LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/1251 30.10.2012 Datum des Originals: 29.10.2012/Ausgegeben: 02.11.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 534 vom 1. Oktober 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/1057 Essener Schulen droht Unterrichtsausfall – Was unternimmt die Landesregierung gegen Lehrkräftemangel in der Stadt Essen? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 534 mit Schreiben vom 29. Oktober 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister und dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In den Lokalausgaben der WAZ und NRZ in Essen ist am 27. September 2012 prominent über das in der Stadt Essen flächendeckend vorhandene Problem des Lehrermangels berichtet worden. In den Artikelüberschriften „Referendare werden mitten im Schuljahr in ihre Prüfungen geschickt“ oder „72 Stunden pro Woche – Wer soll sie geben? An den Schulen drohen massive Engpässe beim Unterricht“ werden die bevorstehenden gravierenden Probleme für eine ordnungsgemäße Unterrichtserteilung ausführlich beschrieben. Laut Zeitungsberichten kann bereits heute in Essen der vorgeschriebene Unterricht an weiterführenden Schulen nur erteilt werden, indem im Schnitt acht Referendare pro Schule die Erteilung von jeweils neun Wochenstunden an Fachunterricht übernehmen. Das macht für die allermeisten Gymnasien und viele Realschulen über siebzig Wochenstunden aus. Dieser sogenannte „bedarfsdeckende Unterricht“ ersetzt damit rund drei Vollzeitlehrkräfte an vielen Essener Schulen. Diese Ersatzlehrkräfte sind bereits in wenigen Wochen nicht mehr verfügbar, wenn sie ihre Prüfungen absolvieren. Neue Referendare zur Abdeckung von Pflichtstunden sollen erst wieder nach der Sommerpause, also ab Herbst 2013, an Essener Schulen zum Einsatz kommen. Die betroffenen Essener Schulleiter stehen vor einem großen Rätsel, wie sie bis LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1251 2 dahin aus dem vorhandenen Personalbestand auch nur ansatzweise den vorgesehenen Stundenumfang für ihre Schüler organisieren können. WAZ und NRZ haben diesen Sachverhalt am Essener Studienseminar recherchiert, an dem etwa 550 Lehramtsanwärter betreut werden. Die dort zuständige Leiterin bestätigt ausdrücklich , dass sich die bevorstehenden Personalengpässe durch Referendare in der Prüfungsphase noch nie so gravierend ausgewirkt haben. An nahezu allen weiterführenden Schulen in Essen droht daher in Kürze ein signifikanter Unterrichtsausfall. Schuld an der bevorstehenden Mangelverwaltung ist der sogenannte Bologna-Prozess, durch den auch die nordrhein-westfälische Lehrerausbildung reformiert worden ist. Damit ist insbesondere das Ziel einer Qualitätssteigerung der Ausbildung unserer Lehrer verbunden gewesen, wie noch heute auf der Internetpräsenz des Schulministeriums nachzulesen ist (vgl.: http://www.schulministerium.nrw.de/ZBL/Reform/FAQ/). Unsere Lehrer sollen nach dortiger Aussage eine verstärkte fachwissenschaftliche und fachdidaktische Grundlage bekommen . Ferner soll stärker als bisher die Diagnose und individuelle Förderung schulischer Leistungen berücksichtigt werden. Berufsfeld- und Praxisbezug werden sowohl im Studium als auch im Vorbereitungsdienst intensiviert. Die fachliche und pädagogische Profilierung der künftigen Lehrkräfte werde damit gestärkt. Verbunden mit der Reform ist jedoch auch eine Verkürzung des Vorbereitungsdienstes von 24 Monaten auf 18 Monate gewesen. In dieser Zeit unterrichtet jeder Referendar eigenständig neun Unterrichtsstunden im Rahmen des sogenannten Bedarfsdeckenden Unterrichtes. Mit Ablauf des ersten Durchgangs von Referendaren, die nach der neuen Prüfungsordnung ihren Vorbereitungsdienst absolvieren, zeigt sich aktuell, dass diese in der praktischen Umsetzung vor Ort die Schulen vor größte Schwierigkeiten und enorme Herausforderungen stellt. Der nun an Schulen der Stadt Essen drohende Unterrichtsausfall wird von Schülern, Eltern und Lehrern vor Ort mit großer Sorge betrachtet. Ziel aller Bemühungen der Landespolitik muss es daher sein, für die betroffenen Essener Schulen und Schüler tragfähige Lösungen zu finden, die einen großflächigen Ausfall von Fachunterricht verhindern, damit sich die schulische Qualität nicht weiter dramatisch verschlechtert. Vorbemerkung der Landesregierung Mit dem Lehrerausbildungsgesetz (LABG) vom 12.05.2009 wurde die Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen neu geordnet. So wurde u. a. die universitäre Ausbildung der künftigen Lehrkräfte auf die gestuften Studiengänge umgestellt. Nach der