LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11871 02.05.2016 Datum des Originals: 02.05.2016/Ausgegeben: 06.05.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4614 vom 17. März 2016 des Abgeordneten Hanns-Jörg Rohwedder PIRATEN Drucksache 16/11601 Workshops und Sponsoring der Urananreicherungsfirma Urenco und anderer Firmen aus der Nuklearbranche an Schulen in NRW Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Jahresbericht 2015 des internationalen Urananreicherers Urenco http://media .urenco.com/corp-website/668/urenco_annual_report_2015.pdf ist auf Seite 30 zu lesen, dass in den vier Standortländern Deutschland, Niederlande, Großbritannien und USA in 2015 insgesamt 27.000 Schulkinder im Alter bis 16 Jahren an sogenannten „Richie Science Workshops “ teilgenommen hätten. Auf Seite 31 ist zu lesen, seit 2007 hätten insgesamt 87.000 an diesen Wissenschaftsprogrammen teilgenommen. Richie sei der sog. „Wissenschafts-Botschafter“ von Urenco, mit dessen Hilfe „eine neue Generation von Wissenschaftsführern ausgebildet“ werden solle. Richie solle „unsere zukünftigen Wissenschaftler inspirieren.“ Urenco ist in NRW am Standort Gronau im Münsterland mit der bundesweit einzigen Urananreicherungsanlage vertreten. In Jülich ist das gemeinsam mit Areva betriebene Tochter-Unternehmen ETC zur Erforschung und Entwicklung von Uran-Zentrifugen tätig. Des Weiteren ist auch die Firma GNS (Gesellschaft für Nuklear-Service) mit Sitz in Essen z. B. an den Standorten Ahaus, Duisburg und Jülich mit Zwischenlagern und Atommüll-Konditionierungsanlagen vertreten, während die beiden großen Energiekonzerne RWE und E.ON ebenfalls in NRW ansässig und aktiv sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11871 2 Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4614 mit Schreiben vom 2. Mai 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Kleine Anfrage 4614 thematisiert die grundsätzliche Problematik der Möglichkeit der Vereinnahmung von Schulen durch Unternehmen oder Interessensverbände, vorliegend durch die Fa. URENCO Deutschland GmbH und andere, u. a. im Bereich der Kernenergie tägige Unternehmen. Seit dem Jahr 2000 verfolgt Nordrhein-Westfalen den Grundsatz der eigenverantwortlichen Schulen. Kooperationen und Sponsoringverträge von Schulen mit Unternehmen und außerschulischen Institutionen entsprechen in der Regel dem Konzept der Öffnung von Schulen. Kooperationen der eigenverantwortlichen Schulen werden nicht zentral erfasst. Von den Schulleitungen evtl. abgeschlossene Sponsoringverträge bedürfen aber der Zustimmung der Schulkonferenz und des Schulträgers. Nach bisherigen Erfahrungen sind die Schulleitungen in aller Regel im Hinblick auf eine Einflussnahme durch Dritte sehr sensibel und handeln verantwortungsbewusst . Ggf. von Unternehmen den Schulen zur Verfügung gestellte Lehrangebote bzw. Materialien ändern nichts an den Grundprinzipien der Unterrichtsgestaltung in den Schulen in Nordrhein- Westfalen. Der Unterricht in den nordrhein-westfälischen Schulen findet gemäß den dafür vorgesehenen Lehrplänen statt. Für den Unterricht bezüglich gesellschaftlich umstrittener Themen gelten für Lehrerinnen und Lehrer selbstverständlich das Pluralismusgebot und die Pflicht zur sachgerechten Darstellung und Abwägung aller Interessen. Insbesondere für Themen, die in besonderer Weise gesellschaftlich und politisch kontrovers sind, gilt der „Beutelsbacher Konsens“. Dieser stellt ein grundlegendes Prinzip der schulischen Arbeit besonders im Bereich der individuellen Urteilsbildung zu gesellschaftspolitisch relevanten oder ethischen Fragestellungen dar. Danach muss das, was in der Gesellschaft strittig ist, auch in der Schule als strittig dargestellt werden. Der Beutelsbacher Konsens beinhaltet das „Überwältigungsverbot“, d.h. er zielt auf die freie und kritische Willens- und Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler ab und ist somit eine wichtige Grundlage für unsere demokratische