LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12321 27.06.2016 Datum des Originals: 24.06.2016/Ausgegeben: 30.06.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4794 vom 24. Mai 2016 der Abgeordneten Henning Höne und Ralph Bombis FDP Drucksache 16/12060 Einführung der Gebührenpflicht für Regelkontrollen in der Lebensmittelüberwachung über Nacht – Wurden die Betroffenen von der Landesregierung zuvor informiert? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit Wirkung zum 14. Mai 2016 hat die rot-grüne Landesregierung die Allgemeine Verwaltungsgebührenordnung geändert und die Gebührenpflicht für Regelkontrollen in der Lebensmittelüberwachung eingeführt. Der Gebührentarif sieht für die erste Stunde der Regelkontrolle 77 Euro (einschließlich 20 Euro Fahrtkostenpauschale) vor. Ab der zweiten Stunde wird jede angefangene Viertelstunde mit 16,25 Euro berechnet. Bisher wurden Gebühren nur für Kontrollen in besonders zugelassenen Betrieben und in Fällen erhoben, bei denen die Feststellung eines Verstoßes eine Nachkontrolle erforderlich machte. Der Landtag hat sich im Jahr 2015 mit den Gebührenplänen der Landesregierung beschäftigt und Sachverständige hierzu angehört. Die große Mehrheit der Experten lehnte die allgemeine Gebührenpflicht für Tätigkeiten der staatlichen Daseinsvorsorge ab. Die Sachverständigen machten deutlich, dass die Einführung von Pflichtgebühren zu höheren Betriebskosten und dadurch zu steigenden Verbraucherpreisen führen würde. Je nach Umfang der Kontrolldichte würden gerade auf kleine Betriebe wie Bäckereien und Metzgereien teils erhebliche Sonderbelastungen zukommen, die sogar bis zur Existenzgefährdung führen könnten. Die angehörten Lebensmittelkontrolleure warnten vor Qualitätseinbußen in der Überwachung durch gebührenpflichtige Erstkontrollen. In der Folge hatte das Umweltministerium mit den betroffenen Verbänden Gespräche geführt, um zu verhindern, dass insbesondere kleine und mittlere Betriebe durch die Pflichtgebühren über Gebühr finanziell belastet werden. Nach Angaben des Lebensmittelhandwerks sei hierzu seitens des Ministeriums ein weiterer Gesprächstermin für Mitte Juni 2016 angesetzt gewesen. Die Gebühreneinführung komme unvorhergesehen und sei überraschend. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12321 2 Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4794 mit Schreiben vom 24. Juni 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. 1. In welcher Form wurden die von der Gebühreneinführung betroffenen Unternehmen und Verbände von der Landesregierung im Vorfeld informiert? 2. Wieso wurde der für Juni 2016 vorgesehene Gesprächstermin, um die sich daraus ergebenden Rückmeldungen des Lebensmittelhandwerks berücksichtigen zu können , nicht abgewartet? 3. Wurde die Clearingstelle Mittelstand zu der beschlossenen Änderung der Gebührenordnung angehört? Die Frage 1 bis 3 werden gemeinsam beantwortet: Mit Beschluss vom 19. Februar 2014 (Landtagsdrucksache 16/3429) hat der Landtag die Landesregierung aufgefordert, dafür zu sorgen, dass im Bereich der amtlichen Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung „Kontrollen künftig weitgehend über kostendeckende Gebühren finanziert werden, wobei die Höhe der Gebühren gestaffelt nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen auszurichten ist.“ Der Beschlussfassung im Landtag ging eine Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz voraus. Der Landtagsbeschluss knüpft an Anregungen des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung in seinen Gutachten vom Oktober 2011 sowie wiederholte Forderungen des Landesrechnungshofes NRW (Prüfbericht August 2011 und August 2014) an, entsprechende Gebühren einzuführen. Im September 2015 hat der Landtag, ebenfalls nach Anhörung Sachverständiger , durch den Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, einen Antrag der FDP-Fraktion abgelehnt, von der Einführung von Überwachungsgebühren Abstand zu nehmen. Die Gebührentarifstellen wurden auf der Grundlage des angeführten Landtagsbeschlusses gemeinsam mit Vertretern des Landkreistages, des Städtetages und des LANUV erarbeitet. Die Clearingstelle Mittelstand wurde beteiligt und hat am 5. November 2015 eine Stellungnahme zu dem Regelungsentwurf abgegeben. Durch die Ausgestaltung der Tarifstellen ist der Forderung des Landtags und der Clearingstelle Mittelstand entsprochen worden, bei der