LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12716 18.08.2016 Datum des Originals: 17.08.2016/Ausgegeben: 23.08.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4944 vom 10. Juli 2016 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/12479 Entwicklung der jährlichen Steuereinnahmen in der Stadt Essen – In welcher Höhe belastet die öffentliche Hand die Bürger und Unternehmen in der Stadt Essen finanziell? Wortlaut der Kleinen Anfrage In diesen Tagen können die Bürger einmal mehr einen denkwürdigen Feiertag begehen: den sogenannten Steuerzahlertag. Ab diesem Tag in jedem Jahr verdienen die Deutschen ihr Geld durchschnittlich für das eigene Konto und wirtschaften nicht länger nur für die Staatskasse. Der Gedenktag, der vom Bund der Steuerzahler jährlich berechnet wird, verdeutlicht, welch kleiner Rest des eigenen Einkommens nach Steuern und Abgaben vom Jahresbrutto noch übrigbleibt. Was sich die Bürger bis dahin durchschnittlich an Lohn erarbeitet haben, müssen sie für Steuern und Sozialabgaben berappen. Rechnerisch fallen die eigenen Nettoerträge nach dieser Rechnung erst ab diesem Zeitpunkt an. Je später im Jahr der Gedenktag liegt, desto mehr vom Brutto fließt also an den Staat – und desto weniger Netto bleibt übrig. Im Jahr 1960 war der Stichtag noch der 1. Juni. Seitdem verschiebt er sich zumeist, bis auf wenige Ausnahmen, auf immer spätere Daten im Jahr. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Bürger immer größere Anteile ihres Einkommens an den Staat abführen müssen und immer weniger von ihrem Einkommen netto für sich behalten können. Diese Entwicklung ist leistungsfeindlich. Dass der Steuerzahlertag 2016 so spät im Jahr liegt, macht deutlich, dass eine steuerliche Entlastung insbesondere mittlerer Einkommen dringend angezeigt ist, zumal unser Land mit einer Steuer- und Abgabenquote von rund 50 Prozent zu den drei gierigsten OECD-Staaten gehört. Die durchschnittliche Steuerbelastung in den OECD-Staaten liegt bei gerade rund 36 Prozent. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12716 2 Während die öffentliche Hand von hohen Steuereinnahmerekorden und den de facto fast abgeschafften Zinsen profitiert, erfahren Bürger und Unternehmen in unserem Land leider bislang kaum Entlastung. Ganz im Gegenteil: Nordrhein-Westfalen hat sogar in den letzten Jahren mehrfach weiter an der Steuerschraube gedreht und den Grunderwerbsteuersatz auf nunmehr 6,5 Prozentpunkte erhöht und damit fast verdoppelt. Hierdurch belegt Nordrhein-Westfalen den bundesweit negativen Spitzenplatz in Sachen Besteuerung von Wohneigentum und hemmt die private Eigentumsbildung sowie Alterssicherung. Dies trifft insbesondere junge Familien hart. Gleichzeitig erhöhen viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen kräftig die Grundsteuer B – für zahlreiche Mieter und Eigentümer haben sich damit die Belastungen aus der Grundsteuer in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. Nirgendwo in ganz Deutschland liegt die aktuelle Grundsteuerbelastung höher als in Nordrhein-Westfalen. Auch auf Bundesebene werden die Interessen des Steuerzahlers stets ignoriert. Mittlerweile besteht ein politischer Konsens aller Fraktionen von der CDU bis zur Linken im Bundestag, das Solidaritätszuschlagsaufkommen auch über das Jahr 2020 hinaus zu verlängern. Die politische Diskussion dreht sich nicht mehr darum, ob drei Jahrzehnte nach der Vereinigung weiterhin ein Sonderzuschlag auf die Einkommensteuer gezahlt werden soll. Die Diskussion geht vielmehr darum, welche staatliche Ebene zukünftig ein wie großes Stück vom Soli-Kuchen erhalten soll. Auch beim Thema heimliche Steuererhöhungen durch die kalte Progression agiert die Politik unredlich: Zum 1. Januar 2016 wird eine Entlastung – oder vielmehr der Verzicht auf derlei heimliche Steuererhöhungen – von 1,5 