Gesellschaft. Die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen in NRW vermitteln den Schülerinnen und Schülern themenbezogen ein ausgewogenes Spektrum an Informationen und führen sie an den Prozess einer eigenen Meinungs- und Urteilsbildung heran. Dies schließt eine plurale und ggf. kontroverse Darstellung z. B. verschiedener Energiequellen ein. Im Schulunterricht zu Energiethemen werden selbstverständlich gleichermaßen Möglichkeiten, Risiken und Gefahren des Energieträgers Kernenergie dargestellt. Ob, und falls ja, in welchem Umfang weitere Unterrichtmaterialien und -Angebote zum Einsatz kommen, entscheiden die Lehrerinnen und Lehrer , bei Beachtung der Lehrpläne und der Grundsätze eines pluralen Unterrichts. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11871 3 1. An welchen Schulen in NRW ist Urenco seit 2011 in welchem Umfang mit den erwähnten „Richie-Workshops“ oder mit anderen Aktivitäten und Sponsoring-Maßnahmen aufgetreten (bitte aufzählen je nach Schuljahr, jeweils betroffener Schule, Zahl der jeweils teilnehmenden Schüler, Art der Aktivität / des Sponsorings durch Urenco, zeitliche Dauer der Urenco-Aktivität sowie finanziellem Umfang des Urenco-Engagements)? 2. An welcher der betroffenen Schulen erhielten auch Vertreter von Umweltverbänden , Anti-Atom-Initiativen oder von Firmen aus dem erneuerbaren Energiesektor die Gelegenheit, den Schülern und Lehrern eine zweite Meinung zu präsentieren? 4. An welchen Schulen in NRW waren seit 2011 andere Firmen aus der Nuklearbranche – wie z. B. GNS, RWE und EON – mit eigenen Workshops oder Sponsoring Maßnahmen aktiv (bitte Einzelaufzählung nach dem Muster von Frage 1)? Die eigenverantwortlichen Schulen und die Schulaufsichtsbehörden in Nordrhein-Westfalen sind nicht verpflichtet, über die verschiedenen Aktivitäten von einzelnen Unternehmen und/oder Interessenverbänden an Schulen in Nordrhein-Westfalen gesonderte Aufzeichnungen oder Statistiken zu führen. Daher können entsprechende Abfragen an die Schulen oder an die Schulaufsichtsbehörden zu keinen belastbaren Aussagen führen. Die GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH (GNS) empfängt nach eigener Auskunft regelmäßig Schulklassen bzw. Schülergruppen in Ahaus und Mülheim, die sich über die GNS und deren Tätigkeiten auf den Gebieten der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle und des Behälterbaus informieren wollen. Der Besuch der Schulklassen bzw. Schülergruppen erfolgt allerdings ohne Kontrollbereichszutritt. 3. Wie bewertet die Landesregierung die Aktivitäten von Urenco an Schulen in NRW, insbesondere vor dem Hintergrund des vereinbarten Atomausstiegs? Wie schon dargestellt, vertraut die Landesregierung hinsichtlich der Zusammenarbeit von Schulen mit Unternehmen und/oder Interessenverbänden und hinsichtlich der Darstellung und Behandlung relevanter gesellschaftspolitischer Themen wie z. B. der Atomenergie dem Handeln der eigenverantwortlichen Schulen. Die Lehrkräfte sind fachlich und pädagogisch gut ausgebildet und wissen um ihre Rolle im demokratischen Staat. Fehlentwicklungen sind der Landesregierung im Zusammenhang des erfragten Kontextes nicht bekannt. 5. In welcher Weise findet eine Kontrolle dieser Schul-Aktivitäten von Urenco und anderer Unternehmen aus der Nuklearbranche durch die Schulaufsichtsbehörden in NRW statt? Die Nutzung der (außerschulischen) Bildungsangebote von Unternehmen unterliegt der Beurteilung der jeweiligen Lehrkräfte. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung und auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Soweit von Schulen Sponsoringverträge mit Unternehmen abgeschlossen werden, sind die Verträge der Schulaufsicht auf Verlangen vorzulegen (vgl. schriftlicher Bericht -Vorlage LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11871 4 16/3426- der Landesregierung in der 77. Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung am 18.11.2015). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11871