LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11612 01.04.2016 Datum des Originals: 01.04.2016/Ausgegeben: 06.04.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4523 vom 1. März 2016 des Abgeordneten Jens Kamieth CDU Drucksache 16/11317 Wird die Einbindung islamischer Streitschlichter in Nordrhein-Westfalen von der Polizei unterstützt? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4523 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 9. Dezember 2015 berichtete die Landesregierung im Rechtsausschuss über mehrere Fälle so genannter Paralleljustiz durch islamische Streitschlichter. Bezugnehmend auf einen entsprechenden Fall aus Bielefeld führte ein Vertreter des Justizministeriums in diesem Zusammenhang Folgendes aus (APr 16/1108, S. 16): „Auf Druck weiterer jesidischer Familien wurde ein religiöser Schlichter hinzugerufen. In der Zusammenarbeit des polizeilichen Einsatzleiters und des Schlichters wurde eine Versöhnung der Familien herbeigeführt.“ Auf meine mündliche Nachfrage, ob der islamische Streitschlichter tatsächlich von der Polizei eingeschaltet worden sei, erhielt ich seinerzeit keine zufriedenstellende Auskunft. 1. Inwieweit ist der Einsatz des islamischen Streitschlichters im o.g. Fall von der Polizei ermöglicht bzw. unterstützt worden? Am 06.03.2013 kam es in der Kreispolizeibehörde (KPB) Gütersloh zu zwei polizeilichen Einsätzen, deren Anlass jeweils wechselseitig ausgetragene Körperverletzungsdelikte zwischen Angehörigen zweier irakisch-jezidischer Familien war. Am gleichen Tag wurden mit den Familienoberhäuptern beider Familien durch den diensthabenden Dienstgruppenleiter, der die Polizeieinsätze führte, Gefährderansprachen mit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11612 2 präventiver Zielrichtung geführt. Am 11.03.2013 teilten dann Angehörige beider Familien dem Dienstgruppenleiter mit, dass am Vortage ein Versöhnungsgespräch mit einem Schlichter worden sei. Nach den Erkenntnissen der Landesregierung war der Schlichter nicht durch eine der Streitparteien, sondern auf Drängen anderer jezidischer Familien aus dem Wohnumfeld eingeschaltet worden. Dieses Versöhnungsgespräch war weder durch die KPB Gütersloh initiiert worden, noch wurde es polizeilich begleitet oder unterstützt. Den Familienoberhäuptern der beiden streitenden Familien wurde durch die Polizei jedoch verdeutlicht, dass eine Versöhnung auch aus polizeilicher Sicht wünschenswert sei. Sie könne Maßnahmen der deutschen Justiz gleichwohl nicht ausschließen. Dies sei verstanden worden. Die polizeilichen Ermittlungen, ausgehend von den im Rahmen der polizeilichen Einsätze gefertigten Strafanzeigen, wurden dementsprechend unbenommen der Schlichtung weiter fortgeführt und der Staatsanwaltschaft Bielefeld übersandt. 2. Auf welcher Rechtsgrundlage handelte der polizeiliche Einsatzleiter dabei? Siehe Ausführungen zu Frage 1. 3. Hält die Landesregierung es generell für sachgerecht, wenn Polizeibeamte den Einsatz von „auf Druck“ einer Streitpartei hinzugerufenen religiösen Streitschlichter fördert bzw. mit solchen Schlichtern kooperiert? Nein. In Abgrenzung zu nicht akzeptabler „Paralleljustiz“ kann allerdings eine - auch religiös geprägte - außergerichtliche Konfliktlösung durchaus positiv wirken und daher grundsätzlich hilfreich und wünschenswert sein. Zu dieser Feststellung sind sowohl die durch die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister eingerichtete länderoffene Arbeitsgruppe zur Verhinderung von rechtsstaatlich problematischer „Paralleljustiz“, zu der sich auch der Bericht der Landesregierung vom 07.12.2015 (Vorlage 16/3523) verhält, als auch eine am 09.12.2015 vorgestellte Studie im Auftrag des Landes Berlin gelangt. Für die gebotene Abgrenzung zu nicht akzeptabler „Paralleljustiz“ ist nicht die Religion des Streitschlichters, sondern vornehmlich die Achtung der Werte der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung entscheidend. In diesem Sinne hat es die länderoffene Arbeitsgruppe insbesondere als nicht hinnehmbar angesehen, wenn • die Grundentscheidungen unserer Verfassung, insbesondere die Gleichbehandlung von Mann und Frau, ignoriert werden, • das Gewaltmonopol des Staates missachtet wird, • die Aufklärung von Straftaten behindert wird, indem die Beweislage bereits im Ermittlungsverfahren und/oder im späteren Strafverfahren zielgerichtet manipuliert wird, etwa wenn Zeuginnen und Zeugen beeinflusst und unter Druck gesetzt werden, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11612 3 • die Parteien sich nicht auf gleicher Augenhöhe begegnen, Schwächeren Lösungen aufgedrückt werden, die Maßstäben der Gerechtigkeit nach deutscher Rechtsordnung widersprechen, • die schwächere Partei durch Androhung von Gewalt oder anderen Übeln zur Einigung genötigt wird oder • die Parteien das Verfahren nicht selbst in der Hand behalten, also keinen freien Zugang zu staatlichen Entscheidungsinstanzen mehr haben. Nach Maßgabe dieser Kriterien dürfte der Einsatz von „auf Druck“ einer Streitpartei hinzugerufenen religiösen Streitschlichtern regelmäßig abzulehnen sein. Entscheidend sind jedoch stets die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. In dem in der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage angesprochenen Fall etwa hat der Leitende Oberstaatsanwalt in Bielefeld den Einsatz des Schlichters positiv bewertet. 4. In welchen weiteren Fällen hat die Polizei Nordrhein-Westfalen seit 2010 den Einsatz von islamischen Streitschlichtern ermöglicht bzw. unterstützt? (Bitte jeweils einzeln auflisten.) Der Einsatz von islamischen Streitschlichtern im Rahmen polizeilicher Einsätze wird nicht automatisiert erhoben. Eine Erhebung dieser Daten - auch für einzelne Kreispolizeibehörden - ist nur händisch und mit erheblichem Verwaltungsaufwand möglich. In der zur Bearbeitung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen können die erbetenen Daten nicht erhoben werden. 5. Wie beurteilt die Landesregierung den Einsatz islamischer Streitschlichter im Vergleich zu anderen Formen außergerichtlicher Streitbeilegung (Mediation, Schiedsverfahren, etc.)? Bei der Beurteilung des Einsatzes islamischer Streitschlichter ist zunächst zu klären, was unter dem Begriff „islamischer Streitschlichter“ überhaupt zu verstehen ist. Auch ein islamischer Streitschlichter kann, je nach Selbstverständnis und Auftreten, einen Beitrag zur außergerichtlichen Streitbeilegung leisten. Wenn muslimische Geistliche oder andere Mitglieder muslimischer Gemeinden sich innerhalb ihrer Community beispielsweise in die Lösung von Familienstreitigkeiten einbringen und dabei ihre religiöse Autorität, ihren sozialen Status oder ihre Reputation nutzen, um zwischen Streitparteien zu vermitteln, so ist gegen diese außergerichtliche Form der Streitschlichtung grundsätzlich nichts einzuwenden. Darüber hinaus sind wie in der Antwort zu Frage 3 bereits ausgeführt, stets die genannten Grundsätze zu berücksichtigen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11612