LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12507 14.07.2016 Datum des Originals: 13.07.2016/Ausgegeben: 19.07.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4867 vom 13. Juni 2016 der Abgeordneten Susanne Schneider FDP Drucksache 16/12264 Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über die Situation von verheirateten minderjährigen Mädchen in Nordrhein-Westfalen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nach einem aktuellen Bericht der BILD-Zeitung beschäftigen sich die Gerichte in Deutschland immer öfter mit sogenannten Kinderehen, also vollzogenen Eheschließungen zu einem Zeitpunkt an dem mindestens eine Person noch nicht das zulässige Heiratsalter erreicht hatte. In den meisten Fällen sind die Betroffenen junge Mädchen unter 15 Jahren, die schon in ihrer Heimat mit einem Erwachsenen verheiratet wurden. Aufgrund des jungen Alters wird häufig das fehlende Einvernehmen der Betroffenen angenommen. Dies entspräche dann einer rechtswidrigen Zwangsehe nach § 237 StGB. Allerdings erweist sich die Prüfung der Fälle als außerordentlich schwierig. Erst vor kurzem hatte das Oberlandesgericht Bamberg die Ehe zwischen einem 15-jährigen Mädchen und ihrem 21-jährigen Cousin und Ehemann aus Syrien für rechtskräftig erklärt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung war das Mädchen erst 14 Jahre alt. Im Urteil führte das Gericht aus: „Der Bundesgerichtshof hat sich bisher nicht dazu geäußert, ob eine Eheschließung im Ausland bei Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters nach § 1303 Abs. 2 BGB einen Verstoß gegen den ordre public darstellt und ob aus Kindeswohlgesichtpunkten ein solcher Verstoß ausnahmsweise trotz der Rechtsfolgenregelung in §§ 1313, 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 1 Nr. 1, 1316ff. BGB die Nichtigkeit der Eheschließung zur Folge hat.“ Nach Angaben verschiedener Medien soll es hunderte Kinderehen in Deutschland geben, die Dunkelziffer ist unbekannt. Die Folge von Kinderehen bewertet die Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer weltweit als verheerend. So brechen die Mädchen „nicht nur häufig die Schule ab und werden sozial isoliert, sondern (werden) auch oft Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch durch die in der Regel wesentlich älteren Ehemänner.“ Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die zweithäufigste Todesursache von Kinderbräuten weltweilt die Geburt ihres Kindes - gefolgt von Selbstmord. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12507 2 Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 4867 mit Schreiben vom 13. Juli 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. 1. Wie bewertet die Landesregierung die aktuelle Situation von verheirateten minderjährigen Mädchen in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf den Kinder- und Jugendschutz ? Verheiratete Minderjährige, die als Flüchtlinge aus dem Ausland einreisen gelten gemäß den Vorgaben des Jugendhilferechts als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Demnach ist eine Inobhutnahme durch das örtliche zuständige Jugendamt zwingend, es besteht kein Ermessen. Ob eine Trennung vom Ehepartner erfolgt, ist eine Einzelfallentscheidung und liegt im Ermessen des zuständigen Jugendamts. Im Verlaufe der Inobhutnahme ist zum einen der weitere Jugendhilfebedarf der verheirateten Minderjährigen zu prüfen und zum anderen auch die Frage zu beantworten, ob die jeweilige Ehe von der Minderjährigen freiwillig und in eigenem Interesse geführt wird und eine Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen werden kann. 2. Wie viele Fälle von Kinderehen sind der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bekannt? (Aufschlüsselung nach Herkunftsländern) In Nordrhein-Westfalen wurden für das Jahr 2015 im Rahmen der Flüchtlingsaufnahme 188 Fälle von verheirateten minderjährigen Mädchen ermittelt. Die Aufschlüsselung nach Altersgruppen und Herkunftsländern ist der beigefügten Übersicht zu entnehmen. Zu Kinderehen von Menschen, die nicht im Rahmen der Flüchtlingsaufnahme erfasst sind oder zu Menschen, die durch religiöse Voraustrauungen im Kindesalter gebunden sind, liegen der Landesregierung keine Zahlen vor. 3. Welche konkreten Hilfsangebote liegen für Betroffene von Kinderehen in Nordrhein- Westfalen vor? Siehe Antwort zu Frage 1. Für Betroffene von Zwangsheirat - sowohl drohender als auch vollzogener - stehen in drei Einrichtungen fünf Notaufnahmeplätze zur Verfügung, die durch das Land gefördert werden. 4. Welche Maßnahmen will die Landesregierung ergreifen, um die Schließung von Kinderehen in unserem Land zu verhindern? 5. Welche rechtlichen Anstrengungen unternimmt die Landesregierung, um den Schutz von jungen Mädchen vor Kinderehen und damit häufig einhergehender sexueller Ausbeutung und häuslicher Gewalt sicherzustellen? Die Fragen 4. und 5. werden zusammen beantwortet. Das geltende deutsche Internationale Privatrecht, d.h. Kollisionsrecht (Art. 13 EGBGB), sieht vor, dass im Ausland zulässigerweise geschlossene Ehen bis zur Grenze eines Verstoßes gegen den sog. „ordre public“ (Art. 6 EGBGB) in Deutschland anerkannt werden, auch wenn nach deutschem Recht nicht Ehemündige beteiligt sind. Unter dem Aspekt des Kinderschutzes LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12507 3 ist dies insbesondere dann fragwürdig, wenn das absolute Alter sehr gering ist oder junge Mädchen mit wesentlich älteren Männern verheiratet sind. Auch die nach Art. 13 Abs. 1 EG- BGB eröffnete Möglichkeit, Ehen, die lediglich nach dem Recht der Herkunftsstaaten zulässig sind, auch in Deutschland schließen zu können, bedarf der kritischen Überprüfung. Der Staat hat hier eine Schutzfunktion, die er insbesondere gegenüber minderjährigen Flüchtlingsmädchen wahrzunehmen hat. Auf der 87. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 1. und 2. Juni 2016 in Nauen wurde deshalb vereinbart, gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten im Bereich des Internationalen Privatrechts zu prüfen. Das Ergebnis der Prüfung bleibt abzuwarten. Kleine Anfrage 4867, hier: Übersicht zu Frage 2 Altersgruppe 14 Jahre: 3 Personen hiervon 1 Person irakisch 2 Personen syrisch Altersgruppe 15 Jahre: 18 Personen hiervon 3 Personen irakisch 1 Person mazedonisch 14 Personen syrisch Altersgruppe 16 Jahre: 54 Personen hiervon 6 Personen afghanisch 4 Personen albanisch 1 Person georgisch 8 Personen irakisch 3 Personen serbisch 31 Personen syrisch 1 Person tadschikisch Altersgruppe 17 Jahre: 113 Personen hiervon 15 Personen afghanisch 5 Personen albanisch 2 Personen bosn.-herzegow. 1 Person eritreisch 11 Personen irakisch 1 Person iranisch 1 Person kosovarisch 1 Person libanesisch 5 Personen mazedonisch 3 Personen serbisch 66 Personen syrisch 2 Personen gebürtig in SYR, StAng jedoch ungeklärt gesamt: 188 Personen Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12507