LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11551 22.03.2016 Datum des Originals: 21.03.2016/Ausgegeben: 29.03.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4424 vom 29. Januar 2016 des Abgeordneten Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN Drucksache 16/11013 Sicherheit von Kraftwerksreststoffdeponien im Rheinischen Braunkohlenrevier Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4424 mit Schreiben vom 21. März 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und Chef der Staatskanzlei beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Beim Betrieb der Braunkohlenkraftwerke im Rheinischen Revier fallen jährlich etwa 5 Millionen Tonnen Kraftwerksaschen an. Diese mineralischen, unbrennbaren Bestandteile der Kohle müssen seit Ende der 1980er Jahre auf sogenannten Kraftwerksreststoff-Deponien entsorgt werden. Vier solcher Kraftwerksreststoffdeponien sind derzeit noch in Betrieb (Fortuna/Garsdorf , Garzweiler, Vereinigte Ville, Inden/Neu-Lohn). Bis 2010 wurden zudem auf der Deponie Inden Abfälle abgelagert. Das Gesamtvolumen der KWR-Deponien beträgt 244 Millionen Kubikmeter Abfall. Nach der derzeitigen Zuordnung gemäß der Deponieverordnung bzw. der Abfallablagerungsverordnung entsprechen die KWR-Deponien der Deponieklasse I. Nach den entsprechenden Vorgaben erfolgt die Basisabdichtung dieser Deponien durch eine 60 cm mächtige Tonschicht. Die Aschen sollen sich zudem nach Angaben der Bezirksregierung Arnsberg nach der Ablagerung durch puzzolanische Effekte - d.h. Verfestigung der Asche bzw. der Kraftwerksreststoffe durch Kalk- und Wasserzugabe - zu einem nahezu undurchlässigen festen Körper verfestigen . Allerdings bestätigte das Landesumweltamt, dass trotzdem erhebliche Mengen Sickerwasser aus dem Deponiekörper austreten und die Deponien nach Tagebauende zum Teil in den Grundwasserstrom gelangen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11551 2 Nach Angaben des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) werden mit den Kraftwerksaschen jährlich auch etwa 1.500 Tonnen Schwermetalle abgelagert, darunter auch bis zu 11 Tonnen Quecksilber. Dazu kämen große Mengen Kupfer, Cadmium, Chrom, Zink, Blei, Nickel, Thallium und Arsen. Auch die radioaktiven Substanzen der Uran-235-, der Thorium -232- und der Kalium-40-Reihe landen auf den Deponien. Gemäß Deponieverordnung ist die Eignung des Standortes für eine Deponie eine notwendige Voraussetzung dafür, dass das Wohl der Allgemeinheit nach § 15 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes durch die Deponie nicht beeinträchtigt wird. Bei der Wahl des Standortes sind insbesondere auch die geologischen und hydrogeologische Bedingungen des Gebietes einschließlich eines permanent zu gewährleistenden Abstandes der Oberkante der geologischen Barriere vom höchsten zu erwartenden freien Grundwasserspiegel von mindestens 1 m sowie die Gefahr von Erdbeben, Bodensenkungen, Erdfällen oder Hangrutschen zu berücksichtigen. Deshalb wurden Zweifel laut, inwieweit die KWR-Deponien im Rheinischen Revier den gesetzlichen Vorgaben entsprechen bzw. inwieweit die Zuordnung der Kraftwerksreststoffe zu Deponien der Deponieklasse I dauerhaft eine für die Umwelt schadlose Entsorgung garantiert. Vorbemerkung der Landesregierung Bezugnehmend auf die Vorbemerkung der Kleinen Anfrage 4424 (2. Absatz) weise ich darauf hin, dass das Landesumweltamt (gemeint: LANUV) nicht festgestellt oder bestätigt hat, dass „erhebliche Mengen Sickerwasser aus dem Deponiekörper austreten“. Dieses Missverständnis ist vermutlich auf eine Vergleichsrechnung zurückzuführen, die das LANUV im Jahr 2009 im Zuge der Entscheidung über den Weiterbetrieb der Kraftwerksreststoffdeponien Ville, Garzweiler , Fortuna und Inden I anlässlich des Inkrafttretens der neuen Deponieverordnung angestellt hat. Diese Vergleichsrechnung, die für jede Deponie durchgeführt wurde, erfolgte schematisch unter Verwendung abstrahierter Zahlen und unter Berücksichtigung der ungünstigsten Bedingungen. Damit konnte die in Zukunft theoretisch zu erwartende maximale Sickerwassermenge ermittelt werden. Die Landesregierung nimmt die Sicherheit der Kraftwerksreststoffdeponien ernst. Deshalb wird zurzeit vom MKULNV für Altablagerungen von Braunkohlenaschen im Bereich der Tagebaue , unter Beteiligung der Betroffenen, ein Untersuchungsprogramm erarbeitet. In Abhängigkeit von den Ergebnissen werden ggf. auch weitere Untersuchungen erfolgen. 