LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11125 15.02.2016 Datum des Originals: 15.02.2016/Ausgegeben: 18.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4270 vom 11. Januar 2016 der Abgeordneten Susanne Schneider FDP Drucksache 16/10714 Was unternimmt die Landesregierung um Köln-Opfern (bei der Bewältigung ihrer Traumata ) zu helfen? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4270 mit Schreiben vom 15. Februar 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, dem Justizminister und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die sexuellen Übergriffe und Straftaten auf Frauen in der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof sowie in der Landeshauptstadt Düsseldorf haben eine neue Dimension sexualisierter Gewalt gegen Frauen gezeigt. Für diese massive Verletzung der Grundrechte darf es keine Toleranz geben. Eine uneingeschränkte Aufklärung nach rechtsstaatlichen Prinzipien dieses menschlich erniedrigen/ungeheuerlichen Vorgangs mit entsprechenden vorbeugenden Handlungsmaßnahmen, damit so ein Vorfall nicht mehr passieren kann, ist dabei einerseits von Nöten. Andererseits bedarf es einer Opferhilfe, die den zahlreichen Geschädigten gerecht wird und dabei den Frauen hilft, ihre Traumata zu verarbeiten und die seelischen Verletzungen/Schäden zu heilen. Denn viele Frauen sind nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zutiefst verletzt und gedemütigt worden. Dies hat viele von ihnen ins Ungleichgewicht gebracht. Viele mutige Betroffene haben Anzeige erstattet. Es ist davon auszugehen, dass andere Opfer aus Scham diesen Schritt nicht gehen konnten. Deshalb wird die genaue Opferzahl nicht ermittelt werden können und bleibt im Dunklen verborgen. Mit der Möglichkeit der anonymen Spurensicherung können allerdings Frauen auch zu einem späteren Zeitpunkt davon Gebrauch machen , den rechtsstaatlichen Weg zu beschreiten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11125 2 Vorbemerkung der Landesregierung NRW hat zudem traditionell ein gut ausgebautes Frauenhilfenetz, das seit vielen Jahren mit Landesmitteln gefördert wird (u.a. Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen und Frauen-Notrufe ). Dies ermöglicht die Bereitstellung eines an den Bedarfen orientierten Hilfeangebotes zur Unterstützung und Beratung von Frauen in Gewaltsituationen. Die Polizei des Landes Nordrhein- Westfalen ist neben der Abwehr von Gefahren, der Repression und der Prävention auch für den Opferschutz zuständig. Opfer sind nicht nur Zeugen oder Träger von Spuren im Strafverfahren, sondern vor allem Menschen, die kriminelles Unrecht erlebt haben, und die über eine materielle oder körperliche Schädigung hinaus seelisch verletzt sind. Die Polizei richtet daher ihre Ermittlungshandlungen und Maßnahmen der Kriminalitätskontrolle an den Bedürfnissen von Kriminalitätsopfern (Opferschutz) aus. Die Polizei gewährleistet in allen Organisationseinheiten mit Opferkontakten die Möglichkeit der Vermittlung kompetenter Opferhilfe. 1. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um den Opfern bei der Bewältigung ihrer Geschehnisse aus der Silvesternacht zu helfen? Opferschutz und Opferhilfe der Polizeipräsidien Köln und Düsseldorf Die Polizeipräsidien Köln und Düsseldorf haben, wie alle 47 Kreispolizeibehörden (KPB), Opferschutzbeauftragte benannt, die in ein Netz von Hilfeorganisationen integriert sind. Die Opferschutzbeauftragten koordinieren die Netzwerkarbeit, arbeiten eng mit der Versorgungsverwaltung zusammen, sind Anlaufstelle für allgemeine und spezielle Fragen zum Thema Opferschutz , wirken bei der Öffentlichkeitsarbeit mit und entwickeln spezielle Präventionskonzepte auf der Basis viktimologischer Erkenntnisse und unterstützen deren Umsetzung. Alle einschreitenden und ermittelnden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten werden regelmäßig zu Themen des Opferschutzes beschult. Spezielle Hilfe für die Opfer der Silvestervorkommnisse in Köln In der Ermittlungsgruppe „Neujahr“ ist ein Einsatzabschnitt „Opferschutz“ eingerichtet worden. Im Rahmen dieser Einsatzbewältigung suchen die Opferschutzbeauftragten des Polizeipräsidiums Köln die im Bereich Köln und Leverkusen wohnhaften Opfer persönlich auf. Sofern die Geschädigten im Zuständigkeitsbereich einer anderen Kreispolizeibehörde wohnhaft sind, werden die örtlich zuständigen Opferschutzbeauftragten gebeten, diese zeitnah persönlich aufzusuchen und zu betreuen. Die Opfer erhalten in den Gesprächen Informationen über die ihnen zustehenden Rechte und Angebote der Opferhilfe. Die Opferschutzbeauftragten klären den Bedarf an Opferhilfe und vermitteln Opfern Kontakte zu Hilfeeinrichtungen (z. B. „Weisser Ring“, Trauma- Ambulanzen des Landschaftsverbands Rheinland oder private Trauma- Ambulanzen). Darüber hinaus wendet sich das Polizeipräsidium Köln mit seinem Internetauftritt und über Facebook an mögliche Opfer, die noch keine Strafanzeige erstattet haben, und bittet sie, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Neben den dort bekannt gegebenen Telefonnummern hat es zur direkten Kontaktaufnahme mit den Opferschutzbeauftragten ein gesondertes E- Mail-Postfach eingerichtet. Bis zum 19. Januar 2016 wurden insgesamt 924 Frauen und Männer als Opfer einer oder mehrerer Straftaten bekannt. 