LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12808 01.09.2016 Datum des Originals: 31.08.2016/Ausgegeben: 06.09.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4968 vom 13. Juli 2016 der Abgeordneten Simone Brand PIRATEN Drucksache 16/12550 Sind geflüchtete Frauen, Kinder, LSBTTI-Personen in NRW-Unterkünften immer noch nicht geschützt? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Anfang April 2016 habe ich nach der Situation von Frauen, Kindern, LSBTTI und besonders schutzbedürftige Menschen in den Landesunterkünften gefragt. Zwei Monate später erklärte die Landesregierung in einer Antwort (Drucksache 16/12146), dass im Jahr 2015 in Landeseinrichtungen 17 Beleidigungen auf sexueller Grundlage, 7 versuchte sexuelle Nötigungen /Vergewaltigungen, Fälle sexueller Nötigung/Vergewaltigung, 10 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern, 1 versuchter sexueller Missbrauch von Kindern, 1 schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, 2 Fälle sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, 1 versuchter sexueller Missbrauch von Jugendlichen und 5 exhibitionistische Handlungen registriert wurden. Seit dem 1. Januar 2016 werden auch Vorfälle in kommunalen Einrichtungen erfasst: „Demnach wurden 20 Sexualdelikte in Landeseinrichtungen und 42 Sexualdelikte in kommunalen Einrichtungen registriert. Weiterhin wurden für diesen Zeitraum 32 Fälle häuslicher Gewalt in Landeseinrichtungen und 113 Fälle häuslicher Gewalt in kommunalen Einrichtungen erfasst.“ Die Landesregierung erklärte, dass sie zu diesen Fällen getroffene staatsanwaltschaftliche Entscheidungen „nachberichten“ wird. Die Landesregierung kündigte in der Antwort zudem verschiedene Maßnahmen für einen Gewaltschutz in den Unterkünften an. In Köln wurde nun eine 23-jährige Frau mit einem Messer von ihrem Mann in einer Notunterkunft niedergestochen . Der Kölner Polizeisprecher Lutz Flassnöcker spricht von akuter Lebensgefahr. Anfang Juni 2016 wurden Vorwürfe wegen Vergewaltigung einer schutzbedürftigen Geflüchteten und organisierter mutmaßliche Prostitution durch Sicherheitsdienstmitarbeiter der Landesunterkunft in Burbach bekannt und angezeigt.1 Die Staatsanwaltschaft Siegen und die Polizei ermitteln zurzeit, aber dennoch stellt sich nun die Frage, ob es Fälle von Prostitution in Landesunterkünften gibt. 1 http://welcome.blogsport.de/2016/06/27/was-ist-los-im-fluechtlingslager-burbach/ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12808 2 Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 4968 mit Schreiben vom 31. August 2016 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Bei allen Standortplanungen achtet die Landesregierung ausdrücklich auf die Belange schutzbedürftiger Personen. Der präventive Schutz in den Einrichtungen des Landes ist seit 2015 durch Qualitätsstandards, der Sicherheit dienende bauliche Maßnahmen, ortsangepasste Sicherheitskonzepte sowie Sensibilisierungen und Schulungen aller Beteiligten vor Ort verstärkt worden. Schutzbedürftige Personen werden in den Landeseinrichtungen bereits im Rahmen des Belegungsmanagements unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten besonders geschützt. Alleinreisende Frauen, Kinder und LSBTTI-Personen werden grundsätzlich in eigenen Bereichen oder Gebäudeteilen untergebracht. Darüber hinaus sind inzwischen mehrere besondere Einrichtungen für schutzbedürftige Personen vorhanden. 