LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11673 11.04.2016 Datum des Originals: 08.04.2016/Ausgegeben: 14.04.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4535 vom 4. März 2016 des Abgeordneten Dr. Ingo Wolf FDP Drucksache 16/11337 Welche Maßnahmen hat die Landesregierung zur Wahrung des Bestandsschutzes für alte Fahrgeschäfte von Schaustellern und zur Umsetzung des Landtagsantrags zu Drs.- Nr. 16/8234 ergriffen? Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 4535 mit Schreiben vom 8. April 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Minister für Klimaschutz , Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundesangelegenheiten , Europa und Medien und Chef der Staatskanzlei beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 20. März 2015 nahm der Landtag Nordrhein-Westfalen nach Beratung in direkter Abstimmung mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der PIRATEN den Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, GRÜNEN und FDP mit dem Titel „Bestandsschutz für ältere Fahrgeschäfte ermöglichen und Attraktivität von Volksfesten mit sicheren Fahrgeschäften erhalten“ (Drs. 16/8234) an. Mit dem Antrag forderte der Landtag die Landesregierung auf, im Rahmen der Bauministerkonferenz die bauaufsichtlichen Einführungsbestimmungen der europäischen Sicherheitsnorm (für Schaustellerfahrgeschäfte) unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung zu überprüfen, sich für eine bundeseinheitliche Regelung einzusetzen und dabei auch die Hinweise der Berufsverbände der Schausteller ausdrücklich einzubeziehen, ferner in Abhängigkeit vom Ergebnis jener Prüfung die landesrechtlichen Bestimmungen anzupassen und die rechtlichen Voraussetzungen für künftige Planungs- und Handlungssicherheit der Fahrgeschäftsbetreiber so zu gestalten, dass der Betrieb von Bestandsanlagen, die vor 2005 entstanden sind, für die Betreiberinnen und Betreiber zu vertretbaren wirtschaftlichen Aufwendungen ermöglicht wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11673 2 Hintergrund des Antrags war die Art und Weise der Umsetzung einer europäischen technischen Norm in nationales Recht, hier Landesrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Zuge der technischen Normung auf europäischer Ebene entstand bereits im Jahr 2005 eine neue technische Norm, die u.a. die Anforderungen an Beschaffenheit und Sicherheit von Schaustellerfahrgeschäften spezifiziert. Für den Übergang von der bisher geltenden deutschen technischen Norm DIN 4112 zur europäischen DIN EN 13814 war ein Zeitraum von höchstens 10 Jahren vorgesehen. Im Mai 2012 wurde die neue Norm als Technische Baubestimmung daraufhin in Nordrhein- Westfalen eingeführt. Nordrhein-Westfalen veröffentlichte die Liste der technischen Baubestimmungen am 22.05.2012 unter Einschluss von DIN EN 13814 (Anlage zum Runderlass „Einführung Technischer Baubestimmungen nach § 3 Abs. 3 BauO NRW“ des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr vom 22.5.2012). Die technische Norm DIN EN 13814 – obgleich an sich „privates Regelwerk“ – erlangt in Nordrhein-Westfalen deshalb über § 3 Abs. 3 Landesbauordnung Rechtsverbindlichkeit. Nach § 3 Abs. 3 Landesbauordnung gelten als anerkannte und damit im bauaufsichtlichen Verfahren zu berücksichtigende Regeln der Technik auch die von der obersten Bauaufsichtsbehörde durch öffentliche Bekanntmachung als Technische Baubestimmungen eingeführten technischen Regeln. Mit anderen Worten: In bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren prüft die Bauaufsichtsbehörde, ob die technischen Vorgaben der DIN EN 13814 eingehalten wurden. Der nordrhein-westfälische Einführungserlass enthält indes keinen Hinweis darauf, dass DIN EN 13814 nicht für Anlagen und Fahrgeschäfte gilt, die vor der Veröffentlichung der Norm (Juni 2005) hergestellt wurden. Die Bauaufsichten der Bundesländer hatten diesen Bestandsschutz für die Schausteller mit dem Verweis auf das vom Gesetzgeber vermeintlich gewollte dynamische Sicherheitskonzept verweigert. Demzufolge sei für sog. Fliegende Bauten – zu denen rechtlich die Fahrgeschäfte gehören – bewusst das Instrument der befristeten Genehmigung gewählt worden, um in Anbetracht des besonderen Gefahrenpotentials dieser Anlagen periodische Nachjustierungen zu ermöglichen. Auf vergleichbare Anlagen in dauerhaft installierten Freizeitparks werden diese Grundsätze allerdings nicht angewendet. Die Bauaufsicht verlangt nicht, dass alle Fahrgeschäfte der neuen Norm 1:1 entsprechen müssen , fordert jedoch einen Nachweis auf Konformität bestimmter Bauteile mit dem in der DIN EN 13814 beschriebenem Sicherheitsniveau in Form eines Prüfberichtes. Betroffen sind davon in erster Linie Fahrgeschäfte mit einer befristeten Ausführungsgenehmigung von einem oder zwei Jahren. Die Erstellung des Prüfberichtes kostet mehrere tausend Euro, hinzu treten die Kosten für eventuelle Nach- oder Umrüstungen. Der Aufwand ist so hoch, dass er einer erstmaligen technischen Prüfung nahekommt und die Unternehmen ernsthaft