LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11935 09.05.2016 Datum des Originals: 09.05.2016/Ausgegeben: 12.05.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4633 vom der Abgeordneten Yvonne Gebauer FDP Drucksache 16/11637 Welche Maßnahmen ergreift Rot-Grün, um den sonderpädagogischen Lehrkräftebedarf zu sichern? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Immer wieder wird von Lehrkräften, Schulen, von Verbänden und Gewerkschaften auf unzureichend vorhandene sonderpädagogische Fachkräfte hingewiesen. Bekanntermaßen sind auch die Teilnehmerzahlen an der VOBASOF, also der oftmals sogenannten „Sonderpädagogen light“, welche die FDP aus fachlichen Gründen sehr kritisch bewertet, immer stärker eingebrochen. Auf FDP-Nachfrage erklärte Schulministerin Löhrmann überraschenderweise, dies sei vielleicht darauf zurückzuführen, dass „die Bedarfe an zusätzlichen sonderpädagogischen Fachkräften an Schulen zurückgingen“. Diese Einschätzung widerspricht diametral einer Vielzahl von Einschätzungen aus Schulen und Verbänden, die das genaue Gegenteil erklären und von mangelnden sonderpädagogischen Fachkräften berichten. Nicht nur unzureichend zur Verfügung stehendes Fachpersonal wird hierbei vielfach kritisiert, zudem ebenfalls auf eine unzureichende Ausstattung verwiesen. So erklärte unlängst der Verband für Bildung und Erziehung in einer Stellungnahme: „Das Stellenbudget ist nicht ausreichend. Schon jetzt sind ungefähr 40% der Grundschulen nicht mit den notwendigen sonderpädagogischen Lehrkräften besetzt, um präventiv sonderpädagogisch tätig zu werden. Schon jetzt wird die Zusage, dass 50% des für die allgemeinbildenden Schulen verbleibenden Stellenbudgets, die Grundschulen erhalten, nicht mehr eingehalten.“ Neben dem geschilderten sonderpädagogischen Fachkräftemangel bestehen laut Schilderungen gerade auch für einzelne Förderschwerpunkte große Mangelsituationen. So wird z.B. für den Förderschwerpunkt Sehen berichtet, dass Stellen nicht mit Fachkräften besetzt werden könnten. Laut Darstellungen werden in Dortmund Sonderpädagogen entsprechend ausgebildet, allerdings absehbar zur Sicherung des Fachkräftebedarfs für die nächsten Jahre nicht genug. Darüber hinaus würden die entsprechenden Absolventen gern in Dortmund an der dortigen LWL-Förderschule verbleiben oder die Arbeit z.B. am entsprechenden Berufskolleg in Soest aufnehmen. So erfreulich dies für die genannten LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11935 2 Standorte sei, würde es in anderen Regionen bei bereits bestehendem Mangel die Besetzungsprobleme noch verschärfen. Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4633 mit Schreiben vom 9. Mai 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung beantwortet. 1. Worauf stützt die Schulministerin ihre landesweit von Schulen und Verbänden offensichtlich nicht geteilte Einschätzung, dass der Bedarf an zusätzlicher sonderpädagogischer Unterstützung an Schulen zurückginge? In den Jahren 2012 und 2013, den Jahren mit den höchsten Antrittsquoten bei der Maßnahme nach der Verordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung zum Erwerb des Lehramts für sonderpädagogische Förderung (VOBASOF v. 20. Dezember 2012), konnten die Stellen für Lehrkräfte mit dem Lehramt für sonderpädagogische Förderung nicht vollständig durch ausgebildete Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung besetzt werden. Im Jahr 2014 war das Verhältnis von Lehrkräftebedarf und Lehrkräfteangebot landesweit nahezu ausgeglichen. Damit reduzierte sich für die Schulen die Notwendigkeit, Stellen für die Qualifizierungsmaßnahme VOBASOF zu öffnen, regional jedenfalls ganz erheblich. Landesweit gab es 2015 erstmals sogar einen gewissen Überhang an grundständig ausgebildeten Bewerberinnen und Bewerbern. Damit