LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12251 14.05.2016 Datum des Originals: 13.06.2016/Ausgegeben: 17.06.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4802 vom 24. Mai 2016 der Abgeordneten Henning Höne, Susanne Schneider und Mark Lürbke FDP Drucksache 16/12070 Wie konkret verläuft die Versorgung der Kommunen mit Jod-Tabletten bei Eintritt eines atomaren Störfalls? Wortlaut der Kleinen Anfrage Nach jüngsten Presseberichterstattungen habe die nordrhein-westfälische Landesregierung flächendeckend für alle Schwangeren und Minderjährigen in Kommunen im Umkreis von 100 Kilometern des Kernkraftwerks Tihange in Belgien Jod-Tabletten als Vorsorge für einen nicht auszuschließenden atomaren Störfall geordert. Dafür sei eigentlich die Bundesregierung zuständig. Da diese jedoch dahingehend noch nicht in Aktion getreten sei, habe Nordrhein-Westfalen eigenständig Ausschreibungen für Jod-Tabletten vorgenommen. Inwieweit die Jod-Tabletten im Ernstfall tatsächlich die Bevölkerung schützen, ist umstritten. Unabhängig davon ist es wichtig, dass die entsprechenden Kommunen und die Bevölkerung wissen, welche Maßnahmen das Land Nordrhein-Westfalen für den möglichen Ernstfall vorsorglich trifft und nach welchen Verfahren die Verteilung erfolgt. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4802 mit Schreiben vom 13. Juni 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12251 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen vertritt die Auffassung, dass Kernenergie selbst in hochentwickelten Industrie-Staaten stets mit Risiken verbunden ist. Katastrophen wie in Fukushima oder Mängel wie etwa im Kernkraftwerk Tihange in Belgien untermauern die ablehnende Position der Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Atomkraft ist aus vielen Gründen eine abzulehnende Form der Energieerzeugung. Deshalb ist Nordrhein-Westfalen schon vor vielen Jahren aus der Nutzung der Atomkraft ausgestiegen. Das ist der beste Schutz vor nuklearen Gefahren. In Nordrhein-Westfalen wird daher kein Kernkraftwerk mehr betrieben - allerdings in den angrenzenden Nachbarländern. Diesem Umstand trägt die Landesregierung durch Schutzmaßnahmen für seine Bevölkerung Rechnung. Die Schutzmaßnahmen richteten sich bisher an den „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen (Stand 21.09.2008)“ der Experten der Strahlenschutzkommission (SSK) beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) aus. Die entsprechenden Planungen und Vorkehrungen sind von den betroffenen Katastrophenschutzbehörden umgesetzt. Vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Ereignisse rund um Fukushima verabschiedete die SSK am 19./20.02.2015 aktualisierte Empfehlungen. Die Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat am 3./4.12.2015 beschlossen, dass diese überarbeitete Rahmenempfehlung bei den Planungen der Länder für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen berücksichtigt werden soll. Die Katastrophenschutzbehörden im Lande wurden mit Erlass vom 22.02.2016 mit der Aktualisierung ihrer Vorkehrungen betraut. Wesentliche Änderung der neuen Rahmenempfehlung ist die Erweiterung der Planungsradien rund um die aktiven Kernkraftwerke. Damit werden bestimmte Vorkehrungen im Katastrophenschutz für größere Gebiete und damit für potenziell mehr Menschen erforderlich. Speziell bezogen auf die sogenannte „Jodblockade“ wurde im Radius