LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12567 25.07.2016 Datum des Originals: 22.07.2016/Ausgegeben: 28.07.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4900 vom 21. Juni 2016 der Abgeordneten Claudia Middendorf CDU Drucksache 16/12318 Ist Durchblick eine Frage des Geldbeutels - was, wenn man sich keine Brille leisten kann? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Gesetzgeber hat 2004 die Zuschüsse für Sehhilfen aus dem SGB V weitgehend gestrichen . Finanzielle Unterstützung bei Brillen wird nur noch bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren und danach nur bei einer Sehbeeinträchtigung der Stufe 1 auf beiden Augen gewährt . Der Großteil der Bevölkerung hat unabhängig vom Haushaltsbudget keinen Anspruch auf Gelder für eine Sehhilfe. Dies führt dazu, dass gerade Menschen, die wenig Geld zur Verfügung haben, die Kosten für eine Brille nur schwerlich aufbringen können. Betroffen sind vor allem ALG II-Bezieher, Menschen, die unter rechtlicher Betreuung stehen, Asylbewerber und vor allem auch ältere Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen. Einige Sozialverbände, unter anderem die Vinzenz-Konferenzen im Erzbistum Paderborn, unterstützen mit ihrem Projekt „Den Durchblick behalten“ diese Menschen mit geringem Einkommen beim Kauf einer Sehhilfe und setzen sich dafür ein, dass die politisch Verantwortlichen, sich mit diesem Thema beschäftigen. Die Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter hat die Kleine Anfrage 4900 mit Schreiben vom 22. Juli 2016 namens der Landdesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Mit dem zum 01.01.2004 in Kraft getretenen Gesetz zur Modernisierung in der gesetzlichen Krankenversicherung wurden seinerzeit die Versicherten mit vermehrten Zuzahlungspflichten und Eigenleistungen belastet. Unter anderem wurden auch die Sehhilfen weitgehend aus dem gesetzlichen Leistungskatalog herausgenommen und sind seitdem nur noch bei schweren LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12567 2 Sehbeeinträchtigungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig . Die Zuzahlungsregelungen und Leistungskürzungen wurden damals für erforderlich gehalten , um den stetig steigenden Beitragssätzen und Defiziten in der GKV entgegenzusteuern. Eine Rückkehr zur alten Rechtslage bedürfte einer Mehrheit auf der Bundesebene. 1. Welche Projekte seitens der Landesregierung stellen sicher, dass Menschen mit geringem Einkommen oder ältere Menschen nicht aufgrund einer Seheinschränkung gefährdet sind (Sturzgefahr; Arbeitseinschränkung u.Ä.)? Keine. Das Land kann Leistungskürzungen auf Bundesebene nicht kompensieren. Die Landesregierung fördert und unterstützt aber Maßnahmen zur Sturz-Prophylaxe für ältere Menschen (siehe hierzu auch Antwort auf Frage 2). 2. In welcher Form ist das Landeszentrum für Gesundheit, das einen gesetzlichen Beratungs - und Unterstützungsauftrag hat, dem es u.a. mit dem Präventionskonzept NRW und der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Nordrhein- Westfalen nachkommt, mit dem Thema befasst? Zur Unterstützung älterer Mitbürgerinnen und Mitbürger hat das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW) eine online-gestützte „Planungshilfe für die Umsetzung von Maßnahmen zur Vermeidung von Stürzen und Sturzfolgen für in der Gemeinde lebende Seniorinnen und Senioren in NRW“ veröffentlicht. Die Planungshilfe (vorrangig für professionelle Beratungen) für eine sichere Wohnraumgestaltung vermittelt u.a. Tipps für einen stolperfreien Wohnraum, Anleitungen für sicheres Verhalten in der Wohnung sowie Informationen über Anlaufstellen in Nordrhein-Westfalen bei Fragen rund um die Wohnraumgestaltung. Von diesen Maßnahmen und Hinweisen profitieren auch Menschen mit Sehbehinderungen. Im Rahmen des Präventionskonzeptes Nordrhein-Westfalen und der Landesinitiative „Sturzprävention bei Seniorinnen und Senioren“ entwickelten und bündeln verantwortliche Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens Handlungsstrategien, Initiativen und Projekte zur Förderung von Sicherheit, Selbstständigkeit und Mobilität im Alter sowohl im stationären Bereich und auch im kommunalen Raum. Das LZG.NRW unterstützt die Umsetzung dieses Konzeptes . Mit dem "Landesbutton – Sturzpräventive Pflegeeinrichtung und Prämierung von Best- Practice-Einrichtungen" wurden Heime, Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen in Nordrhein- Westfalen herausgestellt, die eine gute Sturzprophylaxe implementiert haben (rd. 100 Einrichtungen seit 2008). Auch von diesen Maßnahmen profitieren sehbehinderte ältere Menschen. Die „Koordinierungsstelle gesundheitliche Chancengleichheit“ (KgC) befasst sich vor allem mit den Themen „Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen“, „Gesundheitsförderung und Migration“, „Gesundheitsförderung im Alter“ sowie dem Querschnittsthema „Qualitätsentwicklung in der Gesundheitsförderung“. Zum Thema „Gesundheitsförderung im Alter“ hat die KgC u.a. einen kommunalen Praxisdialog „Wohnen im Alter“ initiiert (Leben im Quartier, in der eigenen häuslichen Wohnumgebung, div. Hilfestellungen; Zielgruppe: Multiplikatoren). Die thematisierten Aspekte sind grundsätzlich auch für sehbehinderte ältere Menschen relevant. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12567 3 3. Welche Daten und Fakten gibt es zu Sehbeeinträchtigungen der Bevölkerung in NRW? Informationen zu Sehbeeinträchtigungen in der nordrhein-westfälischen Bevölkerung können aus drei Datenquellen der Gesundheitsberichterstattung entnommen werden. 1. Daten des nationalen Telefonsurveys GEDA 2012 (Gesundheit in Deutschland Aktuell) In der GEDA-Befragung des Robert Koch-Instituts wurden 4.172 deutschsprachige Erwachsene aus Nordrhein-Westfalen zwischen März 2012 und März 2013 befragt mit folgenden Ergebnissen : 72,5 % der Befragten haben eine Brille oder Kontaktlinsen (Frauen 76,3%, Männer 68,3%). Mit dem Alter steigt der Anteil an Personen, die eine Brille oder Kontaktlinsen haben: Altersgruppe 18-29 Jahre = 43,8% Altersgruppe 40-49 Jahre = 62,8% Altersgruppe 60-69 Jahre = 96,2%. Der Anteil der Befragten mit einer Brille oder Kontaktlinsen steigt mit dem sozioökonomischen Status: Er betrug bei Befragten mit niedrigem sozioökonomischen Status 69,4%, bei mittlerem 71,2% und bei hohem sozioökonomischen Status 79,1%. Ergebnis einer zusätzlichen Befragung zur Beurteilung der Sehfähigkeit (ggf. auch mit Sehhilfe Schwierigkeiten beim Lesen des Gedruckten in der Zeitung haben, Probleme, das Gesicht einer Person in vier Meter Entfernung zu erkennen): 76,9 % = keine Sehbeeinträchtigungen (mit oder ohne Sehhilfe), 19,9% = (ggf. trotz Sehhilfe) leichte Schwierigkeiten beim Sehen, 1,9% u. 1,2% = starke Sehbeeinträchtigungen oder kein Sehvermögen. Frauen (21,3%) schildern häufiger leichte Sehschwierigkeiten als Männer (18,4%). Der Anteil der Personen mit mindestens leichten Sehschwierigkeiten (ggf. trotz Sehhilfe) nimmt mit dem Alter zu: Von 13,1% (18-29 Jahre) über 24,0% (40-49 Jahre) auf 28,3% (70-79 Jahre). Die Sehfähigkeit (ggf. mit Sehhilfe) unterscheidet sich zudem nach dem sozio-ökonomischen Status . Mindestens leichte Schwierigkeiten schildern 33,4% mit niedrigem, 22,0% mit mittlerem und 16,0% mit hohem sozioökonomischem Status. 2. Ambulante Daten zur Häufigkeit von Sehbeeinträchtigungen in NRW Aus „Statistik der Behandlungsdiagnosen der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe“, 2014: 3.213.411 Personen mit Diagnose „Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler (Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit etc.)“ in ambulanter ärztlicher Behandlung (1.908.451 Frauen und 1.304.960 Männer). 166.003 Personen mit Diagnose „Blindheit und Sehschwäche“ in ärztlicher Behandlung . Bezogen auf die Bevölkerung sind rund 18% wegen Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehlern in ambulanter ärztlicher Behandlung (21% der Frauen und 15% der Männer). Bei diesen Angaben fehlen die Zahlen der Privatversicherten (ca. 10% der Bevölkerung), so dass von einer Unterschätzung ausgegangen werden muss. Weiterhin ist davon auszugehen, dass LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12567 4 nahezu alle Patientinnen und Patienten mit dieser Diagnose auch eine Sehhilfe verordnet bekommen . Ein erheblicher Anteil aller Sehhilfen wird inzwischen direkt über den Optiker, das Internet und ähnliche Quellen - also ohne ärztliche Verordnung - erworben. Zwischen 2005 und 2014 ist die Zahl der ambulanten Behandlungen wegen Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehlern in NRW minimal (um 2,5%) angestiegen (von 3.134.957 auf 3.213.411 Fälle). 3. Einschulungsuntersuchungen Ergebnis der Einschulungsuntersuchungen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2014: 19,5 % der Kinder = Feststellung einer Fehlsichtigkeit, o davon rund etwa 50 % (9,8 %) augenärztlich ausreichend (ggf. mit einer Sehhilfe ) versorgt. o Für die andere Hälfte der Kinder (9,7 %) initiierte der schulärztliche Dienst des örtlichen Gesundheitsamtes eine augenärztliche Kontrolluntersuchung. Kinder aus prekären Lebenszusammenhängen (Arbeitslosigkeit von mindestens einem Elternteil und/oder Bezug von SGB II Leistungen) waren mit 23,4 % häufiger von einer Herabsetzung der Sehschärfe betroffen. 13,5% der Kinder dieser Gruppe waren bereits in augenärztlicher Behandlung. Bei 9,9% war die Fehlsichtigkeit noch nicht oder nicht ausreichend augenärztlich versorgt, sodass eine augenärztliche Kontrolluntersuchung initiiert werden musste. 4. Für wie viele Menschen in Nordrhein-Westfalen ist das Tragen einer Sehhilfe zwingend erforderlich? Hierzu liegen der Landesregierung keine Daten vor. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12567