LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11233 23.02.2016 Datum des Originals: 23.02.2016/Ausgegeben: 26.02.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4313 vom 19. Januar 2016 der Abgeordneten Ilka von Boeselager, Andrea Milz und Michael-Ezzo Solf CDU Drucksache 16/10822 Unkalkulierbarkeit der Flüchtlingszuweisungen Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4313 mit Schreiben vom 23. Februar 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Minister für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit der Unterbringung und Integration von hunderttausenden Flüchtlingen sehen sich die Städte und Gemeinden in ganz Deutschland derzeit mit Herausforderungen konfrontiert, die sie an die Grenzen der Leistungsfähigkeit führt und mittlerweile zunehmend überfordert. Die wachsende Zahl an Überlastungsanzeigen aus den Reihen der Kommunen ist ein deutliches Zeichen hierfür. Die Unkalkulierbarkeit des Flüchtlingsaufkommens führt dazu, dass sich am Ende manches Tages alle aufgewandten Bemühungen und Anstrengungen, die zugewiesenen Flüchtlinge in angemessener Form und menschenwürdig unterzubringen und möglichst bald Angebote der Integration zu schaffen, angesichts des anhaltenden Zustroms gleichwohl als unzureichend erweisen. Um den Kommunen eine wenn auch nur geringe zeitliche Vorlaufzeit zu geben, sich auf das Eintreffen weiterer Flüchtlinge in bestmöglicher Form vorbereiten zu können, wäre es äußerst hilfreich, ihnen möglichst frühzeitig Informationen zugänglich zu machen, anhand derer zumindest eine ungefähre, trendmäßige Abschätzung der zu erwartenden Zuweisungen möglich ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11233 2 Das Innenministerium Nordrhein-Westfalen verfügt dem Vernehmen nach über einen aktuellen Überblick, wie viele Flüchtlinge pro Woche in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und wie hoch die Zahl derer ist, die davon in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes NRW ankommen. 1. Welche Daten über den derzeitigen tatsächlichen Umfang der Zuwanderung von Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland und speziell nach Nordrhein- Westfalen liegen der Landesregierung vor? Für die Einschätzung der Entwicklung der Flüchtlingszahlen bundesweit, aber auch in NRW ist die Anzahl der Registrierungen in dem vom Bund betriebenen und von den Ländern befüllten EASY-System (Erstverteilung von Asylsuchenden) ein maßgeblicher Indikator. Das EASY-System sorgt für einen unverzüglichen bundesweiten Asylbewerberausgleich in der Flüchtlingsaufnahme zwischen den Bundesländern. Ausweislich der EASY-Statistik sind im Jahr 2015 in Deutschland 1.091.894 Flüchtlinge registriert worden, von denen 231.878 NRW zugewiesen wurden. Dagegen bildet die monatliche Antrags-, Entscheidungs- und Bestandsstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht den realen Zugang ab, da das BAMF in der Antragsbearbeitung noch deutlich hinter den tatsächlichen Zugängen liegt. Darüber hinaus betreibt das Land eine eigene Software zur Aufnahme, Verteilung und Unterbringung von Asylsuchenden (AVU-Asyl) aus der jedoch lediglich die Zuweisungen in die Kommunen hervorgehen. Demnach dient dieses Programm nicht als Instrument zur Messung des Umfangs der Zuwanderung nach Nordrhein-Westfalen. Daten zum Verlauf der Zuwanderung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen liegen in der amtlichen Statistik (Vorläufige Schutzmaßnahmen, Kinder- und Jugendhilfestatistik) erst Mitte des laufenden Jahres für das Vorjahr vor. Bestandszahlen werden seit dem 01.11.2015 tagesaktuell von den Jugendämtern gemeldet. 2. Welche Aussagen über die Zusammensetzung der Flüchtlingszahlen im Einzelnen (z.B. Anteil von allein reisenden Frauen oder Männern, Familien, unbegleitete Minderjährige) können diesen Daten entnommen werden? Dem EASY-System kann nach Angaben des BAMF lediglich die Gesamtzahl der Flüchtlinge sowie die Anzahl der Personen, aufgeteilt nach „Geschlecht“ (m/w), „Kind“ (ja/nein), „Familie“ (ja/nein) entnommen werden. Eine weitere Differenzierung der Flüchtlingszahlen lässt die Software AVU-Asyl des Landes zu, in der die Personen erfasst sind, die der Verteilung auf die Kommunen des Landes durch die zuständige Bezirksregierung Arnsberg unterfallen. Eine valide Auswertung ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, es können nur Näherungswerte angegeben werden. Hiernach ergibt sich folgendes Bild: Von rund 209.000 im Jahr 2015 im AVU-Programm erfassten Personen waren rund 90.000 allein reisende Männer, 11.000 allein reisende Frauen. Rund 12.000 Personen wurden als zusammenreisende Ehepartner erfasst. 