1. Welcher Quecksilbergehalt und welche Gehalte an anderen Schwermetallen sowie Radionukliden kommen in den Rohbraunkohlen aus den jeweiligen Tagebauen sowie den Kraftwerksaschen vor? Untersuchungen zum Quecksilbergehalt in den Rohbraunkohlen liegen bei den Bezirksregierungen und dem LANUV nicht vor. Um den Betrieb der Kraftwerksreststoffdeponien nach dem Stand der Technik zu gewährleisten ist dies auch nicht erforderlich, da keine Rohbraunkohlen abgelagert werden. Nach Angaben der RWE Power AG habe die rheinische Braunkohle einen mittleren Quecksilbergehalt von rund 0,1 mg/kg wasserfreie Kohle. Die für die Kraftwerksreststoffdeponien zuständigen Bezirksregierungen Arnsberg und Köln haben berichtet (und auch aktuelle Analysen vorgelegt), dass die Kraftwerksaschen die Zuordnungswerte aller Parameter (unter Berücksichtigung der Fußnoten-Ausnahmeregelungen) der Deponieverordnung für die Deponieklasse I einhalten. In den 4 vorliegenden Analysen ist der Quecksilbergehalt der Kraftwerksaschen kleiner 0,0002 mg/l (Bestimmungsgrenze). Der Quecksilber-Zuordnungswert der Deponieverordnung für die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11551 3 Deponieklasse I ist 0,005 mg/l. Auch die anderen Schwermetallgehalte halten die Zuordnungswerte ein. Die durchschnittlichen Aktivitätskonzentrationen der in den Braunkohlenaschen vorkommenden natürlichen Radionuklide der Uran- und Thoriumzerfallsreihen und von Kalium 40 liegen nach Angaben des Betreibers im Bereich natürlicher Böden oder darunter1. Aufgrund der Aufkonzentration in den Aschen bei der Verbrennung der Rohbraunkohle liegen die durchschnittlichen Aktivitätskonzentrationen von Radionukliden in den Kohlen noch einmal deutlich darunter . 2. Welche aktuellen Untersuchungen bestätigen die Wirksamkeit des „puzzolanischen Effekts“? Unter der puzzolanischen Reaktion versteht man die Umwandlung von Calciumhydroxid und Siliciumdioxid zu Calciumsilikathydraten. Diese Reaktion führt durch die Bildung von Kristallen zu einer Aushärtung des Materials und – wichtiger für die hier betroffene Fragestellung – über die teilweise Ausfüllung des Porenvolumens zu einer Verringerung der Durchlässigkeit des Materials. Die für eine puzzolanische Reaktion erforderlichen Bestandteile CaO und SiO2 sind in Verbrennungsaschen von Stein- oder Braunkohle immer enthalten. Solche Aschen werden daher auch gezielt zur Herstellung von Zementen verwendet. In einem Gutachten der Universität Innsbruck (Prof. Dr. Walter Lukas) aus dem Jahr 1986 wurden die Braunkohlenaschen in dieser Hinsicht untersucht. Als Ergebnis wurde festgestellt, dass sich unter definierten Mischungsverhältnissen im Ablagerungsmaterial Durchlässigkeitswerte zwischen 10-8 und 10-10 m/s einstellen. Die Durchlässigkeit ist demnach als gering einzustufen . Aktuellere Untersuchungen liegen hierzu nicht vor. Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Ablagerung der Braunkohlenaschen auf den Kraftwerksreststoffdeponien ist die Wirksamkeit der puzzolanischen Reaktion allerdings ohne Relevanz . Zwar trägt die Verringerung der Durchlässigkeit des Deponats zu einer Minderung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Deponiesickerwassers bei. Den maßgeblichen Beitrag zur Verhinderung des Austrags von Sickerwasser in das umgebende Grundwasser leisten jedoch die Deponiebasisabdichtungen. Die Deponieverordnung stellt deshalb auch keine Anforderungen an die Durchlässigkeit des Ablagerungsmaterials sondern nur an die der Basisabdichtung und im Weiteren an die der Oberflächenabdichtung. Diese Anforderungen werden von den Kraftwerksreststoffdeponien der RWE Power AG in vollem Umfang erfüllt. Die Verringerung der Durchlässigkeit des Ablagerungsmaterials durch die puzzolanische Reaktion führt hier lediglich dazu, dass sich die Situation gegenüber den nach Deponierecht bereits zulässigen Bedingungen günstiger gestaltet. Ein Nachweis der Wirksamkeit dieser Reaktion ist daher nicht relevant für die Beurteilung der Zulässigkeit der Ablagerung. 