LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11174 19.02.2016 Datum des Originals: 18.02.2016/Ausgegeben: 24.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4314 vom 19. Januar 2016 der Abgeordneten Ilka Freifrau von Boeselager, Andrea Milz und Michael-Ezzo Solf CDU Drucksache 16/10823 Wie trägt die Landesregierung Gewähr für die rechtskonforme Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern in Nordrhein-Westfalen? Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 4314 mit Schreiben vom 18. Februar 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens werden im signifikant zunehmenden Maße vor die Aufgabe gestellt, unbegleitete minderjährige Ausländer, UMA, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben aufzunehmen und zu betreuen. Die Zuweisungen auf der Grundlage des Königsteiner Schlüssels haben sich im letzten Drittel des Jahres 2015 zahlenmäßig mehr als verdoppelt. Sie bedingen große organisatorische Anstrengungen und überlasten vielerorts die von den Jugendämtern vorgehaltene Infrastruktur: besonders hinsichtlich der personellen Kapazitäten und hinsichtlich der verfügbaren Bestandsimmobilien, die vor allen Dingen auch für die Unterbringung erwachsener Flüchtlinge beansprucht werden. Die wöchentliche Neufestsetzung der Verteilungsquote der unbegleiteten minderjährigen Ausländer erschwert ein berechenbares Management zusätzlich. In der Folge sind die Jugendämter landesweit immer mehr zu einer provisorischen Handhabe gezwungen. Die Verteilstellen der Landesjugendämter und die erstaufnehmenden Kommunen sind zu einem kurzatmigen, Fehler verursachenden Bearbeitungsregime genötigt. Die Vermeidung von Obdachlosigkeit für die relevante Altersgruppe der 14 – 18-jährigen unbegleiteten minderjährigen Ausländer ist nach Auskunft zahlreicher Jugendämter oft nur zu gewährleisten, wenn Überbelegung und ein Abweichen von den rechtlichen Standards der Jugendhilfe in Kauf genommen werden. Diese Praxis des ungenügenden Behelfs wird von der Heimaufsicht der Landesjugendämter dem Vernehmen nach – zumindest übergangsweise – geduldet. Die Landesregierung hat zu der offenbar praktizierten Absenkung der Unterbringungs- und Betreuungsstandards dem Vernehmen nach keine Vorgaben gemacht, so dass die Verantwortung dafür vorwiegend den örtlichen Jugendämtern angelastet ist. Zumal Handlungsleitlinien der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11174 2 Landesjugendämter zur Bewältigung und zur Ausgestaltung von Unterbringung und Betreuung in einem unausgesetzt stabilen rechtskonformen Rahmen bislang fehlen, sehen sich die 196 Jugendämter in Nordrhein-Westfalen vielfach in einer personell erschöpften und mehrfach heiklen Lage: sowohl unter rechtlichem als auch humanitärem Gesichtspunkt. 1. Welche Kenntnis hat die Landesregierung im Blick auf die Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern davon, dass die Heimaufsicht der Landesjugendämter von Betreuungsverhältnissen, die von den rechtlichen Vorgaben abweichen, weiß beziehungsweise dass sie diese zumindest zeitweise auch duldet? Die vorübergehende Unterschreitung der Betriebserlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII zur Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ist der Landesregierung bekannt und grundsätzlich mit ihr abgestimmt. Die vorübergehende Zulassung entsprechender Maßnahmen war in Folge der exponentiellen Fallzahlenentwicklungen in einem relativ kurzen Zeitraum unvermeidbar, da andernfalls eine Unterbringung nicht sichergestellt gewesen wäre. Bei den Maßnahmen handelt es sich ausdrücklich nicht um betriebserlaubnisfähige Angebote. Die Umsetzung einer entsprechenden Maßnahme ist den Landesjugendämtern zu melden, verbunden mit einer Aussage zur zeitlichen Perspektive des Betriebs. Darüber hinaus ist ein pädagogisches Setting zwingend erforderlich. Beispiele für solche Maßnahmen sind die Unterbringung in Jugendherbergen, Jugendbildungsstätten, (leerstehenden) Hotels oder auch separaten Trakten im Rahmen von allgemeinen Flüchtlingsunterkünften. Die Landesregierung hat zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der Jugendämter entsprechende Maßnahmen als kostenerstattungsunschädlich bezüglich der Kostenerstattung des Landes erklärt. 