeugenbetreuung ein wichtiger Baustein. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung intensiv und erfolgreich an der Schaffung eines Rechtsanspruchs auf psychosoziale Prozessbegleitung mitgewirkt. Ein Vertreter des Justizministeriums hat als Mitglied der durch die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 13. und 14. Juni 2012 in Wiesbaden eingesetzten Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses zur psychosozialen Prozessbegleitung die Entwicklung verbindlicher Mindeststandards mitgestaltet. Die psychosoziale Prozessbegleitung umfasst hiernach die qualifizierte Betreuung, Informationsvermittlung und Unterstützung im gesamten Strafverfahren mit dem Ziel, die individuelle Belastung der Opfer zu reduzieren und eine Sekundärviktimisierung zu vermeiden. Der Rechtsanspruch besteht ab dem 1. Januar 2017. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/10938 4 Besonders schutzwürdigen Opfern von Straftaten wird damit ermöglicht, an allen Gerichten eine kompetente Betreuung in Anspruch zu nehmen. Dies stellt einen entscheidenden Schritt zur nachhaltigen Verbesserung des Opferschutzes dar. Parallel dazu dienen gezielte Einzelmaßnahmen der Verbesserung der Zeugenbetreuung an den Gerichten: Der Präsident des Landgerichts Düsseldorf organisiert seit geraumer Zeit in Zusammenarbeit mit weiteren Landgerichten bewährte Supervisionsveranstaltungen für Zeugenbetreuerinnen und -betreuer. Die Generalstaatsanwältin in Köln hat das Thema „Zeugenbetreuung“ in diesem Jahr in einen zweitägigen Erfahrungsaustausch der Leiterinnen und Leiter sowie Dezernentinnen und Dezernenten der Abteilungen für die Verfolgung von Sexualstraftaten eingebunden. Die für die Zeugenbetreuung zur Verfügung stehenden Ressourcen sind grundsätzlich aus bereiten Mitteln des Einzelplans der Justiz zu schöpfen. Zur Verwendung der Haushaltsmittel im Einzelnen liegt der Landesregierung kein Datenmaterial vor. Gleiches gilt für den Personaleinsatz und die Qualifikation der im Einzelnen eingesetzten Personen. 5. An welchen Gerichten erfüllt die Zeugenbetreuung bereits die sich aus dem Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren ergebenden Anforderungen? Die Landesregierung gewährleistet durch intensive Vorarbeiten und engen Kontakt mit den in der Opferhilfe tätigen freien Trägern die flächendeckende Umsetzung des Rechtsanspruchs auf psychosoziale Prozessbegleitung. Ob und ggf. in welchem Umfang psychosoziale Prozessbegleitung ab dem 1. Januar 2017 durch Zeugenbetreuungsstellen an den Gerichten erfolgen wird, ist Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen Prüfung. Neben verschiedenen Mitarbeiterinnen freier Träger arbeiten entsprechend qualifizierte psychosoziale Prozessbegleiterinnen bereits jetzt in der Zeugenbetreuungsstelle des Amtsund Landgerichts Köln. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/10938