hat sich VOBASOF - die auf den Erwerb einer vollen zusätzlichen Lehramtsbefähigung zielt - als eine sinnvolle und erfolgreiche Überbrückungsmaßnahme erwiesen. Mit der Novelle des Lehrerausbildungsgesetzes (LABG 2016) und der Neufassung der Lehramtszugangsverordnung (LZV) wird sich die Lehrerausbildung dahingehend verändern, dass künftig über die Ausbildung von Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung hinaus alle Lehrkräfte durch den Erwerb von Inklusionskompetenzen und sonderpädagogischen Basisqualifizierungen befähigt werden, noch besser und professioneller mit Heterogenität und Vielfalt umzugehen. Darüber hinaus gibt es ein breites Fortbildungsangebot für bereits im Schuldienst stehende Lehrkräfte. 2. Wie bewertet die Landesregierung das Zitat des VBE: „Das Stellenbudget ist nicht ausreichend. Schon jetzt sind ungefähr 40% der Grundschulen nicht mit den notwendigen sonderpädagogischen Lehrkräften besetzt, um präventiv sonderpädagogisch tätig zu werden. Schon jetzt wird die Zusage, dass 50% des für die allgemeinbildenden Schulen verbleibenden Stellenbudgets, die Grundschulen erhalten, nicht mehr eingehalten.“ (bitte nach Aussage zur Besetzungssituation an Grundschulen sowie zum genannten „verbleibenden Stellenbudget“ getrennt beantworten)? Über die Auskömmlichkeit des Stellenbudgets wird zwischen Gewerkschaften, Verbänden und dem Ministerium für Schule und Weiterbildung regelmäßig diskutiert. Über die Bereitstellung von Ressourcen wird im Rahmen von Haushaltsplänen entschieden. Der Erlass „Eckpunkte für die Zuweisung von Stellen aus dem regionalen Stellenbudget für die sonderpädagogische Förderung im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen (LES) für die Primarstufe und Sekundarstufe I“ vom 4. April 2014 nennt folgende Kriterien für die Verteilung von Stellen aus dem regionalen Stellenbudget für Lern- und Entwicklungsstörungen auf die Grundschulen: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11935 3 „Mindestens 50 Prozent der Stellen des Stellenbudgets, die auf die allgemeinen Schulen entfallen, sollen die Grundschulen erhalten, da erheblich mehr Grundschulen Orte des Gemeinsamen Lernens sind als Schulen der Sekundarstufe I, und die sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfe meist erst im Verlauf der bis zu drei Jahre dauernden Schuleingangsphase ermittelt werden. Damit können zunehmend mehr Grundschulen ihre Schülerinnen und Schüler frühzeitig präventiv fördern.“ Gleichzeitig wird im Erlass darauf hingewiesen, dass die Schulaufsicht in besonders gelagerten Fällen von diesen Vorgaben abweichen kann, da es sich bei der Einführung des Stellenbudgets um einen schrittweise zu vollziehenden Prozess handelt. Das 9. Schulrechtsänderungsgesetz ist das erste Gesetz zur Umsetzung der VN- Behindertenrechtskonvention. Die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems ist ein Prozess, an dessen Beginn noch nicht alle Schulen Schulen des Gemeinsamen Lernens sind. Die Schulaufsicht schlägt „den Eltern mit Zustimmung des Schulträgers mindestens eine allgemeine Schule vor, an der ein Angebot zum Gemeinsamen Lernen eingerichtet ist, das der Empfehlung der Schule oder dem bisherigen Bildungsweg der Schülerin oder des Schülers entspricht“ (§ 19 Absatz 5 SchulG). Das kann auch eine andere als die von den Eltern gewünschte allgemeine Schule sein, vor allem dann, wenn in der Region die Angebote des Gemeinsamen Lernens noch nicht an allen allgemeinen Schulen eingerichtet sind. Alle Grundschulen können auf der Basis von § 19 Absatz 7 Schulgesetz ein AO-SF-Verfahren beantragen. Eine solche Antragsmöglichkeit gilt insbesondere für Grundschulen, die noch nicht über Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung verfügen bzw. die keine Schulen des Gemeinsamen Lernens sind. Wird in diesen Fällen ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung festgestellt, wechseln die Schülerinnen und Schüler an eine Grundschule des Gemeinsamen Lernens oder eine Förderschule, an der Lehrkräfte für sonderpädagogische Förderung unterrichten. 