LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11115 12.02.2016 Datum des Originals: 12.02.2016/Ausgegeben: 17.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4292 vom 14. Januar 2016 der Abgeordneten Angela Freimuth, Susanne Schneider und Marcel Hafke FDP Drucksache 16/10746 Ist männlichen Hochschulmitgliedern oder Hochschulgruppierungen, die den ministeriellen Vorstellungen eines „ausreichenden Bemühens um die Kandidatur eines weiblichen Hochschulmitgliedes“ nicht genügen, das passive Wahlrecht bei Gremienwahlen an Hochschulen zu verwehren? Die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung hat die Kleine Anfrage 4292 mit Schreiben vom 12. Februar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Wie aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage 4118 hervorgeht, sei nach Ansicht der Landesregierung ein demokratisches Wahlverfahren dann ein ausreichender Grund, um von dem Gebot einer paritätisch besetzten Wahlliste abzuweichen, wenn zugleich dargelegt wird, dass trotz intensiver Bemühungen um mehr Kandidatinnen die Parität auf der Liste nicht hergestellt werden konnte. Diese Formulierung einer Bedingung führt bei konsequenter Anwendung dazu, dass Männern an Hochschulen das passive Wahlrecht nur dann zusteht, wenn sie sich um die Kandidatur weiblicher Hochschulmitglieder bemühen. Eine solche Bedingung aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4118 wirft nicht nur Fragen nach einer Diskriminierung von Männern auf, sondern auch die Frage, wie die Hochschulmitglieder und Hochschulgruppierungen, die sich in die Gremienarbeit einbringen möchten und deshalb Wahllisten nach demokratischen Grundsätzen aufstellen, „intensives Bemühen“ nachweisen sollen und ab wann „intensives Bemühen“ ausreichend ist, damit ihnen das passive Wahlrecht nicht verwehrt wird. Der von der Landesregierung häufig geäußerte Verweis auf das 1999 in Kraft getretene Landesgleichstellungsgesetz läuft zudem ins Leere. So heißt es im Kommentar zum LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11115 2 Landesgleichstellungsgesetz von Bernhard Burkholz: „Etwas abgeschwächt ist das Gebot geschlechtsparitätischer Repräsentanz indes für Gremien, die durch Wahlakte gebildet werden. Für sie bestimmt Abs. 1 Satz 2, dass bei der Aufstellung von Listen (gemeint sind damit solche für Wahlvorschläge) und bei Kandidaturen (nur) auf paritätische Repräsentanz „geachtet“ werden soll. Das ist nicht in gleichem Maß verpflichtend wie die Soll-Vorschrift in Satz 1, die folglich soweit nicht gilt.“1 Die Soll-Vorschriften des Landesgleichstellungsgesetzes gelten also für Hochschulgremien, da diese durch Wahlakte gebildet werden, in dieser Form nicht. Da der § 11c HG NRW mindestens als Soll-Vorschrift formuliert ist, handelt es sich also sehr wohl um eine andere Rechtslage. Tatsächlich unterscheiden sich sogar die Formulierung zwischen Landesgleichstellungsgesetz und Hochschulzukunftsgesetz erheblich. In § 12 LGG NRW heißt es, „Gremien sollen geschlechtsparitätisch besetzt werden“, in § 11c HG NRW jedoch: „Die Gremien der Hochschule müssen geschlechtsparitätisch besetzt werden, es sei denn, im Einzelfall liegt eine sachlich begründete Ausnahme vor.