LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11186 19.02.2016 Datum des Originals: 19.02.2016/Ausgegeben: 24.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4302 vom 18. Januar 2016 des Abgeordneten Daniel Schwerd FRAKTIONSLOS Drucksache 16/10770 Nach den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht: Wer kümmert sich um die Opfer? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4302 mit Schreiben vom 19. Februar 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, dem Justizminister Neben der Aufarbeitung der Fehler der Polizeiführung darf die angemessene Versorgung und Betreuung der Opfer von sexualisierter Gewalt und Raub nicht in den Hintergrund treten. 1. Welche Hilfsangebote stehen den Opfern der Gewalt in der Silvesternacht in Köln zur Verfügung? Gehen Sie darauf ein, inwieweit es Traumaberatung, medizinische Versorgung, Psychologen und Rechtsbeistand sowie weitere Versorgung für die Betroffenen gibt. Die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen berücksichtigt bereits bei dem Erstkontakt mit dem Opfer die besondere Situation, in der sich Opfer von Kriminalität befinden können. Sie vermittelt Opfern adäquate Hilfeangebote und informiert sie sowohl über Opferrechte als auch über den Ablauf des Strafverfahrens. Die Opferschutzbeauftragten, die in allen 47 Kreispolizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen benannt sind, initiieren und unterstützen auf regionaler Ebene Netzwerke mit den örtlichen Einrichtungen der Opferhilfe. Zur Umsetzung von Maßnahmen des polizeilichen Opferschutzes und der Vermittlung von Opferhilfe ist im Polizeipräsidium Köln in der Ermittlungsgruppe „Neujahr“ ein Einsatzabschnitt „Opferschutz“ eingerichtet worden. Im Rahmen dieser Einsatzbewältigung suchen die Opferschutzbeauftragten des Polizeipräsidiums Köln die im Bereich Köln und Leverkusen wohnhaften Opfer persönlich auf. Sofern die Geschädigten im Zuständigkeitsbereich einer anderen Kreispolizeibehörde wohnhaft sind, werden die örtlich zuständigen Opferschutzbeauftragten gebeten, diese zeitnah persönlich aufzusuchen und zu betreuen. Die Opfer erhalten in den Gesprächen Informationen über die ihnen zustehenden Rechte und Angebote der Opferhilfe. Die Opferschutzbeauftragten klären den Bedarf an Opferhilfe und vermitteln Opfern Kontakte LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11186 2 zu Hilfeeinrichtungen (z. B. „Weisser Ring“, Traumaambulanzen des Landschaftsverbands Rheinland oder private Traumaambulanzen). Darüber hinaus wendet sich das Polizeipräsidium Köln mit seinem Internetauftritt und über Facebook an mögliche Opfer, die noch keine Strafanzeige erstattet haben, und bittet sie, sich mit der Polizei in Verbindung zu setzen. Neben den dort bekannt gegebenen Telefonnummern hat es zur direkten Kontaktaufnahme mit den Opferschutzbeauftragten ein gesondertes E-Mail-Postfach eingerichtet. Nordrhein-Westfalen verfügt über ein sehr gut ausgebautes Frauenhilfenetz, das von Gewalt betroffenen Frauen qualifizierte Unterstützung und Beratung bietet. Die nahezu flächendeckend bestehenden allgemeinen Frauenberatungsstellen leisten konkrete Hilfe bei allen Formen von Gewalt gegen Frauen. Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt unterstützen Betroffene durch akute Krisenintervention, psychosoziale Beratung, Begleitung zu Ärztinnen und Ärzten, zur Polizei und zu Gerichten. Die finanziellen Mittel für den Bereich „Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen“ wurden in den letzten Jahren insgesamt um rund 7 Millionen Euro erhöht. Im Rahmen der Regelversorgung besteht Zugang zu niedergelassenen ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung und zu der niedergelassenen Fachärzteschaft. Zudem ist in den psychiatrischen Institutsambulanzen eine Notfallhilfe möglich. Soweit eine ambulante Behandlung nicht ausreicht, ist auch eine stationäre Aufnahme in Psychiatrischen Kliniken möglich. Akute und spezifische traumatherapeutische Versorgung wird im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Nordrhein- Westfalen auch durch Traumaambulanzen an Kliniken gewährleistet. Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) wird in Nordrhein-Westfalen von den beiden Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe ausgeführt. Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) hat am 6. Januar 2016 auf eigene Veranlassung eine Hotline für die Opfer in der Silvesternacht eingerichtet, um die Betroffenen über Hilfsangebote rund um das OEG informieren zu können. Dies wurde zugleich in einer Pressemitteilung des LVR bekannt gegeben . Die Hotline wird beim LVR von qualifizierten Fallmanagern betreut, die mit den Anruferinnen und Anrufern den Bedarf klären und mit ihnen durchgehen, wer in welcher Form möglichst schnell weiterhelfen kann. Hierbei arbeitet der LVR insbesondere mit den Traumaambulanzen und anderen Netzwerkpartnern, wie den Opferschutzbeauftragten der Polizei, dem Weissen Ring und verschiedenen Beratungsstellen (insbesondere Frauenberatungsstellen) zusammen . Bei Bedarf stellt der LVR den Kontakt zu diesen her, um das passende Angebot für die Betroffenen zu finden. In den Traumaambulanzen kann beispielsweise jede betroffene Person bei seelischen Problemen zunächst fünf kostenlose Beratungstermine wahrnehmen und damit eine wirksame Soforthilfe erhalten. Bei Bedarf können mehr Termine erfolgen. Der Bericht der Traumaambulanz hilft den Betroffenen zudem als Nachweis der gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Rahmen eines möglichen Antragsverfahrens nach dem OEG beim LVR. Rechtsbeistände darf der LVR als Behörde nicht vermitteln. Die Betroffenen haben aber die Möglichkeit , von Opferverbänden wie dem Weisser Ring e.V. Adressen von Rechtsbeiständen zu erhalten . Der Fachbereich Gerichtshilfe des Ambulanten Sozialen Dienstes bei dem Landgericht Köln hat seit dem 15. Januar 2016 eine zentrale Anlaufstelle für Opfer von Gewalt- und Sexualstraften der Silvesternacht eingerichtet. Eingehende Anrufe und E-Mails werden von erfahrenen, in der psychosozialen Opferarbeit qualifizierten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern bzw. Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen der Gerichtshilfe entgegen genommen. Sie beantworten Fragen der Opfer und bieten die Vermittlung an geeignete Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen an. Auf Wunsch können zudem Termine für umfassendere persönliche Beratungsgespräche vereinbart werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11186 3 Im gerichtlichen Strafverfahren steht den Opfern das Angebot der seit Jahren beim Amts- und Landgericht Köln eingerichteten Zeugenbetreuungsstelle zur Verfügung. Die Erteilung rechtlichen Rats ist in erster Linie Aufgabe der rechtsberatenden Berufe. (Opfer- )Zeuginnen und (Opfer-)Zeugen können sich nach den Regelungen der Strafprozessordnung (StPO) grundsätzlich im gesamten Strafverfahren eines anwaltlichen Beistands bedienen, der sie im Verfahren vertritt und dabei zum Beispiel die Akten einsehen, während der Vernehmung anwesend sein und sie unterstützen darf. Opfern von schweren Straftaten - dazu gehören u. a. sexuelle Nötigung und Vergewaltigung - wird auf ihren Antrag kostenlos eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt als Beistand bestellt . Andere schutzbedürftige Opfer, die ihre Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen können oder denen dies nicht zuzumuten ist, können auf Antrag Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes erhalten. Diese kann sich auf einzelne Verfahrensabschnitte - beispielsweise eine Vernehmung - aber auch auf das gesamte Verfahren erstrecken . Entsprechende Anträge können bei der Staatsanwaltschaft angebracht werden, die für die Aufarbeitung der Straftaten der Silvesternacht eine gesonderte Ermittlungsgruppe eingerichtet hat. Über die Beiordnung entscheidet das jeweils zuständige Gericht. 