neuen Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung vom 10.04.2011 (OVP 2011) beträgt die Dauer der schulpraktischen Ausbildung jetzt 18 Monate. Die schulpraktische Ausbildung findet in zwei Fächern der Masterprüfung oder der Ersten Staatsprüfung statt. Die Gesamtverantwortung der Ausbildung trägt die Leiterin oder der Leiter des Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL). Die Verantwortung für den Unterricht der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter (LAA) trägt die Schulleiterin oder der Schulleiter. Die Ausbildung der LAA erfolgt im ZfsL und in der Schule. Die Ausbildung am ZfsL umfasst während der 18 Monate des Vorbereitungsdienstes sieben Wochenstunden. Die Ausbildung in der Schule umfasst durchgängig während der gesamten 18 Monate insgesamt 14 Wo- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1251 3 chenstunden und zwar für Hospitationen und Ausbildungsunterricht (Unterricht unter Anleitung und selbstständiger Unterricht). Auf den selbstständigen Unterricht entfallen in zwei vollständigen Schulhalbjahren durchschnittlich je neun Wochenstunden, von denen jeweils acht Wochenstunden auf den Unterrichtsbedarf der Schule angerechnet werden. Durch einen abgestimmten Modus bei den Einstellungen in den Vorbereitungsdienst ist gewährleistet , dass alle Schulen in den Regierungsbezirken nacheinander für jeweils zwei Schulhalbjahre vom selbstständigen Unterricht der LAA profitieren können. 1. In jeweils welchem Stellen- und BdU-Stundenumfang sind die einzelnen Essener Gymnasien und Realschulen konkret ab Anfang 2013 vom Abzug der Referendarstellen betroffen? (bitte schulscharfe Angabe des entfallenen BdUStundenumfangs ) Die LAA sind während der gesamten 18-monatigen Ausbildungsdauer an ihrer jeweiligen Ausbildungsschule und erteilen durchgängig 14 Wochenstunden Ausbildungsunterricht. Es werden keine Referendarstellen abgezogen. Der Umfang des selbstständigen Unterrichts der LAA korreliert mit der Zahl der LAA einer Schule. Die Gymnasien sind insgesamt aufgrund hoher LAA-Zahlen im Lehramt Gymnasium / Gesamtschule stark in Ausbildungsaufgaben eingebunden. Daten über einzelne Schulen liegen nicht vor. Die anlassbezogene Erhebung dieser Daten über die zuständige Schulaufsicht würde den im Rahmen der Beantwortung von Kleinen Anfragen leistbaren Arbeitsaufwand übersteigen. 2. Wie sieht unabhängig von der Problematik des BdU-Entfalls derzeit die personel- le Versorgung der jeweiligen Schulformen im Essener Schulamtsbezirk aus? Der Stellenbedarf und die Personalausstattung können, gegliedert nach Schulform, der nachfolgenden Übersicht entnommen werden. Der Stellenbedarf und die Personalausstattung wurden mit der IT-Anwendung „Schulinformations- und Planungssystem – SchIPS“ ermittelt (Stand 08.10.2012). Bei der Bewertung der Unterrichtsversorgung ist auf Folgendes hinzuweisen: Grundsätzlich bedeutet eine gegenüber dem sich rechnerisch ergebenden Stellenbedarf zu geringe Personalausstattung an einzelnen Schulen nicht automatisch, dass der Unterrichtsbedarf dieser Schule nicht gedeckt werden kann. Vielmehr kann die Schulaufsicht vor Ort bestehende Besonderheiten (z.B. im Hinblick auf die Alters- bzw. Schwerbehindertenermäßigung ) im Rahmen der Personalzuweisung berücksichtigen. Auf der anderen Seite bedeutet eine sich gegenüber dem rechnerisch ergebenden Stellenbedarf zu hohe Personalausstattung an einzelnen Schulen nicht automatisch eine Überversorgung dieser Schule. Bei der Interpretation der Daten aus SchIPS ist ferner zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um eine stichtagsbezogene Momentaufnahme handelt und die Unterrichtsversorgung einzelner Schulen daher nicht immer vollständig abgebildet werden kann. Alle sich noch in Bearbeitung befindlichen Vorgänge, wie z. B. Veränderungen in der Personalzuweisung, Neueinstellungen, Pensionierungen, Beginn oder Beendigung von Erziehungsurlaub, Elternzeit oder Altersteilzeit, Beurlaubungen, Veränderungen im Beschäftigungsumfang etc. können in einer stichtagsbezogenen Abfrage nicht berücksichtigt werden. Eine manuelle Kontrolle der zum Stichtag 08.10.2012 in SchIPS schulscharf erfassten Daten durch die Bezirksre- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1251 4 gierungen würde einen innerhalb des für die Beantwortung von Kleinen Anfragen zur Verfügung stehenden Zeitraums nicht zu leistenden Arbeitsaufwand verursachen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass den Schulen landesweit zusätzliches Personal im Umfang von rund 1.400 Stellen zur Verfügung steht, das in SchIPS nicht bei der Personalausstattung der jeweiligen Schule erfasst wird. Hierzu zählen beispielsweise die Vertretungsreserve Grundschule, Lehrkräfte für den herkunftssprachlichen Unterricht oder Schulpsychologen . Obwohl dieses Personal nicht bei der Personalausstattung der einzelnen Schule verbucht wird, verbessert es deren Personalsituation. Wegen der im Übrigen bei der Interpretation der SchIPS-Daten zu beachtenden Besonderheiten wird exemplarisch auf die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3216 der Abgeordneten Marlies Stotz, SPD, verwiesen (vgl. LT-Drucksache 14/9153 vom 04.05.2009). 