Mrd. Euro angekündigt. Der Einkommensteuertarif soll an die Auswirkungen der kalten Progression angepasst werden. Tatsächlich belaufen sich die erwarteten Einnahmen aus der kalten Progression im Jahr 2016 jedoch auf über 9 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Seit der letzten umfangreichen Anpassung des Steuertarifs im Jahr 2010 summieren sich somit beachtliche Summen an Steuermehrbelastungen. Dieser Einbehalt des Arbeitslohns macht Arbeit teuer und Leistung unattraktiv. Auch die SPD-Landtagsfraktion will aktuell wieder einmal kräftig an der Steuerschraube zum Nachteil der Bürger und Unternehmen drehen. In einem steuerpolitischen Positionspapier setzt sich die SPD-Landtagsfraktion zum Beispiel für die Anhebung des Spitzensteuersatzes, eine höhere Schenkungsteuer, eine höhere Erbschaftsteuer oder die höhere Besteuerung von Kapitalerträgen ein. Vor dem Hintergrund des bereits heute enormen Belastungsgrades für die Bürger ist es für die Politik und Öffentlichkeit von großem Interesse, das erzielte Steueraufkommen am Standort des örtlichen Finanzamtes zu erfahren. Die deutschlandweit leider am höchsten verschuldete Stadt ist die Großstadt Essen. Dort ist in den vergangenen Jahren auch oft über ein angeblich zu niedriges Steueraufkommen geklagt worden. Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 4944 mit Schreiben vom 17. August 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Innere und Kommunales beantwortet . Vorbemerkung zur Kleinen Anfrage Der Bund der Steuerzahler suggeriert mit dem sogenannten Steuerzahlertag, dass die Steuerzahler einen großen Teil des Jahres nur für den Staat als abstraktes Gebilde arbeiten. Steuern sind jedoch kein Selbstzweck und „der Staat“ ist das Gemeinwesen der Bürgerinnen und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12716 3 Bürger. Ein gut funktionierendes Gemeinwesen mit einer guten sozialen Sicherung, guter Infrastruktur für Familien und Unternehmen, guten Bildungschancen, innerer Stabilität und Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Steuerbelastung ist im Durchschnitt lange nicht so hoch wie der Bund der Steuerzahler es mit sehr zweifelhaften Methoden1 darzustellen versucht. So zahlte in 2015 ein Durchschnittsalleinverdiener mit 32.000 € Bruttoarbeitslohn rund 4.700 € Steuern (14,8%) (nähere Erläuterung siehe Antwort 5). Bei gemeinsamer Veranlagung lag der durchschnittliche Steuersatz für dieses Einkommen sogar nur bei 5,4 %. Um das zu verdeutlichen, haben wir in Nordrhein-Westfalen einen Zusatz im Steuerbescheid eingeführt, der den Steuerpflichtigen über die tatsächliche prozentuale Einkommensteuerlast aufklärt. Ich lege deswegen auch dem Fragesteller nahe, sich seinen letzten Steuerbescheid genau anzuschauen. 1. Wie hat sich das aggregierte Steueraufkommen aller Essener Finanzämter in absoluten Zahlen jeweils jährlich im Vergleich der Jahre 2014 und 2015, differenziert nach allen einzelnen Steuerarten, entwickelt? (bitte mit Angabe der Bestandwerte für 2014 und 2015, nicht nur Veränderungsvolumina) Das aggregierte Steueraufkommen der Essener Finanzämter gliedert sich in den Jahren 2014 und 2015 wie in der Anlage zu Frage 1 dargestellt auf. Für die noch in der Veranlagung befindlichen Zeiträume wird der derzeitige Stand abgebildet. 