LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11111 11.02.2016 Datum des Originals: 11.02.2016/Ausgegeben: 16.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4278 vom 12. Januar 2016 der Abgeordneten Simone Brand und Frank Herrmann PIRATEN Drucksache 16/10729 Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie: Was plant die Landesregierung? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4278 mit Schreiben vom 11. Februar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Hamburg wurde eine Unterkunft speziell für besonders Schutzbedürftige geschaffen. Die Europäische Union stellt in der Aufnahmerichtlinie (2013/33/EU) insbesondere für die folgenden Personengruppen einen erhöhten Schutzbedarf fest: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderung, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, ältere Menschen (d.h. Personen über 65 Jahren), Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit psychischen Störungen, Menschen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, z.B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien. In der Antwort 16/8829der Landesregierung gibt diese an, dass in einer Arbeitsgruppe Nachbesserungs- und Ergänzungsbedarfe zur Umsetzung der Richtlinie erarbeitet werden. In einer Antwort der Stadt Köln auf eine Anfrage der dortigen Piratengruppe gibt die Stadt allerdings an, dass sie keinerlei Angaben der Landesregierung über besondere Bedarfe erhält. Dabei sollte klar sein, dass ein Screening, das Merkmale wie chronische Erkrankungen, Schwangerschaften, Trauma oder Behinderung erkennt, in den Landesaufnahmen stattfinden muss. Der Bund betreibt keine Unterkünfte. Daher kann er die Umsetzung nur gesetzlich begleiten, aber das Screening sollte direkt nach der Ankunft in den Landesaufnahmen erfolgen. Als aufnehmende Stelle ist das Land zudem dazu verpflichtet, die Schutzbedürftigkeit festzustellen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11111 2 Vorbemerkung der Landesregierung: Die Landesregierung will besonders schutzbedürftigen Menschen individuellen Schutz gewähren und die speziellen Bedürfnisse dieser Menschen berücksichtigen (siehe auch Antwort auf die Kleine Anfrage 3373 - LT-Drs.-16/8829). Auf Grundlage der mit den NGOs in der Flüchtlingsbetreuung erarbeiteten und am 22.12.2015 vorgestellten „Eckpunkte zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen in Regeleinrichtungen des Landes NRW“ - Anlage - werden derzeit Handlungsempfehlungen bzw. Fachkonzepte erarbeitet. Die besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen sind eines der Kernthemen dieser Arbeitsgruppe. Vor Ort in den Unterbringungseinrichtungen erfolgt die Umsetzung der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 in der Praxis bereits im Kern. 1. Wie viele besonders schutzbedürftige Flüchtlinge gibt es in NRW? (Bitte nach Schutzbedürftigkeit aufschlüsseln. Falls die Landesregierung in NRW keine Daten dazu vorlegen kann, wie hoch schätzt sie die Zahl in den einzelnen Gruppen.) Die Aufschlüsselung der täglich stark variierenden Unterbringungszahlen unter dem Aspekt „besondere Schutzbedürftigkeit“ ist in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Eine Schätzung der Anzahl besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge kann mangels valider Daten nicht seriös vorgenommen werden. 2. Soll es in NRW Unterkünfte speziell für besonders schutzbedürftige Personen geben, wie es in Hamburg geplant ist? (Bitte mit Begründung und aufschlüsseln ab wann, wo, für welche Gruppen und mit wie vielen Plätzen) In allen fünf Regierungsbezirken ist die Nutzung spezieller Unterkünfte für besonders Schutzbedürftige vorgesehen. Die Überlegungen befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Planung und Umsetzung. Die bereits betriebenen speziellen Unterbringungseinrichtungen des Landes befinden sich in: Kreuzau-Drove ab 01.02.2016 (300 Personen) alle Arten der besonderen Schutzbedürftigkeit Königswinter ab 20.12.2015 (150 Personen) alle Arten der besonderen Schutzbedürftigkeit (Ausnahme: psychisch Erkrankte). Darüber hinaus werden einzelfallbezogen entsprechende Maßnahmen getroffen, um eine ausreichende Versorgung besonders schutzbedürftiger Personen gewährleisten zu können (Transfer in barrierefreie Unterkünfte, Unterbringung in festen Gebäuden bei Vorliegen einer Erkrankung, die eine Unterbringung in einer Leichtbauhalle ausschließt, räumliche Trennung besonders Schutzbedürftiger etc.). 3. Ab wann plant die Landesregierung ein Screening in den Landesunterkünften durchzuführen? 4. Wie soll das Screening ausgestaltet werden? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 3 und 4 zusammen beantwortet. Der Begriff „Screening“ ist nicht definiert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11111 3 Zur weiteren Planung verweise ich auf die Vorbemerkungen 5. : Welche Angaben erhalten die Kommunen zu Flüchtlingen, die ihnen zugewiesen werden? Folgende Angaben werden im Rahmen der Zuweisungsentscheidung an die Kommunen übermittelt: 1) Name, Vorname 2) Kennung der Bezirksregierung 3) Aktenzeichen des Bundesamtes 4) Geburtsdatum 5) Familienstand 6) Personenstand 7) Geschlecht 8) Eventuell vorliegende Schwerbehinderung 9) Eventuell bestehende Schwangerschaft 10) Ankunftsdatum in Zentraler Unterbringungseinrichtung 11) Zuständige Zentrale Ausländerbehörde 12) Eventuell persönliche Bemerkungen a. Familiäre Bindungen b. Bestehende Erkrankungen c. Einwirkungen körperlicher Gewalt Eckpunktepapier - Stand 22.12.2015 1 Eckpunkte zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen in Regeleinrichtungen des Landes NRW Präambel Die Krisenherde weltweit veranlassen Menschen ihre Heimat zu verlassen, um Schutz vor Krieg, Terror und Gewalt in Deutschland und auch hier bei uns in Nordrhein - Westfalen zu suchen. Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen deutlich, dass viele der zu uns fliehenden Menschen nicht nur vorübergehend sondern für eine lange Zeit, wenn nicht sogar für immer, hierbleiben werden. Alle staatlichen Ebenen stehen damit in einer Verantwortungsgemeinschaft und müssen ihren Teil dazu beitragen, damit Aufnahme von Flüchtlingen und ihre Integration in unsere Gesellschaft gelingen kann. Die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen ist dabei eine - wenn auch nicht unwesentliche - Facette des Gesamtkonzeptes der Integration. Denn bereits hier beginnt ihr Aufnahmeprozess, der mehr sein soll als nur ein Dach über dem Kopf. Er ist der Beginn einer Verantwortung, die den asylsuchenden Menschen in den Blickpunkt nimmt. Vor diesem Hintergrund und mit der Zielsetzung die Aufnahme und Unterbringung aus der Sicht der Flüchtlinge zu denken und zu gestalten wurden die nachfolgenden Eckpunkte zur Aufnahme und Unterbringung im Konsens vom Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, der AG der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, dem Flüchtlingsrat NRW e.V., dem Kooperationspartner der Flüchtlingsberatung in NRW, dem Landesintegrationsrat NRW, Amnesty International, UNHCR, dem Evangelischen Büro NRW, dem Katholischen Büro NRW unter Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbänden erarbeitet. 1. Paradigmenwechsel in der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen Die Landesregierung hat bereits auf dem Flüchtlingsgipfel im Oktober 2014 in Essen deutlich gemacht, dass sich der Blick bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen nicht mehr darauf beschränken wird, für ein Dach über dem Kopf und Sicherheit zu sorgen. Individuelle Betreuung und Unterstützung der Menschen ist unser Ziel. Die Landesregierung wird bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung dem Individualrecht auf Asyl Rechnung tragen. Im Mittelpunkt der Erstaufnahme wird der Asylsuchende mit seinen elementaren Interessen und Bedürfnissen, aber auch mit dem selbstverständlichen Anspruch auf menschenwürdige und seinen Bedürfnissen entsprechende Unterbringung, Versorgung und Betreuung stehen. Dazu gehört, dass die Menschen, die hier Aufnahme finden, über alle Aspekte der Erstaufnahme und des hiermit verbundenen Eckpunktepapier - Stand 22.12.2015 2 Asylverfahrens durch die Landesbehörden in geeigneter Form informiert werden. Um diese Aufgaben bewältigen zu können, streben wir eine Aufenthaltsdauer von durchschnittlich sechs Wochen in der Landesunterbringungseinrichtung an. Die Personalkapazität in unseren Verwaltungen wird entsprechend aufgestockt. Die Landesregierung wird den Dialog auf allen Ebenen zu Fragen des Paradigmenwechsels mit den beteiligten Organisationen und Strukturen sicherstellen. 2. Besondere Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen Wir, die Landesregierung, werden mit Blick auf die Regelungen der EU- Aufnahmerichtlinie Vorkehrungen zur frühestmöglichen Erkennung und Berücksichtigung der speziellen Bedürfnisse besonders vulnerabler Personen (z. B.: Minderjährige, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Schwangere, Traumatisierte) treffen. NRW setzt sich weiter für ein bundesweit einheitliches Verfahren zur Erkennung und Berücksichtigung der Bedürfnisse dieses speziellen Personenkreises ein. Unabhängig davon entwickelt die Landesregierung kurzfristig ein Fachkonzept. 3. Qualitative Standards für die Einrichtungen des Landes Wir, die Landesregierung, wollen ein umfassend definiertes, kontrolliertes und transparentes Qualitätsniveau für alle Typen der Unterbringung erreichen. Dabei bauen wir auf den seit Oktober 2014 für die Zentralen Unterbringungseinrichtungen im Regelbetrieb geltenden einheitlichen Qualitätsstandards auf, die landesweit verbindlich festgeschrieben wurden. Diese Standards werden unter Beteiligung der verschiedenen im Flüchtlingsbereich tätigen Akteure evaluiert und weiter entwickelt, um eine den Bedürfnissen der Asylsuchenden entsprechende Unterbringung zu gewährleisten. 