2. Wie sichert (und kontrolliert) die Landesregierung die rechtskonforme Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern im Zuge der aktuellen Entwicklungen ? Grundsätzlich fällt die Jugendhilfe – und damit auch die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen - in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat weder die Rechts- noch die Fachaufsicht über die örtlichen Jugendämter. Auch die Landesjugendämter haben keine Aufsichts- und Weisungsfunktion gegenüber den örtlichen Jugendämtern. Für betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen der Jugendhilfe hat das Land den Landesjugendämtern durch Gesetz die Aufgaben als betriebserlaubniserteilende Stelle als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung übertragen. Für diese Einrichtungen bestehen wenn auch eingeschränkte , da anlassbezogene und kooperativ umzusetzende, Kontrollrechte der Landesjugendämter . Für nicht betriebserlaubnisfähige Maßnahmen hat die Landesregierung die Kostenerstattungsfähigkeit entsprechender Maßnahmen an Kriterien gebunden. Demnach müssen die Maßnahmen schnellstmöglich durch jugendhilferechtlich vorgesehene Angebote ersetzt werden. Es ist zudem zwingend ein pädagogisches Setting erforderlich. Im Übrigen gelten auch für diese Maßnahmen die Regelung der §§8a und 8b SGB VIII zum Schutz von Kindern und Jugendlichen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11174 3 3. Mit welchen Maßnahmen der Optimierung (und ggf. Zentralisierung) der einschlägigen Versorgungsstruktur in der stationären Jugendhilfe wirkt die Landesregierung darauf hin, dass namentlich die kleinen Jugendämter bei der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Ausländern entlastet werden? Gemäß dem Fünften Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, das der Landtag mit Zustimmung der Fraktionen von SPD, Bündnis90/Die Grünen, CDU und FDP bei Enthaltung der Piraten beschlossen hat, sind alle 186 Jugendämter in Abhängigkeit zur Bevölkerungszahl des jeweiligen Jugendamtsbezirks zur Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen verpflichtet. Die Belastungssituation von kleinen Jugendämtern stellt sich gegenwärtig sehr heterogen dar. Von einer besonderen Belastung dieser kann grundsätzlich nicht gesprochen werden. Gerade jedoch in Folge der Annahme, dass für kleine Jugendämter die Vorhaltung von Kompetenzen insbesondere im Bereich des Clearingverfahrens erschwert ist, wurden mit dem Fünften Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetz die Möglichkeiten interkommunaler Kooperation erweitert. Über entsprechende Kooperationen können sich gerade kleine Jugendämter entlasten. Die Landesjugendämter beraten und unterstützen den Aufbau dieser. Hierzu bedarf es jedoch der Initiative und Bereitschaft der Jugendämter . 4. Wie beurteilt die Landesregierung angesichts der augenblicklichen Entwicklung die von Experten angeregte Einrichtung größerer Clearingzentren als Alternative zu der derzeit flächenhaften Verteilung, die sich auch und gerade mit der Anwendung interkommunaler Kooperation als äußerst personalintensiv erweist? Die Bildung von Schwerpunktjugendämtern als Alternative zur regionalen Verteilung ist im Vorfeld und im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses umfassend erörtert worden. Im Ergebnis bestand zwischen praktisch allen beteiligten Akteuren Einvernehmen, dass insbesondere unter der Perspektive von Integrationschancen eine Verteilung auf alle 186 Jugendämter sinnvoller ist. Dies schließt die Bildung von regionalen Clearingzentren jedoch nicht aus. Zur Einrichtung solcher wurde mit den weitgehenden rechtlichen Möglichkeiten interkommunaler Kooperation eine entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen. Erfahrungen zu solchen gemeinsamen Diensten oder Stellen liegen noch nicht vor. Auch wenn daher aus Sicht der Landesregierung die Personalintensität entsprechender Kooperation zwar gegenwärtig nicht abschließend beurteilt werden kann, ist nicht davon auszugehen, dass die Bildung einer gemeinsamen Clearingstelle durch mehrere Jugendämter den Personalbedarf erhöht. 5. Mit welchen infrastrukturellen Maßnahmen unterstützt die Landesregierung die Jugendämter bei der Bewältigung des sprunghaft gestiegenen Erfordernisses, unbegleitete minderjährige Ausländer unterzubringen und zu versorgen: personell und in puncto Immobilienkapazität? Mit Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes wurde ab dem 01. Januar 2016 die Erstattung einer Verwaltungskostenpauschale für die Personal -, Sach- und Gemeinkosten der Jugendämter eingeführt. Damit werden die Jugendämter in die Lage versetzt, personelle Vorsorge unabhängig von der eigenen Haushaltsbelastung zu treffen. Dass ein Mangel an Immobilienkapazitäten die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge behindert, wurde an die Landesregierung bisher nicht als flächendeckendes Problem herangetragen. Die Landesregierung hat jedoch für die zum damaligen Zeitpunkt besonders belasteten Jugendämter Ende August über die bestehen- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11174 4 den Trägerstrukturen eine Abfrage zu Unterbringungsmöglichkeiten eingeleitet und entsprechende Plätze und Immobilien an diese Jugendämter vermittelt. Sofern ersichtlich wird, dass sich das Problem erneut punktuell oder flächendeckend manifestiert, wird die Landesregierung eine erneute Initiative umsetzen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11174