LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11084 09.02.2016 Datum des Originals: 04.02.2016/Ausgegeben: 12.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4195 vom 3. Januar 2016 der Abgeordneten Ralf Witzel, Karlheinz Busen und Henning Höne FDP Drucksache 16/10632 Nordrhein-Westfalen – das Land der sonderbaren Fortbildungen: Fairtrade-School, Greening, Vegan Snacking, Wildkräuterwochenende, Bienenschmaus, mein Essen und die Welt, Heuschrecken-Jahrestreffen, Workshop der Haselhuhnexperten & Co – Wieviel Steuergeldverschwendung für die Promotion grüner Lebensstile wird von der Landesregierung auch im neuen Jahr 2016 wieder praktiziert? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4195 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Passend zum Jahresbeginn hat die nordrhein-westfälische Landesregierung auch in diesem Jahr ihr neues sogenanntes „Bildungsprogramm 2016“ veröffentlicht. Zusammen mit den verschiedenen Naturschutzverbänden wird von Umweltminister Johannes Remmel das rund 120 Seiten umfassende Seminarprogramm mit mehr als 200 Veranstaltungen beworben, das sich um zahlreiche Fragen der Selbstbesinnung und alternative Lebensformen kümmert. Fast nichts ist dieser Landesregierung dabei gleichgültig. In seinem Geleitwort formuliert die Landesregierung zur Bedeutung dieser Angebote wörtlich: „Die Zusammenhänge im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung deutlich zu machen, Handlungsoptionen aufzuzeigen, mit den vielen haupt- und ehrenamtlich Tätigen gemeinsam Lösungswege zu diskutieren, Kompetenzen zu stärken, Ideen zu erschließen und Potentiale freizusetzen , ist Anspruch des Bildungsprogramms der Natur- und Umweltschutz-Akademie des Landes Nordrhein-Westfalen (NUA NRW). (…) BNE ist ein Bildungskonzept, das auf eine lebensbegleitende und ganzheitliche Bildung abzielt. Dadurch sollen Menschen in die Lage versetzt werden, vorausschauend abzuschätzen, wie sich ihre Entscheidungen in der Zukunft auswirken werden.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11084 2 Die zurückliegenden Jahre haben in eindrucksvoller Weise verdeutlicht, wie stark das Land finanziell mit dem Rücken an der Wand steht. Nach einer Haushaltssperre im Jahr 2014 sind Ausgaben fast ein halbes Jahr lang auf ein unabweisbares Minimum reduziert, Gäste in der Staatskanzlei nur mit Leitungswasser bewirtet worden, und mit der mehrfachen drastischen Grunderwerbsteuererhöhung zugleich mehrere einhundert Millionen Euro Mehreinnahmen leider zu Lasten der Mitte unserer Gesellschaft beschlossen worden. Auch im abgelaufenen Jahr 2015 hat die Landesregierung ihre Haushaltsmisere gar nicht in den Griff bekommen, sondern nur durch Tricksereien kosmetisch geschönt. An eine Abtragung des Schuldenbergs ist trotz der ständig neuen Steuereinnahmerekorde bei SPD und Grünen nicht zu denken. Parallel stehen viele Energieversorger mit dem Rücken an der Wand, Zehntausende Industriearbeitsplätze sind gefährdet, und der Finanzminister klagt über wegbrechende Steuereinnahmen in traditionell ertragsstarken Branchen. Trotzdem sind offenbar noch genügend öffentliche Ressourcen für das Marketing grüner Lebensstile vorhanden. So ehrenwert die Motivation der Landesregierung sein mag, ihren Bürgern lebenspraktische Hilfen zu geben, wie man sich mit Seilkonstruktionen im Gelände fortbewegt, wie man in der Natur überlebt und dabei Methoden verinnerlicht, sich wieder