LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12499 13.07.2016 Datum des Originals: 13.07.2016/Ausgegeben: 18.07.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4854 vom 10. Juni 2016 des Abgeordneten Henning Höne FDP Drucksache 16/12240 Kassenkreditaufnahmen nordrhein-westfälischer Kommunen als vermeintlich lukratives Geschäftsmodell – Was sagt die Landesregierung zu diesen gefährlichen Entwicklungen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die nordrhein-westfälischen Kommunen leiden enorm unter der schlechten Finanzausstattung durch die Landesregierung. Die Stadt Essen hat mit rund 3,5 Milliarden Euro aktuell den höchsten Schuldenberg in der gesamten Bundesrepublik. Durch die aktuelle Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank erscheint es für die Städte und Gemeinden derzeit als lukrativ, zusätzliche Kassenkredite aufzunehmen. Dabei sind aber grundsätzlich Kassenkredite bei einer soliden Finanzierung zu vermeiden. Legen Banken aktuell Rücklagen bei der Europäischen Zentralbank an, müssen sie dazu einen Strafzins in Höhe von 0,4 Prozent entrichten. Sie streben infolgedessen danach, das Geld an anderen, sicheren Orten anzulegen. § 128 (2) Gemeindeordnung Nordrhein- Westfalen besagt: „Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinde ist unzulässig.“ Die vermeintliche Tatsache, dass Kommunen nicht insolvent gehen können, veranlasst die Banken dazu, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie machen dies, indem sie ihr Geld unter Fortführung der – für sie günstigeren – Negativzinspolitik an die kommunale Familie weiterreichen. So offeriert nach Medienberichten die niederländischen Triodos Bank Angebote an die Gemeinden, Kredite zu einem Negativzinssatz von 0,02 Prozent aufzunehmen. Auf ihrer Homepage wirbt die Triodos Bank Deutschland für sich: „Wir sind eine Bank, die seit 1980 konsequent einer Idee folgt. Der Idee, mit dem Geld unserer Kunden den positiven Wandel in der Gesellschaft zu finanzieren.“ Dagegen nimmt die Deutsche Bank Abstand von dem Modell, die Negativzinspolitik mit den Kommunen fortzuführen: „Wir messen der Nachhaltigkeit unserer Leistungen für unsere Kunden größeres Gewicht bei als der Erzielung kurzfristiger Effekte“, heißt es in einem aktuellen TV-Beitrag der ARD. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12499 2 Da das Ausfallrisiko für die Banken aufgrund der aktuellen Rechtslage gegen null tendiert, ist dieses Geschäftsgebaren im Grundsatz nachvollziehbar. Dennoch werden derartige Geschäftsmodelle den Städten und Gemeinden bislang laut Medienberichten nur von ausländischen Kreditinstituten angeboten. Die Metropolen Köln, Bonn, Essen sowie die Städte Bergisch-Gladbach, Menden und Altena sollen aktuell dieses Geschäftsmodell nutzen und es beanspruchen. Dieser Umstand führt in den Augen der Freien Demokraten zu einer gefährlichen Anreizwirkung für die Kommunen, immer weiter in die Schuldenfalle abzudriften. Der Kämmerer der Stadt Bergisch Gladbach, Jürgen Mumdey, hat kürzlich in einem TV-Beitrag treffend formuliert: „Wir nutzen es aus, solange uns die Chance geboten wird. Ich persönlich kann mich des Eindrucks jedoch nicht erwehren, dass das auf lange Sicht eine sehr bedenkliche Sicht ist.“ De facto haben die Kommunen aufgrund dieser abstrus wirkenden Situation aktuell die Möglichkeit, durch zusätzliche Kreditaufnahme Geld zu verdienen. Kurzfristig geliehenes Geld kostet die Kommunen derzeit bei Inanspruchnahme dieser Kreditgeschäfte kein Geld. Geld ist demnach für Banken aktuell wertlos. Es ist jedoch klar herauszustellen, dass der Zins immer den Preis des Geldes widerspiegelt und sich jederzeit, auch kurzfristig, wieder ändern kann. Genau hierin liegt die Gefahr für die Kommunen bei derartigen Kreditgeschäften. Der Umgang mit Negativzinsen ist aktuell in keinem deutschen Recht kodifiziert. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4854 mit Schreiben vom 13. Juli 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister beantwortet. 1. Wie hat sich die Aufnahme der Kassenkredite mit variablem Zinssatz in den nordrhein-westfälischen Kommunalhaushalten in den letzten fünf Jahren entwickelt? (Bitte jeweils die genauen Summen der Kassenkredite sowie den prozentualen Anteil am Haushalt der Gemeinden kommunenscharf und nach Jahren gegliedert angeben.) 2. Welche Kommunen haben aktuell mit welchen Kreditinstituten derartige o.g. Geschäftsbeziehungen? (Bitte kommunalscharf alle Städte und Gemeinden aufzählen.) 3. Welche Mehrbelastungen kämen auf die nordrhein-westfälischen Kommunen zu, wenn sich die variablen Zinsen kurzfristig um 1 Prozentpunkt verteuern würden? (Bitte jeweils die sich daraus ergebenden Summen kommunenscharf angeben.) Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 bis 3 zusammen beantwortet. Den kommunalen Liquiditätskrediten liegen, wie den Kreditmarktschulden insgesamt, vielfältige örtliche Vertragsgestaltungen zugrunde. Es bestehen für die Gemeinden und Gemeindeverbände weder haushaltsrechtliche noch statistische Vorgaben, diese Verträge und die darin vereinbarten Zinsbindungsfristen zu melden. Die gewünschten Informationen liegen der Landesregierung daher weder summarisch noch einzelgemeindlich vor. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12499 3 4. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand der vermeintlichen „Attraktivität“ für die Kommunen, weitere Kassenkredite aufzunehmen, aus rechtlicher Sicht bzw. welchen Umgang empfiehlt die Landesregierung den Kommunen in Bezug auf diese kurzfristig positiv erscheinenden Angebote des Kapitalmarktes? 5. Welchen rechtlichen Handlungsbedarf sieht die Landesregierung, um die nordrhein-westfälischen Kommunen vor einer noch weiteren Verschuldungsspirale durch diese kurzfristig lukrativ erscheinenden Geschäfte zu bewahren? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 4 und 5 zusammen beantwortet. Um den Gemeinden die Vorsorge für Zinsänderungsrisiken zu ermöglichen, sind in den Jahren 2011 und 2014 mit entsprechenden Änderungen des Runderlasses "Kredite und kreditähnliche Rechtsgeschäfte der Gemeinden (GV)" vom 9.10.2006 (SMBl. 652) die rechtlichen Möglichkeiten, für Kredite zur Liquiditätssicherung längerfristige Zinsbindungen einzugehen, erheblich erweitert worden. Damit ist es den Kommunen im Rahmen ihres Finanzmanagements eröffnet, die Risiken kurzer Zinsbindungsfristen zu reduzieren. Ein darüber hinausgehender Handlungsbedarf wird von der Landesregierung derzeit nicht gesehen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12499