von 100 km um die Atomkraftwerke der Kreis der Personen erweitert, die Jodtabletten erhalten sollen. Während bisher Vorkehrungen für Personen bis zum 18 Lebensjahr, Schwangere und Stillende getroffen werden mussten , werden nun Personen bis zum 45. Lebensjahr einbezogen. In der Fernzone, die sich an den 100-km-Radius anschließt und das ganze Bundesgebiet betrifft, ist erstmalig die Jodblockade für Personen bis zum 18. Lebensjahr, Schwangere und Stillende zu planen. Nordrhein-Westfalen als bisher einziges Bundesland hatte sein Kontingent an Jodtabletten für die Planungsradien nach der Rahmenempfehlung aus dem Jahr 2008 aus den Zentrallagern des Bundes abgeholt und dezentral auf die bislang betroffenen Kreise und kreisfreie Städte verteilt. Damit haben sich die Vorlauf- und Bereitstellungszeiten im Bedarfsfalle erheblich verkürzt . Hinsichtlich der mit der Ausweitung der Planungsgebiete einhergehenden Vergrößerung des potenziellen Personenkreises hat Nordrhein-Westfalen seinen Mehrbedarf gegenüber dem Bund angemeldet und um Überlassung des entsprechenden Kontingentes an Jodtabletten gebeten. Da der Bund aber noch keinen konkreten Zeitpunkt für eine Beschaffung des Fehlbedarfs in Aussicht stellen kann, haben wir uns in Nordrhein-Westfalen entschieden, die fehlenden Tabletten zum Schutz der Bevölkerung zunächst selber zu kaufen. Das entsprechende europaweite Vergabeverfahren läuft bereits. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12251 3 1. Welchen konkreten Bedarf nach Jod-Tabletten sieht die Landesregierung für welche Kommunen in Nordrhein-Westfalen? (Bitte detailliert Bedarf für die jeweiligen Kommunen angeben sowie Erläuterung der Berechnungsgrundlage.) Der aufgrund der geänderten Rahmenempfehlung zusätzlich entstandene Bedarf der jeweiligen Unteren Katastrophenschutzbehörden ergibt sich aus der als Anlage beigefügten Auflistung aus der Rubrik „Differenz“. Sie enthält jeweils die Summe der Einzeltabletten die für einen Kreis oder eine kreisfreie Stadt vorgesehen sind. Der Berechnung liegen die Vorgaben der Strahlenschutzkommission und die jeweilige Bevölkerungsstruktur der Gebietskörperschaft zugrunde. 2. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse veranlassen die Landesregierung dazu, Jod-Tabletten vorsorglich zu ordern? Die Maßnahmen des Katastrophenschutzes und damit auch der Jodblockade stützen sich auf die Expertise der Strahlenschutzkommission. Sie ist das wissenschaftliche und unabhängige Beratungsgremiums für Strahlenschutzfragen beim Bundesumweltministerium. 3. Welche Kosten entstehen für das Land Nordrhein-Westfalen pro Jahr? (Bitte detailliert angeben.) Dem Land Nordrhein-Westfalen entstehen durch die Vorbereitung der Jodblockade keine laufenden jährlichen Kosten. Die einmaligen Kosten für die Beschaffung der fehlenden Kaliumiodidtabletten können gegenwärtig noch nicht beziffert werden; der Ausgang des Ausschreibungsverfahrens bleibt insoweit abzuwarten. 4. Inwiefern wirkt die Landesregierung darauf hin, dass die entstehenden Kosten des Landes durch den Bund übernommen werden? Der Schutz der Bevölkerung steht konsequent im Mittelpunkt des Handelns der Landesregierung wie auch der Katastrophenschutzbehörden im Lande. Ausgerichtet an diesem Grundsatz steht für die Landesregierung zunächst die Risikovorsorge in Form der Beschaffung der fehlenden Kaliumiodidtabletten für seine Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund. Was aber nicht ausschließt, dass wir nach Abschluss des Beschaffungsverfahrens auf Erstattung der Kosten durch den Bund hinwirken werden. 