mit der Natur zu verbinden, so stellt sich doch ernsthaft die Frage, ob angesichts der dramatischen Verschuldungslage der öffentlichen Kassen nicht im Industrieland Nordrhein-Westfalen eine Schwerpunktsetzung für Bildungsmaßnahmen angeraten ist, die die Zukunftsfähigkeit und die tatsächlich benötigten Lebenskompetenzen in unserer heutigen Zeit stärker im Blick hat, um in der Lebensrealität tatsächlich keinen Menschen zurückzulassen. Beispielhaft enthält dieses Bildungsprogramm des Landes in diesem Jahr folgende Seminare inklusive der jeweils wörtlich zitierten Auszüge aus der Angebotsbeschreibung, die aufgrund des Umfangs leider nur exemplarisch und verkürzt an dieser Stelle wiedergegeben werden können: Pflege von Grünland durch Mahd mit der Sense (S. 65): Der Kurs richtet sich an Interessierte, die im Sensen nicht nur die Möglichkeit sehen, auf alternativem Wege zu mähen. Neben dem fachkundigen Führen der Sense vermittelt der Kurs das notwendige Know-How im Dengeln, Wetzen und Schärfen, um die Sense in Schuss zu halten. Sensen können mitgebracht werden. Weiterbildung Wildnispädagogik (S. 85): In dieser Fortbildung lernen Sie wirkungsvolle Wege und Methoden kennen, sich selbst wieder mit der Natur zu verbinden. Über den eigenen Verstand hinaus werden Sie mit Sinnen, Gefühl und Körper ganzheitliche Erfahrungen machen können, um an die tief verwurzelte Vertrautheit mit der Schöpfung wieder anzuknüpfen. Schwerpunkte sind u. a.: Fertigkeiten und Fähigkeiten in der Wildnis zu (über-)leben, Umgang mit natürlichen Gefahren , Gesetzen und Rechten, Spuren- und Fährtenlesen, Tierwissen und Vogelsprache. Niedrigseilelemente im Gelände (S. 91): In diesem Praxisworkshop liegt der Schwerpunkt auf Seilkonstruktionen im Gelände als wichtigem Bestandteil der Naturerlebnispädagogik. Wir stellen die Grundausrüstung und - techniken vor und knüpfen einfache Knoten, um tragfähige Seilkonstruktionen zwischen Bäumen zu errichten. Wilden Früchtchen auf der Spur (S. 93): Hecken haben seit jeher eine ganz besondere Bedeutung für die Menschen. Nicht nur als Windbrecher für ihre Felder wussten die Menschen eine Hecke zu schätzen, sondern auch LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11084 3 als Spender von Wildgemüse, Früchten, heilenden Kräutern und Holz. Aber nicht nur materiell war die Hecke von großem Wert. Sie beherbergte gute Geister und Elfen und hielt so Unheil, böse Geister und Gefahren fern. NRW wird leiser (S. 53): So kann man beim Kurbeln eines Reifens dessen Geräuschemissionen messen, herausfinden wie laut das eigene Handy am Ohr eigentlich ist, oder den Schall der eigenen Stimme sichtbar machen. Waldpädagogisches Forum – Wir machen Theater (S. 83): Erwachsenen gefällt es, in einer derart perfekten Kulisse beim Theater mitzumachen. Denn hier haben sich Statisten mit 2, 4, 6 und 8 Beinen bereits versammelt und warten auf ihren Einsatz. Die Waldmikrophone liegen bereit und Sonne, Mond und Sterne rücken das Geschehen je nach Tageszeit ins rechte Licht. (…) Durch Regieanweisungen haben sie die Gelegenheit, nicht nur die Phantasie zu wecken und gruppendynamische Prozesse zu fördern , sondern auch Wissen über den Lebensraum Wald und dessen Lebensgemeinschaften spielerisch zu vermitteln. Also: Blättervorhang auf! Waldbühne frei! Tiere am Gebäude (S. 61): Mieter und Hauseigentümer ahnen selten von der Vielfalt der Gäste, die in ihren Häusern Unterschlupf finden. Von