LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12203 08.06.2016 Datum des Originals: 07.06.2016/Ausgegeben: 13.06.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4790 vom 17. Mai 2016 der Abgeordneten Yvonne Gebauer und Dirk Wedel FDP Drucksache 16/12023 Was folgert die Landesregierung aus der absehbaren juristischen Niederlage zur Aufnahme bekenntnisangehöriger Kinder an Bekenntnisschulen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bereits vor den – teilweise sinnvollen – gesetzlichen Änderungen bei Bekenntnisschulen hatte die rot-grüne Landesregierung untergesetzlich die Aufnahmekriterien verändert, wonach bekenntnisangehörige Kinder nicht mehr bevorzugt an Bekenntnisschulen aufgenommen werden sollten. Diese Änderung wurde, anders als vom Ministerium öffentlich erklärt, laut Aussagen von Kirchenvertretern zuvor nicht mit ihnen abgestimmt. Zweifellos ist es für alle Kinder von besonderer Bedeutung, ein wohnortnahes Schulangebot erreichen zu können, was auch einen gesetzlichen Änderungsbedarf bei Problemlagen insbesondere in einigen Kommunen durchaus nachvollziehbar machte. Der Ansatz des Ministeriums allerdings, bereits vor den gesetzlichen Änderungen bei Anmeldeüberhängen nicht zunächst Kinder entsprechenden Bekenntnisses aufzunehmen, war jedoch von Beginn an sowohl inhaltlich als auch rechtlich höchst fragwürdig. Nun hat das Schulministerium zum wiederholten Male (siehe z.B. „offensichtlich rechtswidrige“ Genehmigung von Gemeinschaftsschulen) eine juristische Niederlage erlitten. Mit unanfechtbarem Beschluss (19 B 996/15) vom 21.03.2016 hat das Oberverwaltungsgericht erklärt, dass bekenntnisangehörige Kinder an öffentlichen Bekenntnisschulen in Nordrhein- Westfalen einen vorrangigen Aufnahmeanspruch haben, „der sich unmittelbar aus der Landesverfassung ergibt“. Dann folgt in dem Beschluss eine weitere juristische „Ohrfeige“ für das Schulministerium: „Da sich der Vorrang der Aufnahme bekenntnisangehöriger Kinder zwingend aus der Landesverfassung ergibt, ist es ferner ohne Belang, dass das Ministerium für Schule und Weiterbildung die zuvor geltende Verwaltungsvorschrift des 1.23 VVzAO-GS, wonach bekenntnisangehörige Kinder bei einem Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule Vorrang gegenüber anderen Kindern haben, durch den Runderlass vom 16. Mai 2014 ‑ 223.2.02.11.03 ‑ (ABl. NRW S. 289) aufgehoben hat. Die in der Schulmail vom 5. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12203 2 November 2013 etwa mit Rücksicht auf den Beschluss des Senats vom 31. Mai 2013 ‑ 19 B 1191/12 ‑ geäußerte Auffassung, die Rechtsprechung unterscheide im Hinblick auf die Schulaufnahme nicht mehr zwischen bekenntnisangehörigen und bekenntnisfremden Kindern, weshalb beide Gruppen gleichermaßen berücksichtigt werden könnten, lässt außer Acht, dass sich diese Rechtsprechung auf das Erfordernis bezieht, bei schulorganisatorischen Maßnahmen auf der Grundlage der Schulentwicklungsplanung ‑ wie der Schließung einer Bekenntnisschule ‑ für die Bedürfnisfeststellung und die Abwägung auch formell bekenntnisfremde Kinder als prinzipiell aufnahmefähig zu berücksichtigen. Hiervon ist die Frage des individuellen Aufnahmeanspruchs zu unterscheiden, für die die vorstehenden Maßgaben gelten.“ Neben den Problemen für Eltern, die sich aus dem Vorgehen der Landesregierung ergeben haben, ist dies auch für das Land Nordrhein-Westfalen ärgerlich, weil die Schulministerin frühzeitig auf diesen Aspekt hingewiesen wurde. Bereits in der Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung am 11.03.2015 war die Ministerin für Schule und Weiterbildung von Seiten der FDP-Fraktion auf diese problematische untergesetzliche Änderung hingewiesen worden. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage erklärte die Landesregierung am 05.01.2016 nochmals auf die Frage, wie die Landesregierung – auch mittelfristig – bezüglich des Aufnahmeverfahrens an Bekenntnisschulen zu agieren gedenke, explizit: „Die Landesregierung sieht derzeit keinen Änderungsbedarf.“ Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 4790 mit Schreiben vom 7. Juni 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister und dem Justizminister beantwortet. 1. Hat sich seit dem 11.03.2015 bzw. dem 05.01.2016 inzwischen bei der Landesregierung die Erkenntnis durchgesetzt, dass bei der entsprechenden Verwaltungsvorschrift Änderungsbedarf besteht (wenn ja, welcher)? 2. Prüft das Schulministerium geplante rechtliche Änderungen zunächst intensiv juristisch, bevor sie rechtliche Änderungen vornimmt? 