5. Nach welchem Verfahren werden die Jod-Tabletten gelagert bzw. im Bedarfsfall an die Kommunen ausgeliefert? Die Landesregierung hat ihr auf den Rahmenempfehlungen der Strahlenschutzkommission aus 2008 berechnetes Kontingent an Kaliumiodidtabletten aus den vom Bund verwalteten Zentrallagern abgeholt und auf die damals betroffenen Unteren Katastrophenschutzbehörden im Lande verteilt. Wie viele Kaliumiodidtabletten sich in dem jeweiligen Kreis bzw. der kreisfreien Stadt befinden, ergibt sich aus der Rubrik „Ist“ der als Anlage beigefügten Auflistung. Mittel- / Außenzone Fernzone Ist Soll Differenz Bezirksregierung Arnsberg Bochum 279.000 0 279.000 279.000 Dortmund 456.000 0 456.000 456.000 Hagen 141.000 0 141.000 141.000 Hamm 580.500 225.000 580.500 355.500 Herne 126.000 0 126.000 126.000 Ennepe-Ruhr-Kreis 297.000 0 297.000 297.000 Hochsauerlandkreis 175.500 210.000 87.000 385.500 298.500 Märkischer Kreis 399.000 0 399.000 399.000 Kreis Olpe 159.000 0 159.000 159.000 Kreis Siegen-Wittgenstein 279.000 0 279.000 279.000 Kreis Soest 513.000 135.000 237.000 648.000 411.000 Kreis Unna 567.000 189.000 273.000 756.000 483.000 Bezirksregierung Detmold Bielefeld 1.156.500 417.000 1.156.500 739.500 Kreis Gütersloh 1.048.500 549.000 1.048.500 499.500 Kreis Herford 724.500 366.000 724.500 358.500 Kreis Höxter 445.500 225.000 445.500 220.500 Kreis Lippe 1.048.500 471.000 1.048.500 577.500 Kreis Minden-Lübbecke 913.500 462.000 913.500 451.500 Kreis Paderborn 922.500 456.000 922.500 466.500 Bezirksregierung Düsseldorf Düsseldorf 477.000 0 477.000 477.000 Duisburg 414.000 0 414.000 414.000 Essen 453.000 0 453.000 453.000 Krefeld 216.000 0 216.000 216.000 Mönchengladbach 210.000 0 210.000 210.000 Mülheim a.d.Ruhr 138.000 0 138.000 138.000 Oberhausen 180.000 0 180.000 180.000 Remscheid 105.000 0 105.000 105.000 Solingen 153.000 0 153.000 153.000 Wuppertal 297.000 0 297.000 297.000 Kreis Kleve 63.000 315.000 21.000 378.000 357.000 Kreis Mettmann 435.000 0 435.000 435.000 Rhein-Kreis Neuss 402.000 0 402.000 402.000 Kreis Viersen 49.500 270.000 24.000 319.500 295.500 Kreis Wesel 148.500 396.000 72.000 544.500 472.500 Bezirksregierung Köln Bonn 279.000 0 279.000 279.000 Köln 783.000 0 783.000 783.000 Leverkusen 150.000 0 150.000 150.000 Stadt Aachen 1.008.000 276.000 1.008.000 732.000 Städteregion Aachen 985.500 435.000 985.500 550.500 Kreis Düren 823.500 381.000 823.500 442.500 Rhein-Erft-Kreis 420.000 0 420.000 420.000 Kreis Euskirchen 297.000 84.000 123.000 381.000 258.000 Kreis Heinsberg 702.000 387.000 702.000 315.000 Oberbergischer Kreis 276.000 0 276.000 276.000 Rheinisch-Bergischer-Kreis 264.000 0 264.000 264.000 Rhein-Sieg-Kreis 594.000 0 594.000 594.000 Bezirksregierung Münster Bottrop 96.000 0 96.000 96.000 Gelsenkirchen 225.000 0 225.000 225.000 Münster 1.224.000 324.000 1.224.000 900.000 Kreis Borken 1.138.500 618.000 1.138.500 520.500 Kreis Coesfeld 639.000 357.000 639.000 282.000 Kreis Recklinghausen 1.363.500 138.000 633.000 1.363.500 730.500 Kreis Steinfurt 1.282.500 615.000 1.282.500 667.500 Schilddrüsenblockade - Bestand und Bedarf an Kaliumiodidtabletten in NRW Kreis Warendorf 805.500 435.000 805.500 370.500 Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12251