wirtschaftlich belastet. Betroffen sind vielfach die attraktivsten Fahrgeschäfte auf den nordrhein-westfälischen Volksfestplätzen. Lassen Schausteller diese Überprüfung nicht vornehmen, erhalten sie für das Fahrgeschäft keine Genehmigung (mehr) und dürfen es demzufolge auch nicht auf Kirmes oder Jahrmarkt einsetzen. In der Rechtsprechung war die Rückwirkung der neuen technischen Norm auf alte Fahrgeschäfte mit Herstellungsdatum vor 2005 seinerzeit zunächst unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten in Zweifel gezogen worden. Dementsprechend hatte das Verwaltungsgericht (VG) Hannover mit Urteil vom 15.10.2014 (4 A 10871/14) die Übernahme der DIN EN 13814 ohne Bestandsschutzklausel in das niedersächsische Landesrecht für unwirksam erachtet. Das Gericht nahm den Standpunkt ein, die technische Baubestimmung halte sich nicht in dem durch die gesetzliche Grundlage vorgegebenen Rahmen. Es sei nämlich mit Rücksicht auf das LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11673 3 Eigentumsgrundrecht der Schausteller und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen bereits existierenden und neu herzustellenden Fahrgeschäften zu unterscheiden. Das Europäische Komitee für Normung selbst nähme sog. Fliegende Bauten, die vor der Veröffentlichung der Norm DIN EN 13814 hergestellt wurden, von deren Anwendung aus. Auch das VG München (M 9 K 14.4412) hatte im März 2015 eine Anwendung der neuen technischen Norm auf ältere Fahrgeschäfte abgelehnt und sich zur Begründung darauf bezogen, die neue Norm sei nicht wirksam in das bayerische Bauordnungsrecht einbezogen worden. Nach Auffassung des OVG Lüneburg vom 04.12.2015 (1 LC 178/14) hingegen könnten Altanlagen echten Bestandsschutz nicht beanspruchen. Die neuen Sicherheitsanforderungen stünden im Allgemeinen nicht außer Verhältnis zu den Kosten, die ihre Befolgung den Betreibern der Alt-Anlagen verursache. EU-Recht, namentlich die Dienstleistungsfreiheit stehe dem nicht entgegen. Es müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Kosten einer eventuellen Nachrüstung dem Kläger finanziell zugemutet werden können. Dazu müsse der Anlagenbetreiber aber erst einmal einen (Vor-)Prüfbericht vorlegen. Eine derartige bürokratische und prüfaufwändige Verfahrensweise kann vermieden werden, wenn die Prüfung der Übernahme der neuen DIN-Norm in das Landesrecht durch die Landesregierung ergeben hätte, dass Bestandsschutz für Altfahrgeschäfte aus dem Zeitraum vor 2005 zu gewähren wäre oder neue Prüfungen auf die Anlagenbetreiber nicht wirtschaftlich strangulierend wirkten. 1. In welcher Weise hat die Landesregierung seit der Verabschiedung des Antrags zu Drs.-Nr. 16/8234 die Einführungsbestimmungen der europäischen Sicherheitsnorm DIN EN 13814 überprüft bzw. eine Überprüfung durch die Bauministerkonferenz herbeigeführt ? 2. Worin bestanden die Ergebnisse dieser Überprüfung? Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Der Beschluss des Landtags 16/8234 und die Beschlüsse anderer Länderparlamente zum Thema „Bestandsschutz für ältere Fahrgeschäfte“ waren Beratungsgegenstand der 127. Bauministerkonferenz im Oktober 2015 in Dresden. Die Bauministerkonferenz hat einvernehmlich bekräftigt, dass ein einheitlicher Vollzug in den Bundesländern von hoher Bedeutung sowohl für ein funktionierendes System für Fliegende Bauten als auch für die Schausteller/ Gewerbetreibenden selbst ist. Die Bauministerkonferenz hat die Fachgremien der Bauministerkonferenz gebeten, die Systematik zur Genehmigung Fliegender Bauten und mögliche Varianten im Hinblick auf die Hinweise der Schausteller zu untersuchen und bis zur Sitzung der Bauministerkonferenz im 4. Quartal 2016 zu berichten. Dabei wird die neueste obergerichtliche Rechtsprechung zu berücksichtigen sein. 3. Ist eine Anpassung der landesrechtlichen Bestimmungen – insbesondere der im Runderlass „Einführung Technischer Baubestimmungen nach § 3 Abs. 3 BauO NRW“ und der zugehörigen Anlage enumerierten Sicherheitsbestimmungen – mit Blick auf die Gewährleistungen von Bestandsschutz für ältere Fahrgeschäfte oder in sonstiger Weise bereits erfolgt? Nein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11673 4 4. Falls die Anpassung nicht erfolgt ist, weshalb hat die Landesregierung bisher nicht gehandelt? Eine bundeseinheitliche vereinbarte Musterregelung, die durch die Landesregierung in Nordrhein -Westfalen ins Landesrecht umgesetzt werden könnte, liegt noch nicht vor (siehe auch Antworten auf die Fragen 1 und 2). 5. Welche weiteren Maßnahmen hat die Landesregierung zur Umsetzung der Beschlüsse des Antrags zu Drs.-Nr. 16/8234 ergriffen? Die Landesregierung begleitet die länderübergreifenden Gespräche mit den Schaustellern und setzt sich im Sinne der Landtagsentschließung 16/8234 für eine Regelung ein, die den Schaustellern in allen Bundesländern den sicheren Betrieb von Fahrgeschäften mit vertretbarem wirtschaftlichem Aufwand ermöglicht (siehe auch Antwort auf die Frage 1). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11673