LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12221 09.06.2016 Datum des Originals: 09.06.2016/Ausgegeben: 14.06.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4747 vom 9. Mai 2016 des Abgeordneten Henning Höne FDP Drucksache 16/11946 Verwaltungsgericht kassiert Akteneinsichtsrecht für anerkannte Tierschutzvereine – Hat Umweltminister Remmel die Kommunen zum Rechtsbruch aufgefordert? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage SPD und Grüne haben mit dem „Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine“ (TierschutzVMG NRW) ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine geschaffen. Das Klagerecht ist jedoch nur ein Teil des Gesetzes. Flankiert wird es von zusätzlichen Beteiligungsrechten bei bestimmten Verwaltungsverfahren im Tierschutz. Das zusätzliche Beteiligungsrecht in Verwaltungsverfahren wurde vom Gesetzgeber jeweils abgestuft für die jeweiligen Anwendungsfälle bau- und immissionsrechtliche Genehmigungsverfahren, tierschutzrechtliche Erlaubnisverfahren sowie tierschutzrechtliche Eingriffsverfahren geschaffen. So besteht nach § 2 TierschutzVMG für die erstgenannte Kategorie die Gelegenheit zur Äußerung sowie zur Einsicht in die tierschutzrelevanten Sachverständigengutachten. Bei der zweitgenannten Gruppe ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben und über die Anzahl und den Gegenstand laufender Verwaltungsverfahren zu informieren. Für Anordnungen oder die Unterlassung von Anordnungen nach § 16a Tierschutzgesetz besteht zwar ein Verbandsklagerecht, jedoch kein vorgelagertes Beteiligungsrecht. In der Praxis zeigt sich, dass es für anerkannte Tierschutzvereinen einfacher ist, Verbandsklagen zu Verfahren nach §16a Tierschutzgesetz einzuleiten, wenn vorher der Sachverhalt durch Akteneinsicht ermittelt werden kann. Diese Informationen können die Mitglieder der anerkannten Vereine grundsätzlich mit dem Auskunftsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW erhalten. Von einem weitergehenden Informationsrecht der Vereine hatte der Gesetzgeber zur Vermeidung eines unnötigen Verwaltungsaufwandes aus guten Gründen abgesehen (vgl. Drucks. 16/177). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12221 2 Gleichwohl sieht sich Umweltminister Remmel an diese Vorgabe des aus seiner Feder stammenden Gesetzes offensichtlich nicht gebunden. Mit Erlass vom 12.12.2014 (Az.: VI-6 – 78.02.04) ordnete er gegenüber den Kommunen als „Allgemeine Weisung nach § 9 OBG“ an, dass entgegen dem Gesetzeswortlaut den Vereinen „auf Verlangen Einsicht in anonymisierte Akten zu gewähren, in denen die Behörde Anordnungen nach § 16a TierSchG getroffen hat oder bei Kenntnis des Sachverhaltes ein Tätigwerden nach § 16a TierSchG für nicht erforderlich hält.“ Zur Begründung für das Abweichen vom Wortlaut wurde eine sog. „Rechtsanalogie“ herangezogen, obwohl dies im hoheitlichen Bereich nur eingeschränkt möglich ist. Andernfalls würde möglichen Grundrechtsverletzungen durch den Staat Tür und Tor geöffnet, da der Vorbehalt des Gesetzes (Kein Grundrechtseingriff ohne gesetzliche Grundlage) ausgehebelt würde. Ein Analogieschluss darf deshalb nicht leichtfertig angeordnet werden. Diesem Vorgehen hat das Verwaltungsgericht Münster mit Urteil vom 19.04.2016 (Az.: 1 K 2781/14) daher auch den Riegel vorgeschoben. In dem Verfahren hatte ein anerkannter Tierschutzverein auf Akteneinsicht in einem Verfahren nach § 16 TierSchG geklagt und sich dabei auf den Erlass des Umweltministers vom 12.12.2014 gestützt. Das Gericht hat in dem Urteil festgestellt, dass das TierSchutzVMG kein Mitwirkungsrecht in diesen Verfahren vorsieht. Der zur Begründung vorgebrachte Analogieschluss könne nicht gezogen werden. Die Gesetzgebungshistorie belege, dass der Verzicht auf