LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/11965 10.05.2016 Datum des Originals: 09.05.2016/Ausgegeben: 13.05.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4635 vom 5. April 2016 der Abgeordneten Dietmar Schulz und Nicolaus Kern PIRATEN Drucksache 16/11639 „Panama Papers“ mit NRW-Bezug: Welchen Handlungsbedarf sieht die Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ein internationaler Verbund investigativer Journalisten namens ICIJ hat am 03. April 2016 begonnen aufzudecken, in welchem Umfang Privatpersonen und Unternehmen, darunter auch zahlreiche deutsche, mithilfe des Konstrukts von Briefkastenfirmen ihre wahren Besitzverhältnisse verschleiern – mutmaßlich um sich der Besteuerung hoher Vermögenswerte in anderen Ländern zu entziehen. Zudem liegt der Verdacht nahe, dass über Briefkastenfirmen Schwarzgelder vertuscht werden sollen. Unter dem Begriff „Panama Papers“ versteht man die von einem Whistleblower an Journalisten geleakte Daten der Anwaltskanzlei „Mossack Fonseca“. Deren Sitz befindet sich in Panama, wo auch ein Großteil der Verschleierungsgeschäfte abgewickelt wurde. International tätige Geschäftsbanken scheinen eine Schlüsselrolle bei der Verschleierung von Vermögen gespielt zu haben bzw. zu spielen. Den Daten zufolge haben mehr als 500 Banken in den vergangenen Jahren mithilfe von „Mossack Fonseca“ über 15.000 Briefkastenfirmen an ihre Kunden vermittelt. Die meisten dieser Fälle stammen aus der Zeit nach 2005. Mindestens 28 deutsche Banken, darunter sämtliche deutsche Landesbanken, sollen verstrickt sein. Bereits am 04. April 2016 wurde bekannt, dass auch deutsche Privatpersonen und Firmen in den „Panama Papers“ auftauchen. Nordrhein-Westfalens Finanzminister Dr. Walter-Borjans sprach sich für ein Unternehmensstrafrecht aus, damit nicht nur einzelne Angestellte, sondern Banken und andere Unternehmen wegen Steuerhinterziehung belangt werden können. Zudem forderte er eine Verschärfung des Kreditwesengesetzes. Auf Bundesebene wurden seitens der SPD ein Transparenzregister und stärkerer Whistleblowerschutz ins Gespräch gebracht. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11965 2 Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 4635 mit Schreiben vom 9. Mai 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Nachricht über die Enttarnung teils prominenter Personen und Institutionen, die über Briefkastenfirmen Milliarden an Offshore-Plätzen gebunkert haben, mit Hilfe der so genannten Panama Papers, ist für sich genommen keine Überraschung. Die Größenordnung und der Kreis der Beteiligten sind allerdings erschreckend. Es ist nicht das erste "Panama", und es wird nicht das letzte sein. Die Enthüllungen und die Erfolge der Steuerfahndung des Landes Nordrhein-Westfalen belegen das ebenso wie die LuxLeaks vor einem Jahr. Nur rigorose Offenlegung und konsequente strafrechtliche Verfolgung führen zu Reaktionen. Ohne den Erwerb von Datenträgern hätte das Land auch in den nächsten Jahren nur hilflos zusehen können. Die mittlerweile elf Datenträger, die Nordrhein-Westfalen mit finanzieller Unterstützung des Bundes und der Länder für 17,9 Millionen Euro erworben hat, haben dem deutschen Staat und damit der Allgemeinheit weit mehr als sechs Milliarden Euro von dem zurückgegeben, was Steuerhinterzieher und Banken zuvor zu ihren Gunsten unterschlagen hatten. Mindestens ebenso wichtig war aber, dass die erworbenen Daten und die Masse der Selbstanzeigen Licht in die Arbeitsweise derer gebracht haben, die bislang nicht zu überführen waren: Finanzdienstleister, die aus Betrug und trickreicher Ausnutzung von Gesetzeslücken und internationalen Unstimmigkeiten gewinnträchtige Geschäftsmodelle entwickeln. 1. Wie genau, beispielsweise über die Einrichtung von Sonderabteilungen, gedenkt die Landesregierung, die Enthüllungen aus den „Panama Papers“ auszuwerten? Die nordrhein-westfälische Steuerfahndung und die Ermittlungsgruppe Organisierte Kriminalität Steuerhinterziehung (EOKS) – eine Ermittlungsgruppe der Steuerfahndung beim Landeskriminalamt NRW – werten seit etwa eineinhalb Jahren im Rahmen einer Ermittlungskommission zusammen mit Beamten des Landeskriminalamtes NRW einen Datenträger mit Informationen über Briefkastenfirmen in Panama aus. Darin sind auch Hinweise auf die Tätigkeit der Kanzlei Mossack Fonseca enthalten, die mittlerweile Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen ist. Darüber hinaus wäre es wichtig, wenn das Recherchenetzwerk seine Erkenntnisse den Behörden übergeben würde. Bisher liegen allerdings weder der