1 Literaturwerte für Böden (Siehl (Hrsg.) et al.; Umweltradioaktivität, Verlag Ernst & Sohn, Berlin 1996 Uran-238: 1 - 20 ppm bzw. 13 - 252 Bq/kg Thorium-232: 4,2 - 23 ppm bzw. 17 - 94 Bq/kg Kalium(nat): 0,05 - 9,5 % bzw. 16 – 2960 Bq/kg LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11551 4 3. Welche Gefahren durch natürliche sowie tagebauinduzierte Erdbeben wurden im Rahmen der Planfeststellungsverfahren für die Kraftwerksreststoff-Deponien berücksichtigt ? Für die unter Aufsicht der Bergbehörde befindlichen Deponien gelten hier, wie für alle bleibenden Böschungen der Braunkohlentagebaue, die Vorgaben der Richtlinie für Standsicherheitsuntersuchungen der Bezirksregierung Arnsberg. Böschungssysteme werden unter Berücksichtigung der potenziellen Erdbebeneinwirkungen standsicher dimensioniert. Für alle Kraftwerksreststoffdeponien im Rheinischen Revier ist seinerzeit beim Planfeststellungsverfahren der Geologische Dienst (damals Geologisches Landesamt) beteiligt worden. Dieser hat die jeweiligen Standorte u. a. mit Blick auf tektonische Störungszonen und hinsichtlich potenzieller Erdbebenwirkungen geprüft. 4. Welche Maßnahmen werden getroffen, um das aus den KWR-Deponien austretende Sickerwasser zu erfassen? Bei den meisten Kraftwerksreststoffdeponien fällt derzeit kein Sickerwasser an, weil das Niederschlagswasser durch das Wasseraufnahme- und Bindungsvermögen der abgelagerten Braunkohlenasche gebunden wird. Die 5 Kraftwerksreststoffdeponien (Vereinigte Ville, Garzweiler, Fortuna, Inden I und Inden II) haben mit Ausnahme der Deponie Vereinigte Ville eine mineralische Entwässerungsschicht oberhalb der Tondichtung. Sickerwasserdrainageleitungen sind nur in der neueren Deponie Inden II vorhanden. Auf der Kraftwerksreststoffdeponie Garzweiler wird ein Wasserhaltungssystem betrieben. Die anfallenden Oberflächen- und Sickerwässer werden gefasst, ggf. auch zwischengespeichert und wieder zur Befeuchtung der Kraftwerksreststoffe verwendet. 5. Welche Bereiche der Deponien werden nach Tagebauende in den Grundwasserstrom gelangen und wie kann trotz des erwarteten Grundwasseranstiegs die Langzeitsicherheit der Deponien gewährleistet werden? Die Basisabdichtung der Kraftwerksreststoffdeponie Inden II liegt gemäß heutigen Prognosen auch nach Einstellung der Grundwasserhaltung oberhalb des höchsten Grundwasserspiegels, so dass kein Bereich der Deponie mit dem Grundwasser in Berührung kommt. Die übrigen vier Kraftwerksreststoffdeponien Ville, Fortuna, Garzweiler und Inden I werden nach Wiederanstieg des Grundwassers gemäß den Ausführungen des LANUV vom Grundwasser erfasst. Das Grundwasser wird auf Grund der hohen Dichtigkeit des Basisabdichtungssystems erst nach langer Zeit in den Deponiekörper eindringen. Der dabei entstehende Austrag von Sickerwasser in das umgebende Grundwasser war Gegenstand der bereits zuvor dargestellten Vergleichsrechnung des LANUV im Jahr 2009. Diese Vergleichsrechnung ergab, dass der Austrag von Deponiesickerwasser in das umgebende Grundwasserdeutlich geringer ist, als es bei einer konventionell ausgeführten Deponie bei Einhaltung der deponierechtlichen Anforderungen wäre. Die Langzeitsicherheit nach den Maßstäben des Deponierechts ist damit gegeben. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass durch die Tonabdichtungen eine Rückhaltung der in den Abfällen enthaltenen Stoffe, wie Schwermetalle, gegeben ist. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11551