LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11342 07.03.2016 Datum des Originals: 04.03.2016/Ausgegeben: 10.03.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4455 vom 11. Februar 2016 der Abgeordneten Dirk Wedel, Henning Höne und Thomas Nückel FDP Drucksache 16/11117 Agiert der Regionalverband Ruhr im rechtsfreien Raum? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4455 mit Schreiben vom 4. März 2016 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In einem in den Nordrhein-Westfälischen Verwaltungsblättern veröffentlichten Aufsatz vertritt der Autor die Auffassung, durch die Nichtaufnahme in die Liste nach Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts vom 19.12.2013 (GV. NRW. S. 874) sei das Gesetz über den Regionalverband Ruhr – wohl unbeabsichtigt – am 31.12.2013 außer Kraft getreten (Rellermeyer NWVBl. 2015, 285 (289) Fn. 65). In der Liste der Vorschriften, die nach dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts fortgelten sollten, fehlten solche Gesetze, bei denen es sich zwar um ehemals preußisches – und in die Sammlung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts (Anlage I zu § 1 des Gesetzes vom 07.11.1961) aufgenommenes – Recht handelt, die aber inzwischen unter neuer Überschrift neu gefasst wurden und deshalb ohne Wissen um die Gesetzesgeschichte nicht mehr als preußisches Recht erkennbar sind. Der jeweils verwendete Wortlaut in den Einleitungssätzen derjenigen Vorschriften, durch welche die Gesetze ihre Neufassung erhalten haben , verdeutliche, dass nicht etwa völlig neue „Ablösungsgesetze“ unter Aufhebung früherer Normen erlassen wurden, sondern lediglich die alten Wortlaute der weiter bestehenden – preußischen Gesetze ausgetauscht wurden. Auch die zuvor erfolgten Neubekanntmachungen hätten nicht den Verlust ihrer Eigenschaft als früher preußisches Recht bewirkt, weil es sich dabei nicht um Gesetzgebungsakte handelte, sondern um deklaratorische Klarstellungen der Gesetzestexte (Rellermeyer NWVBl. 2015, 285 (289)). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11342 2 Das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (PrGS. NW. S. 29) wurde unter Gliederungsziffer 2021 in die Anlage I des Gesetzes zur Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts vom 07.11.1961 (GV. NRW. S. 325) aufgenommen. Mit Artikel 10 des Zweiten Gesetzes zur Funktionalreform vom 18.09.1979 (GV. NRW. S. 554) wurde das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 05.05.1920 (PrGS. NW. S. 29) als Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet neu gefasst. Aufgrund des Artikels VI des Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer Kommunalverfassungsgesetze des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29.05.1984 (GV. NRW. S. 314) wurde am 27.08.1984 eine Neufassung des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet bekanntgemacht (GV. NRW. S. 538). Aufgrund des Artikels VIII des Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung vom 17.05.1994 (GV. NRW. S. 270) wurde am 14.07.1994 eine weitere Neufassung des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet bekanntgemacht (GV. NRW. S. 640). Mit Artikel V des Gesetzes zur Stärkung der regionalen und interkommunalen Zusammenarbeit der Städte, Gemeinden und Kreise vom 03.02.2004 wurde das Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.07.1994 unter der Bezeichnung „Gesetz über den Regionalverband Ruhr“ neu gefasst (GV. NRW. S. 96). Durch das Gesetz zur Stärkung des Regionalverbands Ruhr vom 12.05.2015 wurde das Gesetz über den Regionalverband Ruhr in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.02.2004, das zuletzt durch Art. 4 des Gesetzes vom 23.10.2012 (GV. NRW. S. 474) geändert worden ist, geändert (GV. NRW. 2015 S. 436). Kennzeichen und notwendiger Bestandteil jedes Ablösungsgesetzes ist die Regelung über das Außerkrafttreten der bisherigen Rechtsvorschriften. Das abzulösende Stammgesetz muss ausdrücklich aufgehoben werden (BMJV, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Auflage, Rdnr. 513). Das Ablösungsgesetz darf auf keinen Fall den Eingangssatz „Das Gesetz … wird wie folgt gefasst: …“ enthalten. Ein solcher Eingangssatz würde die Ablösung verhindern. Der Wortlaut würde ausgetauscht, aber es wäre nach wie vor das „alte“ Gesetz (BMJV a.a.O. Rdnr. 507). Der mit einer Ermächtigung eines Ministers zur Bekanntmachung eines geänderten Gesetzes verbundene Auftrag des Gesetzgebers, das Gesetz unter einer neuen Überschrift, unter neuem Datum und unter Beseitigung von Unstimmigkeiten seines Wortlauts bekanntzumachen , ist nur zulässig, weil und soweit eine solche im Interesse der Rechtssicherheit gebotene deklaratorische Klarstellung des Gesetzestextes den rechtlich erheblichen Inhalt und mit ihm seine Identität nicht berührt (BVerfG, Beschluss vom 23.02.1965, 2 BvL 19/62, Rdnr. 5 bei juris). 