1. Wie viele Fälle von Straftaten gegen Frauen, Kinder, LSBTTI-Personen und besonders schutzbedürftige Menschen in Flüchtlingsunterkünften sind der Landesregierung seit dem 01.01.2016 bekannt? (Bitte berichten Sie auch, wie in der Antwort (Drucksache 16/12146) angekündigt, nach) Die Verbindungsstelle der Polizei NRW beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste Nordrhein-Westfalen wertet seit Januar 2015 die Einsatz- und Kriminalitätslage in Unterbringungseinrichtungen des Landes NRW aus und erstellt dazu monatlich ein Lagebild. Mit Beginn des Jahres 2016 wurde diese Auswertung auf kommunale Einrichtungen mit einer Kapazität von mindestens 20 Plätzen (kommunale Sammeleinrichtungen) ausgeweitet. Danach wurden vom 01.01.2016 bis zum 30.06.2016 in Flüchtlingseinrichtungen 80 Beleidigungen auf sexueller Grundlage 5 Exhibitionistische Handlungen 42 Sexuelle Nötigungen/Vergewaltigungen 25 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie weitere 26 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die nicht differenzierter erfasst sind, registriert. Davon entfallen 73 Fälle auf Unterbringungseinrichtungen des Landes und 105 Fälle auf kommunale Einrichtungen. Darüber hinaus weist das polizeiliche Lagebild in Flüchtlingsangelegenheiten für diesen Zeitraum 413 Fälle häuslicher Gewalt aus, davon 107 Fälle in Unterbringungseinrichtungen des Landes und 306 Fälle in kommunalen Einrichtungen. Das polizeiliche Lagebild in Flüchtlingseinrichtungen erfasst weder Geschlecht und Alter der Opfer noch die weiteren in der Frage aufgeführten Opferkategorien. Eine Darstellung von Geschlecht und Alter der Opfer ist durch eine automatisierte Auswertung und damit im Rahmen der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit vor dem Hintergrund der hohen Vorgangszahl nicht möglich. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12808 3 Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei den aufgezählten Straftaten um erfasste Fälle zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung handelt. Wegen des damit verbundenen hohen Aufwandes wurde eine Erhebung des jeweiligen Verfahrensstandes (Einstellung, Anklageerhebung , Verurteilung, u.a.)nicht eingeleitet. Ein Eindruck, wie der Verlauf des Strafverfahrens sein kann, ergibt sich aus der folgenden Tabelle. Diese enthält die Verfahrensstände zu den in der Antwort auf die Kleine Anfrage 4620 (Drucksache 16/12146) zu Frage 1 aufgeführten 53 Straftaten: Status Anzahl Einstellung gemäß § 170 II StPO 30 Vorgang bei der Polizei/Ermittlungen dauern an 7 Verurteilung bzw. Strafbefehl 5 Einstellung gemäß § 153 I StPO 2 Einstellung gemäß § 154 f StPO 3 Anklageerhebung 2 Einstellung, da Täter nicht ermittelt werden konnte 2 Keine Ermittlungen mangels Anfangsverdacht 1 Antrag auf Strafbefehlserlass 1 53 Darüber hinaus sind der von der Landesregierung geförderten Landeskoordination der Anti- Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in NRW 14 Fälle von Gewalt an lesbischen und transsexuellen Frauen in Flüchtlingsunterkünften im Laufe des Jahres 2016 bekannt geworden. Der Landeskoordination der Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in NRW ist weiter bekannt , dass im Falle einer Vergewaltigung und im Falle einer Messerattacke Anzeige erstattet wurde. Die Gewalt, so die Landeskoordination, ist ausschließlich von Bewohnerinnen und Bewohnern der jeweiligen Flüchtlingsunterkunft ausgegangen. 2. Waren unter den Verdächtigen der aufgezählten Fälle aus der Drucksache 16/12146 auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unterkünfte (Sicherheitsdienstmitarbeiter , Betreiber-Mitarbeiter usw.; bitte aufzählen)? In zwei der 53 aufgelisteten Sexualdelikte (Drucksache 16/12146) wurden Sicherheitsdienstmitarbeiter als Beschuldigte erfasst. Tattag Tatort Delikt T/O-Beziehung Ausgang d. Verfahrens 11.03.2015 ZUE Schöppingen Sexueller Missbrauch v. Jugendlichen MA Sicherheitsdienst / Bewohnerin Einstellung § 170 Abs. 2 StPO (1 Besch .), Einstellung gem. § 153 Abs.1 StPO(1 Besch.) 