86.000 Personen reisten in Familienverbünden mit mindestens drei Personen ein, rund 8.000 Personen als Einzelreisende mit Kind. Die verbleibenden rund 2.000 Personen verteilen sich auf rund 1.500 - nicht weiter differenzierte - LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11233 3 unerlaubt Eingereiste und auf Sonderfälle, wie z. B. mit Onkel, Tanten oder Großeltern eingereiste minderjährige Kinder (nicht in o. g. Familienverbünden enthalten). Die Zahl der über die Landesstelle in Köln auf die Kommunen verteilten Zugänge unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge nach NRW geht nicht aus AVU hervor. Gemäß einer Stichtagsabfrage bei allen Jugendämtern in Nordrhein-Westfalen bestanden am 31.12.2014 insgesamt 2.925 jugendhilferechtliche Zuständigkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Am 04.01.2016 bestanden bei den nordrhein-westfälischen Jugendämtern 11.570 jugendhilferechtliche Zuständigkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. 3. Welche prognostischen Aussagen über das zu erwartende Flüchtlingsaufkommen in einem überschaubaren Zeitrahmen können den o.g. Daten entnommen werden? Aus den Daten können prognostische Aussagen nicht unmittelbar abgeleitet werden. Hierfür ist nicht zuletzt eine Einschätzung der Rahmenbedingungen erforderlich. Für die Darstellung der Zahl der Zugänge von Asylbegehrenden, der voraussichtlichen Entwicklung (Prognose) und des voraussichtlichen Bedarfs an Unterbringungsplätzen ist gem. § 44 Abs. 2 Asylgesetz das BAMF zuständig. Die Länder sind gem. § 44 Abs. 1 Asylgesetz verpflichtet, für die Unterbringung Asylbegehrender die dazu erforderlichen Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen und zu unterhalten sowie entsprechend ihrer Aufnahmequote die im Hinblick auf den monatlichen Zugang Asylbegehrender in den Aufnahmeeinrichtungen notwendige Zahl von Unterbringungsplätzen bereitzustellen. 4. In welcher Form beabsichtigt die Landesregierung, den Kommunen im Lande NRW diese und ggf. weitere Informationen regelmäßig und zeitnah an die Hand zu geben, um ihnen auf der Grundlage dieser Informationen eine eigene Einschätzung der auf sie zukommenden Anforderungen bezüglich der Unterbringung und Integration von Asylanten zu erleichtern? 5. Falls die vorstehend angesprochenen Daten bisher nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen sollten: Wann wird die Landesregierung als Dienstleistung für die Kommunen eine entsprechende Daten- und Informationslage regelmäßig und zeitnah erstellen? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung leitet jede vom BAMF veröffentlichte Prognose unverzüglich an die Bezirksregierungen zur Bekanntgabe an die Kommunen im jeweiligen Regierungsbezirk weiter. Aufgrund der in der Antwort zu Frage 1 genannten eingeschränkten Verwendbarkeit der Antrags-, Entscheidungs- und Bestandsstatistik des BAMF wird diese den Kommunen nicht zur Verfügung gestellt. Zur Planbarkeit der Anforderungen veröffentlicht die Landesstelle zur Verteilung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen seit Anfang Dezember 2015 wöchentlich einen Aufnahmeschlüssel, aus dem sich der aktuelle Umfang der Aufnahmepflicht ergibt. Es ist beabsichtigt, die wöchentliche Mitteilung um weitere Parameter zu erweitern, um auch die Planbarkeit der kurzfristigen Anforderungen zu verbessern. Seit dem 01.02.2016 wird zudem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11233 4 monatlich eine jugendamtsscharfe Übersicht über den aktuellen Stand der Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge veröffentlicht. Darüber hinaus berichtet das Ministerium für Inneres und Kommunales dem Innenausschuss im Landtag regelmäßig öffentlich über die aktuellen Zugangszahlen in NRW, den Planungsstand bezüglich neuer Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber und die aktuelle Belegungssituation in den Einrichtungen. Diese Berichte, wie auch der aktuelle Bericht (Vorlage 16/3598), können unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-3598.pdf. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11233