LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1109 12.10.2012 Datum des Originals: 11.10.2012/Ausgegeben: 17.10.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 452 vom 12. September 2012 der Abgeordneten Simone Brand PIRATEN Drucksache 16/903 Muttersprachlicher Unterricht Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 452 mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In einem Artikel vom 10.09.2012 berichtete die Onlinepräsenz der WAZ-Gruppe über eine deutsche Grundschülerin aus Duisburg, die am muttersprachlichen Unterricht in Türkisch teilnehmen. Die Schulleitung verweist auf einen Erlass des Schulministeriums, der die Teilnahme deutschstämmiger Kinder untersagen würde. Die Schulen fänden zwar oft Lösungen, der Schulamtsleiter wird aber mit den Worten zitiert "Wenn man den Erlass streng auslegt, dann darf das Kind nicht teilnehmen". Dabei stellt sich natürlich nicht nur die Frage nach der Bildungsgerechtigkeit, sondern auch wie sich das Ganze vor dem Hintergrund einer möglichen Diskriminierung sowohl der deutschstämmigen Kinder, als auch der Kinder mit Migrationshintergrund darstellt. Vorbemerkung der Landesregierung Nach dem Schulgesetz hat jeder junge Mensch ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung. Für die Kinder und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte sind die mitgebrachten Herkunftssprachen und die Kultur der Herkunftsländer Teil ihrer Identität; sie sind für ihre Persönlichkeitsentwicklung von besonderer Bedeutung. Überdies ist Mehrsprachigkeit ein kultureller Reichtum in einer immer stärker zusammenwachsenden Welt. Die Wertschätzung der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1109 2 natürlichen Mehrsprachigkeit ist, wie im Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration ausgeführt, von besonderer Bedeutung. 1. Trifft die rechtliche Einschätzung zu, dass ausschließlich Kinder mit Migrations- hintergrund des jeweiligen Landes am herkunftssprachlichen Ergänzungsunterricht teilnehmen können? Nach dem Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung „Unterricht für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte, insbesondere im Bereich der Sprachen“ vom 21.12.2009 ist der Unterricht in der Herkunftssprache ein zusätzliches Angebot, das für die am meisten in Nordrhein-Westfalen gesprochenen Herkunftssprachen für Schülerinnen und Schüler mit einer Zuwanderungsgeschichte nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten und unter staatlicher Schulaufsicht an den Schulen eingerichtet wird. 2. Wie groß schätzt die Landesregierung den Nachteil für deutschstämmige Kinder durch die geringere Wahlfreiheit beim Sprachunterricht ein? Der herkunftssprachliche Unterricht dient im Gegensatz zum Unterricht in einer Fremdsprache nicht dem Spracherwerb und ist ein zusätzliches Angebot, das nicht in der Stundentafel verankert ist. Aufgabe ist es, die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler in Wort und Schrift zu erhalten und zu erweitern sowie die für die Landeskunde wichtigen Inhalte zu vermitteln . Dabei ist die Herkunftssprache die Unterrichtssprache. Deutschstämmige und nicht deutschstämmige Schülerinnen und Schüler, die nicht über die für den Unterricht notwendigen Vorkenntnisse verfügen, wären somit vielfach nicht in der Lage, dem herkunftssprachlichen Unterricht, sei es in Türkisch, Russisch oder einer der 19 weiteren in Nordrhein-Westfalen angebotenen Herkunftssprachen, zu folgen. 3. Wie stellt im konkreten Fall die Schulleitung den Migrationshintergrund fest? Der Migrationshintergrund wird mit den Angaben, die bei der Einschulung bzw. beim Wechsel in die Sekundarstufe I erhoben werden, festgestellt. 4. Wie vereinbart sich die hier installierte strickte (sic!) Ungleichbehandlung von deutschstämmigen Kindern und Kindern mit Migrationshintergrund mit dem Gedanken einer gelungenen Integrationspolitik? Von einer „installierten“ Ungleichbehandlung von deutschstämmigen Kindern kann keine Rede sein. Auch Schülerinnen und Schüler z. B. italienischer Staatsangehörigkeit können grundsätzlich nicht am russischen oder polnischen Herkunftssprachenunterricht teilnehmen. Im Übrigen weiß die Landesregierung seit PISA, dass Integration ein langer Prozess ist, bei dem sich in Nordrhein-Westfalen, wie die neueren Studien zeigen, erste Erfolge einstellen. Dabei schafft das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Zuwanderungsgeschichte gegenseitiges Verständnis und leistet einen besonderen Beitrag für die schulische und gesellschaftliche Integration. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1109 3 5. Erwägt die Landesregierung nach diesen Vorkommnissen, den Erlass so zu modifizieren , dass Kinder unabhängig von Herkunft und Abstammung am herkunftssprachlichen Ergänzungsunterricht teilnehmen können? Ein Änderungsbedarf wird aus oben genannten Gründen nicht gesehen. Nach dem Koalitionsvertrag soll aber ein Gesamtkonzept der durchgängigen Sprachbildung entwickelt werden, das sich an den Zielen der Europäischen Union orientiert. Dabei sollen im Sinne einer „Wertschätzung der natürlichen Mehrsprachigkeit“ auch die Familien- und Herkunftssprachen mehr noch als bisher Anerkennung als Fremdsprachen finden.