3. Wie kommt es, dass das Oberverwaltungsgericht zwar erklärt, dass der vorrangige Aufnahmeanspruch „sich unmittelbar aus der Landesverfassung ergibt“, dies dem Schulministerium aber offensichtlich nicht bewusst ist? 4. Aus welchen Gründen hat die Landesregierung übersehen, dass sich die nicht mehr zwischen bekenntnisangehörigen und bekenntnisfremden Kindern unterscheidende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung überhaupt nicht auf den individuellen Aufnahmeanspruch an Bekenntnisschulen bezog? Die Fragen 1 bis 4 werden zusammen beantwortet. Eine - entgegen der Behauptung der Fragestellerin und des Fragestellers - mit dem Evangelischen Büro und dem Katholischen Büro NRW abgestimmte Schulmail vom 5. November 2013 zur Aufnahme bekenntnisfremder Kinder in Bekenntnisgrundschulen und darin zu den Aufnahmekriterien bei Anmeldeüberhängen enthält folgenden Abschnitt: „5. Aufnahmekriterien bei Anmeldeüberhängen In den meisten Fällen können die Grundschulen alle Kinder aufnehmen, die dort angemeldet werden. Übersteigt die Zahl der Anmeldungen die Aufnahmekapazität einer Grundschule LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12203 3 (Anmeldeüberhang), kommt es zu einem Aufnahmeverfahren nach den Regeln der Ausbildungsordnung für die Grundschule. Nach den dazu erlassenen Verwaltungsvorschriften (Nr. 1.23 VVzAO-GS) haben beim Anmeldeüberhang an einer Bekenntnisschule Kinder, die dem Bekenntnis angehören, einen Vorrang gegenüber den anderen Kindern. Bei der Aufnahme auch bekenntnisfremder Kinder in die Bekenntnisgrundschule unterscheidet die jüngste Rechtsprechung aber nicht mehr zwischen bekenntnisangehörigen und bekenntnisfremden Kindern, stellt also kein Rangverhältnis her. Danach sind bei schulorganisatorischen Beschlüssen und den Prognosen, auf denen sie beruhen, beide Gruppen gleichermaßen zu berücksichtigen. Es ist deshalb vertretbar, dann nicht nach der Verwaltungsvorschrift zu verfahren, wenn die Eltern die ausdrückliche Erklärung abgeben, dass sie ihr bekenntnisfremdes Kind wegen des Bekenntnischarakters der gewünschten Schule dort erziehen und unterrichten lassen wollen.“ Die Landesregierung stützte sich dabei auf das Ergebnis ihrer juristischen Bewertung und auf die schulische Realität. Sie folgte - im Einvernehmen mit den Kirchen - einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster (Beschluss vom 15. August 2013, Az. 1 L 286/13). Darin heißt es: „,.. dass sich die vorrangige Auswahl der Kinder aufgrund des formellen Bekenntnisses weder aus einfachem Recht rechtfertigen lassen, vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 8.4.2008 – 18 K 131/08 – juris, Rdn. 12 ff., noch von Verfassungs wegen geboten sein dürfte. Denn nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich ein Aufnahmeanspruch auch für bekenntnisfremde Kinder an einer Bekenntnisschule aus Art. 4 Abs. 1 GG i. V. m. dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung, wenn die Eltern für ihr Kind die Ausrichtung der gewünschten Schule als Bekenntnisgrundschule auf die Grundsätze dieses Bekenntnisses voll und ganz bejahen.“ Durch Runderlass vom 16. Mai 2014 hob das Ministerium für Schule und Weiterbildung die oben genannte Verwaltungsvorschrift zur vorrangigen Aufnahme bekenntnisangehöriger Kinder bei der Aufnahme in Bekenntnisgrundschulen auf. Im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 21. März 2016 heißt es, an einer Bekenntnisschule mit Anmeldeüberhang müsse die Schulleiterin den Aufnahmeantrag eines formell bekenntnisangehörigen Kindes vorrangig vor den Anträgen der nicht bekenntnisangehörigen Kinder berücksichtigen. Dies ergebe sich aus Artikel 12 Absatz 3 Satz 2 und Artikel 13 der Landesverfassung. Prägende Merkmale der Bekenntnisschule seien die materielle und formelle Homogenität. Der Vorrang der bekenntnisangehörigen Kinder gehöre zur formellen Homogenität. Der Aufnahmeanspruch bekenntnisfremder Kinder in Bekenntnisschulen, deren Eltern die Erziehung im fremden Bekenntnis ausdrücklich bejahten, sei eine Ausnahme, die unter dem Vorbehalt der freien Kapazität nach Aufnahme der bekenntnisangehörigen Schüler stehe. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat die Bezirksregierungen am 24. März 2016 gebeten, dafür Sorge zu tragen, dass die Schulleitungen von Bekenntnisgrundschulen mit Anmeldeüberhang bei der Aufnahme von Kindern nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster verfahren, soweit nicht über die Aufnahme bereits entschieden ist. Die Landesregierung respektiert den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster, auch wenn sie zum Stellenwert der formellen Homogenität in einer Bekenntnisschule moderner Prägung zu einer anderen Rechtsansicht gekommen ist. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung wird hieraus unter Beteiligung der Kirchen die geeigneten Schlussfolgerungen ziehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12203 4 5. Wie hoch sind die finanziellen Kosten, die dem Staat insgesamt durch die diesbezüglichen gerichtlichen Verfahren entstanden sind? Nach Auskunft des Kreises Euskirchen (Schulamt) belaufen sich Kosten (Verfahren der Einstweiligen Anordnung und Hauptsacheverfahren) in dem hier diskutierten verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf 2.045,21 Euro. Im Übrigen lässt sich nicht ermitteln, in wie vielen Fällen in der Vergangenheit vor Verwaltungsgerichten über die Aufnahme von Kindern in Bekenntnisschulen gestritten wurde, und in welcher Höhe dem Land hierbei Kosten entstanden sind. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12203