LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11196 22.02.2016 Datum des Originals: 19.02.2016/Ausgegeben: 25.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4299 vom 15. Januar 2016 des Abgeordneten Nicolaus Kern PIRATEN Drucksache 16/10767 Blind und taub – wissen die Behörden in NRW beim aktuellen Stand an Betreuung überhaupt , wer in den Asylbewerberunterkünften untergebracht ist? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4299 mit Schreiben vom 19. Februar 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aktuellen Medienberichten ist zu entnehmen, dass der Attentäter, welcher bei einem Anschlagsversuch am 07.01.2016 in Paris von der Polizei erschossen wurde, bis Ende Dezember 2015 in einer Asylbewerberunterkunft in Recklinghausen lebte. Ferner wird in der Presse berichtet , der Attentäter sei im Vorfeld bereits dadurch aufgefallen, in der Unterkunft mit einer IS- Fahne posiert zu haben. Es sei zu vermuten, dass er es war, der das Signet des IS an eine Wand in der Unterkunft gemalt habe. Vorkommnisse wie diese werden zum einen von gewissen politisch motivierten Kreisen dazu benutzt, um gegen Flüchtlinge zu agitieren und Angst vor ihnen zu verbreiten. Zum anderen stellen extremistisch motivierte Personen ein Gefährdungspotential für die Öffentlichkeit dar, wie der Anschlag in Paris verdeutlicht. Der genannte Täter war bereits polizeibekannt. Dies mag nicht für alle Sympathisanten terroristischer Organisationen gelten. Es muss daher die kritische Frage gestellt werden, inwiefern die Betreuung durch hauptamtliche Sozialarbeiter in den Unterkünften ausreichend ist und die zuständigen Polizeibehörden überhaupt in der Lage sind, mit dieser Art von Extremisten adäquat umzugehen. Eine ausreichende hauptamtliche Betreuung von Flüchtlingen in den Unterkünften vom ersten Tag an ist nicht nur notwendig, um den Menschen in den Unterkünften einen schnelleren Zugang zur Integration in unserem Land zu ermöglichen, sie liefert auch einen wesentlichen Beitrag dazu, dass potentiell gefährliche Extremisten früh erkannt und ihrem Wirken in den Unterkünften Einhalt geboten wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11196 2 Sie stellt zudem eine zusätzliche Unterstützungs- und Informationsquelle sowohl für die Bewohner der Unterkünfte, als auch für die Ordnungsbehörden dar. Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung bezieht sich in ihrer Antwort auf polizeilich registrierte Straftaten der politisch motivierten Kriminalität, die im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes übermittelt wurden. Die statistische Fallzahlenerhebung für das Tatjahr 2015 ist noch nicht vollständig abgeschlossen, so dass sich durch Nachmeldungen und Korrekturen zukünftig noch Änderungen ergeben. Die statistische Erfassung Politisch motivierter Kriminalität (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden danach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale , den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes , ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105- 108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungs-zusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeord-net. Die Landesregierung weist darauf hin, dass der Begriff des „Sympathisanten“ im Zusammenhang mit religiös motiviertem Islamismus nicht legal definiert ist und sich deshalb in dieser Form in keiner polizeilichen Kategorie wiederfindet. Daher bezieht sich die Antwort auf Beschuldigte polizeilich registrierter Straftaten der politisch motivierten Kriminalität. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11196 3 1. Wie viele Vorkommnisse mit Bezug auf Sympathisanten des IS und anderer radikalislamistischer Organisationen wurden in den Unterkünften für Asylbewerber im Kreis Recklinghausen im Jahr 2015 verzeichnet (unter Angabe von Datum, Stadt und Art des Vorkommnisses)? Abgesehen von einem im Zimmer des am 07.01.2016 in Paris erschossenen Attentäters SA- LIHI auf die Wand gezeichneten IS-Symbols, zu dem am 21.01.2016 in der Sitzung des Innenausschusses des Landtags NRW ausführlich berichtet worden ist, sind in Unterkünften für Asylbewerber im Kriminalhauptstellenbereich des PP Recklinghausen im Jahr 2015 keine Straftaten verzeichnet, die Bezüge zu dem sogenannten Islamistischen Staat (IS) oder dessen Netzwerken oder zu anderen radikal-islamistischen Organisationen aufweisen. 2. Wie viele Vorkommnisse mit Bezug auf Sympathisanten des IS und anderer radikalislamistischer Organisationen wurden in den Städten des Kreises Recklinghausen im Jahr 2015 von der Polizei registriert (unter Angabe von Datum, Stadt und Art des Vorkommnisses)? In Bezug auf den Begriff des „Sympathisanten“ verweise ich auf die Vorbemerkungen zu der am 05.02.2015 im Mehrbettzimmer des SALIHI festgestellten Wandzeichnung eines IS-Symbols verweise ich auf die Beantwortung der Frage 1. Für das Jahr 2015 hat die Landesregierung derzeit folgende Straftaten religiös motivierter Kriminalität in den Städten des Kreises Reckling-hausen registriert, die einen Bezug zum sog. Islamischen Staat aufweisen: 13.04.2015 Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB: Jihadist aus Recklinghausen mit Hinweisen auf Selbstmordattentat in Syrien/Irak (Abgabe an Generalbundesanwaltschaft; GBA 2 BJs 61/15-3, Ermittlungen dauern an) 17.05.2015 Sachbeschädigung § 303 StGB, Gladbeck (StA Essen, 33 UJs 272/15, Einstellung - Täter nicht ermittelt) 25.06.2015 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten § 126 StGB, Recklinghausen (StA Essen, 27 UJs 565/15, Einstellung - Täter nicht ermittelt) 24.09.2015 Verwendung von Kennzeichen verfassungs-feindlicher Organisationen § 86a StGB, Volksverhetzung § 130 StGB, Recklinghausen (StA Bochum, 33 Js 291/15, Ermittlungen dauern an) 09.11.2015 Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat § 89a StGB, durch Handy-Video, Recklinghausen (StA Dortmund, 601 Js 72/15, Ermittlungen dauern an) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11196 4 3. Wie viele Vorkommnisse mit Bezug auf Sympathisanten des IS und anderer radikalislamistischer Organisationen wurden in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2015 von der Polizei registriert (unter Angabe von Datum, Stadt und Art des Vorkommnisses)? In Bezug auf den Begriff des „Sympathisanten“ verweise ich auf die Vorbemerkungen. Für das Jahr 2015 hat die Landesregierung derzeit folgende Straftaten religiös motivierter Kriminalität in Unterkünften für Asylbewerber registriert, die einen Bezug zum sog. Islamischen Staat aufwiesen: 05.02.2015 Körperverletzung § 223 StGB, Oberhausen (StA Duisburg, 23 UJs 2794/15, jetzt: 117 UJs 72/15, Einstellung) 17.08.2015 Verstoß gegen § 20 Vereinsgesetz, Gütersloh (StA Bielefeld, 216 Js 336/15, Ermittlungen dauern an) 06.10.2015 Verstoß gegen § 20 Vereinsgesetz, Kerken (StA Kleve, 311 Js 2081/15, Ermittlungen dauern an) 17.11.2015 Gewaltdarstellung § 131 StGB, Bochum (StA Essen, 33 Js 344/15, jetzt: 29 Js 56/16, Ermittlungen dauern an) 25.09.2015 Gewaltdarstellung § 131 StGB, Geilenkirchen (StA Kleve, 508 Js 732/15, StA Aachen, 1 Js 1513/15 zuv. 510 Js 707/15, Ermittlungen dauern an) 20.11.2015 Belohnung und Billigung von Straftaten § 140 StGB, Dortmund (StA Dortmund, 600 Js 27/16, Ermittlungen dauern an) 19.11.2015 Bedrohung § 241 StGB, Hennef (noch in polizeilicher Bearbeitung) 06.11.2015 Straftaten gegen §§ 19, 20, 22a Kriegswaffenkontroll-gesetz, Herne (StA Bochum, 33 Js 317/15, Ermittlungen dauern an) 27.11.2015 Verstoß gegen § 20 Vereinsgesetz, Meschede, (StA Arnsberg, 211 Js 20/16; Abgabe an StA Dortmund, bisher keine Übernahmeentscheidung) 10.10.2015 Nötigung § 240 StGB, Olsberg (StA Arnsberg, 192 Js 109/16, Ermittlungen dauern an) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11196 