LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/12875 07.09.2016 Datum des Originals: 07.09.2016/Ausgegeben: 12.09.2016 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 5003 vom 1. August 2016 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/12604 Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen: Vogel-Strauß-Ansatz, anstatt ehrlicher Selbstkritik – Warum sperrt sich die Landesregierung gegen das geplante Abschiebe- Gutachten der Bundeskanzlerin? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Als Reaktion auf die jüngsten Anschläge in Deutschland skizzierte die Bundeskanzlerin einen Neun-Punkte-Plan für mehr Sicherheit. Dazu zählen unter anderem ein "Frühwarnsystem" für Radikalisierungen bei Flüchtlingen und gemeinsame Übungen von Polizei und Bundeswehr sowie der beschleunigte Aufbau einer Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (kurz Zitis) zur Entschlüsselung der Internetkommunikation. Immer dort, wo es Lücken gebe, müsse gehandelt werden, so die Kanzlerin. Zu den angekündigten Maßnahmen der Bundeskanzlerin gehörte auch eine Senkung der Hürden für die Abschiebung von Asylbewerbern. Dazu erklärte die Bundeskanzlerin, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière und „einige Bundesländer“ eine Studie bei der Beratungsgesellschaft McKinsey in Auftrag geben wollten, weil man bei den „Rückführungsbemühungen“ bisher nicht so vorankomme, „wie das gewünscht wird“. Zu diesem geplanten McKinsey-Gutachten zu den Geschäftsprozessen im Bereich der Rückführung abgelehnter Asylbewerber ist auffällig, dass insbesondere Nordrhein-Westfalen sich – laut Meldungen - dezidiert dagegen ausgesprochen habe,. Hessen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Schleswig-Holstein hätten sich freiwillig gemeldet für diese Untersuchung gemeldet. Die Ministerpräsidentin erklärte dagegen im „Spiegel“ vom 20.07.2016 zur Frage der Rückführungen, dass die Länder keine Außenpolitik betreiben und sie sich daher gegen den Vorwurf verwehre, die Länder würden nicht genügen abschieben - unter dem Hinweis auf die Probleme allein mit der Gruppe der ausreisepflichtigen aus den Maghreb-Staaten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12875 2 Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5003 mit Schreiben vom 7. September 2016 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Aus welchem Grund lehnt die Landesregierung die Begutachtung der Praxis und Prozesse im Bereich der Rückführungen ab? Die Landesregierung hat sich insbesondere in den vergangenen Monaten intensiv mit einer Optimierung des Rückkehrmanagements in Nordrhein-Westfalen und damit auch der Praxis und den Prozessen im Bereich der Rückführung befasst und führt dies auch kontinuierlich fort. Insbesondere wurde Staatsrat a. D. Schiek damit beauftragt, Empfehlungen und Vorschläge zu entwickeln, wie die Verfahren und Instrumente zur Durchsetzung der Ausreisepflicht bei vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern in Nordrhein-Westfalen verbessert und optimiert werden können. Um dabei die Bedürfnisse und Sichtweisen der kommunalen Ausländerbehörden sowie der Zentralen Ausländerbehörden Bielefeld, Dortmund und Köln einbeziehen und berücksichtigen zu können, wurde auf der Ebene des Ministeriums für Inneres und Kommunales von November 2015 bis März 2016 eine Arbeitsgruppe Rückkehrmanagement mit repräsentativen Vertretern dieser Institutionen unter Leitung von Staatsrat a. D. Schiek gebildet, an der sich auch die kommunalen Spitzenverbände beteiligt haben. Gerade auch auf Grundlage der in dem vorgelegten Abschlussbericht von Staatsrat a. D. Schiek ausgesprochenen Empfehlungen hat die Landesregierung Eckpfeiler und konkrete Maßnahmen eines „Integrierten Rückkehrmanagements NRW“ definiert und teilweise bereits umgesetzt. Hierzu werde ich dem Landtag in Kürze im Einzelnen berichten. 2. In Nordrhein-Westfalen ist die Quote derjenigen Ausreisepflichtigen, die geduldet werden mit mehr als 77 Prozent im Vergleich der Bundesländer sehr hoch (Bayern 61 %, Berlin 64%, Hamburg 25%, Hessen 65%. Sachsen 34%). Obwohl rund 27 Prozent der bundesweiten Ablehnungsentscheidungen über Asylanträge in Nordrhein-Westfalen getroffen werden, erfolgen gleichzeitig aber lediglich 19% der bundesweiten Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen. Die Anzahl der Abschiebungen im Juni des Vorjahres bei einer niedrigeren Anzahl an negativen Asylentscheiden war höher, als die Anzahl der Abschiebungen im Juni 2016. Im langfristigen Vergleich der Bundesländer sinkt der An-teil der Abschiebungen aus Nordrhein-Westfalen prozentual: Während es in den Jahren 2010 bis 2014 immer rund 25 % waren, sind es im ersten Halbjahr lediglich 19 Prozent der bundesweiten Abschiebungen, die