2. Wie viele Personen stehen seitens des Landes jeweils zur Verfügung? Bundesweit liegt die Zahl der ambulant arbeitenden ärztlichen bzw. psychologischen Psychotherapierenden bei 27.125 Personen. Im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein arbeiten 717 ärztliche und 2.718 psychologische Psychotherapierende sowie 757 Fachärztinnen und Fachärzte für Neurologie bzw. Psychiatrie (Zahlen aus Bundesarztregister, Stand 31.12.2014). Klinische Angebote bestehen in NRW in 84 Krankenhäusern, davon in Köln in 4 Krankenhäusern. Differenzierte Zahlen dazu, welche ärztlichen oder psychologischen Psychotherapierenden auf die Therapie von schweren Traumafolgestörungen wie der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) spezialisiert sind, werden nicht routinemäßig von den Kassenärztlichen Vereinigungen erfasst und konnten daher im Beantwortungszeitraum dieser Kleinen Anfrage nicht ermittelt werden. Eine Suche in der Therapeutendatenbank auf den Internetseiten der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie erbrachte 111 spezialisierte Psychotherapierende in Köln (50km Umkreis, Abfrage am 22.01.2016). Das Frauenhilfenetz in NRW umfasst unter anderem 62 Frauenhäuser, 58 allgemeine Frauenberatungsstellen und 47 Fraueninitiativen gegen sexualisierte Gewalt. Hier fördert das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt 368,5 Stellen. Die eingerichtete Hotline des Landschaftsverbandes Rheinland wird derzeit von fünf Fallmanagern abwechselnd betreut. Dahinter kümmern sich weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um die Sachverhaltsaufklärung und Leistungserbringung. Zurzeit stehen für die Aufgabe der Opferberatung beim Landgericht Köln sieben Fachkräfte der Gerichtshilfe mit vier Arbeitskraftanteilen zur Verfügung. Eine Personalaufstockung ist bei Bedarf möglich. Die Polizei des Landes NRW verfügt in allen Kreispolizeibehörden über speziell für den Opferschutz und die Vermittlung von Opferhilfe geschulte Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Außerdem ist jede Polizeibeamtin und jeder Polizeibeamte im Umgang mit Kriminalitätsopfern geschult. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11186 4 3. Wird oder wurde das Personal für die Betreuung der Opfer der Silvesternacht aufgestockt ? Eine Aufstockung der speziell geschulten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten für den Bereich Opferschutz war nicht erforderlich, da sich Opfer der Silvesternacht erst sukzessive in verschiedenen Kreispolizeibehörden meldeten, um Anzeige zu erstatten. Zu diesem Anlass wurden ihnen von den Opferschutzbeauftragten umfangreiche Informationen zum Opferschutz und zur Opferhilfe vermittelt. Das beim Landschaftsverband Rheinland eingesetzte Personal wurde bisher nicht eigens für die Betreuung der Opfer der Silvesternacht aufgestockt. Der entstandene bzw. entstehende Mehraufwand wird bisher vom vorhandenen Personal aufgefangen. Wie bereits unter Frage 2 ausgeführt, ist es bei Bedarf möglich, die Anlaufstelle für Opfer von Übergriffen in der Silvesternacht beim Landgericht Köln personell aufzustocken. Die Landesregierung wird verstärkt Maßnahmen zur Prävention aller Formen von sexualisierter Gewalt ergreifen und prüft die Nachsteuerung von Opferhilfeangeboten. Für die Sicherheit von Frauen im Karneval 2016 hat das Land Security-Points gefördert, die Frauenberatungsstellen und Frauen-Notrufe an Altweiberfastnacht und Rosenmontag an zentralen Punkten in Köln und Düsseldorf errichtet haben. Über die Web-App des Landes www.sicher-feiern.nrw.de konnten im Ernstfall via Smartphone mit einem Klick Notrufe abgesetzt werden. 