LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12049 23.05.2016 Datum des Originals: 20.05.2016/Ausgegeben: 27.05.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4700 vom 22. April 2016 der Abgeordneten Marcel Hafke, Ulrich Alda und Dr. Björn Kerbein FDP Drucksache 16/11812 Werden freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern mit geistiger Behinderung in nordrhein-westfälischen Heimen angewendet? Wortlaut der Kleinen Anfrage Das Magazin „kontrovers“ des Bayerischen Rundfunks veröffentlichte am 6. April 2016 einen Beitrag über freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern mit geistiger Behinderung in entsprechenden Heimen in Bayern. Dabei wurden nachweislich verhaltensauffällige Kinder in so genannte „Time-Out-Räume“ für einen gewissen Zeitraum weggesperrt. Diese Praxis ist in der Pädagogik jedoch höchst umstritten. Bei Erwachsenen dürfen freiheitsbeschränkende Maßnahmen nur bei richterlicher Verfügung angewendet werden, bei Kindern und Jugendlichen ist die Zustimmung der Eltern erforderlich. Zumindest in Bayern scheinen die Eltern die Erlaubnis jedoch oftmals pauschal erteilen zu müssen, um überhaupt einen Platz in einem Heim für Kinder mit geistiger Behinderung bekommen zu können. Dies wirft die Frage auf, wie im Land Nordrhein-Westfalen mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen gegenüber Kindern mit geistiger Behinderung in Heimen umgegangen wird. Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 4700 mit Schreiben vom 20. Mai 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. 1. Wie viele Kinder mit geistiger Behinderung werden aktuell in Nordrhein-Westfalen in entsprechenden Heimen gepflegt (bitte nach Heimen aufschlüsseln)? Insgesamt wurden beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Stichtag 31.12.2013) 877 Minderjährige mit einer vorrangig geistigen Behinderung in stationären Wohnformen betreut. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12049 2 Beim Landschaftsverband Rheinland (Stichtag 31.12.2014) erhielten 693 Minderjährige mit vorrangig geistigen Behinderungen in stationären Wohnformen eine Betreuung. Eine Aufschlüsselung nach Heimen ist im Rahmen der Fristen zur Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht möglich. 2. Wie viele bzw. welche Heime wenden freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern mit geistiger Behinderung an bzw. welche Heime verzichten nachweislich auf solche Maßnahmen? Freiheitseinschränkende Maßnahmen sind im Bereich der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit geistigen Behinderungen immer einzelfallbezogene Maßnahmen. Die Einwilligung zu diesen Maßnahmen gründen auf dem Erziehungsrecht der Eltern und nicht auf einer öffentlich-rechtlichen Befugnis des Staates. Insofern liegen hierzu keine Zahlen vor. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Praxis der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in Heimen gegenüber Kindern mit geistiger Behinderung insbesondere auch hinsichtlich des fehlenden richterlichen Vorbehalts, wie er bei Erwachsenen erforderlich ist? Die Auffassung des BGH aus dem Jahr 2013, dass die Einwilligung der Personensorgeberechtigten zu unterbringungsähnlichen und anderen freiheitseinschränkenden Maßnahmen bei Minderjährigen nicht dem Genehmigungsvorbehalt des Familiengerichtes nach § 1631b BGB unterliegt, wird in der Fachöffentlichkeit kontrovers und kritisch diskutiert. Grundsätzlich gilt, dass die Inanspruchnahme von Leistungen der Erziehungs- und der Eingliederungshilfe auf Freiwilligkeit basiert. Die rechtliche Grundlage für freiheitseinschränkende Maßnahmen kann somit nur die Einwilligung des Minderjährigen selbst oder seiner Personensorgeberechtigten bilden. Der Einrichtung wird auch bei fehlendem Genehmigungsvorbehalt empfohlen, eine richterliche Stellungnahme einzuholen. Die Familiengerichte reagieren auf derartige Anträge sehr unterschiedlich . 4. Waren freiheitsbeschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung bereits Gegenstand von Beratungen unter den Ländern, beispielsweise im Rahmen der Jugend- und Familienministerkonferenz? Im Rahmen der Arbeits- und Sozialministerkonferenz sowie der Jugend- und Familienministerkonferenz waren freiheitseinschränkende Maßnahmen gegenüber Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung noch nicht Gegenstand von Beratungen. 5. Ist der Landesregierung bekannt, ob für Heime in NRW eine pauschale Zustimmung zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zur Voraussetzung für die Aufnahme des Kindes mit geistiger Behinderung in das Heim gemacht wird? Dazu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12049