4. Soziale Beratung von Flüchtlingen Ziel ist es, für die Soziale Beratung von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen eine tragfähige Grundstruktur vorzuhalten. In allen Landeseinrichtungen wird die Landesregierung individuelle Beratung und Unterstützung gewährleisten. Die Flüchtlinge werden einerseits von Anfang an über den Ablauf des gesamten Asylund Aufnahmeverfahrens informiert. Andererseits wird die Soziale Beratung bedarfsorientiert ausgeweitet und die Beratenden qualifiziert. Wir werden eine individuelle Verfahrensberatung in allen Landeseinrichtungen, eine Grundstruktur flächendeckender regionaler Beratung vor Ort, eine Rückkehrberatung und eine bedarfsorientierte psychosoziale Beratung für Flüchtlinge gewährleisten. Eckpunktepapier - Stand 22.12.2015 3 5. Dezentrales Beschwerdemanagement Wir, die Landesregierung, wollen gewährleisten, dass die Asylsuchenden Gehör finden, damit ihre individuellen Bedürfnisse wahrgenommen werden. Ausgehend vom Paradigmenwechsel und auf Basis der qualitativen Standards wird die Landesregierung ein dezentrales Beschwerdemanagement an allen Standorten der Unterbringungseinrichtungen etablieren, das mit der Verfahrensberatung verbunden ist. Ziel ist es, die verantwortlichen Stellen vor Ort schnell und umfassend auf Probleme in den Einrichtungen hinzuweisen, damit diese sie zeitnah beheben können. Das auf dem Konzept des Ministeriums für Inneres und Kommunales beruhende mehrstufige Verfahren stellt sicher, dass Beschwerden, denen örtlich nicht abgeholfen werden kann, überörtlich bearbeitet werden. 6. Gesundheitsuntersuchung und Gesundheitsversorgung Entsprechend den Bestimmungen der EU-Aufnahmerichtlinie stellt die Landesregierung sicher, dass die in den Aufnahmeeinrichtungen untergebrachten Menschen nach der Aufnahme zeitnah medizinisch untersucht und versorgt werden. Dies beinhaltet auch die Untersuchung auf übertragbare Krankheiten im Sinne des öffentlichen Gesundheitsschutzes sowie ein breites Impfangebot, speziell auch für Kinder. Darüber hinaus wird für die gesamte Zeit des Aufenthaltes in den Landeseinrichtungen eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet. 7. Schaffung von weiteren Unterbringungsplätzen Wir, die Landesregierung, bauen sukzessive und kontinuierlich die Gesamtkapazität der regulären und dauerhaften Unterbringungsplätze entsprechend der Entwicklung der Zugänge an Flüchtlingen nach NRW aus. Wir werden insbesondere die bisher vorhandenen Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen deutlich ausweiten und ausreichend Unterbringungsplätze als Reserve schaffen, die im Bedarfsfall kurzfristig realisiert werden können. Dabei soll eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Standorte im Rheinland und in Westfalen erreicht werden. 8. Landesaufnahmeeinrichtungen und BAMF Das AsylG sieht eine enge Verknüpfung des Asylverfahrens mit der Landesunterbringung vor. Ziel der Landesregierung ist es, den Ablauf des Aufnahme- und Unterbringungsverfahrens in Landesunterkünften wieder mit der Einleitung des Asylverfahrens zu verzahnen, so dass ein zügiges, transparentes und für die Asylsuchenden nicht zusätzlich belastendes Verfahren gewährleistet ist. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Landesregierung darauf hinwirken, dass das Eckpunktepapier - Stand 22.12.2015 4 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gemäß § 5 AsylG eine ausreichende Anzahl von Außenstellen des BAMF in Nordrhein-Westfalen einrichtet. Auf Landesebene sollen neue Konzepte erprobt werden. 9. Vorsorge und Krisenmanagement (Notfallplanung) Das Ministerium für Inneres und Kommunales verfügt über eine Notfallplanung, die fortlaufend und im Dialog mit anderen Ministerien weiterentwickelt wird. Der in 2015 mit dem Landeszentrum Gesundheit NRW und dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter NRW erstellte „Notfallplan Flüchtlingsunterbringung NRW“ enthält zurzeit Regelungen zu folgenden Themen: A. Notfallkapazitäten für saisonale Spitzen und besondere Notfälle B. Konzept „Röntgen“ und „Registrieren“ C. Notfallkonzept zum Umgang mit infektiösen Erkrankungen in Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW D. Notfallkoffer 10. Kommunikation und Akzeptanz Zur Förderung der Akzeptanz wird die Landesregierung durch gezielte Kommunikation mit der Zivilgesellschaft und haupt- und ehrenamtlichen Partnern der Flüchtlingshilfe grundlegende Informationen zur Aufnahme, Unterbringung und sozialen Versorgung der Asylsuchenden transparent machen. Dies geschieht z. B. durch Internetauftritte des Ministerium für Inneres und Kommunales und der Bezirksregierung Arnsberg. Frühzeitig informieren wir in den Kommunen beim Aufbau neuer Einrichtungen und stellen dort sowie in bestehenden Einrichtungen die laufende Kommunikation, unter anderem hinsichtlich Veränderungen, sicher. Dadurch wollen wir zugleich die Akzeptanz der Einrichtungen vor Ort fördern. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11111