LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11870 02.05.2016 Datum des Originals: 02.05.2016/Ausgegeben: 06.05.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4613 vom 30. März 2016 der Abgeordneten Ingola Schmitz FDP Drucksache 16/11600 Wie unterstützt die Landesregierung Schulen im Umgang mit problematischem Verhalten bei Flüchtlingskindern/ Flüchtlingsfamilien? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Eine frühzeitige und bestmögliche Integration von Flüchtlingskindern stellt eine der zentralen gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben dar. Hierbei kommt den Schulen eine wichtige Rolle zu. Die Rückmeldungen sind dabei sehr unterschiedlich; letztlich so unterschiedlich , wie Kinder sind. Während einerseits von großer Wissbegierde und Lernfreude berichtet wird, werden andererseits auch Probleme geschildert, die über Fragen der natürlich sehr bedeutenden Fragen personeller und sächlicher Ausstattung hinaus reichen. Ebenso wichtig wie die umfassende Unterstützung und Beförderung des Engagements und der Lernfreude der vielen neuen Schülerinnen und Schüler ist es daher, auch Problemfelder anzusprechen , um dort Lösungen zu diskutieren und möglichst Verbesserungen zu erreichen. Unlängst hat die „The Huffington Post“ einen Artikel unter dem Titel „Wenn die Integration schon in der Grundschule scheitert“ veröffentlicht. Auch wenn der Artikel bzw. die Beschreibungen weitgehend auf den Beobachtungen einer Lehrkraft in einem sozialen Brennpunkt einer Großstadt in Nordrhein-Westfalen beruhen, stimmen geschilderte Beobachtungen mit anderen Rückmeldungen überein. In dem Bericht wird von den bekannten Herausforderungen wie z. B. fachlicher Qualifikation im Bereich des Vermittelns von Deutsch als Fremdsprache, von den Traumata der Kinder, mit denen Lehrkräfte ohne ausreichende Unterstützung schwer umgehen können, aber auch von „verschwindenden“ Flüchtlingskindern oder fragwürdiger Einstufung in Klassen gemäß vermeintlichem Alter berichtet. Darüber hinaus werden jedoch auch explizite Werte- bzw. Verhaltensfragen angesprochen. Hierbei spielen selbstverständlich auch andere tradierte kulturelle Werte und Normen eine Rolle. So wird geschildert, dass sich – zumindest dort beschriebene – Flüchtlingskinder, demnach stärker Jungen als Mädchen, bereits im Grundschulalter wenig an vorgegebene Regeln halten würden. Probleme, dass für alle geltende Regeln nicht akzeptiert würden, stiegen ab LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11870 2 der 3./4. Klasse. Ermahnungen von Lehrkräften würden nicht akzeptiert, es fehle stark an Anpassungsbereitschaft . Jungen würden sich wie „Machos“ verhalten, weiblichen Lehrkräften würde nicht in die Augen gesehen. Körperkontakt sei oftmals nicht möglich. Große Probleme mit verstärkt gewalttätigen Konflikten träten auf dem Schulhof auf, die Zahl der Aufsichtspersonen sei erhöht worden, dies belaste in steigendem Maße auch die anderen Kinder. Auch sei die Zusammenarbeit mit vielen Eltern problematisch. Die Schulpflicht werde ebenso wenig als Verbindlichkeit angesehen wie Regeln und Verbote. Zuständig sei im genannten Fall eine Zweigstelle eines Wohlfahrtsverbandes. Diese würden angerufen, wenn ein Kind unentschuldigt mehrere Tage gefehlt habe. Sie würde mit den Eltern kommunizieren, jedoch, Zitat: „Es wird kurz genickt und das Kind geht wieder drei Tage zur Schule. Danach geht das Spielchen wieder von vorne los." Teilweise müssten demnach vor der Schule nicht nur Kinder, sondern auch Väter auseinandergehalten werden. Auch seien diese in den genannten Fällen nicht bereit, Regeln zu akzeptieren und würden z.B. trotz gegenteiliger Aufforderung das Gebäude betreten. Auch wird kriminalisiertes Verhalten thematisiert, das laut Beschreibungen von Eltern „unterstützt“ wird. Auch wenn geschilderte Probleme selbstverständlich nicht verallgemeinert werden dürfen, bedeuten sie offenkundig für manche Schulen eine Herausforderung, die nicht ignoriert werden darf. Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4613 mit Schreiben vom 2. Mai 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet . Vorbemerkung der Landesregierung Ein grundlegendes Ziel von Erziehung und Bildung in allen Schulen Nordrhein-Westfalens ist es, Schülerinnen und Schüler zur aktiven demokratischen Teilhabe zu befähigen und die Werte einer modernen, pluralistischen und offenen Gesellschaft zu verankern. Hierzu wurde der Ausschuss für Schule und Weiterbildung am 1. März 2016 über laufende Vorhaben und Planungen des Ministeriums für Schule und Weiterbildung zur Förderung der historisch-politischen Bildung informiert (Vorlage 16/3753). Diese umfassen insbesondere die Wertebildung aller Schülerinnen und Schüler. Der in der Vorbemerkung zur Kleinen Anfrage zitierte Artikel aus der Huffington Post, der neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern und deren Eltern ein problematisches Verhalten bezüglich des Umgangs mit Lehrkräften und der Akzeptanz der Schulpflicht attestiert, wird zur Kenntnis genommen. Aus diesem Text kann jedoch kein pauschaler Rückschluss auf ein