“ Die Verschärfung der Rechtslage ist damit offenkundig. In § 11c Absatz 1 Satz 4 wird außerdem eine Untergrenze für den Frauenanteil in Gremien für die Gruppe der Hochschullehrer definiert: Demnach darf der Anteil an Hochschullehrerinnen in einem Gremium nicht den Frauenanteil in der Hochschullehrerschaft an der Hochschule unterschreiten. Damit dies zulässig ist, muss zudem eine Geschlechterparität in den anderen Gruppen vorhanden sein. Folglich ist die Parität in den drei anderen Statusgruppen gesetzlich zwingend und die Hochschulen stünden vor dem in der Kleinen Anfrage 4118 skizzierten Realisierungsproblem. Dies wirft die Frage auf, ob auch im Falle des § 11c Absatz 1 Satz 4 die Ausnahmegründe für die anderen drei Statusgruppen gelten. Gegen diese Auslegung spricht, dass in diesem Fall der § 11c Absatz 1 Satz 4 in Gänze obsolet wäre und keinerlei Funktion hätte. Vorbemerkung der Landesregierung Die in § 11c Hochschulgesetz enthaltene Regelung war in jüngster Zeit zweimal Gegenstand Kleiner Anfragen (4118, LT-Drucks. 16/10397 und 3758, LT-Drucks. 16/9452), die wie die vorliegende ausdrücklich oder implizit insinuierten, dass diese Regelung eine tatbestandliche Verschärfung gegenüber der Regelung des § 12 Landesgleichstellungsgesetz enthalte. Damit unterliegen die Kleinen Anfragen einem Missverständnis. § 11c Abs. 1 Hochschulgesetz enthält als spezielle Regelung im Hochschulbereich durchweg keine Verschärfung zur vorherigen Rechtslage: Während § 12 Absatz 1 Satz 1 Landesgleichstellungsgesetz anordnet, dass Gremien geschlechtsparitätisch besetzt werden sollen, spricht § 11c Absatz 1 Satz 1 Hochschulgesetz davon, dass Gremien paritätisch besetzt werden müssen, wenn nicht ein sachlicher Grund eine Ausnahme rechtfertigt. Der Sache nach liegt in diesen beiden Regelungen kein Unterschied. Zum einen ist die Rechtsfolge in der Sache identisch. Zum anderen ist auch der jeweilige Tatbestand der Norm regelungsgleich. Denn die "Formulierung 'sollen' bedeutet in der Gesetzessprache eine den Adressaten treffende Verbindlichkeit, die Ausnahmen nur für atypische Fälle zulässt" (so wörtlich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 20. Dezember 2007 – 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 –, BVerfGE 119, 331-394, juris Rn. 111). Nach allgemeiner 1 Burkholz, Bernhard: Landesgleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen. Kommentar, Heidelberg 2007, S. 153. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11115 3 verwaltungsrechtswissenschaftlicher Auffassung darf mithin in einer Sollensvorschrift von dem Regelfall des Müssens nur abgewichen werden, wenn tatbestandlich ein atypischer Fall oder ein wichtiger Grund für die Abweichung vom Regelfall vorliegen (siehe aus der Kommentarliteratur nur Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 40 Rn. 64 und Stelkens/ Bonk/ Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40, Rn. 26 ff. mit umfangreichem Nachweis der Instanzrechtsprechung). Dass "Soll-Vorschriften" nicht das Wort "Sollen" enthalten müssen, sondern auch in anderen Formulierungen wie beispielsweise in "im Regelfall" ihren Ausdruck finden können, ist ebenfalls anerkannt (siehe Stelkens/ Bonk/ Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 40, Rn. 26a). Die in § 11c Hochschulgesetz gewählte Formulierung, nach der im Regelfall geschlechtergerecht besetzt werden muss, ist somit nach allgemein anerkanntem rechtsdogmatischem Maßstab hinsichtlich ihres Regelungsgehaltes mit der Vorschrift des § 12 Absatz 1 Satz 1 Landesgleichstellungsgesetzes identisch. Die Formulierung in § 11c hat somit lediglich klarstellenden Charakter, der auch dem rechtlich ungeschulten Leser, der die dahinter stehenden verwaltungsrechtsdogmatischen Kategorien nicht kennt, das Verständnis erheblich erleichtert. Dies geht auch aus der Gesetzesbegründung zu der Regelung im Hochschulzukunftsgesetz hervor. Der Regelungsinhalt hat sich insoweit seit Inkrafttreten des Landesgleichstellungsgesetzes im Jahre 1999 für die Besetzung von Hochschulgremien mithin nicht verändert. 