Beteiligungsrechte in Verfahren nach § 16a TierSchG bewusst vorgenommen wurde. Bereits im Gesetzgebungsverfahren seien von verschiedenen Seiten Bedenken und Anregungen im Hinblick auf die fehlenden Mitwirkungsrechte der Tierschutzvereine in diesen Verfahren vorgebracht worden, diese Hinweise hätten jedoch nicht zu einer Änderung des Gesetzesentwurfs geführt. Die Berufung wurde vom Gericht folglich auch nicht zugelassen, weil sich die hier stellende Rechtsfrage des Akteneinsichtsrechts eindeutig anhand der geltenden Gesetze, namentlich des TierSchVMG beantworten lasse. Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4747 mit Schreiben vom 9. Juni 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Justizminister beantwortet. 1. Hat der Landtag aus Sicht der Landesregierung ein handwerklich unvollkommenes Gesetz beschlossen? Nein. 2. Inwieweit ist das TierschutzVMG aus Sicht der Landesregierung reparaturbedürftig? Aus der Entscheidung des VG Münster vom 19.04.2016 folgt kein Bedarf für eine Änderung des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12221 3 3. Wie rechtfertigt die Landesregierung die angeordnete Missachtung des vom Parlament beschlossenen Gesetzeswortlauts durch die Einräumung zusätzlicher, vom Gesetz nicht vorgesehener, Beteiligungsrechte? Die in der Fragestellung enthaltene Bewertung erscheint unangemessen. Aus Sicht des MKULNV war bis zur Entscheidung des VG Münster vom 19.04.2016 die Reichweite der Mitwirkungs- und Informationsrechte anerkannter Vereine bei Anordnungen oder Unterlassungen nach § 16a TierSchG noch nicht abschließend geklärt. § 2 TierschutzVMG NRW schließt Informationsrechte anerkannter Vereine in den Fällen von Maßnahmen nach § 16a TierSchG nicht ausdrücklich aus. Ob ein Rechtsverstoß vorliegt, der die Erhebung einer Verbandsklage rechtfertigen könnte, kann bei Maßnahmen nach § 16a TierSchG in der Regel nicht ohne Kenntnis der Verfahrensakten beurteilt werden. Anderenfalls müsste eine Verbandsklage „ins Blaue hinein“ erhoben werden, was nicht Sinn und Zweck des Verbandsklagerechts wäre. Auch das VG Münster sieht dementsprechend die Notwendigkeit, dass anerkannte Vereine in Fällen des § 16a TierSchG vor einer Klageerhebung an Informationen über das Verfahren gelangen. Das VG Münster zeigt dafür einen anderen Weg auf. In derartigen Fällen könne sich ein Mitglied eines anerkannten Tierschutzvereines als natürliche Person die begehrten Informationen über das Verwaltungsverfahren mittels eines Antrages nach § 4 IFG NRW beschaffen. Da die anerkannten Vereine auf diese Weise im Ergebnis die für die Wahrnehmung ihres Klagerechts erforderlichen Informationen erhalten können, besteht nach der Gerichtsentscheidung für eine Auslegung des Gesetzes im Sinne der Erlasses kein Raum mehr. Inwieweit der vom Gericht aufgezeigte Rückgriff auf § 4 IFG NRW dem Gebot effektiver Rechtswahrnehmung der anerkannten Vereine im Hinblick auf die Vorbereitung einzulegender Rechtsbehelfe genügt, wird im Rahmen der Evaluation des Gesetzes abschließend zu bewerten sein. 4. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung aus dem Urteil vom 19.04.2016 im Hinblick auf den Erlass vom 12.12.2014? Nach der Entscheidung des VG Münster vom 19.04.2016 hat das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz mit Erlass vom 02.05.2016 das LANUV gebeten, die zuständigen Behörden darauf hinzuweisen, dass für die weitere Anwendung der entsprechenden Ziffer des Erlasses vom 12.12.2014 kein Raum mehr besteht und über die vom VG Münster für derartige Fälle aufgezeigte Möglichkeit zur Informationsbeschaffung über § 4 IFG NRW zu informieren. Dieser ergänzende Erlass wurde am 03.05.2016 an die Kreisordnungsbehörden übersandt. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12221