der Mehlschwalbe bis zur Fransenfledermaus nutzen sie oft kleinste Nischen und Spalten als Brut- oder Überwinterungsplatz. Leider wird den Tieren diese Unauffälligkeit häufig zum Verhängnis, da sie als unbekannte Untermieter bei Sanierungsarbeiten nicht in die Planung mit einbezogen werden und folglich einen Verlust ihrer Niststätten erleiden. Erde am Limit (S. 22): Die Erde ist am Limit – wir sind alle gefragt, uns damit zu befassen, welche Veränderungen auf unserem Planeten stattfinden, was die Ursachen sind und wie wir damit umgehen können . Beeren- und Wurzelseminar (S. 40): Vitalstoffreiche frisch gesammelte wilde Kost wird an diesem Wochenende Grundlage jeder Mahlzeit sein. Heuschrecken in Nordrhein-Westfalen – Jahrestreffen (S. 67): Auf einer anschließenden Exkursion werden unter anderem die Heuschreckenarten von Industriebrachen vorgestellt. Fortbildung für Luchs- und Wolfsberaterinnen und -berater (S. 5): Die Schulung qualifiziert die in den Regionen tätigen Luchs- und Wolfsberaterinnen und - berater, Hinweise auf Luchs und Wolf nach den vereinheitlichten Standards des Bundesamtes für Naturschutz zu dokumentieren und bei auftretenden Konflikten sachgerechte Lösungen vorzuschlagen. Hashtag Nachhaltigkeit (S. 23): Eine nachhaltige Mediennutzung thematisiert neben den sozialen Aspekten eines respektvollen Umgangs über Social Media auch ökonomische und ökologische Aspekte. Immer teurere Smartphones in Kinderhänden, ist das noch vertretbar? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11084 4 Fledermäuse in der Landschaftsplanung (S. 71): Notwendige Auflagen sind oftmals ökologische Baubegleitungen und Monitorings zur Überprüfung von Kompensationskonzepten. Dafür ist eine fortlaufende Aktualisierung von Methoden und Untersuchungsgeräten, Fachwissen durch Ableitung aus praxisbezogenen Forschungsprojekten sowie ein intensiver Austausch zwischen allen beteiligten Akteuren von Nöten. Der Wald-Wild-Konflikt: Wieviel Wild verträgt der Wald? (S. 6): Expertenvorträge zum aktuellen Stand des Wald-Wild-Konflikts mit Diskussionen und Lösungsvorschlägen auf der Basis des neuen Ökologischen Jagdgesetzes NRW. Naturkosmetik selbst gemacht (S. 39): Chemiefrei, gut verträglich, nicht zu teuer und am liebsten so natürlich wie möglich - so sieht unser Traum der perfekten Kosmetik aus. Aber dieser Traum ist bei der riesigen Produktvielfalt in den Drogeriemärkten, verlockenden Werbeangeboten und erstaunlichen Preisunterschieden gar nicht so leicht zu verwirklichen. Aber wieso die Zeit mit langen Recherchen nach Inhaltsstoffen und Werbelügen verbringen, wenn man sich viele Dinge doch so einfach selber machen kann. Standortbestimmung: Natur- und Umweltschutz in der Migrationsgesellschaft (S. 17): Ziel ist es, in einem Expertengespräch über das Thema „Natur- und Umweltschutz in der Migrationsgesellschaft“ eine Standortbestimmung vorzunehmen. Verschiedene Seminare sind mit Teilnehmerbeiträgen, beispielsweise für Übernachtung oder Verpflegung verbunden, andere Angebote werden kostenfrei angeboten – gerne auch inklusive Verpflegung oder einer Kaffeepause. Fraglich ist, welches Zukunftsbild die nordrhein-westfälische Landesregierung genau von der Landesentwicklung eines traditionellen Industrielandes vor Augen hat, wenn die Bürger ihres Landes als Breitenangebot in der Verwertung von Wildkräutern, dem Mähen mit der Sense oder beim nächtlichen Theaterspielen im Wald geschult werden sollen. Das Parlament hat daher ein Anrecht darauf, nähere Einzelheiten zur Veranlassung und den Kosten der neuen Seminarangebote der Landesregierung zu erfahren. 