3. Wie viele Studierende haben in den vergangenen fünf Jahren jeweils in absoluten Zahlen ein Lehramtsstudium für sonderpädagogische Förderung mit den jeweiligen sonderpädagogischen Fachrichtungen an nordrhein-westfälischen Hochschulen aufgenommen (bitte jeweils in absoluten Zahlen nach den unterschiedlichen Förderschwerpunkten/Fachrichtungen, nach Winter- und Sommersemester sowie für die einzelnen Studienorte aufgeschlüsselt darstellen)? Neben den Hochschulen Köln und Dortmund bieten seit 2012 bzw. 2014 auch die Hochschulstandorte Paderborn, Wuppertal, Bielefeld und Siegen sonderpädagogische Studiengänge an. Die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung erhöhte sich dadurch zuletzt auf insgesamt 1217 (2014). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11935 4 Studienanfängerinnen und Studienanfänger in sonderpädagogischen Studiengängen an nordrhein-westfälischen Hochschulen von 2010 bis 2014 Studienanfänger innen u. Studienanfänger im 1.Fachsemester Studienjahr (WS +SS) Hochschule 2010 2011 2012 2013 2014 U Dortmund 242 319 254 232 236 U Köln 743 832 536 600 786 U Paderborn 80 U Wuppertal 115 Gesamtergebnis: 985 1.151 790 832 1.217 Über die Datenerfassung hinaus sind zusätzlich die Studierenden in den Lehramtsstudiengängen mit integrierter Sonderpädagogik / Aufbaustudiengängen der Universitäten Bielefeld und Siegen zu beachten. In diesen Lehramtsstudiengängen erfolgt eine Einschreibung der Studienanfängerinnen und Studienanfänger zunächst nur in einen Studiengang für das Lehramt Grundschule oder für das Lehramt Haupt-, Real-, Gesamtschule. Mit dem Ziel des späteren Erwerbs eines weiteren Masters of Education für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung (Doppelqualifikation) erfolgen Einschreibungen ab 2017. Belastbare statistische Angaben zu den Studienbelegungszahlen der nordrhein-westfälischen Hochschulen differenziert nach Förderschwerpunkten bzw. Fachrichtungen im Lehramt für sonderpädagogische Förderung, liegen aufgrund bundeseinheitlicher gesetzlicher Regelung der Datenerfassung in der Studierendenstatistik nicht vor. Lehrerstellenbesetzungen an Schulen in NRW mit sonderpädagogischen Fachkräften werden zu dem nicht ausschließlich durch die Anzahl der Studienabsolventinnen und Studienabsolventen beeinflusst. Da jeder Studierende für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung in NRW in mindestens zwei sonderpädagogischen Fachrichtungen ausgebildet wird, ist ein Einstieg in das Berufsleben sowohl in der einen als auch in der anderen sonderpädagogischen Fachrichtung möglich. Jede Stellenbewerberin und jeder Stellenbewerber entscheidet darüber individuell. NRW bildet in den Förderschwerpunkten Körperliche und motorische Entwicklung und im Förderschwerpunkt Sehen auch für andere Bundesländer aus. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11935 5 4. Wie viele Absolventinnen und Absolventen werden auf der vorliegenden Datenbasis in den kommenden Jahren bis einschließlich 2020 im Verhältnis zum prognostizierten Bedarf an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen für die jeweiligen Förderschwer-punkte / Fachrichtungen ihr Studium abschließen (bitte nach Förderschwerpunkten / Fachrichtungen getrennt jährlich aufschlüsseln)? Eine Differenzierung nach Fachrichtungen ist nicht möglich (vgl. Antwort zu Frage 3). Belastbare prognostische Angaben zu den zu erwartenden Studienabschlüssen für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung können zudem auch insofern nicht gemacht werden, als