LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11882 03.05.2016 Datum des Originals: 03.05.2016/Ausgegeben: 09.05.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4583 vom 16. März 2016 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/11541 Elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen: Verhindert das schlechte Verhandlungsergebnis der Gesundheitsministerin mit den Krankenkassen die versprochene finanzielle Entlastung der Kommunen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage NRW hatte im vergangenen August den Weg frei gemacht für die Einführung der Gesundheitskarte . Am 28. August 2015 hat das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen die „Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Gesundheitsversorgung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit §§ 1, 1a Asylbewerberleistungsgesetz in Nordrhein Westfalen“ veröffentlicht . Durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte sollte den nach § 4 AsylbLG leistungsberechtigten Personen der vereinfachte Zugang zum Gesundheitssystem und den Kommunem eine wirtschaftlichere Abwicklung bei gleichzeitiger Entlastung von Verwaltungsaufgaben ermöglicht werden. Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) hatte dazu eine Vereinbarung mit Krankenkassen getroffen, um Flüchtlingen einen direkten Arztbesuch ohne Umweg über das Sozialamt zu ermöglichen und auch, um die Städte zu entlasten. Als erstes starteten zum 1. Januar 2016 die Städte Alsdorf, Bonn, Bochum, Gevelsberg, Monheim und Mülheim mit der Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Nach Mitteilung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums von Ende Januar 2016 hätten sich mittlerweile 19 Kommunen in Nordrhein-Westfalen „ganz offiziell“ für die elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge entschieden. Der Städte- und Gemeindebund kam zwischenzeitlich zu der Bewertung, dass es kaum Akzeptanz in den Kommunen gebe. Nach einer Umfrage unter seinen Mitgliedskommunen seien von 175 Städten und Gemeinden nur 6 am Start, 67 überlegten noch. Dies ist ein klares Votum der Praxis gegen ein realitätsfernes Konzept. Hauptgrund seien die zwischen dem Gesundheitsministerium und den Krankenkassen vereinbarten Gebühren. Insbesondere werden die LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11882 2 Verwaltungspauschalen kritisiert, die die Kommunen pro Flüchtling an die Krankenkasse zahlen muss: 8% der zu erstattenden Leistungen, mindestens jedoch 10 Euro pro Kopf und Monat. Beispielhaft hat die Stadt Duisburg für sich errechnet, welche finanziellen Folgen die elektronische Gesundheitskarte hätte: Bei geplanten Aufwendungen in 2016 von 6,8 Mio. Euro würde bei einem Beitritt zur Rahmenvereinbarung die an die Krankenkasse zu zahlende Verwaltungskostenpauschale (8% der zu erstattenden Leistungen, mindestens jedoch 10 Euro pro Kopf und Monat) in Höhe 643.200 Euro jährlich deutlich über den Personalkosten der Krankenhilfeprüfung in Höhe von ca. 165.000 Euro jährlich liegen, die durch die interkommunale Zusammenarbeit im Übrigen zu knapp 50% refinanziert werden kann. Dieser Prozentsatz der Verwaltungspauschale von 8 Prozent sei nicht angemessen, da der Bundesgesetzgeber für die Abrechnung der Betreuten nach § 264 Abs. 2 SGB V nur eine Verwaltungskostenpauschale von „bis zu 5%“ vorsieht. Warum für Flüchtlinge die Verwaltungskostenpauschale so deutlich abweichen soll, wurde von den Krankenkassen bisher nicht begründet. Trotz mehrfacher Aufforderung durch die kommunalen Spitzenverbände wurden belastbare Berechnungen dazu von den Krankenkassen nicht vorgelegt. Hinzu komme eine Umlage gemäß § 9 der Rahmenvereinbarung, wonach die Krankenkassen den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) entsprechend