LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11785 21.04.2016 Datum des Originals: 19.04.2016/Ausgegeben: 25.04.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4594 vom 22. März 2016 des Abgeordneten Christof Rasche FDP Drucksache 16/11566 Zahlentrickserei im Verkehrssicherheitsprogramm der Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat am 10.02.2016 das „Verkehrssicherheitsprogramm Nordrhein-Westfalen 2020“ vorgelegt. Mit ihm soll bis zum Jahr 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent und die der Verletzten um 20 Prozent verringert werden. Langfristig wird die „Vision Zero“ verfolgt, wie sie auch vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) angestrebt wird. Betrachtet man auf Seite 6 des Verkehrssicherheitsprogrammes den definierten Zielkorridor für die Absenkung der Getötetenzahlen, so bekommt man den Eindruck, dass die Zielmarke nur erreicht wird, weil das Jahr 2010 bewusst nicht als Ausgangsbasis gewählt wurde. Kritische Stimmen vermuten, dass es zu „Zahlentricksereien“ bei der Zieldefinition gekommen ist. Erreicht werden sollen diese hoch gesteckten Ziele durch rund 150 Maßnahmen, wie sie im aktuellen Verkehrssicherheitsprogramm aufgeführt werden. Neu ist jedoch, dass neben der Erhöhung zur Verkehrssicherheit auch ökologisch verträgliche Mobilität mit dem Programm ermöglicht werden soll. Es kommt zu einer „Verwässerung“ der Maßnahmen. Im Kapitel „Mobilität managen“ (S. 47 ff) werden Themen wie Car Sharing und E-Mobilität ausführlich beschrieben und deren Umsetzung gefordert. Hiermit werden Maßnahmen zur Erhöhung der Nachhaltigkeit der Mobilität im Verkehrssicherheitsprogramm aufgenommen, welches im Grunde schon mit seinem primären Ziel (Senkung der Unfallzahlen) stark gefordert ist. Erst in späteren Kapiteln ab S. 65 ff werden primäre Themen der Verkehrssicherheitsarbeit (z.B. Kapitel „Verkehrssicherheit bauen“) im Verkehrssicherheitsprogramm aufgegriffen. Die Landstraße ist die gefährlichste Straßenkategorie mit den höchsten Unfallraten (Unfälle je Mio. Fahrzeugkilometer). Hier muss ein zukünftiger Schwerpunkt der Verkehrssicherheitsarbeit der Landesregierung liegen. Auch müssen verstärkt Unfallkommissionen zur Beseitigung von Unfallbrennpunkten eingesetzt werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11785 2 Im Verkehrssicherheitsproramm wird auf Seite 35 die sogenannte Section Control als Maßnahme der polizeilichen Verkehrsüberwachung begrüßt. Section Control ist ein Geschwindigkeits -Kontrollverfahren, bei dem alle Fahrzeuge am Anfang und Ende eines Messabschnitts vollautomatisch fotografisch erfasst werden. Mit Section Control werden entgegen der bisherigen Praxis nicht nur dann Fotos von Fahrzeugen aufgenommen, deren Lenker bereits im Verdacht einer Ordnungswidrigkeit stehen, sondern von allen Fahrzeugen und damit auch von sich vorschriftsmäßig verhaltenden Fahrzeugführern, die den ersten Messpunkt passieren. Durch das neue Messverfahren dürfen Autofahrer nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Section Control tangiert somit die Grundsätze der Datensicherheit und Datensparsamkeit. In dem vorgestellten Verkehrssicherheitsprogramm findet man zudem keine Angaben zur Finanzierung der Verkehrssicherheitsarbeit der Landesregierung. Dabei kann bei Betrachtung der dem Ministerium nachgeordneten drei Netzwerken (Landesverkehrswacht, Zukunftsnetz Mobilität NRW und Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e.V. (AGFS)) der Eindruck entstehen, dass es hier zur Finanzierung von Parallelstrukturen kommt. Klare Aufgabenabgrenzungen sind – trotz einer kurzen Darstellung der Institutionen auf den Seiten 16 und 17 im Verkehrssicherheitsprogramm – nicht erkennbar . Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang auch die Umbenennung des „Netzwerkes Verkehrssicheres Nordrhein-Westfalen“ in „ZUKUNFTSNETZ MOBILITÄT NRW“ und die Erweiterung seines Aufgabenspektrums. Betrachtet man die aktuellen Unfallzahlen des Jahres 2015, so blieb die Zahl der Unfalltoten im Vergleich zum Vorjahr nahezu gleich. 521 Menschen starben auf den Straßen in NRW. „Die Bilanz zeigt, dass die Konzepte der Polizei für mehr Verkehrssicherheit wirken. Sie zeigt aber auch, dass wir mit unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen“, sagte Innenminister Ralf Jäger bei der Vorstellung der Verkehrsunfallstatistik am 15.02.2016 in Düsseldorf. Es bleibt also viel zu tun, um die im Verkehrssicherheitsprogramm vorgegebenen Ziele zu erreichen. Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 4594 mit Schreiben vom 19. April 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Klimaschutz , Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung den Vorwurf, dass mit der Wahl von Zielkorridoren „Zahlentrickserei“ betrieben wird? Nordrhein-Westfalen hat mit 29 Verkehrstoten pro eine Million Einwohner die niedrigste Zahl an Verkehrstoten unter den deutschen Flächenländern. Im Bundesdurchschnitt starben 43 Menschen pro eine Million Einwohner. Auch im europäischen Maßstab ist Nordrhein-Westfalen mit Schweden (27) und den Niederlanden (28) unter den drei Spitzenländern einzuordnen. Insoweit ist die Zielsetzung im Verkehrssicherheitsprogramm, die Zahl der Getöteten im Straßenverkehr um weitere 40% zu reduzieren, eine sehr ambitionierte Selbstverpflichtung. Ein Zielkorridor wurde deshalb definiert, um der starken Schwankungsbreite in den Ausgangsjahren 2009 bis 2011 gerecht zu werden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11785 3 2. Welchen Zweck verfolgt die Landesregierung mit der „Verwässerung“ der Verkehrssicherheitsarbeit durch Maßnahmen des Mobilitätsmanagements? Die Arbeit des bisherigen Netzwerks Verkehrssicheres NRW wird im Zukunftsnetz Mobilität NRW fortgeführt. Die Akteure vor Ort werden in gewohnter und bewährter Form in ihrer Verkehrssicherheitsarbeit unterstützt. Die Zahl der Verkehrstoten hat in Nordrhein-Westfalen im internationalen und im historischen Vergleich bereits einen niedrigen Stand erreicht. Durch die Arbeit im Netzwerk Verkehrssicheres NRW ist deutlich geworden, dass eine weitere signifikante Verbesserung bis hin zur Realisierung der „Vision Zero“, also der Vermeidung jeglicher tödlicher Verkehrsunfälle, nur durch eine grundlegende Änderung des Mobilitätsverhaltens der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer erreicht werden kann. Es geht dabei um die bedarfsgerechte, intelligente Nutzung von Verkehrsmitteln, die den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen und den Sicherheitserfordernissen gleichermaßen Rechnung trägt. Die künftige Verkehrssicherheitsarbeit wurde daher eingebettet in ein umfassendes Konzept von Mobilitätsmanagement . Den Kommunen kommt dabei eine herausgehobene Rolle zu. Das Zukunftsnetz Mobilität NRW unterstützt sie dabei, die Verkehrssicherheitsarbeit im Rahmen des Mobilitätsmanagements als kommunale Querschnittsaufgabe der Bereiche Infrastruktur, Bau- und Planungsrecht, Überwachung und Kommunikation in den Verwaltungen zu verankern. Zugleich hat eine so angelegte Verkehrssicherheitsarbeit auch positive Folgen für die Lebensqualität in den Städten und den ländlichen Räumen. 3. Wie könnte die Arbeit der Unfallkommissionen im Land bei einer entsprechend positiven Bewertung durch die Landesregierung in der Praxis ausgedehnt werden? Aufbau, Aufgaben und Organisation der Unfallkommissionen in Nordrhein-Westfalen sind entsprechend den Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) zu § 44 Absatz 1 in dem gemeinsamen Runderlass des Innenministeriums und des Ministeriums für Bauen und Verkehr - III B 3 - 75 - 05 / 2 - vom 11. März 2008 geregelt. Hiernach sind zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle die örtlich zuständigen Straßenverkehrs-, Straßenbau- und Polizeibehörden verpflichtet, auf Grundlage strenger Kriterien und durch enge Zusammenarbeit dafür Sorge zu tragen, dass Unfallhäufungsstellen zuverlässig erkannt, deren Ursachen analysiert und geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der unfallbegünstigenden Faktoren beschlossen und zeitnah umgesetzt werden. Die Arbeit der Unfallkommissionen hat sich bewährt; die insgesamt positive Unfallentwicklung der letzten Jahre, insbesondere der schweren Unfälle ist hierfür Indiz. Um die Verkehrssicherheitsarbeit der Unfallkommissionen noch effizienter zu gestalten, werden die Handlungsanweisungen für die Durchführung der Unfallkommissionsarbeit in NRW überprüft und noch in diesem Jahr im Abgleich mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und unter besonderer Berücksichtigung der Anwendungspraxis aktualisiert. 4. Wie will die Landesregierung die im Verkehrssicherheitsprogramm erwähnte Maßnahme Section Control umsetzen, ohne gegen Datenschutzauflagen zu verstoßen? Die Polizei NRW ist gegenüber neuen Verfahren und Methoden der Verkehrsüberwachung aufgeschlossen. Sie beobachtet und bewertet daher stetig neue Entwicklungen und Möglichkeiten zur Verkehrsüberwachung. Dabei geht es auch immer um die taktischen und rechtlichen Voraussetzungen. Es gilt hier jedoch noch wesentliche praktische und rechtliche Fragen zu klären. Vor diesem Hintergrund beobachtet die Landesregierung auch den niedersächsischen Pilotversuch zur „Abschnittsbezogenen Geschwindigkeitsüberwachung (Section Control)“. Section Control könnte ein weiterer Bestandteil zukünftiger Verkehrsüberwachung sein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11785 4 5. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung bei der Organisation und vor allem der Finanzierung ihrer Verkehrssicherheitsarbeit, um in Zukunft bestehende Parallelstrukturen zu vermeiden oder zumindest zu optimieren? Parallelstrukturen existieren nicht. Die für die Verkehrssicherheitsarbeit äußerst förderlichen Netzwerke - Landesverkehrswacht NRW, Zukunftsnetz Mobilität NRW und Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen – tauschen sich unter Federführung des Verkehrsministeriums regelmäßig aus und stimmen ihre Aktivitäten ab. Darüber hinaus sind alle für die präventive Verkehrssicherheitsarbeit im Lande relevanten Organisationen im Arbeitskreis Verkehrssicherheit beim Verkehrsministerium vertreten. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11785