LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12655 08.08.2016 Datum des Originals: 08.08.2016/Ausgegeben: 11.08.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4911 vom 30. Juni 2016 des Abgeordneten Daniel Sieveke CDU Drucksache 16/12417 Hat die Landesregierung auch die sogenannten „legalistischen Islamisten“ und andere islamische Extremisten im Fokus? Wortlaut der Kleinen Anfrage Das rasante Wachstum der Salafisten-Szene in Deutschland ist zuletzt wiederholt Thema von Presseberichten (vgl. z. B. Focus vom 25.06.2016) und politischer Diskussionen gewesen und hält offenbar an. Nordrhein-Westfalen ist in dieser Entwicklung leider Spitzenreiter, wobei sich die Dynamik zwischen 2014 und 2015 noch einmal gesteigert hat. Insbesondere drei islamische Vereine mit Sitz in NRW tauchen in Publikationen von Verfassungsschutzämtern der Länder oder des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf oder weisen nach Medienrecherchen konkrete Verbindungen zu Islamisten, Salafisten oder ideologisch anders orientierten Extremisten mit islamischem Hintergrund auf. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung wird somit teilweise im organisatorischen Rahmen legaler eingetragener Vereine zur Disposition gestellt. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4911 mit Schreiben vom 8. August 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. 1. Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) mit Sitz in Köln taucht in Publikationen des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf als ein Ableger der Ägyptischen Muslimbruderschaft mit Zielen, die nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Laut NRW-Verfassungsschutzbericht 2014 steht die Organisation in Nordrhein-Westfalen unter Beobachtung: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12655 2 Wie ist der aktuelle Sachstand bzgl. Aktivisten, fraglichen Veröffentlichungen, Finanzierung und islamistischen Aktivitäten im Allgemeinen? Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) hat seit 2010 ihren Sitz in Köln und gehört zu den Gründungsmitgliedern der Föderation islamischer Organisationen in Europa (FIOE). Die ist Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Dies gilt ebenso für die ATIB und das IZA (vgl. Fragen 2 und 3). Die FIOE gilt als das europäische Sammelbecken für Organisationen der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft (MB), die heute die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung des modernen politischen Islams ist. Sie ist nach eigenen Angaben in 70 Ländern weltweit vertreten. In Nordrhein-Westfalen sind neben der IGD in verschiedenen Städten Vereine mit angeschlossenen Moscheen ansässig, die eine Nähe zur Ideologie der Muslimbruderschaft aufweisen. Die Einrichtungen finanzieren sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen sowie dem Verkauf von Publikationen. Hier war vor allem die Print-Ausgabe von "Al-Islam" zu nennen, die jedoch seit geraumer Zeit nur als Web-Version verfügbar ist. Am 13. Dezember 2015 fand in Berlin die 34. IGD-Jahreskonferenz statt. Die Veranstaltung stand im Zeichen der Flüchtlingsproblematik und beschäftigte sich mit Chancen und Herausforderungen der hier lebenden Muslime, sich in diesem Themenbereich einzubringen. Öffentliche Aktivitäten dieser Einrichtungen sind allerdings nur gelegentlich bei größeren Veranstaltungen feststellbar. Dort sind die Verlautbarungen gemäßigt. Vertreter der Organisationen weisen immer wieder darauf hin, dass hier lebende Muslime sich vom islamistischen Terrorismus zu distanzieren und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zu beachten haben. 2. Die Union der Türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATIB), ebenfalls mit Sitz in Köln, steht nachgewiesener Weise den „Grauen Wölfen“ nahe (z. B. Bayerisches Innenministerium 2015), leugnet auf ihrer Homepage den Völkermord von 1915 in der Türkei, spricht sich für die Beschneidung von Jungen im Widerspruch zu deutscher Rechtsprechung aus und verfolgt ein religiös-nationalistisches Leitbild: Wie ist der aktuelle Sachstand bzgl. Aktivisten, fraglichen Veröffentlichungen, Finanzierung und extremistischen Aktivitäten im Allgemeinen? Die "Union der türkisch-islamischen Kulturvereine in Europa" ("Avrupa Türk Islam Birligi" - ATIB), vertritt auch die Ziele der Ülkücü-Bewegung ("Graue Wölfe"). Sie wurde 1987 als Abspaltung von der ADÜTDF ("Föderation der Demokratischen Türkischen Idealistenvereine") gegründet. Während die ADÜTDF in ihrer Auslegung der Ülkücü-Ideologie dem Türkentum einen wesentlich höheren Stellenwert einräumt, betont die ATIB den Islam als prägendes Leitmotiv . Die ATIB ist in der Bundesrepublik Deutschland mit zahlreichen Vereinen vertreten, die sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren. Besonders im Ruhrgebiet und auf der Rheinschiene sind Aktivisten bzw. Anhänger der ATIB feststellbar. 3. Dem Islamischen Zentrum Aachen e. V. (IZA) wurde kürzlich durch Recherchen der ZEIT (02.06.2016) eine konkrete Verbindung zu salafistischen Aktivitäten nachgewiesen : Liegen hierzu weitere Erkenntnisse auch der Landesregierung bzw. dem NRW-Verfassungsschutz vor? Das Islamische Zentrum Aachen e.V. stand in der Zeit von 1981 bis ca. 2009 dem syrischen Zweig der islamistischen Muslimbruderschaft nahe. In öffentlichen Veranstaltungen bemühte LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12655 3 sich der Verein jedoch stets, gemäßigt und dialogbereit zu erscheinen. Das IZA ist heute nicht mehr Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes, da keine relevante Unterstützung der MB mehr feststellbar ist. Weitere Erkenntnisse in Bezug auf die vom Fragesteller angesprochenen Recherchen der ZEIT liegen der Landesregierung nicht vor. 4. Ist der Landesregierung bekannt, ob Absolventen, Mitarbeiter o. ä. des im französischen Saint-Leger-de-Fougeret gelegenen „IESH Château Chinon“ in islamischen Gemeinden NRWs tätig sind? Das Schulungsinstitut „IESH Château Chinon“ in Frankreich ist dem Verfassungsschutz NRW mit seinen Bezügen zu islamistischen Gruppierungen, die dem legalistischen Spektrum zugeordnet werden, bekannt. Personen mit Bezügen zum "IESH Château Chinon" sind auch in NRW tätig geworden. 5. Hat die Landesregierung Kenntnisse darüber, ob Mitglieder der ehemaligen Syrischen Muslimbruderschaft in NRW aktiv sind? Die "Islamischen Avantgarden" als ehemalige Vertreter des Ablegers der Syrischen Muslimbruderschaft in NRW, die ihren Sitz im 'Islamischen Zentrums Aachen e.V.' hatten, sind heute kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes NRW. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12655