Gebührenbemessung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen zu berücksichtigen. In Abstimmung mit den an der Erarbeitung der Tarifstellen Beteiligten wurde die Gebührenbemessung , so weit wie sachgerecht möglich, an dem tatsächlichen Zeitaufwand für die Amtshandlung orientiert. Eine unangemessene Belastung der Unternehmen ist nicht zu befürchten. Die Überwachungstätigkeit vor Ort erfolgt bei ordnungsgemäß geführten kleineren Betrieben in der Regel innerhalb von 60 Minuten. Dafür ist, je nach Risikoeinstufung des Betriebs, alle 1 bis 3 Jahre eine Gebühr in Höhe von 57 € zuzüglich 20 €, also ein Gesamtbetrag in Höhe von 77 € zu entrichten. Mit dieser Gebühr sind auch alle im Zusammenhang mit der Amtshandlung erforderlichen Vorbereitungs-, Fahr-, Warte- und Nachbearbeitungszeiten abgegolten. Überschreitet der Aufwand für die amtliche Kontrolle vor Ort den Zeitrahmen von 60 Minuten, wird danach die Höhe der Gebühr nach der erforderlichen Zeit für die amtliche Kontrolle berechnet. Dabei werden dann auch die Zeiten für Vorbereitungs-, Fahr-, Warte- und Nachbearbeitungszeiten berechnet. Die Abrechnung erfolgt je angefangene 15 Minuten. Zur Vermeidung unbilliger Härten besteht im Einzelfall die Möglichkeit, die Gebühr zu ermäßigen oder ganz von der Gebühr zu befreien. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12321 3 Mein für den 23. Juni 2016 vorgesehenes Gespräch mit den Verbänden des nordrhein-westfälischen Lebensmittelhandwerks hat allgemeinen Charakter und ist nicht gezielt zum Thema „Gebühreneinführung“ erbeten und terminiert worden. 4. Welches Votum hat die Clearingstelle Mittelstand zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung abgegeben? Die Clearingstelle Mittelstand hat sich aus Sicht der mittelständischen Wirtschaft gegen die Einführung von Gebühren für die amtlichen Regelkontrollen im Lebens- und Futtermittelbereich ausgesprochen. 5. Welche Konsequenzen haben Umwelt- und Wirtschaftsministerium aus der Stellungnahme der Clearingstelle gezogen? Die Landesregierung ist der Anregung der Clearingstelle Mittelstand, keine Gebühren für die amtlichen Regelkontrollen im Lebens- und Futtermittelbereich in NRW einzuführen, nicht gefolgt . Die Anregungen der Clearingstelle für den Fall einer Einführung von Gebühren für die amtlichen Regelkontrollen wurden wie folgt bewertet: Die amtlichen Regelkontrollen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich gehören nicht zur sogenannten Daseinsvorsorge. Da die Tätigkeit der Betriebe, die die Notwendigkeit einer behördlichen Überwachung erforderlich macht, auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist, haben diese auch die dafür entstehenden Kosten zu tragen, die ansonsten von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufzubringen wären. Eine Steuerungswirkung der neuen Gebühren ist ein erwünschter Nebeneffekt. Die Landesregierung vermag nicht zu erkennen, warum es als unredlich angesehen wird, wenn besser abschneidende Betriebe geringere bzw. weniger häufig Gebühren entrichten als weniger gut abschneidende Betrieb. Dadurch wird auch mittelbar der Forderung der Clearingstelle entsprochen , Prävention zu belohnen. Die neuen Gebühren entsprechen aktuell und künftig europarechtlichen Vorgaben. Europarechtlich ermöglicht Artikel 27 Absatz 1 der sogenannten EU-Kontrollverordnung (Verordnung (EG) Nr. 882/2004) Gebühren zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch die amtlichen Kontrollen im Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung entstehen. Die Beratungen auf Ratsebene über eine Revision der EU-Kontrollverordnung stehen kurz vor dem Abschluss. Danach wird die neue Kontrollverordnung auch eine dem Artikel 27 Absatz 1 entsprechende Ermächtigung zur Einführung von Gebühren für amtliche Regelkontrollen enthalten . Eine bundesrechtliche Gebührenregelung wird es nicht geben. Die Regelungskompetenz zur Einführung von Verwaltungsgebühren im Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung obliegt den Ländern. Auch das Land Niedersachsen erhebt bereits seit 2014 Gebühren für amtliche Regelkontrollen im Bereich der Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung. Das Land Schleswig-Holstein hat zu Beginn des Jahres 2016 Gebühren für Regelkontrollen im Bereich der amtlichen Futtermittelüberwachung eingeführt. Nach Einschätzung der Landesregierung werden weitere Länder folgen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12321