521 Personen davon wurden Opfer einer Sexualstraftat, weitere 164 Personen Opfer von Sexualstraftaten und gleichzeitigen Eigentumsdelikten. Die Opferschutzbeauftragten haben bislang zu 106 Personen (Stand: 19. Januar 2016) Kontakt aufge- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11125 3 nommen, hiervon waren drei zu persönlichen Gesprächen bereit. 39 Personen wurden Nachrichten zur persönlichen Kontaktaufnahme hinterlassen. Die Daten von 228 Personen, die nicht im erweiterten Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Köln wohnhaft sind, wurden an die örtlich zuständigen Kreispolizeibehörden übersandt. Weitere Daten von Opfern, die nicht im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Köln wohnen, werden zur Durchführung von Opferschutzmaßnahmen an Kreispolizeibehörden in NRW übersandt. Acht Personen wurden bislang an Hilfeeinrichtungen vermittelt. Spezielle Hilfe für die Opfer der Silvestervorkommnisse in Düsseldorf Bis zum 19. Januar 2016 sind dem Polizeipräsidium Düsseldorf 69 Opfer von Sexualdelikten im Zusammenhang mit dem Phänomen nordafrikanischer Personen/Personengruppen bekannt geworden. 13 Opfer haben ihren Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Düsseldorf. Die Beschäftigten des Kriminalkommissariats Kriminalprävention/Opferschutz (KK KP/O) nahmen telefonisch Kontakt zu ihnen auf, zwei Opfer konnten bisher nicht erreicht werden. Sie übersandten ihnen darüber hinaus ein Informationsschreiben mit Beratungs- und Hilfeangeboten sowie Erreichbarkeiten von Opferhilfeeinrichtungen. Acht Opfer wurden durch die kriminalpolizeiliche Sachbearbeitung vernommen. Bei diesem Anlass wurden ihnen umfassende Informationen zum Opferschutz und zur Opferhilfe vermittelt. Alle telefonisch erreichten Opfer verzichteten auf eine zusätzliche Beratung durch Mitarbeiter des KK KP/O. Ihnen reichten die vorliegenden Informationen aus. Kein Opfer wünschte eine durch das Polizeipräsidium Düsseldorf zu initiierende Vermittlung an Opferberatungsstellen. Die Anzahl der Opfer, die selbständig Opferberatungsstellen kontaktierten , ist nicht bekannt. Das Polizeipräsidium Düsseldorf informierte 26 Kreispolizeibehörden (KPB) über die Opfer, die ihren Wohnsitz in ihrem Zuständigkeitsbereich haben und bat um eine aufsuchende Opfernachsorge sowie Rückmeldungen dazu. Von 23 Behörden liegen derzeit Rückmeldungen vor. Demnach wurden bislang 42 Opfer kontaktiert und beraten, davon 24 telefonisch, 15 persönlich und sechs im Rahmen der Vernehmung. Hotline für Opfer der Kölner Silvesternacht beim Landgericht Köln Der Fachbereich Gerichtshilfe des ambulanten Sozialen Dienstes bei dem Landgericht Köln hat seit dem 15. Januar 2016 als Anlaufstelle für Opfer von Gewalt- und Sexualstraften der Silvesternacht unter der Telefonnummer 0221/20238140 eine Hotline und ein E-Mail-Postfach mit der Adresse opferberatung-silvester@lg-koeln.nrw.de eingerichtet. Die Hotline ist montags bis freitags von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr erreichbar. Die eingehenden Anrufe und E-Mails werden von erfahrenen, in der psychosozialen Opferarbeit qualifizierten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern bzw. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Gerichtshilfe beantwortet. Dafür stehen zurzeit sieben Fachkräfte mit vier Arbeitskraftanteilen - die bei Bedarf noch erhöht werden können - zur Verfügung. Sie beantworten Fragen der Opfer und bieten die Vermittlung an geeignete Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen an. Auf Wunsch können zudem Termine für umfassendere persönliche Beratungsgespräche vereinbart werden. Hotline des Landschaftsverbandes Rheinland Der für die Durchführung des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) im Rheinland verantwortliche Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat kurz nach Bekanntwerden der Ereignisse eine spezielle Telefon- Hotline für Betroffene eingerichtet. Über diese Hotline erhalten Betroffene LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11125 4 Informationen über Hilfen im Rahmen des OEG, insbesondere über die Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer ortsnahen Traumaambulanz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ambulanzen sind im Umgang mit traumatischen Erlebnissen erfahren und leisten kompetente Beratung und bei Bedarf therapeutische Betreuung. Über das Beratungs- und Hilfeangebot sowie die Anschriften der Traumaambulanzen in Köln hat der LVR in einer Presseinformation am 06. Januar 2016 aufmerksam gemacht. 