LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12143 01.06.2016 Datum des Originals: 01.06.2016/Ausgegeben: 06.06.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4704 vom 25. April 2016 der Abgeordneten Henning Höne, Holger Ellerbrock, Dietmar Brockes und Ulrich Alda FDP Drucksache 16/11828 Wie sozialverträglich ist der Klimaschutz im Wohnungsbau? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ziel der Landesregierung ist es, mehr sozialen Wohnungsbau zu generieren, um dadurch vor allem Mietwohnungen im unteren und mittleren Preissegment auf dem nordrheinwestfälischen Wohnungsmarkt zu schaffen. Über das Ziel, dass mehr Wohnungseinheiten benötigt werden, herrscht insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Migration durch Flüchtlinge in das Land Nordrhein-Westfalen allgemeiner Konsens. Eine aktuelle Studie der „Arbeitsgemeinschaft zeitgemäßes Bauen e.V.“ hat die Kostenentwicklung und die Kostentreiber für den Wohnungsbau untersucht. Zwischen den Jahren 2000 und 2014 sind die Baukosten demnach um 40 Prozent gestiegen. Preistreiber Nr. 1 beim Wohnungsbau sei der Staat selbst. Ursächlich für den signifikanten Baukostenanstieg waren zusätzliche Anforderungen des Staates an die Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Standsicherheit, Brandund Schallschutz, Schnee-, Sturm und Erdbebensicherheit. Es ist festzustellen, dass schon heute der grundsätzliche Vorbehalt der wirtschaftlichen Vertretbarkeit (Vgl. §1 EnEV 2016), der bei Modernisierungsmaßnahmen mit dem Ziel der Energieeinsparung beachtet werden soll, in der Praxis in Frage gestellt werden kann. „In der Rheinberger Reichel-Siedlung zeigt sich der Widerspruch zwischen Sozialverträglichkeit und Klimaschutz: Mieten werden zu teuer für Benachteiligte“, schreibt die NRZ in ihrer Ausgabe vom 22. April 2016. In dem Artikel führt der Autor aus, dass es zu enormen Zielkonflikten durch die Modernisierungsmaßnahmen zur Einsparung von CO2 und den daraus resultierenden Mietpreissteigerungen kommt. Dies führe besonders im mietpreisgebundenen Wohnungsbau zu sozialen Härtefällen, die dann bis zur Kündigung, Räumungsklage und Räumung führen. Ursächlich dafür sind neben den o.g. Kostensteigerungen auch die Berechnungsgrundlagen für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU), die nach §22 SGB II zum größten Teil durch kommunale Träger zu finanzieren sind. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12143 2 Für eine fünfköpfige Familie liegen diese im Kreis Wesel beispielsweise bei 642,40 Euro monatlicher Bruttokaltmiete. Im benachbarten Kreis Kleve je nach Kommune zwischen monatlich 712,80 Euro und 836 Euro Bruttokaltmiete für eine fünfköpfige Familie. Die Kreise bedienen sich unterschiedlicher Vorgehensweisen, um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft festzustellen. Dies führt zu Diskrepanzen in der kommunalen Familie. „In NRW haben sich einige Kreise und kreisfreie Städte [..] Konzepte erstellen lassen. Damit sparen sie Millionen. Oft scheitern sie damit aber vor Gericht“ (NRZ, 22. April 2016), so ein Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW. Weiter führt er aus: „Wir haben es oft in NRW, dass die KdU-Richtlinien nicht ausreichen und Menschen aus den Regelsätzen heraus die Mieten bezuschussen müssen. Das ist Irrsinn.“ (NRZ, 22. April 2016) Wenn die betroffenen Bürgerinnen und Bürger gegen die KdU- Richtlinien Klagen würden, bekämen sie häufig recht. Viele würden aber von einer Klage Abstand nehmen: „Es ist schwierig, unsere Klienten davon zu überzeugen. Viele haben Angst, dann noch mehr Ärger mit dem Jobcenter zu bekommen.“ (NRZ, 22. April 2016) Allein diese zwei Aspekte zeigen schon aktuellen Handlungsbedarf auf. Zum einen müssen Zielkonflikte zwischen weiteren Klimaschutzverschärfungen und den weiter ausufernden Mietpreisen aufgelöst werden. Zum anderen bedarf es einer Analyse, inwieweit die Berechnungsgrundlagen für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft in den Kreisen objektiv vergleichbar sind. Der Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr hat die Kleine Anfrage 4704 mit Schreiben vom 1. Juni 2016 namens der Landesregierung mit dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales, dem Justizminister und dem Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. 