1. Mit welchen objektiven Kriterien ist das "intensive Bemühen" zur Herstellung der Geschlechterparität einer Wahlliste zu bemessen (bspw. Art des Bemühens und damit verbundener Zeitaufwand)? Das MIWF hat davon abgesehen, die einzelnen Ausnahmegründe, die ein Abweichen von dem Gebot der geschlechtergerechten Gremienbesetzung rechtfertigen, generell-abstrakt zu spezifizieren. Denn § 11c Absatz 1 Satz 4 Hochschulgesetz stellt nicht nur der Systematik nach, sondern auch im ausdrücklichen Wortlaut auf den jeweiligen konkreten Einzelfall ab ("[…] Die Ausnahmegründe für ein Abweichen von den Bestimmungen zur Gremienbesetzung sind in dem einzelnen Abweichungsfall aktenkundig zu machen […]"). 2. Hat eine Hochschulgruppierung, die nach demokratischen Grundsätzen (gleiche, freie, geheime und unmittelbare Wahl) eine Wahlliste aufstellt, automatisch intensives Bemühen gezeigt und kann damit nicht mehr abgewiesen werden? Da bereits das Listenaufstellungsverfahren den Grundsätzen des demokratischen Wahlverfahrens unterliegt, wird auf die Antwort zu Frage 5 der Kleinen Anfrage 4118 (LT-Drs. 16/10583) verwiesen. 3. Kann männlichen Hochschulmitgliedern oder Hochschulgruppierungen, die sich nicht oder nicht nachweisbar ausreichend um die Kandidatur eines weiblichen Hochschulmitgliedes bemüht haben, deshalb das passive Wahlrecht bei Gremienwahlen an Hochschulen verwehrt werden? Weder sieht § 11c Hochschulgesetz den Ausschluss der Kandidatur einzelner (im Übrigen auch weiblicher) Personen zu einem Gremium vor, noch wird die grundsätzliche Pflicht zur paritätischen Besetzung an ein einzelnes potentielles weibliches oder männliches Mitglied dieses Gremiums adressiert. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11115 4 4. Handelt es sich aus Sicht der Landesregierung bei § 11c Hochschulgesetz um eine Soll-Vorschrift? Hierzu wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 5. Müssen gemäß § 11 Absatz 1 Satz 4 HG die Gruppen der Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Technik und Verwaltung in Wahlgremien zwingend und ohne Ausnahme geschlechtsparitätisch repräsentiert werden, wenn in der Gruppe der Hochschullehrerinnen und -lehrer von der Geschlechterparität abgewichen wird, oder hat § 11c Absatz 1 Satz 4 HG letztlich keine wirksame Funktion? § 11c Absatz 1 Satz 4 Hochschulgesetz hat primär eine Ausgleichsfunktion, mit der "eine überproportionale Beanspruchung insbesondere der Hochschullehrerinnen durch viele parallele Gremientätigkeiten und damit eine geschlechtsbedingte Benachteiligung vermeiden werden soll" (siehe die amtliche Begründung zu § 11c Absatz 1 Satz 4 Hochschulgesetz). Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 11c Absatz 1 Satz 4 Hochschulgesetz bleibt es für die anderen Statusgruppen bei dem Gebot nach Satz 1 dieser Vorschrift. Diese Regelung (§ 11c Absatz 1 Satz 1 Hochschulgesetz) eröffnet ihrem klaren Wortlaut nach die Möglichkeit sachlich begründeter Ausnahmen von dem grundsätzlichen Gebot der geschlechtsparitätischen Gremienbesetzung. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11115