2. Wie hoch ist das Steueraufkommen aller Steuerarten einschließlich Kommunalsteuern in der Stadt Essen, differenziert nach den einzelnen Steuerarten, im Vergleich der Jahre 2014 und 2015 ausgefallen? (bitte mit Angabe der Bestandwerte für 2014 und 2015, nicht nur Veränderungsvolumina) Das Steueraufkommen aller Steuerarten einschließlich Kommunalsteuern in der Stadt Essen gliedert sich wie in der Anlage zu Frage 2 dargestellt auf. 3. Jeweils welche Hebesatz-/Steuersatzerhöhungen haben ab dem 1. Januar 2015 bis heute die Essener Bürger und Unternehmen durch politische Entscheidungen von Stadt, Land oder Bund betroffen? (bitte jeweils konkret unter Angabe der veränderten Höhe und des Zeitpunktes des jeweiligen Inkrafttretens neuer Hebe-/Steuersätze ) Insgesamt profitieren die Steuerzahler seit 2015 von Entlastungen: Das Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags, mit dem auch die Auswirkungen der so genannten kalten Progression abgemildert werden, führt bundesweit zu einer Gesamtentlastung von rd. 5,5 Mrd. € pro Jahr, an der auch die Essener Bürgerinnen und Bürger teilhaben. Der Steuersatz bei der Körperschaftsteuer ist in den Jahren 2014 und 2015 unverändert geblieben . 1 Wegen der notwendigen Kritik an der Berechnung des Steuerzahlerbundes und seiner Methodik wird ebenfalls auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 3719 vom Vorjahr (LT-Drs. 16/9540) Bezug genommen . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12716 4 Aus den Erhebungen zur kommunalen Finanzstatistik sind für die Stadt Essen ab dem 1. Januar 2015 bis heute keine Änderungen des Hebesatzes zur Gewerbesteuer und zur Grundsteuer A ersichtlich. Die Grundsteuer B beträgt ab dem 1. Januar 2015 670%. Angaben zu Steuersätzen im Zusammenhang mit örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern in Essen liegen der Landesregierung nicht vor. Der Steuersatz für die Grunderwerbsteuer ist ab dem 01.01.2015 landesweit auf 6,5 Prozent angehoben worden. Von der Anhebung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer profitieren auch die kommunalen Haushalte, da die Kommunen über den kommunalen Finanzausgleich an den Einnahmen aus der Grunderwerbsteuer beteiligt sind. 4. Welcher Anteil der im Gebiet der Stadt Essen jährlich generierten Steuereinnahmen ist in den Jahren 2014 und 2015 bis heute jeweils zugunsten der Haushalte von Bund, Land und Stadt entfallen? Welche Anteile der im Gebiet der Stadt Essen jährlich generierten Steuereinnahmen zugunsten der Haushalte von Bund, Land und Stadt entfallen sind, lässt sich aufgrund der komplexen Regelungen der vertikalen und horizontalen Steuerverteilung nicht konkret feststellen. Tatsache ist jedoch, dass die Essener Bürgerinnen und Bürger auch Landes- und Bundesbürger sind. Die zu Frage 4 anliegende Tabelle liefert einen Überblick über die vertikale und die horizontale Steuerverteilung. Hinsichtlich der vertikalen Steuerverteilung sind die Prozentsätze für das Beteiligungsverhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden dargestellt. Bei der horizontalen Steuerverteilung steht das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteil am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer – soweit es nicht zerlegt wird – den einzelnen Ländern insoweit zu, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden (örtliches Aufkommen). Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer wird hingegen nach Einwohnern, der Gemeindeanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer nach einem bundesgesetzlich geregelten Schlüssel auf die Kommunen verteilt. Das Aufkommen der kommunalen Aufwand– und Verbrauchssteuern verbleibt vollständig in der Stadt Essen. 5. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund der dargestellten Entwicklung die aktuellen Steuererhöhungspläne der SPD-Landtagsfraktion? Die SPD Landtagsfraktion schlägt in ihrem Positionspapier keine Steuererhöhung, sondern eine gerechtere Verteilung der Steuerlasten vor. In Deutschland wächst der Reichtum, während die Ungleichheit immer größer wird. Mega-Einkommen und Mega-Vermögen müssen angemessen zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen. Außerdem gilt es, Steuerhinterziehung und -umgehung wirksam zu begegnen. Im Gegenzug sind dann Entlastungen kleiner und mittlerer Einkommen möglich. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12716