Polizei noch der Finanzverwaltung NRW Daten aus den sogenannten Panama-Papers vor. Der konkrete Inhalt der den Medienberichterstattungen zu Grunde liegenden Daten ist unbekannt. Falls künftig Zugriff auf das Datenmaterial gewährt wird, werden die innerhalb der bestehenden Strukturen für die Verfolgung von organisierter Kriminalität, Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität zuständigen Stellen dieses auswerten und die erforderlichen Schritte einleiten. Mit EOKS haben Innenminister Ralf Jäger und ich zudem bereits eine schlagkräftige Ermittlungsgruppe aus Steuerfahndern beim Landeskriminalamt NRW gebildet, die auch in Ermittlungskommissionen mit Beamten des Landeskriminalamtes NRW zusammenarbeiten. Mit der systematischen Auswertung tausender Einzelfälle wurde Neuland betreten und belegt, dass hunderttausendfacher Steuerbetrug nicht immer eine Ansammlung unverbundener LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11965 3 Individualdelikte ist, sondern auch auf ausgeklügelten Dienstleistungsangeboten von Banken fußen kann. 2. Hat die Landesregierung Kenntnisse darüber, ob die WestLB oder die NRW.BANK an der Vermittlung von Briefkastenfirmen beteiligt waren? Nach Angaben der Portigon AG gehörten derartige Geschäfte nicht zum Geschäftsmodell der ehemaligen WestLB. Der Bank liegen keine Hinweise auf entsprechende Vermittlungstätigkeiten vor. Die NRW.BANK war und ist angabegemäß an der Vermittlung von Briefkastenfirmen oder der Beratung zur Gründung solcher nicht beteiligt. Andere Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor. Ich kann in diesem Zusammenhang nur wiederholen, dass die NRW-Steuerfahnder allen Hinweisen auf Steuerhinterziehung nachgehen – unabhängig von etwaigen finanziellen Voroder Nachteilen durch das Land. 3. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund der Recherchearbeit des ICIJ den von Journalisten erhobenen Vorwurf, durch den durch die Vorratsdatenspeicherung neu geschaffenen Paragrafen zur Datenhehlerei in die Nähe der Strafbarkeit gerückt worden zu sein? Der Vorwurf ist unzutreffend. Der Erwerb ursprünglich gesicherter Daten durch Medienmitarbeiter zum Zweck der Veröffentlichung ist straflos, sofern er ausschließlich der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit dient. 4. Nimmt die Landesregierung die „Panama Papers“ als Anlass, Maßnahmen zum Schutz von Whistleblowern, beispielsweise die Einführung von Hinweisgebersystemen und Vertrauensanwälten, in die Wege zu leiten? Wir fordern klare Regeln zum Schutz für Whistleblower. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen ihren Job nicht verlieren, weil sie im Unternehmen auf Straftaten hinweisen. Zudem müssen Beschäftigte die Möglichkeit haben, den Strafverfolgungsbehörden Hinweise zu geben, wenn sie im Unternehmen mit ihren Warnungen nicht ernst genommen oder deswegen sogar sanktioniert werden. Entsprechende Hinweisgebermodelle hält die Polizei für alle Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen vor, unter anderem die „Hotline 0800- korrupt“ des Landeskriminalamtes NRW. Bestes Beispiel ist die Beihilfe von Banken bei der Steuerhinterziehung: Es darf nicht sein, dass Bankmitarbeiter um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen oder sogar wie in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie sich nicht an der Beihilfe zur Steuerhinterziehung beteiligen wollen und in letzter Konsequenz den Strafverfolgungsbehörden Hinweise geben. 5. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass das der Verschleierung wahrer Besitzverhältnisse zugrundeliegende Treuhandmodell grundlegend reformiert bzw. abgeschafft werden sollte? Die Gründe für die Vereinbarung einer solchen Treuhand müssen nicht unerlaubt sein. Ein Treuhandmodell kann zum Beispiel dazu dienen, den Treugeber von den mit der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/11965 4 Gesellschafterstellung verbundenen Tätigkeiten zu entlasten oder die Handlungsfähigkeit einer Gesellschaft durch die mit der Treuhandvereinbarung einhergehende Vereinfachung der Verwaltungsabläufe zu erhalten. Solange die Beteiligten die übrigen geltenden gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen einschließlich steuerlicher Normen einhalten, ist eine treuhänderische Vertragsgestaltung rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn Treuhandmodelle allerdings zur Umgehung der Steuerpflicht in Deutschland genutzt werden, wird das Ganze zur Sache der Landesregierung. Dagegen werden wir vorgehen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/11965