4. Gibt es eine zentrale Koordination oder Task-Force für den Bereich der Opferbetreuung (medizinisch, psychologisch, rechtlich)? Über die Kassenärztlichen Vereinigungen sind ambulante Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung sowie Fachärztinnen und -ärzte erfasst und lassen sich dort abfragen. Es steht außerdem der direkte Weg in die Traumaambulanzen offen. Von den Hausärztinnen und -ärzten bzw. Fachärztinnen und -ärzten wird bei Bedarf eine Überweisung in eine psychiatrische Institutsambulanz oder direkt zur stationären Aufnahme in eine psychiatrische Klinik vorgenommen. In dringenden Fällen kann auch ohne Überweisung jederzeit eine Vorstellung in einer Fachklinik oder Ambulanz erfolgen. Beim LVR dient das Fallmanagement als zentrale Anlaufstelle für die Betroffenen. Daneben findet eine enge Zusammenarbeit mit den zu 1. bereits genannten Netzwerkpartnern statt. Die Kölner Anlaufstelle beim Landgericht Köln für Opfer von Gewalt - und Sexualstraften der Silvesternacht ist unter der Telefonnummer 0221/20238140 (Hotline) und durch E-Mail (opferberatung -silvester@lg-koeln.nrw.de) montags bis freitags von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr erreichbar . Die Justizbehörden haben die Einrichtung der Opferberatungsstelle und deren Erreichbarkeiten durch eine Pressemitteilung bekannt gemacht, um sicherzustellen, dass alle Betroffenen von dieser zentralen Anlaufstelle für Fragen im Zusammenhang mit den Hilfsangeboten Kenntnis erhalten. Die Auswahl einer Ärztin bzw. eines Arztes und einer Anwältin bzw. eines Anwalts des Vertrauens ist eine persönliche Entscheidung des jeweiligen Opfers. Die dabei entstehende Vertrauensbeziehung gewährleistet, dass unter dem Schutz der beruflichen Schweigepflicht das für jedes Opfer individuell Erforderliche veranlasst wird. Eine über die in der Anlaufstelle angebotene Beratung, Unterstützung und Vermittlung hinausgehende „Zentralisierung“ der medizinischen und rechtlichen Beratung und Betreuung ist daher im Interesse der Opfer nicht zielführend, zumal auch nicht alle Opfer aus Köln stammen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11186 5 5. In welchen Formen werden diese verschiedenen Angebote den Opfern angeboten? Gehen Sie darauf ein, inwieweit die Angebote proaktiv gemacht werden und inwieweit sie von der konkreten Nachfrage der Opfer abhängig sind. Bereits bei der Anzeigenaufnahme durch die Polizei wird den Opfern von Straftaten das Merkblatt des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen "Über die Rechte von Verletzten und Geschädigten im Strafverfahren" mit den wichtigsten Informationen über das Recht auf Beiordnung eines Rechtsbeistandes und die weiteren Opferrechte im Strafverfahren ausgehändigt . Wird eine Anzeige nicht persönlich erstattet, wird das Merkblatt mit der Vorladung zur Vernehmung als Zeugin oder Zeuge übersandt. Das Merkblatt kann auch auf der Internetpräsenz des Justizministeriums heruntergeladen werden. Ein Informationsblatt über die Zeugenbetreuungsstelle des Amts- und Landgerichts Köln wird jeder Zeugenladung beigefügt. Daneben sind Opferhilfeeinrichtungen, die Polizei und die anwaltlichen Vertreterinnen und Vertreter der Nebenklage über das Angebot unterrichtet und können Betroffene entsprechend informieren. Im Gerichtsgebäude weist eine Vielzahl von Informationsschildern auf das Angebot hin, über das man sich auch auf der Homepage des Landgerichts Köln informieren kann. Die Polizei vermittelt im Rahmen der Anzeigenaufnahme Opfern adäquate Hilfeangebote und weist sie auf die ihnen zustehenden Opferrechte hin. Sie sieht von einer regelmäßigen Datenübermittlung der Opferdaten an Beratungsstellen ab, da eine „aufgedrängte“ Beratung einer Entmündigung des Opfers gleichkommen würde und nicht mit einer selbstbestimmten Entscheidung über die weitere Lebensplanung zu vereinbaren wäre. Diese Erwägungen sind auch datenschutzrechtlich geboten. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11186