2. Stehen in Nordrhein-Westfalen, insbesondere im Rheinischen Ballungsraum, ausreichend geschulte Therapeuten für Opferhilfe zur Verfügung? Über die Angebote der Traumaambulanzen hinaus kann sich jede betroffene Person im Rahmen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch V zur gesundheitlichen Versorgung an Ärztinnen und Ärzte oder Psychotherapeutinnen und - therapeuten wenden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen Rheinland und Westfalen-Lippe bieten verschiedene Angebote, um schnellstmöglich psychotherapeutische Hilfen zu vermitteln. 3. Welche zusätzlichen Gelder für die Opferhilfe im Nachgang zu den Vorfällen plant die Landesregierung bereitzustellen? (Bitte nach Verwendungszweck und -zeitraum sowie nach Höhe bzw. Umfang aufführen.) Nordrhein-Westfalen verfügt bereits über ein sehr gut ausgebautes Frauenhilfenetz, das von Gewalt betroffenen Frauen qualifizierte Unterstützung und Beratung bietet. Das Hilfenetz umfasst 62 Frauenhäuser, 58 allgemeine Frauenberatungsstellen, 47 Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt, acht spezialisierte Beratungsstellen gegen Menschenhandel und zwei überregional tätige Fachberatungsstellen gegen Zwangsheirat. Die nahezu flächendeckend bestehenden allgemeinen Frauenberatungsstellen leisten konkrete Hilfe bei allen Formen von Gewalt gegen Frauen. Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt (Frauen-Notrufe und Wildwassereinrichtungen ) unterstützen Betroffene durch akute Krisenintervention, psychosoziale Beratung, Begleitung zu Ärztinnen und Ärzten, zur Polizei und zu Gerichten. Flankierend dienen die auf kommunaler Ebene bestehenden Runden Tische gegen Gewalt an Frauen dem effektiven Opferschutz durch Kooperation und Vernetzung der Akteurinnen und Akteure der Anti-Gewalt-Arbeit. Die Finanzausstattung dieser Förderprogramme hat die Landesregierung in den letzten Jahren erheblich verbessert. So ist das Fördervolumen für die Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt aufgrund erweiterter Aufgaben und neuer Themenfelder wie K.O.- Tropfen und anonyme Spurensicherung gegenüber dem Jahr 2010 um rund 30 % gestiegen. Die Landesregierung wird die Vorfälle in Köln und anderen Städten des Landes in der Silvesternacht einer genauen Analyse unterziehen. Ergeben sich aus den Ergebnissen oder den Erkenntnissen der beim Landgericht Köln eingerichteten Hilfehotline entsprechende Anhaltspunkte , wird die Landesregierung eine Nachsteuerung der Opferhilfeangebote vornehmen. 4. Inwiefern plant die Landesregierung bei der Fortschreibung des Landesaktionsplans zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf die neue massenhafte Dimension sexualisierter Gewalt gegen Frauen zu reagieren? Die Landesregierung wird im Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen und Mädchen alle Gewaltformen in den Blick nehmen und neuen Herausforderungen Rechnung tragen. Neben aktuellen Themen wie z.B. Cybergewalt werden auch neue Dimensionen realer sexualisierter Gewalt aufgegriffen, um durch passgenaue Maßnahmen auf alle Ausprägungen von Gewalt LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11125 5 angemessen reagieren zu können, dazu gehören auch die Geschehnisse der Silvesternacht in Köln. 5. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um die potentiellen Opfer auf die Möglichkeit des Gebrauchs der anonymen Spurensicherung hinzuweisen? Die Landesregierung verfolgt den Ausbau der Anonymen Spurensicherung (ASS) mit dem Bestreben nach einer landesweiten Bedarfsdeckung. Ein wichtiger Baustein auf diesem Weg ist die finanzielle Sicherung bestehender und im Aufbau befindlicher regionaler ASS-Angebote in NRW. Im letzten Jahr konnten mit den Fördermitteln des Landes verschiedene örtliche Informationsmaterialien für betroffene Frauen entwickelt werden, die u.a. auf regionale Angebote der Anonymen Spurensicherung und verfügbare Kontaktadressen aufmerksam machen. Darüber hinaus steht im Internet das Informationsportal GOBSIS (Gewalt-Opfer-Beweissicherungs -Informationssystem) www.gobsis.de zur Verfügung, das im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter federführend vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Düsseldorf entwickelt wurde. Unter dem Themenschwerpunkt „Hilfe für Gewaltopfer “ finden dort sowohl Betroffene als auch Angehörige und Freundinnen/Freunde zahlreiche Informationen sowie einen landesweiten Beratungsstellenfinder. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11125