LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12403 30.06.2016 Datum des Originals: 30.06.2016/Ausgegeben: 01.07.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4814 vom 29. Mai 2016 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/12100 Zuweisung von Geldauflagen der Steuerfahndung an gemeinnützige Organisationen – Wie hat sich durch neue Entscheidungen des Finanzministers in Nordrhein-Westfalen die Weiterleitung von Strafzahlungen an Vereine und Einrichtungen verändert? Gemäß § 153a Strafprozessordnung können (Steuer-) Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden. Diese Entscheidungskompetenz steht den jeweiligen Strafund Bußgeldsachenstellen der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung kraft gesetzlicher Ermächtigung zu. Die Straf- und Bußgeldsachenstellen der Finanzverwaltung haben in dieser Hinsicht vergleichbare Befugnisse wie die Staatsanwaltschaften. Bis vor einigen Jahren ist es gute und bewährte Praxis in unserem Bundesland gewesen, verhängte Geldauflagen jeweils in einem angemessenen Verhältnis sowohl der Staatskasse als auch gemeinnützigen Einrichtungen zukommen zu lassen. Letztere können regelmäßig dabei bedacht werden, wenn sie sich in einem zentralen Verzeichnis der Justiz des Landes registrieren lassen. Geldauflagen in beachtlicher Höhe flossen in der Vergangenheit also beispielsweise an Kinderhospize, die Krebshilfe, Altenheime, Kindergärten, Sportvereine oder Behindertenwerkstätten, die für jeden Euro dankbar sind und wichtige gesellschaftliche Aufgaben durch diese Zuwendungen wahrnehmen können. Der Landesrechnungshof (LRH) hat jedoch in seinem Jahresbericht 2013 unter anderem die geübte Praxis der Zuleitung von Geldauflagen nach § 153a StPO durch die Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (STRA-FA) bemängelt. Der LRH bezieht sich dabei auf bundeseinheitliche Verwaltungsanweisungen – konkret auf die Anweisungen für das Strafund Bußgeldverfahren (Steuer) AStBV (St) – wonach vereinnahmte Beträge in der Regel der Staatskasse zufließen sollen. Diese Konkretisierung ist damit begründet worden, dass sich die vorgelagerte Steuerstraftat auch gegen die Allgemeinheit gerichtet hat. Laut Landtags-Vorlage 16/2047 sah der LRH eine Verteilquote von mindestens 80 Prozent an die Landeskasse pro STRAFA-FA als geboten an. Der Haushaltskontrollausschuss des Landtages hat sich dieser Auffassung angeschlossen und die unterschiedliche LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12403 2 Verfahrensweise der STRAFA-FÄ bei der Zuweisung von Geldbeträgen nach § 153a StPO für nicht akzeptabel erklärt. In der zuvor genannten Landtags-Vorlage werden auch bereits die ersten Anpassungsschritte skizziert. Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans teilt am 1. Juli 2014 dazu wörtlich mit: „Laut Bericht der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen vom 06.06.2014 haben die zehn STRAFA-FÄ ihre Zuweisungspraxis an die Vorgaben angepasst, so dass die vom Landesrechnungshof vorgegebene Verteilungsquote bereits im Berichtszeitraum 01.01. bis 30.04.2014 erfüllt wurde.“ Offenbar hat der Finanzminister kurze Zeit später dennoch angewiesen, dass entgegen der vom LRH geforderten 80%-igen Vereinnahmung für den Landeshaushalt nunmehr sogar mindestens 90 Prozent der Geldauflagen an die Landeskasse abzuführen sind. Diese neue Weisung wird seitdem durch die nachgeordneten Dienststellen selbstverständlich befolgt – mit der Konsequenz, dass gemeinnützige Vereine und Einrichtungen, wenn überhaupt, nur noch ganz eingeschränkt mit Geldauflagen aus eingestellten Steuerstrafverfahren bedacht werden können. Bei der Justiz in Nordrhein-Westfalen ist die Sachlage dem Vernehmen nach anders: Dort sollen wohl nach wie vor Geldauflagen zu einem höheren Prozentsatz an gemeinnützige Einrichtungen auskehrt werden als bei der Finanzverwaltung. Von einem homogenen Vorgehen im Lande kann demnach nicht gesprochen werden. Die rot/grüne Landesregierung schwächt mit ihrer letzten Entscheidung bei voller Kenntnis die gemeinnützigen Organisationen. Die Achtung auch des ehrenamtlichen Engagements von Bürgern in diesen Einrichtungen erfährt nicht die notwendige Wertschätzung. Im Gegenzug fließen mehr Mittel in den Landeshaushalt, mit denen dann beispielsweise die ideologischen grünen Vorzeigeprojekte finanziert werden. Das ist eine bemerkenswerte Prioritätensetzung auf Kosten sozialer Projekte. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie die Vorgehensweise des Finanzministers mit der stets behaupteten sozial-präventiven Ausrichtung der rot/grünen Landespolitik vereinbar ist. Zu diesem Sachverhalt bedarf es einer umfänglichen Information des Parlaments. Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 4814 mit Schreiben vom 30. Juni 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister und der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Sport und Kultur beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Es ist zutreffend, dass die Straf- und Bußgeldsachenstellen der Finanzämter für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (STRAFA-FÄ) gemäß § 153a Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) Steuerstrafverfahren gegen Geldauflage einstellen können. Der zu entrichtende Geldbetrag ist entweder zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen Allerdings sind bei den durch die Finanzverwaltung geführten Ermittlungsverfahren neben § 153a StPO die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV (St) – zu beachten. Es handelt sich dabei um eine bindende Verwaltungsanweisung, die zwischen Bund und Ländern abgestimmt ist. Nummer 83 Abs. 2 AStBV regelt, dass sich eine Steuerstraftat als sogenanntes Sonderdelikt gegen die Allgemeinheit richtet und deshalb die Zahlung der Geldauflage regelmäßig zugunsten der Staatskasse erfolgen soll. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12403 3 Eine prozentuale Vorgabe bezüglich des Kriteriums „regelmäßig“ enthält die Verwaltungsanweisung nicht. Somit sind Zuweisungen an gemeinnützige Einrichtungen als Ausnahmen von der Regel möglich. Entscheidend für die Verteilung der Geldauflagen ist aber auch, inwieweit die Staatsanwaltschaften bzw. die Gerichte in die Entscheidung zur Einstellung nach § 153a StPO eingebunden werden und die Finanzverwaltung damit auf die Auswahl des Empfängers einer Geldauflage Einfluss hat. Betreffend der vermeintlich abweichenden Handhabung durch die Justiz ist anzumerken, dass diese zum einen auch Allgemeindelikte verfolgt und bei Strafverfahren wegen Steuerstraftaten (als Sonderdelikte) nicht an die finanzverwaltungsinternen Anweisungen der AStBV (St) gebunden ist. Ein Vergleich ist insoweit nicht möglich. 1. In welcher genauen Höhe hat die nordrhein-westfälische Finanzverwaltung Geldauflagen aus eingestellten Steuerstrafverfahren seit 2010 bis heute jeweils jährlich festgesetzt? (Angaben bitte differenziert nach einzelnen STRAFA-FÄ) 2. In konkret welcher Höhe sind diese Beträge jeweils jährlich seit 2010 bis heute anteilig einerseits auf den Landeshaushalt und anderseits gemeinnützige Destinatäre aufgeteilt worden? (Angaben bitte differenziert nach einzelnen STRAFA-FÄ) Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Der beigefügten Aufstellung sind die insgesamt durch die Finanzverwaltung nach § 153a StPO festgesetzten Geldauflagen und deren anteilige Zuweisung zugunsten der Staatskasse und an gemeinnützige Einrichtungen je STRAFA-FA zu entnehmen. 3. Namentlich welche Destinatäre sind seit dem Jahr 2010 bis heute, bitte unter Angabe der jeweiligen Höhe der von ihnen insgesamt erhaltenen Zuweisungen, bei der Verteilung von Strafzahlungen aus Steuerstrafverfahren in Nordrhein- Westfalen bedacht worden? (vollständige Zuwendungsempfängerliste erbeten) Die Finanzverwaltung führt diesbezüglich keine Aufzeichnungen. Allerdings erfolgt die Verteilung der Geldauflagen an gemeinnützige Einrichtungen grundsätzlich unter Anwendung der bei der Justiz geführten zentralen Verzeichnisse. 4. Aus konkret welchen einzelnen Gründen hat der Finanzminister die Zuwendungspraxis der Steuerfahndung über die Vorgaben des Landesrechnungshofs und offenbar ebenso über die analoge Praxis der Justiz hinausgehend zum Nachteil etlicher gemeinnützige Destinatäre in Nordrhein- Westfalen eingeschränkt? Der Landesrechnungshof (LRH) bemängelte im Rahmen seines Jahresberichts 2013 die uneinheitliche Zuweisungspraxis der Geldauflagen nach § 153a StPO durch die STRAFA-FÄ und sah einen Verstoß gegen die Regelvorgabe gemäß Nummer 83 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 AStBV (St). Zusammen mit dem Haushaltskontrollausschuss des Landtags (HKA) forderte er das Finanzministerium auf, entsprechende Maßnahmen zu veranlassen, die die Zuweisung der Geldauflagen vereinheitlichen und quotieren sollten. Der LRH vertrat die Auffassung, dass die Vorgabe im Sinne der AStBV (St) erst bei Zuteilung von mindestens 80% zugunsten der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12403 4 Staatskasse durch alle STRAFA-FÄ erfüllt werden könnte. Der HKA schloss sich dieser Ansicht an. Das Finanzministerium übernahm die Vorgaben. Die nachträgliche Anhebung des Prozentsatzes auf 90% erfolgte im Hinblick auf die erkennbare Intention von LRH und HKA und des Effizienzteams, die Einnahmen der Staatskasse zu erhöhen. 