1. Inwieweit sieht die Landesregierung vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Herangehensweisen der Kreise und kreisfreien Städte bei der Festsetzung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft Handlungsbedarf? Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts soll die angemessene Mietobergrenze die Gegebenheiten auf dem Mietwohnungsmarkt des jeweiligen Vergleichsraums realitätsgerecht abbilden. Die Ermittlung der angemessenen Referenzmiete muss danach auf einem sog. „schlüssigen Konzept“ beruhen. Die zu erfüllenden Anforderungen an das Konzept sind mit jeder gerichtlichen Entscheidung gewachsen. Auch ist davon auszugehen, dass der Entscheidungsprozess noch nicht abgeschlossen ist und es in Zukunft zu zahlreichen weiteren Entscheidungen kommen wird. Die bisherige Rechtsprechung hat das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales in seiner Arbeitshilfe „Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II“ dargestellt und dem kommunalen Träger damit entsprechende Umsetzungshinweise an die Hand gegeben. Die Erstellung schlüssiger Konzepte hat unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu erfolgen und liegt in der Verantwortung der kommunalen Grundsicherungsträger. Darüber hinaus unterliegt der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit in § 22 SGB II uneingeschränkt der gerichtlichen Kontrolle. Vor diesem Hintergrund wird seitens der Landesregierung derzeit kein Handlungsbedarf gesehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12143 3 2. In wie vielen Fällen kam es mit welchen Urteilen innerhalb der letzten fünf Jahre in Nordrhein-Westfalen zu Klagen hinsichtlich der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (bitte detailliert angeben)? Eine detaillierte Statistik darüber, zu welchen Urteilen es bei den einzelnen Klagen hinsichtlich der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft in den letzten fünf Jahren in Nordrhein- Westfalen gekommen ist, liegt weder dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales noch dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen derzeit vor. 3. Inwiefern teilt die Landesregierung die Ansicht, dass es einen Widerspruch in der Sozialverträglichkeit und dem Klimaschutz gibt? 4. Welche Lösungsvorschläge unterbreitet die Landesregierung, um diesen Zielkonflikt aufzulösen? Die Fragen 3 und 4 werden zusammen beantwortet. Bei der energieeffizienten Errichtung und Sanierung von Gebäuden in Nordrhein-Westfalen sind die Umsetzung der Anforderungen des Klimaschutzes und das Ziel, die Wohnkosten bezahlbar zu halten, sorgfältig auszutarieren. Da Klimaschutzmaßnahmen zu einer Senkung der Wohnnebenkosten beitragen, gelingt dies in aller Regel. Die Wohnraumförderung des Landes leistet mit der investiven Bestandsförderung einen wichtigen Beitrag, die Ziele bezahlbarer Mieten und energetischer Sanierung konkret zu verbinden, indem die Förderung der energetischen Sanierung mit Preis- und Belegungsbindungen verknüpft ist und durch die Förderung Investitionen in die Energieeinsparung auch in solchen Wohnbeständen ermöglicht werden, in denen die Zahlungsfähigkeit der Bewohner begrenzt ist. Im letzten Jahr wurden mit Hilfe der Förderprogramme des MBWSV 2546 bauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz im preisgebundenen Wohnungsbestand gefördert. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz. 5. Inwieweit ist die Landesregierung bereit, ein EnEV-Moratorium herbeizuführen, sodass einerseits ein Impuls für den nordrhein-westfälischen Wohnungsbau gesetzt werden kann und andererseits soziale Härtefälle vermindert werden können? Der Landesregierung liegt noch kein Entwurf eines neuen Gesetzes zur Energieeinsparung vor. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12143