allgemeines mangelhaftes Wertebewusstsein bei zugewanderten Familien gezogen werden. Von einer Verallgemeinerung wird schließlich bereits in der Kleinen Anfrage Abstand genommen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11870 3 1. An welchen Punkten setzt die Landesregierung an, um eine Wertevermittlung an Kinder und Eltern zu ermöglichen, die einerseits eine gelingende Integration fördert , andererseits aber auch einer solchen Integration widersprechende Kodizes als kritisch thematisiert? Die Wertevermittlung ist laut Art. 7 Abs. 2 Landesverfassung und § 2 Abs. 2 Schulgesetz NRW (SchulG) eine fächerübergreifende Aufgabe, die sich nicht explizit auf eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern bezieht, sondern alle Schülerinnen und Schüler umfasst. Entsprechend wird diesen Werten widersprechende Verhaltensformen im schulischen und außerschulischen Rahmen kritisch begegnet. Weiterhin bietet die Landeszentrale für politische Bildung im außerschulischen Rahmen explizit eine Reihe von Formaten für „Flüchtlinge“ zu den Themenbereichen Demokratiekompetenz, Wertevermittlung etc. in Form von Büchern, Broschüren und Webvideos an. Diese schließen den Kreis der neu zugewanderten Eltern ein. Zu nennen ist hier beispielhaft die gemeinsam mit dem MAIS entwickelte Broschüre „Demokratie für mich. Grundrechte in Deutschland“. Mit der Broschüre werden in einfacher Form Informationen zu grundlegenden, in Deutschland allgemeingültigen Regeln und Werten vermittelt und anhand praktischer Beispiele konkretisiert. Dabei orientiert sich die Broschüre am deutschen Grundgesetz. Behandelt werden zum Beispiel Kinderrechte, persönliche Freiheit oder die Religions- und Meinungsfreiheit. Die Broschüre ist so konzipiert, dass sie auch als Unterrichtsmaterial zum Einsatz kommen kann. Ein wirksames Instrument zur Vermittlung von Werten und demokratischen Erziehungsgrundsätzen sind die Angebote der Familienbildung. Für geflüchtete Menschen wurde das durch Landesförderung gebührenfreie Angebot „Elternstart NRW“ von der Altersgruppe der Familien mit Kindern bis zu einem Jahr auf Eltern von Kindern bis zu drei Jahren erweitert. Angebote der Familienbildung für geflüchtete Eltern und Kinder werden außerdem im Rahmen der Brückenprojekte zur Vorbereitung auf die Kindertagesbetreuung gefördert. 2. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um Lehrkräften z.B. zusätzliche Unterstützung zukommen zu lassen bzw. Kompetenz im Umgang mit interkulturell divergierenden Werten zu vermitteln? Nordrhein-Westfalen hat mit dem Lehrerausbildungsgesetz 2009 für alle lehrerbildenden Studiengänge die verbindliche Vermittlung von Kompetenzen im Bereich „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“ eingeführt. Die Vermittlung von interkultureller Kompetenz in der Lehramtsausbildung wurde ebenfalls verankert (sechs Kreditpunkte). Damit erlangen angehende Lehrkräfte die Fähigkeit, mit Individuen und Gruppen verschiedener Kulturen erfolgreich und angemessen zu interagieren, indem sie deren spezifische Konzepte der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns erfassen und begreifen. Ein weiteres Qualifizierungsangebot für den Bereich „Schulkultur entwickeln - Demokratie gestalten“ ist in Vorbereitung. Auch die überwiegende Zahl der Kompetenzteams für die Lehrerfortbildung und der Kommunalen Integrationszentren halten Beratungs- und Unterstützungsangebote vor. Die Landesweite Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren bietet u. a. die Maßnahme „Unterricht für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche“ an, die sich an Lehrkräfte als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren richtet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11870 4 3. Welche Handlungsempfehlungen erteilt die Landesregierung Lehrkräften an Schulen, wo geschilderte Regelverletzungen durch Schülerinnen und Schüler passieren? Die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ergeben sich aus den in § 53 des SchulG zugelassenen erzieherischen Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen. Darüber hinausgehende Empfehlungen werden nicht für erforderlich gehalten. 4. Sind neben den bisher bestehenden Möglichkeiten weitere Unterstützungsmaßnahmen für Schulen geplant, um die Erfüllung der Schulpflicht ggf. auch gegen die Eltern durchzusetzen? Zur Überwachung und Durchsetzung der Schulpflicht bestehen dezidierte Regelungen über Maßnahmen und Verfahren (Runderlass des MSW vom 04.02.2007 – BASS 12 – 51 Nr. 5/ABl. NRW. S. 155). Änderungen sind zurzeit nicht beabsichtigt. 5. Wie ist der Handlungsrahmen ausgestaltet, der Schulen vor einem „übergriffigen“, regelverletzenden Verhalten von Eltern schützt? Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung eines sicheren und geordneten Schulbetriebs kann die Schulleitung das Hausrecht gemäß § 59 Absatz 2 Nr. 6 SchulG ausüben. Dies schließt die Befugnis ein, soweit erforderlich, ein Hausverbot zu erlassen. Daneben können zur allgemeinen Gefahrenabwehr die zuständigen Ordnungsbehörden eingeschaltet werden. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11870