5. Wie bewertet die Landesregierung die einzelnen Folgen für die Arbeit gemeinnütziger Vereine und Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen insbesondere vor dem Hintergrund der stets behaupteten sozial-präventiven Ausrichtung ihrer Politik? Die Landesregierung ist sich der gesellschaftlichen Bedeutung von gemeinnützigen Vereinen und Einrichtungen bewusst und wird deren Arbeit auch zukünftig im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. Die vom Fragesteller angeführte sozial-präventive Politik der Landesregierung lässt sich nicht daran messen, zu welchem Prozentsatz Geldauflagen gemeinnützigen Vereinen und Einrichtungen zugewiesen werden. Geldauflagen, die an die Staatskasse zu zahlen sind, kommen nicht weniger sozialen Zwecken zu Gute. Jede Investition in Bildung, Infrastruktur und Sicherheit fördert Chancengleichheit und stärkt unsere Gesellschaft. Anlage: Zuweisung von Geldauflagen 2010-2015 Jahr STRAFA-FA Aachen STRAFA-FA Bonn STRAFA-FA Düsseldorf STRAFA-FA Essen STRAFA-FA Köln STRAFA-FA Wuppertal STRAFA-FA Bielefeld STRAFA-FA Bochum STRAFA-FA Hagen STRAFA-FA Münster gesamt 2010 Summe der Geldauflagen 1.034.005 625.958 2.624.745 1.016.850 1.397.686 408.805 3.216.975 1.637.260 1.047.225 1.545.500 14.555.009 davon: Staatskasse 768.075 447.783 1.796.060 975.060 737.236 407.805 3.171.975 1.637.260 1.022.425 1.374.626 12.338.305 Anteil in % 74 72 68 96 53 99 99 100 98 89 85 gemeinnützige Einrichtungen 265.930 178.175 828.685 41.790 660.450 1.000 45.000 0 24.800 170.874 2.216.704 Anteil in % 26 28 32 4 47 1 1 0 2 11 15 2011 Summe der Geldauflagen 834.380 698.320 1.789.773 2.034.338 1.678.415 1.705.285 2.420.584 1.947.063 1.093.250 2.167.075 16.368.483 davon: Staatskasse 624.490 523.045 1.342.990 1.923.663 968.690 1.675.285 2.420.584 1.942.563 1.058.450 2.025.750 14.505.510 Anteil in % 75 75 75 95 58 98 100 99 97 93 89 gemeinnützige Einrichtungen 209.890 175.275 446.783 110.675 709.725 30.000 0 4.500 34.800 141.325 1.862.973 Anteil in % 25 25 25 5 42 2 0 1 3 7 11 2012 Summe der Geldauflagen 760.300 781.798 1.858.345 1.170.490 2.390.702 839.800 2.511.905 1.562.789 1.176.770 1.597.088 14.649.987 davon: Staatskasse 554.877 570.500 1.433.145 1.118.940 1.491.350 829.800 2.511.905 1.562.789 1.169.670 1.542.488 12.785.464 Anteil in % 73 73 77 96 62 99 100 100 99 97 87 gemeinnützige Einrichtungen 205.423 211.298 425.200 51.550 899.352 10.000 0 0 7.100 54.600 1.864.523 Anteil in % 27 27 23 4 38 1 0 0 1 3 13 2013 Summe der Geldauflagen 750.706 986.325 1.868.632 1.973.445 2.391.100 1.265.286 1.813.450 2.157.007 1.169.845 1.883.700 16.259.496 davon: Staatskasse 564.530 824.025 1.604.257 1.789.095 1.721.250 1.245.286 1.813.450 2.027.007 1.168.295 1.711.500 14.468.695 Anteil in % 75 84 86 91 72 98 100 94 99 91 89 gemeinnützige Einrichtungen 186.176 162.300 264.375 184.350 669.850 20.000 0 130.000 1.550 172.200 1.790.801 Anteil in % 25 16 14 9 28 2 0 6 1 9 11 2014 Summe der Geldauflagen 651.508 1.109.440 3.549.146 1.370.790 3.213.725 1.232.940 2.091.545 2.279.255 1.246.094 2.478.120 19.222.563 davon: Staatskasse 525.807 845.630 3.311.111 1.265.490 2.762.820 1.232.940 1.514.545 2.279.255 1.242.844 2.325.620 17.306.062 Anteil in % 81 76 93 92 86 100 72 100 100 94 90 gemeinnützige Einrichtungen 125.701 263.810 238.035 105.300 450.905 0 577.000 0 3.250 152.500 1.916.501 Anteil in % 19 24 7 8 14 0 28 0 0 6 10 2015 Summe der Geldauflagen 703.500 1.221.700 3.127.460 1.313.856 2.665.447 1.456.278 2.311.079 2.433.543 1.467.650 2.094.169 18.794.682 davon: Staatskasse 638.240 1.087.625 2.866.360 1.210.856 2.403.047 1.456.278 1.880.779 2.433.543 1.456.250 1.954.969 17.387.947 Anteil in % 91 89 92 92 90 100 81 100 99 93 93 gemeinnützige Einrichtungen 65.260 134.075 261.100 103.000 262.400 0 430.300 0 11.400 139.200 1.406.735 Anteil in % 9 11 8 8 10 0 19 0 1 7 7 Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12403