1. Welche genauen Informationen liegen der Landesregierung vor zur erwähnten neuen120-seitigen Bildungsprogrammbroschüre in puncto Auflage, Kosten der Herstellung auf Vollkostenbasis (Druck, Agentur, Redaktion etc.) und Verbreitungswegen in 2016? 2. In jeweils welchem Umfang werden die einzelnen der rund 200 Fortbildungsangebote mit öffentlichen Geldern direkt oder indirekt bezuschusst? 3. Aus jeweils welchen einzelnen Erwägungen heraus hält der Finanzminister das oben dargestellte Bildungsangebot des Landes angesichts der desolaten Haushaltslage und massiver zusätzlicher Belastungen durch die Flüchtlingskrise im Jahr 2016 offenbar für eine sinnvolle Ausgabe von Steuergeld? 4. Welche genauen Informationen liegen der Landesregierung vor zur Teilnehmerzahl und finanziellen Förderung jedes einzelnen Fortbildungsangebots aus dem bisherigen vergleichbaren Bildungsveranstaltungsprogramm des Jahres 2015? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11084 5 5. Welches konkrete Zukunftsbild von der nordrhein-westfälischen Landesentwicklung hat die Landesregierung vor Augen, wenn ihr die Fortbildung der Bürger in der Verwertung von Wildkräutern, dem Mähen mit der Sense oder beim nächtlichen Theaterspielen im Wald auch in Zeiten der dramatischen Haushaltsverschuldung sinnvoll erscheint? Bereits mit den Antworten auf die Kleinen Anfragen 1856 (Drs.-Nummer 16/4974) vom 11.02.2014 und 3037 (Drs.-Nummer 16/7970) vom 23.02.2015 hat die Landesregierung dargestellt , dass es sich bei dem in der Kleinen Anfrage zitierten Programm um das Bildungsprogramm 2015 der Natur- und Umweltschutz-Akademie (NUA) des Landes NRW handelt. Es handelt sich beim NUA-Programm nicht um ein Bildungsprogramm der Landesregierung (wie die Kleine Anfrage suggeriert), sondern es ist das Ergebnis eines mehrstufigen Beteiligungsverfahrens und Ausdruck des Kooperationsmodells, das konzeptionell seit der Errichtung der NUA 1985 Bestand hat. Die NUA NRW ist seit 2006 durch Entscheidung der damaligen CDU/FDP-Landesregierung als Fachbereich 35 in das LANUV NRW eingegliedert. Die Arbeit der NUA fußt auf einem Kooperationsmodell des Landes mit den vier anerkannten Naturschutzverbänden BUND, NABU, LNU und der SDW, insbesondere mit dem Ziel ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement zu unterstützen. Die Naturschutzverbände haben jeweils Sitz und Stimme im Kuratorium der NUA (neben MKULNV, MSW und LANUV). So müssen gemäß NUA-Einrichtungserlass aus dem Jahre 1996 u.a. die Grundsätze und Schwerpunkte des jährlichen Arbeitsprogramms im Einvernehmen mit dem Kuratorium ergehen . Die Naturschutzverbände wirken somit maßgeblich auch am Bildungsprogramm 2016 mit und bringen erneut etwa 80 eigene Veranstaltungen in das Programm ein. Die Veranstaltungen der Kooperationspartner werden wieder in das NUA-Programm integriert. Die jeweiligen Ausrichter sind im Programm der NUA ausgewiesen. An den Kosten dieser Veranstaltungen beteiligt sich die NUA wie in den Vorjahren nur zum Teil. Auf die Antworten der Landesregierung zu den Kleinen Anfragen 1856 und 3037 wird verwiesen . An den grundlegenden Sachverhalten hat sich seit dieser Beantwortung keine Änderung ergeben. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11084