der Studienabschluss von Studierenden und auch der Berufseinstieg durch vielerlei Faktoren beeinflusst werden. Insbesondere bestehen noch keine belastbaren Erfahrungen mit den - durch das Lehrerausbildungsgesetz (LABG) 2009 eingeführten – neuen BA/MA-Studiengängen, in die Hochschulen landesweit erst seit Herbst 2011 einschreiben (Das BA-Studium kann in verschiedener Hinsicht polyvalent angelegt sein.). Entsprechendes gilt für die - erst später akkreditierten – integrierten Studienangebote/Aufbaustudiengänge in Bielefeld und Siegen. Der prognostische jährliche Einstellungsbedarf an sonderpädagogischen Lehrkräften beläuft sich entsprechend der im Jahr 2011 vom Ministerium für Schule und Weiterbildung veröffentlichten Lehrkräftebedarfsprognose bis zum Jahr 2030 voraussichtlich auf durchschnittlich 750 Lehrkräfte jährlich. Insbesondere die Fachrichtungen Emotionale und soziale Entwicklung sowie Lernen und Geistige Entwicklung bieten danach sehr gute Einstellungschancen. Dies gilt auch für die Fachrichtungen Hören und Kommunikation sowie Sehen; allerdings ist die absolute Zahl der Einstellungen auf Grund der geringen quantitativen Gesamtbedeutung dieser Fachrichtungen begrenzt. Gleichwohl finden Lehrkräfte vor dem Hintergrund der Gesamtsituation auch mit diesen Fachrichtungen in der Regel eine Beschäftigung im Schuldienst. Durch die vollzogene Änderung der Studienvorgaben, welche nunmehr das Studium einer der beiden Fachrichtungen Emotionale und soziale Entwicklung oder Lernen verbindlich vorgeben, wird sich das Angebot an entsprechend ausgebildeten Bewerberinnen und Bewerbern mittelfristig erhöhen, sodass entsprechende Bedarfe in diesen Fachrichtungen gedeckt werden können. In den Fachrichtungen Sprache sowie Körperliche und motorische Entwicklung ist der prognostische Einstellungsbedarf geringer. 5. Wie gedenkt die Landesregierung, abgesehen von der offenkundig wenig erfolgreichen Maßnahme der VOBASOF, zukünftig mehr sonderpädagogische Fachkräfte für die Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu gewinnen? Vgl. hierzu Antwort zu Frage 1. Zur Maßnahme VOBASOF ist ergänzend anzumerken: Die Maßnahme nach der Verordnung zur berufsbegleitenden Ausbildung zum Erwerb des Lehramts für sonderpädagogische Förderung (VOBASOF v. 20. Dezember 2012) wurde eingerichtet, um kurzfristig einen Beitrag zu leisten, den Bedarf an Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung zu decken. Als 2012 von vornherein befristet angelegte Maßnahme dient VOBASOF vor allem dem Zweck, die Zeit zu überbrücken, bis sich – dank Aufstockung der Studienkapazitäten und Ausweitung der Studienstandorte seit 2012 – die Zahl der Universitätsabsolventinnen und Universitätsabsolventen erhöht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11935 6 Die meisten Personen, die z.T. über lange Jahre ohne Lehramtsbefähigung für sonderpädagogische Förderung in Förderschulen und/oder im Gemeinsamen Lernen tätig waren, haben sich bis zum Jahresende 2014 entweder für die Teilnahme an VOBASOF beworben oder sich im Schuldienst anderweitig orientiert. Während der Laufzeit von VOBASOF zeigte sich, dass freie Stellen zunehmend durch grundständig ausgebildete Lehrkräfte im Lehramt für Sonderpädagogische Förderung besetzt werden konnten, so dass der Bedarf für den Laufbahnwechsel nach VOBASOF sukzessive abgenommen hat. Aus ausbildungsfachlicher Sicht ist festzuhalten, dass sich die Maßnahme als Personalentwicklungsangebot für betroffene Lehrkräfte bewährt hat, dass kurzfristig Vakanzen aufgefangen werden konnten, und dass mittelbar - über die Konzeption der Maßnahme - lehramtsübergreifende Ausbildungskooperationen initiiert und curricular gestärkt wurden (z.B. Ausbildung im Gemeinsamen Lernen). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11935