3. Welche konkreten Fächer sind derzeit im Zuständigkeitsbereich des Essener Schulamts als Mangelfächer für die jeweiligen weiterführenden Schulformen bekannt ? Der fächerspezifische Lehrkräftebedarf wird vom Ministerium für Schule und Weiterbildung nur auf Landesebene lehramtsbezogen und nicht für einzelne Schulformen prognostiziert. In der Sekundarstufe I ist gemessen an den voraussichtlichen Bewerberzahlen ein erhöhter Bedarf in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik, aber auch Chemie, Französisch, Informatik, Kunst, Musik, Physik, Sozialwissenschaften (Politik) und Sport zu verzeichnen. Insgesamt ist das Angebot an Lehrkräften in der Sekundarstufe II (allgemein bildend) zwar mehr als ausreichend, um den Bedarf zu decken, eine Ausnahme sind jedoch die Fächer Mathematik, Physik, Informatik, Latein, Kunst und Musik. Grund- und Ausgleichs- bedarf Unterrichts- mehrbedarf insgesamt Grundschule 853,27 140,23 993,50 1.016,40 Hauptschule 117,90 53,28 171,18 190,93 Realschule 338,09 20,71 358,80 359,89 Gesamtschule 544,93 120,26 665,19 656,70 Gymnasium 926,29 39,87 966,15 976,21 Förderschule 621,85 91,09 712,94 744,77 Weiterbildungskolleg 46,75 - 46,75 52,25 Berufskolleg 657,75 9,18 666,92 677,61 Schulform Stellenbedarf und Personalausstattung der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen - Stadt Essen (Stand 08.10.2012) - Personal- ausstattung Stellenbedarf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/1251 5 Die fächerspezifische Situation im Zuständigkeitsbereich des Essener Schulamts weicht nicht signifikant von den übrigen Regionen im Land Nordrhein-Westfalen ab. 4. Welche konkrete Unterstützungsleistung lässt die Landesregierung den von den dargestellten Auswirkungen betroffenen Essener Schulen im kommenden Schulhalbjahr zuverlässig zukommen, damit kein Unterrichtsausfall entsteht? Die Gesamtmenge des selbstständig erteilten Unterrichts an den Schulen bleibt von der Verkürzung des Vorbereitungsdienstes unberührt. Dies gilt im Grundsatz auch für jede einzelne Schule, in der auf zwei Schulhalbjahre mit gemessen an der Anrechnung erhöhtem Aufkommen an selbstständig erteiltem Unterricht regelmäßig ein Schulhalbjahr ohne selbstständig erteilten Unterricht folgt. Diesen langfristig bekannten Schwankungen in der Unterrichtserteilung kann gezielt gegengesteuert werden. Es ist sichergestellt, dass zu jedem Einstellungstermin in jedem Regierungsbezirk LAA neu aufgenommen werden. Dadurch profitieren nicht nur alle Landesteile von der Lehrerausbildung; in jedem Regierungsbezirk ist zudem für jedes Lehramt und für jede beteiligte Schulform dauerhaft ein konstanter Ertrag an selbstständig erteiltem Unterricht gewährleistet, der von der Schulaufsicht bei der Personalplanung im Bezirk berücksichtigt und im Interesse der Schulen auch genutzt werden wird. In Verbindung mit den flexiblen Möglichkeiten, die zudem jeder Schul-leiterin und jedem Schulleiter zur Gestaltung von Stundenplänen und im Einsatz der beschäftigten Lehrkräfte gegeben sind, lassen sich die lange im Voraus absehbaren, regelmäßigen temporären Schwankungen in der Unterrichtserteilung der Schule ausgleichen. 5. Wie passt die Landesregierung im Einzelnen die Personalplanungen und - zuweisungen für Essener Schulen im kommenden Schuljahr 2013/2014 an, um Unterrichtsausfall als Folge der neuen Prüfungsverordnung für Lehrämter von vornherein zu verhindern? Mit dem verkürzten und neu strukturierten Vorbereitungsdienst, der erstmalig am 01.11.2011 begonnen hat, machen alle Beteiligten derzeit erste Erfahrungen. Dies erklärt auch die aktuell an einigen Schulen festzustellenden Verunsicherungen. Die Gymnasien haben zudem die Herausforderung des doppelten Abiturjahrgangs zu bewältigen. Die vom Verordnungsgeber vorgesehenen Einstellungstermine des Vorbereitungsdienstes lassen eine langfristige und vorausschauende Personalplanung der Schulen und der Schulaufsicht zu, so dass die Unterrichtserteilung dauerhaft gesichert werden kann.