den gesetzlichen Regelungen beauftragen. Hierfür werden Kosten in Höhe von 10 Euro pro Leistungsberechtigtem und Jahr erhoben. Bei zz. 5.360 Flüchtlingen seien dies 53.600 Euro jährlich. Für das Ausstellen der eGK erhält die Krankenkasse zudem für jeden Leistungsberechtigten einmalig 10 Euro. Damit entstünden bei zz. 5.360 Flüchtlingen weitere Kosten in Höhe von 53.600 Euro und insgesamt Verwaltungskosten in Höhe von 750.400 Euro jährlich. Gegenüber der derzeitigen Krankenhilfeprüfung mit Kosten von rund 170.000 liegen somit bei Einführung der eGK fast viermal so hohe Verwaltungskosten vor. Dabei verwies das Ministerium immer auf die Erfahrungen in Hamburg und Bremen. Dort sei es zu Einsparungen in der jeweiligen Verwaltung gekommen sei. Die Kommunen mit eGK würden von Rabattvereinbarungen und anderen Instrumenten der gesetzlichen Krankenversicherung profitieren. Außerdem würde beim Arztbesuch mit einem Behandlungsschein einer Kommune die Mediziner jede Behandlung separat abrechnen. Mit der eGK erfolge das quartalsweise . Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 4583 mit Schreiben vom 3. Mai 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat mit dem Rahmenvertrag Neuland beschritten und eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Krankenkassen haben die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge, die deutlich über eine reine Abrechnung hinausgeht, freiwillig übernommen. Gesetzliche Grundlage hierfür ist § 264 Abs. 1 SGB V. Darin ist ausdrücklich vorgeschrieben, dass den Krankenkassen die hierbei entstehenden Kosten einschließlich der Verwaltungskosten von den Kostenträgern , d.h. in diesem Fall den Gemeinden, zu erstatten sind. Diese gesetzliche Vorgabe war bei den Verhandlungen zwischen dem Land und den Krankenkassen unter Beteiligung der Kommunalen Spitzenverbände und einzelnen Kommunen zwingend zu beachten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11882 3 In den Verhandlungen ist deutlich geworden, dass die Verhältnisse in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg nicht mit denen eines Flächenlandes wie Nordrhein-Westfalen vergleichbar sind (eine Kommune als Kostenträger, eine Krankenkasse als Vertragspartner, ursprüngliche Betreuungszeit in der Regel 48 statt 15 Monate usw.). Ebenso wurde die auf 5 % festgelegte Begrenzung des Verwaltungskostensatzes in § 264 Abs. 7 SGB V von den Krankenkassen als nicht übertragbar angesehen, weil der nach § 264 Abs. 2 SGB V zu betreuende Personenkreis nicht vergleichbar ist. So ergeben sich nach Darstellung der Krankenkassen u.a. folgende Zusatzbelastungen mit einem erhöhten Personalund Sachaufwand: Hohe Verwaltungskosten für die Einzelkontenführung, hohe Fluktuation des Personenkreises durch die Begrenzung auf 15 Monate, aufwändige EDV-Änderungen und Softwareanpassungen, Anpassung der abweichenden Versorgungswege bei der eGK und der Befreiungsausweise an die Gemeinden und komplexe Versorgungssituationen einschließlich eines erhöhten und zeitlich aufwändigeren Beratungs- und Informationsbedarfs (u.a. Sprachbarrieren). Vergleichbar wäre in diesem Fall vielmehr die Betreuung von Personen nach dem Bundesvertriebenengesetz durch die Krankenkassen, für die vom Bund ein Verwaltungskostensatz von 8 % bundesgesetzlich festgelegt ist und erstattet wird (§ 11 Abs. 6 BVFG). Schließlich ist festzustellen, dass alle Flächenländer, die inzwischen entsprechende Rahmenvereinbarungen abgeschlossen haben (Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen ), ebenfalls vergleichbare Regelungen zur Erstattung der Verwaltungskosten getroffen haben . Aus vorgenannten Gründen trägt der in der Kleinen Anfrage enthaltene Vorwurf eines „schlechten Verhandlungsergebnisses“ für die NRW-Rahmenvereinbarung nicht. Unabhängig davon ist einzuräumen, dass es zur Höhe der durch die Betreuung dieses Personenkreises auf Seiten der Krankenkassen entstehenden Verwaltungskosten angesichts der Vorreiterrolle von Nordrhein-Westfalen als erstem Flächenland keine Erfahrungswerte gibt. Daher wurde in Abstimmung mit den Kommunalen Spitzenverbänden eine zeitnahe Evaluation nach Abrechnung von zwei Quartalen vereinbart. Ziel muss eine angemessene Erstattung der Verwaltungskosten sein, die die GKV nicht belastet, aber auch nicht zu einer Überkompensation führt. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Zurückhaltung der Kommunen bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte angesichts der Kritik an dem im Gegensatz zu den Ländern Bremen und Hamburg teureren Verfahren, dass die Behandlungskosten für die Kommunen letztlich zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko macht? Die Rahmenvereinbarung bietet den Gemeinden eine Option, die gesundheitliche Versorgung der ihr zugewiesenen Flüchtlinge auf die Krankenkassen unter Nutzung deren Fachwissens und der in der GKV geltenden Regelungen zur wirtschaftlichen Leistungserbringung zu übertragen . Die Entscheidung trifft die jeweilige Kommune. Bisher sind im ersten Schritt zwar nur relativ wenige Kommunen der Rahmenvereinbarung beigetreten, darunter allerdings eine Reihe großer Städte. Insgesamt kann damit in absehbarer Zeit bereits jede(r) dritte Leistungsberechtigte nach §§ 1, 1a Asylbewerberleistungsgesetz LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11882 4 von der Gesundheitskarte und der damit einhergehenden Erleichterung und Verbesserung der medizinischen Versorgung profitieren. Dadurch können unnötige Wartezeiten auf eine Behandlung , die den Krankheitsverlauf verschlechtern und damit am Ende auch die Kosten einer Behandlung erhöhen könnten, vermieden werden; zugleich wird dadurch auch die Integration in das gesundheitliche Regelsystem erleichtert. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Universitäten Bielefeld und Heidelberg (Prof. Razum/Prof. Borzorgmehr) bestätigt diese Einschätzung. Die Wissenschaftler kommen darin zu dem Ergebnis, dass ein eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung bei Asylsuchenden letztlich teurer ist als die Regelversorgung. Unter den Bedingungen eines gleichen Zugangs für alle Asylsuchenden hätten die Gesamtausgaben für die medizinische Versorgung der vergangenen 20 Jahre um circa 22 Prozent gesenkt werden können. Es ist davon auszugehen, dass viele Kommunen zunächst die Erfahrung anderer Kommunen durch die Einführung der eGK abwarten wollen. Zudem erschweren bestehende Vereinbarungen auf Kreisebene oftmals den Beitritt einzelner kreisangehöriger Gemeinden - trotz teilweise bereits gefasster Ratsbeschlüsse zum Beitritt. 2. Welche Verwaltungskosten fielen bislang in den teilnehmenden Kommunen mit der elektronischen Gesundheitskarte monatlich an? Nach § 10 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung rechnen die Krankenkassen die ihnen entstandenen Ausgaben kalendervierteljährlich mit der zuständigen Gemeinde ab. Bisher liegen noch keine Quartalsabrechnungen vor. Nach § 10 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung leisten die teilnehmenden Gemeinden derzeit lediglich Abschlagszahlungen, die nicht näher differenziert sind. Daher liegen aktuell noch keine Angaben zur Höhe der Verwaltungskosten vor. 3. Welchen konkreten Berechnungen liegen der Verwaltungspauschale - 8 % der zu erstattenden Leistungen, mindestens jedoch 10 Euro pro Kopf und Monat – in Abweichung von der allgemeinen Verwaltungskostenpauschale nach dem SGB V von bis zu 5 Prozent zu Grunde? Eine konkrete Berechnung der Verwaltungskosten ist bisher nicht möglich gewesen, da Erfahrungswerte für Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen fehlen. Im Rahmen der ausdrücklich vereinbarten Evaluation werden konkrete Angaben über die tatsächlichen Verwaltungskosten erwartet. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung verwiesen (Vergleichbarkeit mit dem Verwaltungskostenersatz nach § 11 BVFG). 4. Wie bewertet die Landesregierung - angesichts des Haftungsrisikos bei Verlust oder Missbrauch der Karte der Kommunen – die Möglichkeit einer Änderung? Leistungs- und Kostenträger im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind die gesetzlichen Krankenkassen. Das Haftungsrisiko für den Verlust oder einen Missbrauch der eGK bei gesetzlich Krankenversicherten trägt die Krankenkasse und damit die Solidargemeinschaft der GKV. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11882 5 Leistungs- und Kostenträger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind dagegen in NRW die Gemeinden. Eine Belastung der GKV-Solidargemeinschaft mit Kosten aus der Umsetzung des Asylbewerberleistungsrechts ist rechtlich nicht zulässig. Auch die Übertragung der gesundheitlichen Betreuung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern nach § 264 Abs. 1 SGB V darf nicht zu einer Kostenbelastung der GKV-Solidargemeinschaft führen. Es ist vielmehr jegliches Kostenrisiko für die GKV-Solidargemeinschaft im Zusammenhang mit der Umsetzung des § 264 Abs. 1 SGB V zwingend auszuschließen. Die Landesregierung bedauert ausdrücklich, dass derzeit eine Sperrung von Krankenversicherungskarten noch nicht möglich ist, wodurch das Haftungsrisiko deutlich reduziert werden könnte. Bereits heute ist die Möglichkeit zum Online-Abgleich und zur Online-Aktualisierung der Versichertenstammdaten gesetzlich vorgesehen. Dies würde dafür sorgen, dass die Versichertendaten in der Praxis immer aktuell sind. Die Krankenkassen müssten aufgrund von Aktualisierungen der Versichertenstammdaten (z. B. bei Adressänderungen) keine neuen elektronischen Gesundheitskarten ausstellen; verlorengegangene oder gestohlene Karten könnten online gesperrt werden. Mit dem Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen werden für die Nutzung des Versichertenstammdatendienstes mit dem 1.7.2016 nunmehr verbindliche Fristen vorgegeben und mit Sanktionsmechanismen versehen. Allerdings gibt es bereits jetzt Hinweise, dass diese Frist nicht zu halten ist. Um die Missbrauchsgefahr bis dahin zu reduzieren, werden die Krankenkassen auf Wunsch die Geltungsdauer der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) auf ein von der anmeldenden Kommune vorgegebenes Enddatum (in der Regel das Datum des Endes des eingeschränkten Leistungsanspruchs nach 15-monatigem Aufenthalt) begrenzen. Auch eine weitere, flexible Begrenzung ist möglich und wird teilweise bereits praktiziert. Zugleich wird dieser Punkt derzeit auf der Bundesebene zwischen dem GKV-Spitzenverband und den kommunalen Spitzenverbänden im Rahmen der Verhandlungen über eine Bundesrahmenempfehlung erörtert. 5. Hält die Landesregierung angesichts der Kritik, u.a. der Stadt Duisburg an den immensen Mehrausgaben aufgrund der Verwaltungskostenpauschale, eine frühere Novellierung der Vereinbarung mit den Krankenkassen für dringend notwendig ? Die Berechnungen der Stadt Duisburg sind der Landesregierung nicht bekannt. Änderungen der Rahmenvereinbarung sind derzeit nicht vorgesehen. Es bleiben die Ergebnisse der vorgesehenen Evaluation sowie die Bundesrahmenempfehlung abzuwarten, um mögliche Anpassungen auf konkrete Erkenntnisse stützen zu können. Auf die Studie der Universitäten Bielefeld und Heidelberg (Prof. Razum/Prof. Borzorgmehr) wird nochmals ausdrücklich verwiesen (siehe Antwort zu Frage 1). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11882