5 10.12.2015 Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen § 86a StGB, Aachen (StA Aachen, 1 UJs 109/16, Ermittlungen dauern an) 12.03.2015 Sachbeschädigung und Körperverletzung (§§ 303, 223 StGB), Alsdorf (StA Aachen, 1 Js 1135/15, Ermittlungen dauern an) 4. Welche Maßnahmen werden seitens der Landesregierung unternommen, um in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften für Asylbewerber im Land NRW den Aktivitäten von Sympathisanten des IS und anderer radikal-islamistischer Organisationen entgegenzuwirken? Die Landesregierung setzt beim Umgang mit gewaltorientierten Salafisten auf einen Dreiklang, der sowohl mit verfolgenden und überwachenden als auch präventiven Ansätzen sowie mit Unterstützung zum Ausstieg aus der Szene arbeitet. Im Rahmen dieses Dreiklangs gehen die Sicherheitsbehörden jedem Hinweis auf strafbares Handeln in Zusammenhang mit islamistischem Terrorismus konsequent und unter Ausschöpfung aller rechtlich möglichen Maßnahmen nach. Darüber hinaus trägt der Verfassungsschutz NRW zur Aufklärung und Sensibilisierung gerade auch der Personen bei, die hauptberuflich oder ehrenamtlich mit Flüchtlingen arbeiten. Dazu wurde eine Broschüre erarbeitet, die dabei unterstützen soll, salafistische Anwerbungs- und Rekrutierungsversuche in Flüchtlingsunterkünften zu erkennen und von den Angeboten seriöser Organisationen zu unterscheiden. Die Broschüre wurde Ende September 2015 u.a. an die Erstaufnahme-einrichtungen, Zentralen Unterbringungseinrichtungen und Notunter-künfte des Landes Nordrhein-Westfalen verteilt. Unter http://www.mik.nrw.de/verfassungsschutz/aktuelles steht die Broschüre darüber hinaus für jedermann zum Herunterladen bereit oder kann kostenlos als Druckwerk angefordert werden . Seit ihrem Erscheinen wurde die Informationsbroschüre bereits etwa 15.000mal ausgegeben . Darüber hinaus bietet der Verfassungsschutz NRW im Rahmen der Islamismus-Prävention neben zahlreichen Publikationen zum Salafis-mus auch Sensibilisierungsmaßnahmen und Veranstaltungen für Multiplikator/innen aus den Bereichen Schule, Jugend, Justiz und Polizei an. In der weiteren Planung sind zudem Veranstaltungen für Beschäftigte von Flüchtlingsunterkünften selbst. Die Maßnahmen und Veranstaltungen sollen über die Gefahren salafistischer und islamistischer Umtriebe aufklären und zur Stärkung einer demokratischen Haltung beitragen. Bei den Veranstaltungen werden regelmäßig die Anwerbe- und Missionierungsversuche durch Salafisten im Kontext von Flüchtlingseinrichtungen angesprochen. Daneben stehen die landesweiten Hilfsangebote der Programme "Wegweiser" und "Aussteigerprogramm Islamismus" für Ratsuchende und Betroffene zur Verfügung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11196 6 5. Welche Maßnahmen in Bezug auf die Erfüllung des geforderten Mindeststandards einer regelmäßigen Betreuung der Erstauf-nahmeeinrichtungen und Notunterkünfte für Asylbewerber im Land NRW wird die Landesregierung aufgrund der aktuellen Ereignisse kurzfristig umsetzen? Die Mindeststandards für die Betreuung der Asyl suchenden Menschen in NRW sind in der "Fortschreibung der Leistungsbeschreibung über Standards in Unterbringungseinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen" festgelegt. Diese sind verbindlich für die Betreuungs-dienstleister . Die Qualität der Betreuungsleistung wird regelmäßig durch mobile Qualitätskontrollteams überprüft. In meinem Bericht zur Sitzung des Innenausschusses am 19. November 2015 "Planungsstand bezüglich neuer Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber und aktuelle Situation in den Einrichtungen" ist letztmalig das Ergebnis dieser Kontrollen dargestellt. Die Leistungsbeschreibung wird regelmäßig der aktuellen Situation angepasst. Derzeit wird im Rahmen des bevorstehenden Vergabeverfahrens eine Neufassung vorbereitet. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11196