LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12712 17.08.2016 Datum des Originals: 17.08.2016/Ausgegeben: 22.08.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4971 vom 19. Juli 2016 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/12556 Registrierung und erkennungsdienstliche Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden Wortlaut der Kleinen Anfrage Durch den hohen Flüchtlingszustrom im vergangenen Jahr sind vielerorts Registrierung und sofortige Antragstellung von Asylsuchenden unterblieben, so dass in vielen Fällen Asylsuchende bereits in den Kommunen leben. Dadurch fehlten dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in diesen Fällen häufig ladungsfähige Anschriften der Asylsuchenden. Hierfür ist ursächlich, dass das Land Nordrhein-Westfalen zahlreiche Personen bereits vor der Antragstellung aus den über 200 Notunterkünften des Landes in die Kommunen verteilt hatte. Diese können dadurch nicht so leicht in das Verfahren genommen werden. Im Rahmen einer daraufhin durchgeführten Abfrage des Ministeriums für Inneres und Kommunales bei den Ausländerbehörden der Kommunen teilten diese mit, dass sich ca. 109.000 Flüchtlinge in den Kommunen aufhalten, die noch nicht erkennungsdienstlich behandelt wurden und noch keinen Antrag beim BAMF gestellt haben. Das sind immerhin die Hälfte der im letzten Jahr in NRW aufgenommenen Flüchtlinge, in keinem anderen Bundesland sind die Zahlen so dramatisch. Mit dem daraufhin aufgelegten Konzept über die Zuführung der Flüchtlinge zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollen die beiden Ziele, die vollständige und schnellstmögliche erkennungsdienstliche Behandlung (ED-Behandlung) und Sicherstellung der Asylantragstellung beim BAMF aller sich in Nordrhein-Westfalen aufhaltenden Flüchtlinge, erreicht werden. Alle neuankommenden und in den Landesaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Asylsuchenden sind ED-behandelt und haben den formalen Asylantrag gestellt. Ein ähnliches Defizit erscheint auch bei der Registrierung und erkennungsdienstlichen Behandlung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden vorzuliegen. Aufgrund der bestehenden Kapazitäten, konnte nicht in jedem Fall die Registrierung und erkennungsdienstliche Behandlung von minderjährigen unbegleiteten Asylsuchenden gewährleistet werden. Für alle LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12712 2 neueinreisenden UMAs galt die klare Rechtsgrundlage des Datenaustauschverbesserungsgesetzes , auch wenn an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kein Ankunftsnachweis ausgestellt wird, da sich für diesen Personenkreis der Verfahrensablauf deutlich anders gestaltet. Unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche werden vorläufig in Obhut genommen und entsprechend untergebracht – und nicht in einer Aufnahmeeinrichtung. In diesen Fällen ist ein Asylantrag auch nicht bei einer Außenstelle des Bundesamtes, sondern bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen (vgl. § 14 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 AsylG). Ein UMA selbst kann jedoch ohne rechtlichen Vertreter selbst mangels Verfahrensfähigkeit zunächst kein wirksames Asylgesuch stellen. Dieses bzw. ein Asylantrag kann also erst gestellt werden, wenn er (vorläufig) in Obhut genommen wurde (durch das Jugendamt als Vertreter i.S.d. § 42a Absatz 3 Satz 1 bzw. § 42 Absatz 2 Satz 4 SGB VIII) oder von einem Vormund vertreten wird (vgl. § 42 Absatz 3 Satz 4 SGB VIII). Diejenigen unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden, die bei der Zentrale des Bundesamtes einen Asylantrag gestellt haben, erhalten eine Bescheinigung über eine Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylG und bedürfen daher keines AKN mehr. Soweit rechtlich zulässig, werden die zur Identifizierung erforderlichen (erkennungsdienstlichen ) Daten von Minderjährigen, deren unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird, erhoben und zentral im AZR gespeichert. Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4971 mit Schreiben vom 17. August 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport beantwortet. 1. Wie beurteilt die Landesregierung das Problem von noch nicht registrierten bzw. erkennungsdienstlich behandelten unbegleiteten minderjährigen Asylsuchende in Nordrhein-Westfalen? 