aus Nordrhein-Westfalen heraus stattfinden. Welche Befürchtungen haben die Landesregierungen dazu bewogen, sich dezidiert gegen eine Studie der Rückführungsbemühungen der Länder auszusprechen? Die in der Fragestellung genannten prozentualen Duldungsanteile in Hamburg und Sachsen sind nicht nachvollziehbar. Sie lagen in Hamburg zum Stichtag 31.05.2016 bei 78,3 % (30.06.2016: 78,5 %) und in Sachsen bei 64,3 % (30.06.2016: 66,4 %). Lt. Statistik der Bundespolizei wurden aus NRW in der Zeit vom 01. Januar 2016 bis zum 30. Juni 2016 insgesamt 2.625 Personen abgeschoben (einschließlich Dublin-Überstellungen). Damit weist Nordrhein-Westfalen bundesweit weiterhin die höchste Zahl an Abschiebungen auf, vor Bayern mit 1.827 und Baden-Württemberg mit 1.749 Fällen. Zugleich bedeutet dies im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum eine Steigerung von 32 %. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12875 3 Nordrhein-Westfalen fördert die freiwillige Rückkehr in das Heimatland und damit die Möglichkeit, eine bevorstehende Abschiebung und die damit verbundenen Belastungen durch freiwillige Ausreise zu vermeiden. Tatsächlich machen immer mehr Menschen ohne Bleibeperspektive von der freiwilligen Ausreisemöglichkeit Gebrauch. So sind im Bereich der freiwilligen Rückkehr in Nordrhein-Westfalen im 1. Halbjahr 2016 8.356 Ausreisen mit REAG/GARP-Mitteln bewilligt worden. Dies stellt im Ländervergleich gleichfalls die höchste Zahl dar, vor Niedersachsen mit 4.605 und Bayern mit 4.497 bewilligten Ausreisen, und bedeutet eine Steigerung im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum von 224 %. Die Summe in Nordrhein-Westfalen mit REAG/GARP-Mitteln bewilligter freiwilliger Ausreisen und Abschiebungen von 10.981 im 1. Halbjahr 2016 entspricht rd. 25 % der bundesweiten Gesamtzahl von 44.296. Unter der Einbeziehung der 2.652 der sonstigen freiwilligen Ausreisen beläuft sich die Gesamtzahl der Ausreisen aus Nordrhein-Westfalen im 1. Halbjahr 2016 insgesamt auf 13.633. Dies entspricht 86 % der Ausreisen im gesamten Jahr 2015. Daneben ist zu beachten, dass die Zahl ablehnender Asylentscheidungen durch das BAMF nicht mit der Zahl tatsächlich rückführbarer abgelehnter Asylbewerber korreliert. Die praktische Rückführbarkeit hängt unter anderem mit der Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten, aber auch mit dem Vorliegen von tatsächlichen Vollzugshindernissen, wie z.B. mangelnder Reisefähigkeit der Betroffenen aufgrund von Erkrankungen, oder dem Fehlen von Reisedokumenten zusammen. Das Fehlen der notwendigen Reisedokumente hat eine oft schwierige und langwierige Identitätsklärung und Beschaffung von Passersatzpapieren zur Folge. Auch das Untertauchen/Nichtantreffen vor einer Abschiebung sowie Widerstandshandlungen können den Vollzug der Rückführung vereiteln. Die Landesregierung verfolgt die von der Bundesregierung beauftragte Studie zu Geschäftsprozessen im ausländerrechtlichen Bereich der Rückführung durch die Unternehmensberatung McKinsey, an der sich einige wenige Bundesländer beteiligen, mit Interesse. Hierbei wird auch die sehr heterogene Vollzugsausgestaltung durch die hierfür zuständigen Länder zu beachten sein. Ein zentrales praktisches Problem im Bereich der Rückführung bleibt aber die fehlende Kooperationsbereitschaft von bestimmten Staaten bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger. Insbesondere dieses Problem lässt sich durch die Beauftragung einer Unternehmensberatung nicht lösen. Im Übrigen wird insoweit auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. 3. Aus welchem Grund hat die Landesregierung kein Interesse an der Aufarbeitung von landesinternen Rückführungshemmnissen, angesichts der völlig differenzierten Duldungspraxis in den Ländern und der sich unterschiedlichen Entwicklung der Rückführungszahlen in den Ländern? Insoweit wird auf die Beantwortung der Fragen 1 und 2 verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/12875 4 4. Sieht die Landesregierung – neben dem unbestrittenen Verbesserungsbedarf in Bezug auf die Herkunftsländer – keinerlei Optimierungsmöglichkeiten in der Praxis der Rückführungen auf Ebene der Länder? Insoweit wird auf die Beantwortung der Frage 1 verwiesen. 5. Aus welchem Grund ignoriert die Landesregierung mögliche eigene Versäumnisse bei der Aufenthaltsbeendigung, angesichts der Notwendigkeit, dass bestehende Ausreisepflichten konsequent durchgesetzt werden, damit wirklich Schutzberechtigte zeitnah ihren Aufenthaltsstatus erhalten können und die Akzeptanz der Bevölkerung bei der Aufnahme von Flüchtlingen nachhaltig erhalten bleibt? Insoweit wird auf die Beantwortung der Fragen 1 und 2 verwiesen. Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/12875