LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11130 15.02.2016 Datum des Originals: 15.02.2016/Ausgegeben: 18.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4339 vom 26. Januar 2016 der Abgeordneten Karlheinz Busen und Henning Höne FDP Drucksache 16/10895 Ferkelkastration unter Inhalationsnarkose Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4339 mit Schreiben vom 15. Februar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aus Tierschutzgründen wird ab 2019 die Ferkelkastration in Deutschland nur noch unter Betäubung zulässig sein. Da „Ersatzverfahren” wie die Ebermast und Eberimpfung auf absehbare Zeit nicht praxistauglich sein werden, wird zunächst auf chirurgische Eingriffe nicht verzichtet werden können. Um diesen Eingriff für die Tiere so schmerzarm und erträglich wie möglich und gleichzeitig praktikabel zu halten, müssen Betäubungsmethode schnell, sicher für die Tiere, wirtschaftlich und effizient sein. Die an sich zwar zugelassene Lokalanästhesie hat sich in der Praxis nicht bewährt, so dass die derzeit am häufigsten angewandte Methode der Betäubung zur Kastration die sogenannte Injektionsnarkose ist. Hierbei werden Betäubungs- und Schmerzmittel über Spritzen verabreicht. Auch diese Betäubungsmethode, bei der der Tierarzt die Narkose verabreichen muss, ist in Tierwohlhinsicht nicht optimal. So lässt sich die Narkosetiefe schlecht steuern. Während der Narkose müssen die Ferkel von der Sau getrennt werden. Dies kann zu einem Auskühlen der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11130 2 Ferkel führen und gibt im Wurf anschließend Unruhe. Eine nicht ausreichende Betäubung kann ebenso vorkommen wie unerwünscht lange Nachschlafphasen oder sogar Todesfälle bei den Ferkeln. So soll das Risiko von Ferkelverlusten im Zusammenhang mit der Narkose deutlich höher sein als bei der betäubungslosen Kastration. Als vielversprechend – und befürwortet von verschiedenen Bio-Anbauverbänden – gilt zurzeit die sog. Inhalationsnarkose. In der Schweiz wird sie seit dem Jahr 2010 angewandt. Bei dieser apparativen Methode wird das Narkosegas „Isofluran“ über Atemmasken verabreicht. Allerdings ist auch diese Methode nicht uneingeschränkt zu empfehlen. Die Narkosewirkung ist insbesondere abhängig von Größe, Gewicht und Alter der Ferkel. Um eine ausreichende Wirkung zu erzielen, sollten die Schweine nicht älter als zwei Wochen sein. Die Masken haben außerdem den Nachteil, dass sie zu einer Verschleppung von Krankheitskeimen beitragen können. Zudem ist die Inhalationsnarkose derzeit in Deutschland nicht zugelassen und würde in jedem Einzelfall eine Umwidmung im Rahmen eines Therapienotstandes und damit eine Ausnahmegenehmigung erfordern. Vorteilhaft ist dagegen, dass sich die Narkosetiefe im genannten Rahmen vergleichsweise besser steuern lassen soll und die Nachschlafphase sehr kurz gehalten werden kann. Ein Auskühlen der Ferkel ist hier eher nicht zu befürchten. Bei sachgemäßer Anwendung, nachzuweisen über einen Sachkundenachweis, könnte zudem auf die Inanspruchnahme tierärztlicher Leistungen verzichtet und Kosten minimiert werden. Vorbemerkung der Landesregierung In Westeuropa werden männliche Ferkel üblicherweise kastriert, da sie sonst möglicherweise einen unangenehmen Harn- und Geschlechtsgeruch annehmen, der auf den Konsumenten abstoßend wirken kann. Der Anteil der sogenannten „Stinker“ liegt in der konventionellen Schweinehaltung bei etwa 3%. Unter kontrollierten Fütterungs- und Haltungsbedingungen kann das Risiko der Entstehung eines unangenehmen Harn- und Geschlechtsgeruchs allerdings vermindert werden. Nordrhein-Westfalen hat diesen Ansatz seinerzeit aufgegriffen und in einer Vereinbarung mit der Wirtschaft maßgeblich die Ebermast vorangebracht, um so auf den tierschutzrelevanten, chirurgischen Eingriff verzichten zu können. Das Verfahren hat bei den Wirtschaftsbeteiligten eine breite Resonanz gefunden. Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass der Markt für Eberfleisch weitgehend gesättigt ist und es nicht möglich sein wird, alle männlichen Ferkel nur als Eber aufzuziehen und zu vermarkten. Es müssen also ergänzend dazu alternative Wege beschritten werden, den unangenehmen Ebergeruch zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund haben sich neben der Ebermast als weitere Verfahren die Immunokastration (Improvac®) sowie die Inhalationsnarkose mit Isofluran etabliert. Darüber hinaus gibt es erfolgversprechende Forschungsansätze, Schweinesperma zu sexen, sodass dann überwiegend nur noch weibliche Nachkommen geboren werden. Zur gesamten Problematik hat die Amtschefkonferenz am 13./14.01. 2016 in Berlin einen entsprechenden Beschluss gefasst. Insbesondere zu Isofluran wird der Bund gebeten abzuklären, ob im Rahmen eines „generell anerkannten Therapienotstandes“ bei der Ferkelkastration Isofluran zur Betäubung (wirksame Schmerzausschaltung) eingesetzt werden kann. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11130 3 1. Wie bewertet die Landesregierung die Erfahrungen mit der apparativen Inhalationsnarkose unter Einsatz eines Mittels gegen den postoperativen Schmerz aus Sicht von Tierwohl, Umweltschutz, öffentlicher Akzeptanz, betrieblichen Kosten und Fleischqualität? Eine Inhalationsnarkose mit dem Arzneimittel Isofluran bewirkt nach überwiegender Auffassung allein keine ausreichende Schmerzausschaltung, sodass derzeit eine ergänzende Gabe von Schmerzmitteln empfohlen wird. Die für die Narkose benötigten Gerätschaften sind inzwischen soweit optimiert worden, dass ein unkontrolliertes Entweichen des Narkosegases in die Umwelt auf ein Minimum reduziert wird. Nachteilige Einflüsse auf die Fleischqualität oder auf die öffentliche Akzeptanz von Schweinefleisch sind nicht bekannt. Die damit verbundenen Kosten entfallen auf einmalige Anschaffungskosten für das Narkosegerät sowie auf laufende Kosten für Verbrauchsmaterialien (Kontaktmaterialien; Arzneimittel). Deren Höhe hängt wesentlich davon ab, in welchem Ausmaß das Verfahren der Inhalationsnarkose Verbreitung findet. Nach einer Studie mit Beteiligung der Erzeugergemeinschaft für Schlachtvieh im Raum Osnabrück eG (EGO-Verbund), in Zusammenarbeit mit der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover 2012 wurden die betrieblichen Kosten mit ca. 7.500 bis 8.000 Euro für die Anschaffung des Narkosegerätes und Kosten (inkl. Tierarztkosten) je Ferkel von 1,27 Euro bei einem Betrieb mit 200 Sauen und Kosten von 0,60 Euro bei einem Betrieb mit 600 Sauen ermittelt. 2. Wie bewertet die Landesregierung die Praxiserfahrungen der Schweiz bezüglich der Abgabe von Isofluran an Tierhalter nach Erlangen eines einschlägigen Sachkundenachweises und Abschluss einer Schulung mit einem Tierarzt? Die Inhalationsnarkose mit Isofluran darf in Deutschland, im Unterschied zur Schweiz, grundsätzlich nicht vom Landwirt selbst, sondern nur vom Tierarzt durchgeführt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass Isofluran in Deutschland nicht über eine Zulassung für die Tierart Schwein verfügt. Somit kann aufgrund arzneimittelrechtlicher Vorgaben derzeit eine Anwendung nur im Rahmen der Umwidmung bei Vorliegen eines „Therapienotstandes“ erfolgen. Es muss daher zunächst seitens des Bundes abgeklärt werden, ob Möglichkeiten bestehen oder Voraussetzungen geschaffen werden können, dass Landwirte mit entsprechenden Kenntnissen die Isoflurannarkose wie in der Schweiz selbst durchführen dürfen. Da es sich um ein bundesweites Problem handelt und der Bundesgesetzgeber hier gefragt ist, hat die Amtschefkonferenz eine entsprechende Bitte an den Bund gerichtet. 3. Inwiefern hält die Landesregierung eine vergleichbare Lösung in Deutschland für rechtlich und wirtschaftlich umsetzbar sowie aus Tierwohlsicht sinnvoll? Ab dem 01. Januar 2019 ist in Deutschland die Ferkelkastration nur noch unter Betäubung zulässig; das Tierschutzgesetz lässt dabei offen, welches Verfahren in Betracht kommt. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung und die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Neben der Inhalationsnarkose kommen auch die Ebermast sowie die Immunokastration in Betracht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11130 4 4. Welche Kenntnis hat die Landesregierung über die Bewertung dieses Verfahren durch die Landestierärztekammer? Die verbandlich organisierte Tierärzteschaft befürwortet überwiegend die Immunokastration von männlichen Ferkeln, weil so auf die operative Kastration gänzlich verzichtet werden kann und dies insofern mit den geringsten Belastungen verbunden ist. Die Immunokastration birgt jedoch vermarktungs-kommunikative Risiken und hat sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt. Da der einer Immunokastration zugrundeliegende Wirkstoff amtlich zugelassen ist, wäre eine Anwendung dieses Verfahrens aus Sicht der amtlichen Überwachung rechtskonform. 5. Welches Verfahren befürwortet die Landesregierung im Hinblick auf die betäubungslose Ferkelkastration ab 2019? Die Amtschefkonferenz hat am 14.01.2016 in ihrem Beschluss den Bund gebeten, verstärkt Forschungsmittel zur Verfügung zu stellen, um zeitgerecht abzuklären, ob und wie die Schmerzausschaltung durch den Einsatz von Tierarzneimitteln durch die Landwirte selbst eine in der Praxis umsetzbare Alternative sein könnte; in diesem Zusammenhang sollte insbesondere geklärt werden, wie der Begriff „wirksame Schmerzausschaltung“ rechtlich auszulegen ist. Eine Antwort des Bundes steht derzeit noch aus. Die Landesregierung kann erst nach Vorliegen der erbetenen wissenschaftlichen Ergebnisse unter Beachtung des Tierschutzes eine substantiierte Beurteilung abgeben. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11130