14.11.2015 NU Höxter Schw. sexueller Missbrauch v. Kindern MA Sicherheitsdienst /Bewohnerin Rechtskräftige Verurteilung LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12808 4 3. Welche Beschwerden/Straftaten wurden seit dem 31. Oktober 2014 im Zusammenhang mit der Unterkunft in Burbach an die Landesregierung oder andere verantwortliche Stellen gerichtet? (Bitte Tatzeitpunkt, Tathergang, ggf. Ermittlungsergebnis der Strafverfolgungsbehörden bzw. ggf. strafrechtlicher Ahndung aufschlüsseln ) Für das Jahr 2015 und für den Zeitraum 01.01.2016 bis zum 30.06.2016 sind die im polizeilichen Lagebild Zuwanderer erfassten Ermittlungsvorgänge mit Bezug zur Erstaufnahmeeinrichtung Burbach dargestellt: Delikt 01.01. - 30.06.2015 01.07. - 31.12.2015 01.01. - 30.06.2016 Körperverletzungsdelikte 13 13 9 Diebstahlsdelikte 11 24 7 Raubdelikte 0 1 0 Sexualdelikte 2 1 1 Straftaten gemäß BtMG 1 1 0 Ausländerrechtliche Verstöße 3 6 9 Beleidigung 2 1 0 Bedrohung 2 1 1 Hausfriedensbruch 2 2 2 Sachbeschädigung 7 9 1 Sonstige Straftaten 12 14 2 Gesamt: 55 73 32 Die Fallzahlen in der Erstaufnahmeeinrichtung Burbach sind im Jahr 2016 stark rückläufig. Im Berichtzeitraum 2016 wurden insgesamt 32 Ermittlungsvorgänge dokumentiert. Die verbleibenden 128 Fälle entfallen auf das Jahr 2015. Auch hierzu wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei den aufgezählten Fällen um erfasste Straftaten zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung handelt. Auf Grund des hohen Aufwandes wurde auf eine Abfrage des Verfahrensstandes (z.B. Einstellung, Verurteilung) verzichtet, siehe Antwort zu Frage 1. Zu den erfassten Sexualdelikten kann ergänzend mitgeteilt werden, dass sich diese im Beziehungsverhältnis zwischen Zuwanderern ereigneten. Ein in den Medien veröffentlichter Sachverhalt zu Sicherheitsdienstmitarbeitern und Personal des Betreuungsverbandes im Zusammenhang mit Sexualdelikten zum Nachteil von weiblichen Zuwanderern hat sich nach den polizeilichen Ermittlungen bislang nicht bestätigt. Der Vorgang befindet sich zur abschließenden Bewertung bei der Staatsanwaltschaft Siegen. 4. Sind der Landesregierung Fälle von Prostitution und oder Menschenhandel in den Landesaufnahmen bekannt? Fälle der Prostitution gem. § 180a StGB und des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gem. § 232 StGB oder zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft gem. § 233 StGB sowie die Förderung des Menschenhandels gem. § 233a StGB in Unterbringungseinrichtungen sind der Landesregierung nicht bekannt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12808 5 5. Warum liegen der Landesregierung keine Angaben dazu vor, wie oft Frauen, Kinder, LSBTTI-Personen und besonders schutzbedürftige Menschen aus Flüchtlingsunterkünften in Frauenhäusern oder Extra-Einrichtungen untergebracht wurden? Die Unterbringung des nachgefragten Personenkreises erfolgt regelmäßig auf deren Wunsch, also freiwillig und eigenverantwortlich, ggfls. mit Unterstützung der Polizei oder Opferhilfe. Eine statistische Erfassung erfolgt hierzu nicht. Für Schutzeinrichtungen besteht ein Mitteilungsverbot im Rahmen des Sozialgeheimnisses gemäß § 203 Absatz 1 Nr. 5 Strafgesetzbuch i.V.m. §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch X gegenüber der Polizei. Angaben, die dem Sozialdatenschutz unterliegen, werden von den Institutionen der Opferhilfe nicht an die Polizei übermittelt. Die Aufnahme in einem Frauenhaus erfolgt unter Wahrung der Anonymität. Es werden keine Statistiken über den Flüchtlingsstatus erhoben. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12808