2. Wie soll die vollständige und schnellstmögliche erkennungsdienstliche Behandlung (ED-Behandlung) bzw. Registrierung aller unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge erreicht werden? Die erkennungsdienstliche Behandlung zur Identitätssicherung ist auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im öffentlichen Interesse geboten und den zuständigen Behörden rechtlich bindend vorgegeben. Um die erkennungsdienstliche Behandlung aller unbegleiteten Minderjährigen nach § 49 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zu erreichen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Stellen erforderlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine asylrechtliche ED-Behandlung bei unbegleiteten Minderjährigen überwiegend zunächst nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu auch Antwort auf Frage 3). Das Bundesministerium des Innern prüft derzeit auf Anregung der nordrhein-westfälischen Landesregierung, ob die zur Registrierung und ED-Behandlung von Asylsuchenden zur Verfügung stehenden Personalinfrastrukturkomponenten (PIK) technisch so angepasst werden können, dass sie auch für die Identitätssicherung nach § 49 AufenthG genutzt werden können. Zurzeit wird über die PIK automatisch eine Erfassung als Asylsuchende/r beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge generiert. Sollte die technische Anpassung erfolgen können, wäre im Wege der Amtshilfe eine wirksame zusätzliche Unterstützung durch die Registrierstellen der Landes-Aufnahmeeinrichtungen bei der Nacherfassung noch nicht registrierter unbegleiteter Minderjähriger möglich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12712 3 3. Wie stellt sich der Verfahrensablauf der ED-Behandlung von neu eingereisten unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden im Einzelnen dar (bitte nach über und unter 14-Jährigen unterscheiden)? Unbegleitete Minderjährige können nicht selbst rechtswirksam um Asyl nachsuchen oder einen Asylantrag stellen. Sobald ihre unbegleitete Einreise nach Deutschland festgestellt wird, ist das örtlich zuständige Jugendamt einzuschalten. Ein Asylantrag kann durch das Jugendamt als rechtliche Vertretung des unbegleiteten Minderjährigen während der vorläufigen Inobhutnahme nach § 42a Absatz 3 Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sowie der Inobhutnahme (§ 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 SGB VIII) erfolgen. In der Regel wird eine sachgerechte Entscheidung über die Stellung eines Asylantrags jedoch erst nach Beendigung des jugendhilferechtlichen Clearingverfahrens möglich sein und damit nach Bestellung durch den Vormund erfolgen. Eine (asylrechtliche) Registrierung und ED-Behandlung in den Aufnahmeeinrichtungen und Registrierzentren des Landes kommt daher überwiegend zunächst nicht in Betracht. Das zuständige Jugendamt unterrichtet vielmehr die örtliche Ausländerbehörde über die (vorläufige) Inobhutnahme eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings. Die Ausländerbehörde nimmt die Erfassung im Ausländerzentralregister vor und veranlasst die erkennungsdienstliche Behandlung . Es dürfen grundsätzlich nur Lichtbilder und Abdrucke aller zehn Finger aufgenommen werden; soweit die betreffende Person das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dürfen nur Lichtbilder aufgenommen werden (§ 49 Absätze 8 und 9 AufenthG, § 16 Absatz 1 Asylgesetz - AsylG). Bei Zweifeln am angegebenen Alter nimmt das zuständige Jugendamt eine Altersbestimmung vor. 4. Mit welchen Maßnahmen wird bei der Durchführung der ED-Behandlung dem besonderen Schutz- und Fürsorgebedürfnis der Betroffenen und den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention Rechnung getragen? Zum Zeitpunkt der erkennungsdienstlichen Behandlung sind die unbegleiteten Minderjährigen bereits nach Jugendhilferecht (vorläufig) in Obhut genommen worden. Hierdurch kann dem besonderen Schutz- und Fürsorgebedürfnis der Betroffenen und den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention angemessen Rechnung getragen werden. Bei ihrer Vorsprache werden sie grundsätzlich von einem Betreuer oder einer Betreuerin der Jugendhilfeeinrichtung oder von ihrem Vormund begleitet. 5. Nach welchen rechtlichen und verwaltungsinternen Vorgaben und Anweisungen richten sich Zuständigkeiten und Ablauf von erkennungsdienstlichen (ED-) Behandlungen nach der Einreise von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMA) in Nordrhein-Westfalen? Die rechtliche Verpflichtung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach § 49 AufenthG und § 16 Absatz 1 AsylG besteht für die zuständigen Behörden auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12712 4 Die Zuständigkeit für erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 49 AufenthG ergibt sich aus § 71 Absatz 4 AufenthG; im Asylverfahren ist die Identitätssicherung durch die nach § 16 Absatz 2 AsylG bestimmten Behörden vorzunehmen. Mit Erlass des Ministerium für Inneres und Kommunales vom 23. November 2015 -122.4- 39.18.03-10-315- wurde festgelegt, dass die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde sich jeweils am jugendhilferechtlich bestimmten Unterbringungsort orientiert. § 49 Absatz 10 AufenthG und § 15 Absatz 2 Nr. 7 AsylG legen den Betroffenen die Verpflichtung auf, die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden. Im Übrigen wird auf die Antwort auf Frage 3 verwiesen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12712