1. An konkret welcher Stelle wurde das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 05.05.1920 (PrGS. NW. S. 29) aufgehoben ? Das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5. Mai 1920 (PrGS. NW. S. 29) ist in Anlage I zu § 1 des Gesetzes zur Bereinigung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts vom 7. November 1961 (GV. NW. S. 325) aufgeführt und galt somit nach 1961 zunächst noch fort. Durch Artikel 10 des Zweiten Gesetzes zur Funktionalreform vom 18. September 1979 (GV. NW. S. 552) ist es als "Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet" neu gefasst worden. Eine Neufassung des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet wurde sodann mit Datum vom 27. August 1984 bekannt LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11342 3 gemacht (GV. NW. S. 538). Unter dem 14. Juli 1994 wurde eine weitere Neufassung des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet bekannt gegeben (GV. NW. S. 640). Mit Artikel V des Gesetzes zur Stärkung der regionalen und interkommunalen Zusammenarbeit der Städte, Gemeinden und Kreise vom 3. Februar 2004 wurde das Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 unter der Bezeichnung "Gesetz über den Regionalverband Ruhr" abermals neu gefasst (GV. NW. S. 96). Das Gesetz über den Regionalverband Ruhr in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 2004 wurde mehrfach geändert, zuletzt durch das Gesetz zur Stärkung des Regionalverbands Ruhr vom 12. Mai 2015 (GV. NRW. S. 436). Das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5. Mai 1920 wurde zwar im Rahmen der genannten Neufassung 1979 bzw. der späteren Neubekanntmachungen nicht durch eine Vorschrift aufgehoben, die das Außerkrafttreten des Gesetzes ausdrücklich vorsieht. Jedoch wurde es im Wege der Neufassung durch Artikel 10 des Zweiten Gesetzes zur Funktionalreform vom 18. September 1979 abgelöst mit der Folge, dass es als preußisches Recht nicht mehr fort gilt. 2. Inwieweit handelt es sich bei dem Gesetz über den Regionalverband Ruhr in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.02.2004 um dasselbe Stammgesetz wie das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 05.05.1920 (für den Fall, dass keine Identität angenommen wird, bitte mit schrittweise nachvollziehbarer rechtsdogmatischer Begründung)? Dem Artikel 10 des Zweiten Gesetzes zur Funktionalreform vom 18. September 1979 lag der Wille des Gesetzgebers zugrunde, das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5. Mai 1920 (PrGS. NRW. S. 29) abzulösen. Bei einem Ablösegesetz handelt es sich um eine Form des Änderungsgesetzes, die gewählt wird, wenn eine umfassende Neugestaltung eines Sachgebiets erfolgen soll. In dem Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet vom 18. September 1979 wurden unter einer neuen Gesetzesbezeichnung auch umfassende inhaltliche Neugestaltungen vorgenommen. Unmissverständlich dokumentiert ist dieser Wille des Gesetzgebers in dem damaligen Gesetzentwurf der Landesregierung (Drs. 8/4040), der den parlamentarischen Beratungen zugrunde lag. Wörtlich heißt es dort an verschiedenen Stellen: „Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk soll eine neue gesetzliche Grundlage erhalten“ (Drs. 8/4040 S. 2). „Folgerichtig soll die bisherige Verbandsordnung durch eine neues Gesetz über den Ruhrgebietsverband (im Laufe der Beratungen ist daraus „Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet “ geworden) abgelöst werden“ (Drs. 8/4040 S. 95). Weiter heißt es in der abschließenden Beschlussempfehlung des Ausschusses für Landesplanung und Verwaltungsreform vom 29. August 1979 (Drs. 8/4750), die die Grundlage für die Verabschiedung des Gesetzes durch den Landtag Nordrhein-Westfalen am 06. September 1979 bildete: „Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk soll unter dem Namen „Ruhrgebietsverband“ auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden“ (Drs. 8/4750 S. 51). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11342 4 Deutlich wird die Intention des Gesetzgebers, das seinerzeit bestehende Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vollständig abzulösen und den Verband mit dem Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet auf eine gänzlich neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Ein Festhalten und bloßes Ändern der vormals bestehenden gesetzlichen Grundlage war ersichtlich nicht gewollt. Im Übrigen wird die Intention, ein Ablösegesetz zu schaffen, auch in dem Kommentar des 1979 im Referat „Funktionalreform im kommunalen Bereich“ der Kommunalabteilung des damaligen Innenministeriums tätigen und an dem Entwurf des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet beteiligten Ernst Becker, Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet (KVRG), August 2003, zum Ausdruck gebracht. Dort heißt es in den Erläuterungen zu § 32 KVRG: „Das Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet stammt vom 18.9.1979 (GV. NRW. S. 554) und löste seinerzeit das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5.5.1920 ab.“ Das in dem Aufsatz von Rellermeyer zitierte Handbuch der Rechtsförmlichkeit, das bei Ablösegesetzen eine ausdrückliche Regelung über das Außerkrafttreten des abzulösenden Stammgesetzes für erforderlich und den Eingangssatz „Das Gesetz… wird wie folgt gefasst“ für unzulässig erachtet, existiert erst seit 1991. Es wird vom Bundesministerium der Justiz herausgegeben, diente für die Gesetzgebung in Nordrhein-Westfalen zunächst lediglich als Arbeitshilfe und hatte nicht einmal empfehlenden Charakter. Erst mit der Neufassung der Gemeinsamen Geschäftsordnung für die Ministerien des Landes Nordrhein-Westfalen 1 (GGO) in der Neufassung durch Bek. d. Ministeriums für Inneres und Kommunales v. 19.12.2014, MBl. NRW. 2014 S. 826 (geändert durch Bek. v. 2.3.2015, MBl. NRW. 2015 S. 220) wurde geregelt, dass die Empfehlungen des Handbuchs der Rechtsförmlichkeit (Empfehlungen zur Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen) bei der Fassung einer Rechtsnorm zu beachten sind, soweit nicht landesrechtliche Besonderheiten entgegenstehen (§ 36 Abs. 3 Satz 1 GGO). Auch bei den zahlreichen, nach 1979 vorgenommenen Neubekanntmachungen des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet, die ihrerseits mit weiteren inhaltlichen Änderungen verbunden waren, wurde in keiner Weise mehr auf das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5. Mai 1920 Bezug genommen. Dies belegt ebenfalls, dass es sich bei dem Gesetz über den Kommunalverband Ruhrgebiet nach der Intention des Gesetzgebers um Landesrecht handelt, welches bereits 1979 das ehemals preußische Recht abgelöst hat. Daher bestand keine Veranlassung, das Gesetz über den Regionalverband Ruhr bei der Rechtsbereinigung 2013 in der Liste derjenigen Gesetze des preußischen Rechts aufzuführen, die fortgelten sollten. 3. Inwieweit ist die Landesregierung mit dem Autor des zitierten Aufsatzes der Auffassung , dass das Gesetz über den Regionalverband Ruhr zum 31.12.2013 (unbeabsichtigt ) aufgehoben wurde? Die Landesregierung teilt die Auffassung des Autors des zitierten Aufsatzes nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem Gesetz über den Regionalverband Ruhr um eine Änderung (im Wege einer Neubekanntmachung) des Gesetzes über den Kommunalverband Ruhrgebiet vom 18. September 1979, das seinerseits das Gesetz betreffend Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5. Mai 1920 abgelöst hat und bereits Landesrecht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11342 5 darstellt. Das Gesetz über den Regionalverband Ruhr hat somit ebenfalls als Landesrecht weiterhin Bestand. 4. Welche Folgen ergeben sich gegebenenfalls für die seit dem 01.01.2014 durch den Regionalverband Ruhr vorgenommenen Rechtshandlungen? Keine, aus den in der Antwort zu Frage 3 genannten Gründen. 5. Inwieweit geht das Gesetz zur Stärkung des Regionalverbands Ruhr vom 12.05.2015 ins Leere? Das Gesetz zur Stärkung des Regionalverbands Ruhr vom 12. Mai 2015 geht nicht ins Leere. Durch dieses Gesetz wurde lediglich das Gesetz über den Regionalverband Ruhr in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 2004 (GV. NRW. S. 96) geändert. Siehe im Übrigen Antwort zu Fragen 3 und 4. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11342